Über „Correctiv“, „Nius“ und Jim Knopf
Der Übermedien-Newsletter von Stefan Niggemeier.
Hallo!
Das inzwischen weltberühmte Medium „Correctiv“ verschickte gestern einen Sondernewsletter mit Spendenaufruf (Öffnet in neuem Fenster) und „wichtigen Neuigkeiten zum Gerichtsverfahren“: Ulrich Vosgerau, Teilnehmer des Treffens von Rechten und Rechtsextremisten in Potsdam, sei vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg „weitgehend“ damit gescheitert, mehrere Passagen aus dem Artikel über das sogenannte „Geheimtreffen“ per einstweiliger Verfügung untersagen zu lassen.
„Correctiv“ fügte hinzu:
„Was besonders wichtig ist: Die Entscheidung des Gerichts bestätigt damit die Inhalte der Geheimplan-Recherche.“
Nein. Das ist nicht „besonders wichtig“, das ist falsch. Das Gericht hat von den drei Aussagen, die Vosgerau gerichtlich angegriffen hat, zwei für zulässig erklärt. Aber alle drei betreffen gar nicht den Kern der Recherche, sondern eher Nebensächlichkeiten.
In den Worten der Pressestelle des Gerichtes (Öffnet in neuem Fenster):
„Alle weiteren Inhalte der Correctiv-Berichterstattung, insbesondere ob, durch wen und in welchem Umfang die in dem Artikel thematisierte ‚Remigration‘ von Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft haben, auf der Veranstaltung in Potsdam diskutiert wurde, sind nicht Gegenstand der Entscheidung.“
Das hatte vorige Woche auch „Correctiv“ selbst noch so kommuniziert, unter anderem in einem früheren Spenden-Newsletter (Öffnet in neuem Fenster): Vosgerau „greift Nebensächlichkeiten an, um vom Kern abzulenken“, schrieb „Correctiv“-Chefredakteur Justus von Daniels damals. Plötzlich aber behauptet man, eine Entscheidung über Nebensächlichkeiten sei auch eine über den Kern gewesen. Das ist dreist.
„Correctiv“-Geschäftsführer David Schraven verbreitet diese Unwahrheit auch explizit in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Er sagt:
„Der Kern unseres Artikels ist damit bestätigt worden: dass bei diesem Geheimtreffen über einen Masterplan gesprochen wurde, mit dem ‚Remigration‘ betrieben werden sollte, und dass das auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte betrifft.“
Lesen Sie zum Vergleich noch einmal oben, was das Gericht selbst dazu sagt.
Auch in der Kommunikation über ein anderes einstweiliges Verfahren benutzt „Correctiv“ eine ähnliche Taktik. Hier war ein Unternehmer dagegen vorgegangen, dass sein Name genannt und eine mögliche Spende thematisiert wird. Er scheiterte vor Gericht. Auch in diesem Verfahren ging es nicht um den Kern der Vorwürfe, aber „Correctiv“ erweckt nach seinem juristischen Sieg den Eindruck.
Felix Zimmermann, Chefredakteur des Rechtsmagazins „Legal Tribune Online“, kommentierte (Öffnet in neuem Fenster), dass „Correctiv“ offenbar nun selbst etwas von der Strategie der Gegenseite übernommen habe, der konkreten juristischen Auseinandersetzung eine größere Bedeutung zuzuschreiben, als sie hat: „Correctiv“ habe „inzwischen in Sachen PR vom Gegner gelernt“.
Das ist augenzwinkernd positiv formuliert, aber natürlich furchtbar. Die außerordentlich wirkmächtige Recherche von „Correctiv“ wird von den Betroffenen und ihren politischen und medialen Verbündeten mit allen Mitteln angegriffen und diffamiert; es wird verzerrt, übertrieben, abgelenkt. Rechte Medien haben den teilweisen Erfolg von Vosgerau in einer Nebensache zu einem großen grundsätzlichen Sieg über die „Correctiv“-Berichterstattung umgedeutet. Zu unrecht.
Aber „Correctiv“ kann nicht auf Verzerrungen, Übertreibungen und Ablenkungsmanöver der Gegenseite mit eigenen Verzerrungen, Übertreibungen und Ablenkungsmanövern reagieren. Ich kann kaum glauben, dass es nötig ist, das hinzuschreiben.
(Worum es wirklich geht bei dem Vosgerau-Verfahren gegen „Correctiv“, und was an den Argumenten der beiden Seiten vor Gericht so merkwürdig ist, hat Felix Zimmermann in angemessener und nötiger Komplexität hier für uns aufgeschrieben (Öffnet in neuem Fenster).)
David Schraven sagt in dem FAS-Interview:
„Und wenn wir Fehler machen, müssen diese transparent gemacht und korrigiert werden. Nur so wird man am Ende eine glaubwürdige Quelle.“
Das ist ein schöner Gedanke.
Apropos.
Am Morgen des 10. Januar (Öffnet in neuem Fenster) hat „Correctiv“ seinen Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“ veröffentlicht. Im „Epilog“ hieß es über das, worum es dabei ging:
… ein „Masterplan“ zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern aufgrund ihrer „Ethnie“; also ein Plan, die Artikel 3, Artikel 6 und Artikel 21 des Grundgesetzes zu unterlaufen.
Am späten Nachmittag desselben Tages wurde der Artikel geändert. Nun (Öffnet in neuem Fenster) hieß es dort:
… ein „Masterplan“ zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern; also ein Plan, um die Artikel 3, Artikel 6 und Artikel 21 des Grundgesetzes zu unterlaufen.
Wenig später wurde der „Artikel 6“ noch in „Artikel 16“ geändert.
Warum hat „Correctiv“ die Formulierung gestrichen, deutsche Staatsbürger sollten „aufgrund ihrer ‚Ethnie‘“ ausgewiesen werden? Das wirkt ausnahmsweise nicht wie eine Nebensächlichkeit. Andererseits behauptet „Correctiv“ im „Prolog“ desselben Artikels nach wie vor, das wichtigste Ziel der Rechten und Rechtsextremisten sei: „Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht.“ (Hervorhebung von mir.)
Das Streichen der Wörter „aufgrund ihrer ‚Ethnie‘“ hat in rechten Kreisen am vergangenen Wochenende für viel Aufregung und Aufmerksamkeit und einige Verschwörungstheorien gesorgt. Also habe ich bei „Correctiv“ nachgefragt:
1. Warum hat „Correctiv“ diese Passagen geändert?
2. Warum hat „Correctiv“ diese Änderungen nicht transparent gemacht?
3. Hält „Correctiv“ an der Aussage fest, dass deutsche Staatsbürger aufgrund ihrer Ethnie ausgebürgert werden sollten? Inwiefern ist mit der Änderung ein zentraler Vorwurf weggefallen, wie von Ulrich Vosgerau und anderen in den Sozialen Medien behauptet wird?
Die Antwort von „Correctiv“:
Wir haben die Änderung nun kenntlich gemacht, siehe: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ (Öffnet in neuem Fenster)
Im Epilog hatten wir am Tag der Veröffentlichung, dem 10.01. den Satz „ein „Masterplan” zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern“ aus redaktionellen Gründen gekürzt, diese Kürzung allerdings ohne Absicht bisher nicht kenntlich gemacht.
Aha, aus redaktionellen Gründen, soso. Transparenz Schmanzparenz.
Mehr Fehlerkultur und Sorgfalt gönnt man sich bei „Correctiv“ – wieder einmal (Öffnet in neuem Fenster) – nicht. Aber als glaubwürdige Quelle will man trotzdem gelten. Ich bin nicht sicher, ob das auf Dauer gutgeht.
Diese Woche neu auf Übermedien
Wieso geben Politiker „Nius“ Interviews? (Öffnet in neuem Fenster) | Namhafte Politiker von FDP und CDU geben dem Magazin immer wieder Statements oder treten in Talkformaten auf. Boris Rosenkranz hat sie gefragt: Wie stehen sie zu der Kritik, sie würden ein rechtspopulistisches Krawallportal damit aufwerten? (Ü)
„Nius“ produziert nicht Journalismus, sondern Wut – ohne Rücksicht auf Verluste (Öffnet in neuem Fenster) | Ist einem wirklich jedes Mittel, jede Diffamierung recht, jedes Zertrümmern einer Debatte, die auf Tatsachen und Argumenten beruht? Ein Kommentar von Stefan Niggemeier. (Ü)
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Haben zu viele Journalisten beim Thema Ukraine eine Schere im Kopf? (Öffnet in neuem Fenster) | Seit vielen Jahren berichtet Moritz Gathmann aus der Ukraine. Im Gespräch mit Holger Klein zieht er Bilanz. (Podcast)
Auch Deutsche mit Migrationsgeschichte unter den Nominierten (Öffnet in neuem Fenster) | Anders als Sandra Hüller und Wim Wenders taucht Regisseur İlker Çatak in Oscar-Vorberichten kaum auf. Ein Zeugnis der Ignoranz vieler Medien für alles, was nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft gesehen wird, meint Samira El Ouassil. (Ü)
Der dunkle, tiefe Abgrund an handwerklichem Unwissen über die Schauspielerei (Öffnet in neuem Fenster) | Schauspieler bekommen eher eine Seite in einer Drogeriezeitschrift über nachhaltige T-Shirts als eine Seite in einer Zeitung über ihre Arbeit. Es fehlt fundierte Berichterstattung über Schauspielerei – und es gibt ein paar gravierende Missverständnisse, schreibt Tristan Seith. (Ü)
(Ü): Exklusiv für Übonnentinnen und Übonnenten
Redaktionen im ganzen Land zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie am besten mit der AfD umgehen, da erreicht sie dieser Hinweis vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV):
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert die Medien dazu auf, ihre Berichterstattung über die sogenannte Alternative für Deutschland neu zu justieren.
Wenn der Bundesverfassungsschutz demnächst die gesamte AfD als „gesichert extremistische Bestrebung“ einstufen sollte, wird der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster in einer Pressemitteilung zitiert (Öffnet in neuem Fenster), könnten „wir Journalistinnen und Journalisten die AfD nicht mehr als eine Partei von mehreren beschreiben“. Vielmehr müsse in der Berichterstattung kontinuierlich auf die extremistischen Absichten dieser Partei hingewiesen werden. Beuster:
„Das muss wie ein unübersehbarer Warnhinweis wie auf Zigarettenschachteln in unseren Artikeln auftauchen.“
Ja, das wird helfen. Einfach jedesmal gebetsmühlenhaft „rechtsextremistisch“ vor „AfD“ sagen; wenn die Leute das nur oft genug hören, werden sie sich schon von der Partei abwenden.
Ach so, oder von den Medien. Naja.
Persönlich habe ich mich immerhin schon vom DJV abgewandt, aber das, zugegebenermaßen, bereits vor längerer Zeit. Und jede weitere Pressemitteilung, die aus einer schwierigen aktuellen Frage ein unterkomplexes, aber Agenturmeldungs-taugliches Statement seines gerade aktuellen Vorsitzenden macht, bestärkt mich darin.
Schönen Sonntag!
Ihr Stefan Niggemeier