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Folge 51

Vorweg

Der Ort, an dem wir bis eben waren, hat die gleichen Initialen wie ich, und so laufen jetzt Familienmitglieder mit T-Shirts rum, auf denen I LOVE CF steht; mit diesem Anblick dürfte ich nun ausgerechnet offline den höchsten Instagramzustand performativer Selbstliebe erreicht haben ... oh, the irony. 

Die Rückreise läuft, und würden in Berlin nicht die beste Katze der Welt und auch ein paar beste Menschen warten, wäre der Gedanke rundherum furchtbar. Gestern habe ich mehrfach gesagt, dass ich mit Smartphone, Kreditkarte und Pass in einer Seitenstraße verschwinden und ein verlassenes Haus besetzen werde, von wo aus ich nur noch den Newsletter verschicken werde,– und es war zu 97 % kein Spaß. Mit der Rückreise ins Internet sieht es ähnlich unwillig aus. Wie hieß noch diese Plattform, wo jetzt alle sind, auch ich, theoretisch? 

Es wird also keine normale Rückkehr sein, nach der man frisch und erholt in die alte Spur tritt. Diese Reise war der bewusste Übergang in eine neue Lebensphase, auf die ich mich jetzt freue, weil sie klarer vor mir liegt. 

Ihr könnt euch das so vorstellen wie bei Marlene Dietrich, die irgendwann keine Filme mehr drehte, sich in ihre Pariser Wohnung zurückzog und nur noch per Telefon mit der Außenwelt kommunizierte. So ähnlich werde ich es fortan mit meinem persönlichen Output in sozialen Medien halten. 

Ich bin jetzt im perfekten Alter für etwas Divenhaftigkeit, und New Frohmanntic ist mein Telefon. Ihr entscheidet, ob ihr rangeht.

Etwas Altes: Strandspaß

Meine Eltern sind nicht viel mit mir gereist. Zum einen fehlte es an Geld, zum anderen wartete meine Mutter eigentlich durchgehend darauf, dass mein Vater sich »zusammenreißen« würde, was bedeutet hätte: nach dem unternehmerischen Scheitern sich einen ordentlichen Job suchen, Schulden abbezahlen, sich anständig anziehen. Hätte er sich nur zusammengerissen, dachte ich als Kind oft, wären wir sicherlich öfter verreist, nicht nur dieses eine Mal für eine Woche in die Niederlande. Später, als ich ein Teen war, ist meine Mutter dann einfach allein mit mir in Urlaub gefahren, das war ziemlich ereignisreich für mich (from Disco to Disco) und nicht immer einfach für sie (schlaflos, bis das Kind im Bett liegt). Danke, Mama, es war meeeega. 

Mein Mann hingegen ist als Kind unendlich viel mit seinen Eltern gereist, und es war immer Camping. Er hat das dann auch erst mir und später unseren Kindern nahegebracht. So sind wir alle zu extremen Fans insbesondere italienischer Campingplatz- und Strandkultur geworden.   

Kinderdisco, Italodisco. Disco Disco. 

Es gibt keine bessere Kur als italienischen Strandspaß, um zumindest temporär von der deutschen Leidkultur »Stock im Arsch« zu genesen. Leider kann ich mich persönlich wegen der fast lebenslangen Fehlprägung (in Fachkreisen »deutscher Geist« genannt) oft nur zu unmerklichem Mitmoven überwinden. Jammerschade, aber es ist immer noch besser als nichts. 

Obwohl wir bei der aktuellen Reise gar nicht campen waren, kam der Strandspaß glücklicherweise zu uns vors Haus.  

Dudel, dudel. Strampel, strampel. Spin, spin.

Dudel, dudel. Wackel, wackel. Hüpf, hüpf. Tanz, tanz. 

– Nein, die Existenz von »Schunkeln« in Deutschland ist kein Gegenargument: Schunkeln ist das betrunken kollektive Schwanken vieler Menschen mit Stock im Arsch zu Musik, was, obwohl es konsequent ohne Hüften, Beine, Füße stattfindet, den Anschein von Tanz erwecken soll. 

Wenn es im Deutschen heißt, jemand »tanzt sich die Seele aus dem Leib«, beschreibt das in Wirklichkeiten einfach nur eine Person, die tanzt, wirklich tanzt, ohne Stock im Arsch. Dem deutschen Geist graut es, wenn Menschen ohne Stock im Arsch tanzen, da muss gleich der Teufel seine Hand im Spiel haben. Wo kämen wir denn auch hin, wenn eine tanzende Existenz ohne Stock im Arsch so erstrebenswert erscheinen würde, wie sie es ist. Dazu fällt mir – ganz offensichtlich habe ich mir schon beim zarten Mitwackeln gleich die Seele aus dem Leib getanzt – nur Folgendes ein: 

Deutscher Geist, verpiss dich.
Niemaus vermisst dich.

Wackel, wackel. Hüpf, hüpf. Leb, leb.

 

Etwas Neues: Eine Drinnies-Horrorgeschichte

Schöne Grüße an Giulia Becker und Chris Sommer (und schämen sollen sich alle, die jetzt ganz selbstverständlich in geldwerten Kontexten von Drinnies reden, ohne die beiden als Quelle zu erwähnen!) 

Obwohl ich kein klassischer Drinny bin, sondern nur ein verkappter oder ein Hybrid, weil meine extreme Schüchternheit zu Beginn relativ schnell ins Gegenteil kippt (Dr-Jekyll-and-Mr-Hyde-Drinny?), habe ich beim Drinnies-Podcast (Öffnet in neuem Fenster)-Hören schon einiges Lebenspraktisches gelernt, u. a., dass es mir hilft, wenn ich soziale Schrecken gedanklich antizipiere und meine Reaktionen für den Ernstfall möglichst gut vorbereite. So habe ich mich als Fremdprachenschüchterne extra auf Italienisch für erwartbare Komplikationen beim Nutzen des nur zweimal am Tag fahrenden Minibusses zum Strand vorbereitet:

Einschub: Ja, ich weiß, dass man »Sie« großschreibt und es nicht »meine Mann« heißt, aber ich war schließlich im Urlaub, da darf man ja wohl mal achtlos und liederlich sein.

Zurück zur Drinny-Gefahrenprophylaxe: Worauf ich mich in Sachen Strandbuskommunikation nicht vorbereiten konnte, war der Umstand, dass nach zwei Wochen komplikationsfreier Nutzung mit souveränem Grüßen und Danken auf Italienisch – ich hätte meine Performance zu diesem Zeitpunkt fast schon als lässig bezeichnet – ein anderer Busfahrer kam, der davon ausging, es wäre meine allererste Fahrt, und mich dann 1. weiter als bis zur Endhaltestelle fuhr, damit ich den Strand auch ja finde, dann 2. wendete, wieder neben mir anhielt und mich aufforderte, eine andere Treppe zum Strand zu benutzen, von wo aus der Weg kürzer sei und dann 3. eine random italienische Touristin neben mir auf der Straße bat, mir ins Englische zu übersetzen, dass der letzte Bus um 16 Uhr oben an der Kurve abfahren würde. Trotzdem wartete er um 15.55 Uhr direkt hinter dem Strand mit dem Bus nur auf mich, forderte mich nachdrücklich auf einzusteigen, fuhr allein mit mir noch ein Stück den Berg hinauf, wo er wendete, um dann um 16 Uhr zu der Stelle zu fahren, an der ich zuvor schon ein Dutzend Mal erfolgreich ein- und ausgestiegen war. Während des offiziellen Teils der Fahrt starrte ich – innerlich in kompletter Panik, äußerlich mit hochrotem Kopf – zu Boden, um nur ja nicht versehentlich weitere Hilfsbedürftigkeit auszustrahlen. 

Unerwartete Überbetreuung in Servicekontexten ist ja meistens extrem nett gemeint, aber für Außenweltschüchterne ungefähr so, als würde man sie direkt in die Hölle beamen. Geschieht das Ganze in einem anderen Sprachraum, gelangt man instant locker noch einen Höllenkreis weiter nach innen.

In dieser Viertelstunde der Strandbus-Eskalation war ich entsprechend kein hybrider, sondern ein kompletter Drinny. Ich habe sogar kurz überlegt, ob ich die knapp vierzehn Kilometer zum Strand und zurück fortan nicht auch locker jeden Tag laufen könnte. Tatsächlich war ich seither nicht mehr am Strand, aber das Wetter war auch etwas schlechter.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

Etwas Uncooles: Trübe Quellen

Während ich mir bei Themen, mit denen ich mich auskenne, zumindest einbilde, verlässliche Quellen bereits im Augenwinkel zu erkennen, erkenne ich bei Themen, die ich mir neu anlese, vor allem, wie dünn die Informationslage bzw. wie widersprüchlich Angaben im Netz teilweise sind. Da ist beispielsweise in einem Reiseblog die Rede von Oleanderbäumen auf einem bestimmten Platz, und zwar ohne jeden Zweifel, dass es sich um Oleanderbäume handeln würde. Nur, dass da in Wirklichkeit riesige Gummibäume stehen, die Jahrzehnte alt sein müssen, also ganz sicher nicht vor wenigen Jahren mal eben an Stelle von Oleander gepflanzt worden sind, was die falsche Information erklären könnte. Die Person, die den Blogpost schrieb, hätte ja auch einfach »große Bäume« schreiben können, wenn sie es nicht genau wusste. So aber wird unnötig eine falsche Information verbreitet. Bei Gummibäumen ist das noch relativ ungefährlich, aber wenn jemand mit der gleichen Überzeugung schreibt, dass man überall in einem bestimmten Land das Wasser aus dem Hahn trinken könnte und das mit vergleichbarer Wissenslage macht, ist das potenziell gefährlich. Das gilt aber nicht nur für Blogs, sondern auch für klassische journalistische Artikel, die online verfügbar sind und Lesenden suggerieren, dass sie von Menschen verfasst werden, die über nachprüfbares Wissen verfügen, das sie anderen mitteilen. Irgendwie haben sich sehr viele Menschen im letzten Jahrzehnt in sozialen Medien angewöhnt, zu sehr vielen Themen etwas zu sagen. Ich auch. Es ist aber wichtig, für andere kenntlich zu machen, wo die eigene Expertise endet und Meinung beginnt. Das kann man sich, wenn man es bislang noch nicht beachtet, auch jetzt noch jederzeit angewöhnen. Weil es sachlich angemessen und menschlich fair ist. Publishing ist Verantwortung. 

Im letzten Newsletter habe ich vergessen, zu schreiben, dass das Schlangenfoto auf dem Cover von Dittmar Frohmann stammt. Als Wiedergutmachung folgt jetzt Werbung für die Bildagentur, die er leitet: Bitte kauft, wenn ihr bei der Arbeit ungrottige Stockbilder braucht, immer und unter allen Umständen bei Photocase (Öffnet in neuem Fenster).

Rubrikloses

Ein neues Wort für euch: 

Inseligkeit, die: Zustand des Glücks, erreicht durch erfolgreiches Finden oder Bilden und Bewohnen von Inseln unterschiedlicher Seinsarten (materiell, symbolisch, virtuell, mental), die als Freiräume dienen

Präraffaelitische Girls erklären Megalomilliardäre, Vol. 3

Früher:

Heute: 

Morgen:

Zurück zum Arbeitsmarkt, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,  
FrauFrohmann

Danke allen, die meine Arbeit über steady finanziell unterstützen, egal ob das gesamte Frohmann-Publishing (Öffnet in neuem Fenster) oder isoliert den Newsletter (Öffnet in neuem Fenster).  Genauso danke allen, die wenig Geld haben und auf andere Weise immer an meiner Seite sind. CF LOVES YOU. 

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