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Über „Katapult“, Leeroy, Hund Gunther und Programmbeschwerden

Der Übermedien-Newsletter von Stefan Niggemeier

Liebe Übonnentin, lieber Übonnent,

am Montag haben wir einen Artikel (Öffnet in neuem Fenster) veröffentlicht, in dem ukrainische Journalisten dem Greifswalder Magazin „Katapult“ Vorwürfe machen. Es geht darum, wie mit ihnen und dem Geld umgegangen worden sei, das für ein groß angelegtes Ukraine-Projekt gespendet wurde. Am Dienstag trat Benjamin Fredrich als Chefredakteur und Geschäftsführer von „Katapult“ zurück (Öffnet in neuem Fenster).

Wir haben uns während der Recherche und Produktion häufiger gefragt, was wohl nach der Veröffentlichung passieren wird, aber, ganz ehrlich: Das hatte keiner von uns auf dem Zettel.

Was dieser Rücktritt wirklich bedeutet, ist nicht ganz klar. Einerseits ist es natürlich ein Einschnitt, wenn der Mann die Führung seines Unternehmens abgibt, der „Katapult“ nicht nur vor acht Jahren gegründet, sondern mit seiner überbordenden Energie in einzigartiger Weise angetrieben und dominiert hat. Andererseits gibt es Leute, die ihn und den Laden kennen, die sich gar nicht vorstellen können, dass er sich auf Dauer rauszieht; die davon ausgehen, dass er sich nach ein paar Wochen Abstand wieder in alles einmischen wird. Der Rücktritt wäre dann eher eine Nebelkerze und die Rücktrittserklärung (Öffnet in neuem Fenster) ein Versuch, sich zum Opfer und zum Märtyrer zu machen.

„Katapult“ hat immerhin angekündigt (Öffnet in neuem Fenster), eine „Kostenliste für das Ukraine-Projekt“ zusammenzustellen, und um Geduld gebeten: „Das kann ein paar Tage dauern.“

Die „Ostsee-Zeitung“ brachte am Donnerstag schon mal einen größeren Artikel (Öffnet in neuem Fenster) mit der Überschrift: „‚Katapult‘ droht Ärger mit Behörden und Spendern“. Darin wird ein Rechtsanwalt mit den Worten zitiert: „Da steckt viel Wumms in der Problemlage, sollte sich bestätigen, dass die Mittel nicht für den ursprünglich angegebenen Spendenzweck ausgegeben worden sind.“ Denkbar sei auch, dass „Katapult“ die Spenden als Einnahmen versteuern müsse, wenn sie nicht dem Gesellschaftszweck der gemeinnützigen GmbH entsprechen und damit nicht als steuerbegünstigt anzusehen seien.

Das ist bislang noch alles hypothetisch, aber vom ursprünglichen Versprechen (Öffnet in neuem Fenster), „jeden Cent“, der auf das „Katapult Ukraine“-Konto gespendet werde, „an Journalisten und Medien in der Ukraine [zu] senden“, ist „Katapult“ selbst längst abgerückt.

Dass die „Ostsee-Zeitung“ schon über solchen Ärger spekuliert, obwohl laut ihres eigenen Artikels bislang weder Anzeigen vorliegen noch die Staatsanwaltschaft einen Anlass sieht, von Amtswegen zu ermitteln, hat vielleicht auch damit zu tun, dass das Verhältnis zwischen „Katapult“ und der „Ostsee-Zeitung“ nicht von Liebe und Zuneigung geprägt ist. Benjamin Fredrich hat vor knapp zwei Jahren „Katapult MV“ gestartet, das auf Papier und online über Mecklenburg-Vorpommern berichtet – ausdrücklich als Konkurrenz zu den bestehenden Regionalzeitungen.

Mit dem Schlachtruf „Wir wollen den ‚Nordkurier‘ ablösen. Wir wollen die ‚Ostsee-Zeitung‘ ablösen“, warb man um Unterstützer, Abonnenten und Aufmerksamkeit.

Zur Erfolgsgeschichte von „Katapult“ gehört nicht nur, wie lautstark, mutig und frech Fredrich vorging und kommunizierte – sondern auch wie begeistert andere Medien die Sprüche übernahmen. Natürlich spricht nichts dafür, dass „Katapult MV“ die etablierten Regionalzeitungen „ablösen“ wird – aber es liest sich halt viel spannender als eine abwägende, realistische Zielvorgabe. Die Fachpresse applaudierte (Öffnet in neuem Fenster): „Die Revolution findet in Greifswald statt“ und verbreitete gerne Fredrichs steile These: „Der Lokaljournalismus ist am Ende. ‚Katapult MV‘ steht erst am Anfang.“

Entsprechend positiv wurde auch über Fredrichs Engagement für die Ukraine berichtet, und es ist ja tatsächlich bewundernswert, wie entschlossen und wie schnell er schon in den ersten Tagen des Krieges alles in Bewegung setzte, um über die Ukraine nicht nur zu berichten, sondern auch Journalistinnen und Journalisten dort zu helfen. Wer will da ein Spielverderber sein, wenn jemand einfach loslegt und vorprescht und macht.

Es ist gar nicht überraschend, wenn sich dann herausstellt, dass es doch nicht so einfach ist, innerhalb kürzester Zeit eine größere Nachrichten-Redaktion aufzubauen, die aus Menschen besteht, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet oder in der Ukraine geblieben sind. Dass doch mehr dazu gehört, als zu deklamieren: Wir machen das jetzt! Dass es dann Ausdauer braucht, einen Plan, gute Leute, eine gute Organisation, Professionalität.

Es braucht keine böse Absicht. Man kann das Scheitern von „Katapult Ukraine“ mit Überforderung und Selbstüberschätzung erklären. Verschärft wird das durch eine Kommunikationsstrategie, die das erste Vorpreschen mit dem größten Pathos und übertriebenen Erfolgsmeldungen feiert.

Das Zurückfahren des Projektes fand dann natürlich nicht mehr öffentlich statt, war dafür vor allem für die „Katapult Ukraine“-Redaktion in Odessa umso schockierender. Kein Wunder, dass einige der Betroffenen sich benutzt fühlen und fragen, ob sie eigentlich nur Teil einer Inszenierung waren.

Unser Artikel (Öffnet in neuem Fenster) schildert ausführlich die Erfahrungen von zwei ehemaligen leitenden Mitarbeitern. Aber auch die Gegenseite kommt zu Wort: 32 Fragen haben wir „Katapult“ gestellt. Fredrich hat sie innerhalb von drei Tagen beantwortet (wenn auch nicht alle wahrheitsgemäß), obwohl es erst hieß, dass er gerade seinen neuen Roman schreibe, deshalb außer Haus und offline sei und man dafür etwa zwei Wochen bräuchte.

Man kann unseren Text natürlich aus allen möglichen Gründen kritisieren; Fredrich selbst sagt, es sei „schäbig“ einen Artikel zu schreiben, der „die Situation dermaßen verzerrt“. Was mich aber wirklich verblüfft und, zugegeben, ärgert: Wie sehr die Erzählung verfängt, Übermedien (oder ich) würden eine „Privatfehde“ mit „Katapult“ (oder Fredrich) austragen. Auch der „Spiegel“ schreibt (Öffnet in neuem Fenster), wir hätten uns „schon diverse Kleinkriege“ mit Fredrich geliefert.

Wir haben in den sieben Jahren, die es Übermedien gibt, aus drei Anlässen über „Katapult“ oder Benjamin Fredrich berichtet: Einmal, 2017 (Öffnet in neuem Fenster), positiv in der Reihe „Bahnhofskiosk“ von Michalis Pantelouris, einmal, 2021 (Öffnet in neuem Fenster), kritisch wegen des zweifelhaften Umgangs von Fredrich mit der Privatsphäre ehemaliger Mitarbeiter und eben jetzt. Zugegeben: Die Sache 2021 ist ziemlich eskaliert (Öffnet in neuem Fenster), mit heftigen und anhaltenden Vorwürfen von Fredrichs Seite.

Aber das macht aus kritischem Journalismus keine „Privatfehde“ und keinen „Kleinkrieg“, schon gar nicht im Plural. Nur scheint für manche Fans auch „kritischer Journalismus“ ein unzulässiges Mittel zu sein, wenn es um ein Medium wie „Katapult“ geht.

Fredrich hat es geschafft – was ernsthaft beneidenswert ist – dass ein Teil seiner Unterstützer ihn so sehr für einen Guten hält, dass Kritik an ihm per se etwas Schlechtes ist. Statt ihn öffentlich zu kritisieren, hätten wir ihn, wenn da wirklich was schiefläuft, doch intern beraten können. Wenn Übermedien und „Katapult“ sich bekriegen, würden sich nur die eigentlich Bösen freuen wie Springer oder die Regionalverlage in Mecklenburg-Vorpommern. Und überhaupt: Was haben wir eigentlich für die Ukraine getan?

Ich glaube, dass auch die „Guten“ es verdient haben, dass Journalisten sie kritisch begleiten. Insbesondere, wenn es darum geht zu überprüfen, ob sie ihre eigenen Versprechen einhalten. Ich freue mich, dass unsere „Katapult Ukraine“-Recherche eine positive Wirkung hatte. Und damit meine ich nicht Fredrichs Rücktritt, sondern dass er seinen ehemaligen Mitarbeitern in Odessa ihre ausstehenden Gehälter gezahlt hat.

Diese Woche neu bei Übermedien

Das Märchen hinter dem Märchen vom reichsten Hund der Welt (Öffnet in neuem Fenster) | Frederik von Castell nimmt die Netflix-Doku „Gunthers Millionen“ auseinander. 

Was ist das für ein korrupter Sumpf bei der BBC? (Öffnet in neuem Fenster) | Holger Klein ruft an bei Annette Dittert. (Podcast)

Unerträglich kumpelhaft, unverhohlen reißerisch und unglaublich schlecht vorbereitet (Öffnet in neuem Fenster) | Leeroy verschafft dem öffentlich-rechtlichen Netzwerk Funk riesige Klickzahlen. Mit üblen Methoden, meint Lisa Kräher. (Ü)

Bettina Jarasch und die Berliner Medienzwerge (Öffnet in neuem Fenster) | Andrej Reisin über eine skandalöse Skandalisierung im Wahlkampf. (Ü) 

Ukrainische Journalisten werfen „Katapult“ vor, sie benutzt und dann fallen gelassen zu haben (Öffnet in neuem Fenster) | Was ist schiefgelaufen bei dem ambitionierten Projekt?

Benjamin Fredrich tritt wegen „Katapult Ukraine“ zurück, um „Katapult Ukraine“ zu machen (Öffnet in neuem Fenster) | Stefan Niggemeier kommentiert die Reaktion.

(Ü): exklusiv für Übonnenten

Die Initiative „Klima vor acht“ hätte fast das Unmögliche geschafft. Fast hätte sie den WDR-Rundfunkrat dazu gebracht, einer Programmbeschwerde stattzugeben.

Es geht um die „Tagesthemen“ vom 4. August 2022 (Öffnet in neuem Fenster). Darin wurden die Ergebnisse des „ARD-Deutschlandtrends“ vorgestellt, unter anderem zur Frage, welche „energiepolitischen Maßnahmen“ im Zusammenhang mit den Folgen des Ukraine-Krieges richtig sind. Die „Tagesthemen“ zeigten allerdings nur drei der vier abgefragten Maßnahmen (Öffnet in neuem Fenster). Den Punkt „Schnellerer Ausbau der Windenergie“ ließen sie weg – obwohl der sogar die meiste Zustimmung fand.

Die Redaktion reagierte auf Beschwerden unter anderem mit der Erklärung (Öffnet in neuem Fenster), sie müsse „aus der Fülle von Ergebnissen regelmäßig auswählen, welche sie in einer zeitlich begrenzten Schalte für die ‚Tagesthemen‘ präsentieren kann und welche nicht, und dass sie sich in diesem Fall für die auch in der Regierung am kontroversesten diskutierten Maßnahmen entschieden habe“. Intendant Tom Buhrow stellte fest, eine Verletzung der Programmgrundsätze liege nicht vor, „da kein verzerrter, die Verpflichtung auf die Wahrheit tangierender falscher Eindruck durch die Darstellung entstanden war“.

Die Initiative „Klima vor acht“ gab sich damit nicht zufrieden, so dass der Fall vor dem Rundfunkrat landete. Dort fanden sie viele Unterstützter. „Zahlreiche Mitglieder konnte die Begründung des Intendanten nicht überzeugen“, teilte der Rundfunkrat in seinem Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) mit, „sie hätten sich außerdem einen anderen Umgang mit der Kritik gewünscht.“

Es fand sich im Gremium sogar eine relative Mehrheit dafür, sich der Programmbeschwerde anzuschließen, ihr „beizutreten“, wie es offiziell heißt. Laut „Klima vor acht“ (Öffnet in neuem Fenster) stimmten 17 Mitglieder dafür, 13 dagegen, 11 enthielten sich. Aber, ach: Das reichte nicht. Es stellte sich heraus, dass zusätzlich auch noch ein Quorum erreicht werden muss, das laut „Klima vor acht“ bei 28 Ja-Stimmen gelegen hätte.

Immerhin: Der Rundfunkrat „mahnte, dass die Redaktion bei der inhaltlichen Gestaltung des konkreten Beitrags sorgsamer hätte abwägen müssen.“

Ich habe es schon öfter gesagt (Öffnet in neuem Fenster): Diese Beschwerdeverfahren produzieren nur Enttäuschungen. Die Öffentlich-Rechtlichen brauchen dringend Ombudsstellen, die Beschwerden annehmen, ihnen nachgehen und ihre Urteile veröffentlichen. Im Idealfall geht es dabei am Ende weniger um einen formalen Beschluss als um eine öffentliche Diskussion darüber, was gelungen und misslungen ist.

„Klima vor acht“ hat in der Zwischenzeit schon wieder eine neue Programmbeschwerde (Öffnet in neuem Fenster) eingereicht.

Schönes Wochende!
Ihr Stefan Niggemeier 

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