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Über Übermedien, mich und tschüss!

Der letzte Übermedien-Newsletter von Frederik von Castell

Frederik von Castell, Übermedien

Liebe Übonnent:innen,

ich kann nicht mehr.

Wie oft haben wir uns diesen Satz in den vergangenen beiden Jahren in Redaktionskonferenzen zugerufen. Er wurde gar zum internen Hashtag für all jene Themen, von denen wir dachten, dass sie nicht noch einmal auf unseren Schreibtischen landen – die es dann aber doch immer wieder schafften.

Urheberin des Satzes ist meine Übermedien-Kollegin Lisa Kräher. Lisa ist das Paradebeispiel einer guten Journalistin – der Satz könnte hier ohne weiteres mit einem Punkt enden, ich will aber auf etwas anderes hinaus –, die sich trotz eines Erschöpfungszustandes, der eintritt, wenn immer und immer wieder der gleiche Fehler in Medien passiert, dennoch aufmacht, um ihn aufzudröseln. (Ein Beispiel: Ein Femizid ist keine „klassische Beziehungstat“ (Öffnet in neuem Fenster) und auch kein „Familiendrama“ (Öffnet in neuem Fenster). Das könnten Journalisten wirklich langsam begriffen haben.)

Auch ich habe meine #ichkannnichtmehr-Themen, etwa die Fehlerkultur von Journalist:innen und Medienhäusern. Einige Texte und Podcasts dazu, wie intransparent Medien mit ihren Fehlern umgehen, habe ich bei Übermedien in Auftrag gegeben, redigiert oder produziert. Ich habe auch öfter selbst darüber geschrieben (Öffnet in neuem Fenster); schon mein allererster Übermedien-Text (Öffnet in neuem Fenster) handelt davon:

Die Redaktion des „heute journal“ im ZDF hatte einen üblen Fehler gemacht, der Covid-19 versehentlich viel harmloser wirken ließ, als es tatsächlich war. Problematisch auch: die zähe Prozedur der Korrektur, die dann irgendwo in der „Richtigstellungsrumpelkammer“ auf dem Lerchenberg verstaubte. Nachdem ich darüber berichtet hatte, siehe da, korrigierte sich der damalige Moderator Claus Kleber auch in der Sendung (Öffnet in neuem Fenster). Schade, dass diese Klebersche Fehlerkultur nicht nur im ZDF (Öffnet in neuem Fenster), sondern auch sonst im Journalismus viel zu wenig gelebt wird.

Immerhin tat sich damals was. Und damit wäre ich bei dem zweiten Satz, auf den ich eigentlich hinaus will. Auch ihn haben wir uns oft in einer Konferenz oder im Slack-Kanal zugeworfen: Übermedien wirkt. (Stefan Niggemeier hatte sich dafür immer ein eigenes Gif gewünscht – nun soll er es endlich bekommen. Wer es schöner kann: die Redaktion (Öffnet in neuem Fenster) freut sich über Zusendungen!)

Übermedien...wirkt

Übermedien wirkt: Das klingt ein bisschen stolzer, als es gemeint ist. Denn für mich (und ich glaube: auch für alle anderen) ging es bei diesem Satz immer auch darum, das Ich kann nicht mehr wieder einzufangen. Zur Not muss man etwas halt immer wieder aufs Neue kritisieren, weil sich dann nicht selten eben doch etwas regt. Weil eine Redakteurin einer Wochenzeitung anruft nach einer Übermedien-Kritik und sagt: Ja, da hattet ihr recht, wir achten da jetzt drauf! Weil Menschen auf Fachkonferenzen zu uns kommen und sich bedanken, dass wir Missstände in ihrem Unternehmen aufgezeigt haben. Wenn das gelingt, ist unsere Arbeit im besten Sinne konstruktiv, auch wenn (zumindest in der Redaktion) nun wirklich jede:r weiß, dass ich das Buzzword „konstruktiver Journalismus“ absolut nicht abkann. (Aber das ist ein Thema für sich.)

Übermedien hat auch auf mich gewirkt. Im Medienjournalismus ließen sich meine Leidenschaften als Journalist und Trainer verheiraten: Recherche und Faktencheck treffen auf Nutzwert für Journalist:innen. Nachdem ich zuvor meist frei gearbeitet habe, fand ich hier meine journalistische Heimat.

Klingt pathetisch? Na, und? Heute darf ich das mal. Außerdem: Wer, wie ich, zuvor zwei Jahre lang im Corona-Home-Office in Datenbergern und unter tausenden kruden Verschwörungsposts (als Datenjournalist und Factchecker) versunken ist, für den war das Übermedien-Büro im Berlin tatsächlich wie ein Wohnzimmer. Eines, in dem ich mich zuhause gefühlt habe. (Was nicht nur daran liegt, dass ich etwa unsere Redaktionsküche selbst montiert habe und vereinzelt auch mal so lange in der Redaktion geblieben bin, dass es sich kaum noch gelohnt hat, zwischendurch ins echte Zuhause zu wechseln.)

Frederik von Castell sitzt an seinem Schreibtisch in der Übermedien-Redaktion und telefoniert. Im Vordergrund: Übermedien-Schriftzug, Bildschirm und Schreibtischlampe.

Fast nicht gestellt. Foto: Joel Souza Cabrera

Nun finden beide Sätze zusammen: Übermedien wirkt und wird weiter wirken, aber ich kann nicht mehr dabei mithelfen. Am Mittwoch werde ich dieses Zweitwohnzimmer in Prenzlauer Berg aufgeben. Es wird ein paar Bier für alle geben, dann schnappe ich mir meine kleine Schreibtischpalme und den anderen Kram, klappe Notebook und Diensthandy zu, und sage: TschÜss, liebe Üs!

Tweet von Frederik von Castell:
Danke an alle mit 
@uebermedien
-Abo für die Zeit💙! Ihr, 
@lkraeher
, 
@niggi
, 
@der_rosenkranz
, 
@Andrejnalin77
, 
@samelou
, 
@holgi
 uvm. werdet mir fehlen!

Dem Medienjournalismus bleibe ich treu & freue mich auf die Aufgabe als Chefredakteur beim 
@mediummagazin
! (Öffnet in neuem Fenster)

Weiter geht es für mich (Öffnet in neuem Fenster) beim „Medium Magazin“, dort folge ich als Chefredakteur auf Alexander Graf, von dem Übonnent:innen in Zukunft hier einiges erwarten dürfen. Ab Januar ist er einer der Üs.

Ich bleibe dem Medienjournalismus also treu und freue mich, der Leserschaft dort (und vielleicht auch manchem von hier) das zu bieten, was ich in den vergangenen beiden Jahren mit meiner Arbeit versucht habe: Kritik zu üben, aber dabei an sich selbst die höchsten Maßstäbe anzusetzen. Und Journalismus mit dem Ziel zu machen, Journalismus besser zu machen. Um nicht nur zur eigenen Freude, sondern vor allem zu der Ihren und Euren beizutragen.

Unterstützen werde ich Übermedien weiter: als Abonnent. So wie Sie und Ihr. Und das tut dringend Not. Denn Medienjournalismus ist (immer noch) keine Selbstverständlichkeit in der Branche. Und er ist mitunter anstrengend. Wer etwa glaubt, dass ausgerechnet Journalist:innen (oder Presseabteilungen von Medienhäusern) transparenter und auskunftsfreudiger sind als Politiker:innen, Unternehmer:innen oder Behörden, täuscht sich gewaltig. Und Autor:innen, die das Handwerkszeug, die Lust und den Mut haben, um Medienjournalismus zu betreiben, also andere im Zweifel zu kritisieren, finden sich auch nicht leicht, im Gegenteil.

Anderes war zwar mitunter auch anstrengend, hat aber gleichzeitig großen Spaß gemacht. Die Zusammenarbeit mit den (oft freien) Journalist:innen, die sich eben doch trauen, Medien zu kritisieren. Viele von ihnen sind großartig, so manche inzwischen zu meinen Freunden geworden. Oder das Betreuen von Praktikant:innen (Pia! Florian! Joel!), das mir hoffentlich so gelungen ist, dass nicht nur wir in der Redaktion etwas von ihnen, sondern vor allem sie etwas von ihrem Praktikum hatten. Und ja, auch die Koordination und Planung hat Spaß gemacht. Wenngleich der Spagat herausfordernd war und ist: Aufwändige Recherche im Hintergrund voranzutreiben und dennoch das Angebot auf der Seite Woche für Woche zu halten, auch an Feiertagen, auch in Ferienzeiten.

Ich wünsche Euch, liebe Lisa, lieber Boris, lieber Stefan, und allen, die sonst noch zu Übermedien gehören, dass Euch das weiter gelingt! Als Übonnent mit gewissen Einblicken weiß ich aber auch: Wenn die Seite nun mal nicht so prall gefüllt daherkommt, heißt das nicht unbedingt etwas Schlechtes. Sondern, dass Ihr Euch vielleicht kurz mal ausruht von allem, was jeden Tag in der Welt und in Medien passiert. Oder aber, und das ist viel wahrscheinlicher, dass Ihr am nächsten dicken Brett bohrt.

Diese Woche neu bei Übermedien

Klassistisch, einseitig, polemisch – so macht „Bild“ Stimmung gegen Erwerbslose (Öffnet in neuem Fenster) | Alina Schneider analysiert die „Bild“-Berichterstattung über das Bürgergeld und zeigt, wie die Boulevardzeitung Erwerbslose stigmatisiert. (Ü)

Gefährdet Cem Özdemirs geplantes Werbeverbot wirklich den Journalismus? (Öffnet in neuem Fenster) | Lebensmittelverbände, Werbebranche und private Medien haben eine große Kampagne gestartet. Wie irreführend sie ist, erklärt Martin Rücker im Podcast.

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Umfrage zur Meinungsfreiheit: suggestiv, diskriminierend und rassistisch (Öffnet in neuem Fenster) | Die „Ruhr Nachrichten“ wollen in einer großen Serie der Frage nachgehen, ob man noch alles sagen darf. Doch schon die Leserumfrage zum Auftakt geht ziemlich daneben, findet Lisa Kräher.

(Ü) Exklusiv für Übonnent:innen

Das war es von mir. Wer mir noch etwas (oder einen) mit auf den Weg geben möchte: Ich freue mich über jedes Feedback. Gerne einfach per Mail (Öffnet in neuem Fenster). Oder (Öffnet in neuem Fenster) auf (Öffnet in neuem Fenster) einem (Öffnet in neuem Fenster) anderem (Öffnet in neuem Fenster) Wege (Öffnet in neuem Fenster). Ich bin ja nicht aus der Welt, halt nur nicht mehr hier.

Wir lesen uns!

Herzliche Grüße und Ihnen und Euch alles Gute,
Ihr Frederik von Castell

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