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Die wohlstandsverwahrloste Genderdebatte

Soldatin in einem Infanterie-Trupp

Leider kann ich dem Bedürfnis nicht widerstehen, mich zum neusten Aufreger auf der Facebook Fanpage (Öffnet in neuem Fenster) zu äußern. Da es für mich um ein Thema geht, das mich schon lange umtreibt und zutiefst frustriert. Und ausnahmslos alle ehemaligen Zeit- und Berufssoldaten, die ich persönlich kenne.
Aber dafür ist das hier ja auch ein Blog…

Vorgeschichte, so kurz es geht:

Gestern Morgen habe ich die Meldung veröffentlicht, dass die Fregatte Hessen in der Nacht bereits zwei Huthi-Drohnen abgeschossen hat.
Mir ging es schon auf den Sack, dass sich mehr Kommentatoren für meine Fußnote „Bravo Zulu“ interessiert haben, als dass dort deutsche Soldaten in einer scharfen Lage im Einsatz sind.

Screenshot des Postings

Ein auf die 70 zugehender Stammleser kommentierte das mit „Sauber Männer, Kiste Bier auf meinen Deckel“.
Woraufhin eine Kommentatorin darauf hinwies, dass dort ja auch Frauen an Bord seien.

Das hat mich so sauer gemacht, dass ich das als Anlass für einen Rant gegen den woken Zeitgeist genommen habe. Worauf dann – wie immer – einige Kommentatoren ablehnend-irritiert reagiert haben.
Ein Rant ist übrigens eine bewusst überspitzte Wutrede. Das, was Wilfried Schmickler seit Jahrzehnten macht. Mache ich nicht zum ersten Mal, Stammleserinnen haben amüsiert reagiert.
Das Bild von Gunnery Sergeant Hartman hätte ein Hinweis sein können.

Gunnery Sergeant Hartman, Full Metal Jacket

Zusätzlich hat die Kommentatorin sich auch in den Thread wieder reingehängt und versucht ihren Standpunkt zu erklären. Das sei ja gar nicht böse gewesen, sie habe nie vom Gendern gesprochen, usw.
Zusätzlich begann Sie mit Andeutungen, selber „im Dienst“ zu sein, eine bestimmte Anzahl von Menschen zu „befehligen“ und Frauen seien im Nachteil und Männer würden Frauen als Bedrohung empfinden.

Da wurde ich hellhörig. Denn Sie sprach von Bezeichnungen, die es beim Militär meines Wissens nicht gibt, sprach nicht von der Bundeswehr, sondern von „dem System“ und von „paramilitärischen“ anderen Teilen des „Systems“. Nachfragen wurden nicht beantwortet.

Es gibt in Deutschland keine paramilitärischen Einheiten. Die letzte war der Bundesgrenzschutz. Ich kenne persönlich Bundespolizisten, die diese Ausbildung noch absolviert haben. Paramilitär bezeichnet „verschiedenartige legale, mit militärischen Gewaltmitteln ausgestattete Gruppen oder Einheiten“ (Wikipedia), die nicht zum Militär gehören. Die spanische Guardia Civil ist ebenso eine paramilitärische Einheit, wie die italienischen Carabinieri, die u.a. über Fallschirmspringer verfügen. Die russische Omon ist paramilitärisch, ebenso wie die kanadischen Mounties und die US-amerikanische Coast Guard.

Über Jahrzehnte hinweg musste ich erleben, dass Menschen sich dadurch erhöhen, dass sie sich selber in eine Reihe mit dem Militär stellen. Oder Geschichten erzählen, Hafensänger; bei der Marine gerne Torpedo-Paulis und Bismarck-Bernds genannt.
Um paramilitärisch zu sein, reicht es nicht, dass man eine Uniform im Schrank hat. Menschen zu töten oder unmittelbar daran mitzuwirken ist der inhärente Bestandteil des Militärs, sein Alleinstellungsmerkmal. Die Polizei schießt in Notwehr, der Soldat nicht.

Gedankenstrich

Die durch die Hölle gehen

Wir alle funktionieren nur, weil wir ein Urvertrauen haben. Ein elementares Vertrauen darin, dass die Sonne morgen wieder aufgeht, andere uns nicht schaden wollen, wir nicht endlich sind, ein Menschenleben viel wert und unsere Eltern uns lieben.
Geht dieses Urvertrauen verloren, bekommt der Mensch psychische Probleme und Probleme im Umgang mit seiner Umwelt.
Beispielsweise viele Menschen, die als Kleinkinder zu wenig Zuwendung von ihren Eltern bekommen haben. Sie weisen häufig eine Unterfunktion der Verarbeitung von Gefühlen auf, sie werden Psychopathen.

Ehemalige Soldaten, die im Einsatz waren, weisen häufig etwas auf, was man als Verlust des Urvertrauens bezeichnen kann. Weil das, was sie im Alltag funktionieren lässt, die vielen kleinen Selbstverständlichkeiten, wegfallen oder zumindest bewusst oder unbewusst hinterfragt werden.
Viele ehemalige Soldaten leiden an Symptomen einer Posttraumatische Belastungsstörung, viele werden drogenabhängig.
Das Thema ist zu komplex, um es hier vernünftig adressieren zu können. Vor allem in den USA wird dazu viel geforscht.

Ein entscheidender Faktor ist auch, dass diese Veteranen in einen Alltag zurückkehren, in denen ihr gesamtes Umfeld und die Öffentlichkeit diesen Verlust, das was sie im Krieg gelassen haben, nicht versteht.
Man merkt es diesen Menschen an. Und deshalb verstehen sich diese Menschen untereinander besser, als mit den meisten anderen. Statistisch ist es kein Zufall, dass ich in meinem persönlichen Bekannten- und Freundeskreis weit überdurchschnittlich viele Menschen habe, die entweder länger gedient haben oder selber im Einsatz waren.

Man kann das nicht an einer bestimmten Qualifikation festmachen. Es gibt genug Soldaten, die das eben nicht haben. Und es gibt auch Soldaten, die im Einsatz Menschen getötet haben und danach wieder als Sachbearbeiter am Schreibtisch einer Versicherung sitzen.
Aber viele eben nicht. Viele krempeln ihr Leben um und werden Tauchlehrer in Ägypten, andere endet auf einer Bahnhofstoilette oder im Knast.

Filmempfehlungen: „Die durch die Hölle gehen“ (The Deer Hunter) und tatsächlich „Rambo“ (First Blood)

Ich glaube, es war sogar John Rambo, der sinngemäß sagte: Im Krieg kommandiert man einen Panzer für ein paar Millionen und ist für das Leben von Menschen verantwortlich. Und dann kommt man nach Hause und kann nicht einmal ein Buch aus der Bücherei ausleihen.
Weil die zivile Gesellschaft nach anderen Werten funktioniert. Ein unauflösbarer Widerspruch.

Die Wohlstandsverwahrlosung

Wir hatten nun fast 80 Jahre Frieden. Wir haben Krieg verlernt. Nicht die Technik, aber die psychische Verarbeitung. Als Gesellschaft und als Individuum.
In der Sicherheit unserer europäischen Wohlstandsgesellschaft haben wir uns mit anderen Dingen beschäftigt. Dingen, die auf der Bedürfnisskala weit über dem Überleben, über Sicherheit und Essen stehen.

Wir kümmern uns um Dinge wie die neusten Modetrends, Geschlechteridentität und ob das N-Wort aus Jim Knopf gestrichen werden sollte. Wir versuchen alle mitzunehmen, gleich zu behandeln und zu inkludieren. Überraschung: Ich bin ein großer Freund davon.
Aber uns ist das Verständnis abhandengekommen, dass nur der Veganer sein kann, der sein Essen auswählen kann und nichts essen muss, weil er sonst nichts hat. Und das ist es, was ich ganz persönlich als Wohlstandsverwahrlosung bezeichne.

Als Ursula von der Leyen 2013 das Verteidigungsministerium übernahm, war das erste Thema, das sie öffentlich adressiert hat, Kindergärten in deutschen Kasernen. Man müsse den Beruf zeitgemäß auch für Familien attraktiv machen.
Das war, nachdem Putin bereits 13 Jahre den russischen Staat zu einer de-facto Diktatur umgebaut hatte. Jahre nach den Kriegen in Tschetschenien. Und nur wenige Wochen, bevor Russland geheimdienstlich im Donbass eingriff und die Krim besetzte.

In unserer Weltsicht wollen wir Soldat zu einem normalen Beruf machen, um gegen den Mangel an Bewerbern auszugleichen.
Da drängt sich mir nur eine Frage auf: Wenn Soldat ein normaler Beruf ist, warum sollte ein 18-Jähriger dann den Drill, die harte Ausbildung, den Einsatz im Ausland – häufig unter Lebensgefahr -, die ständigen Versetzungen und die vergleichbar schlechte Bezahlung auf sich nehmen, wenn er auch einen anderen Beruf ergreifen kann?
Können die Normalisierung und Kindergärten in Kasernen ein Ausgleich sein, oder müssen wir nicht umdenken?

Wie richtig kann es sein, dass inzwischen Menschen mit einer zivilen Vorausbildung als Oberfeldwebel einsteigen können? Einem Dienstgrad, der früher ganze Kompanien geführt hat und für den ein Soldat üblicherweise acht Jahre etwas leisten muss. Und was macht das mit denen, die sich den Dienstgrad erarbeitet haben? Stattdessen setzen wir immer noch einen drauf, wodurch wir die Dienstgrade, und damit die Erfahrung und Ausbildung, herabsetzen. Auf den Hauptfeldwebel folgt ein Stabsfeldwebel, auf den Stabsfeldwebel folgt ein Oberstabsfeldwebel. Und für den Stabsgefreiten erfinden wir dann noch einen Oberstabsgefreiten.

Alle, die auch nach meiner Zeit noch gedient haben, sagen, die heutigen Soldaten sind ein Haufen von Sissis geworden. Und als ehemaliger Soldat einer Kampfeinheit der Krisenreaktionskräfte vor der ehemals deutsch-deutschen Grenze empfand ich schon die Wehrpflichtigen der Marineflieger als Sissis.
Wie sollen diese jungen Menschen auch psychisch darauf vorbereitet werden, was ihnen bevorsteht, wenn man als Ausbilder schon höllisch aufpassen muss, sie nicht übermäßig anzuschreien?

Natürlich, es gibt sie noch. Die Kampfschwimmer und Fallschirmjäger, das Kommando Spezialkräfte und die Marineinfanteristen. Aber sie werden mehr und mehr zur Ausnahme. Heute ist schon jeder „Elite“, der mal einen Hunderter-Gurt durchgejagt hat und jeder Nachubler ist ein „Veteran“. Die Medien berichten über Umsturzversuche von „Angehörigen des KSK“ und mit wenigen Klicks findet man raus: Das war ein übergewichtiger Geschäftszimmer-Unteroffizier, der von Nahkampf wahrscheinlich so viel Ahnung hat, wie eine Nageldesignerin aus Bottrop-Kirchhellen.

Ich weiß, diese Sicht ist unpopulär. Weil sie elitär erscheint und Menschen in ihrem Selbstbild herabsetzt.
Das dumme daran ist die Realität. Denn einen russischen Soldaten mit einem geschliffenen Klappspaten hält man nicht mit Vordrucken auf. Und einen islamistischen Selbstmordattentäter nicht mit Ausweiskontrollen.
Wir können gar nicht anders, als Putin für irre zu halten. Denn sonst müssten wir unsere Normalität hinterfragen.

Und vor allem darf man ja nicht sagen, dass Soldaten zum Töten abgerichtet werden. Da müssen Euphemismen her.
Wir sollten uns mal entscheiden, ob wir einen Familienhund oder einen Arbeitshund wollen. Denn gegen einen Kangal sieht ein Golden Retriever nun einmal schlecht aus, wenn es um Territorium geht. Aber er ist ja so niedlich mit den Kleinen.

Die postwoken Realitäten

Ich habe überhaupt nichts dagegen, die 27 weiblichen Soldaten an Bord der Hessen, die ihren Dienst verrichten, zu erwähnen. Sie haben meinen vollsten Respekt. Im Übrigen tue ich das auch ständig.
Und genau so ist das auch in der Truppe. Jeder Mensch, der seinen Teil leistet und seinen Job macht, ist gleichwertig. Militär funktioniert nur im Team. Und wenn man keinen Scheiß baut, wird man nach Dienstzeit eh turnusmäßig befördert.
Das kann man aber eben nur beurteilen, wenn man selber dabei war. Und ich meine nicht nur bei der Bundeswehr, sondern wenn man auch mal was gesehen hat vom Militär.

Ich habe etwas dagegen, dass die Kommentarspalte meiner Facebook Fanpage (Öffnet in neuem Fenster) dafür genutzt wird, einen Mann zu belehren, der gedient hat als es höchstens mal ein paar Frauen im San-Bereich gab, dass er auch die Frauen an Bord der Hessen erwähnen sollte. Während ihnen Drohnen um die Ohren fliegen.
Denn das ist eine Verzerrung der Relation. Die Prioritäten werden ignoriert. Aus eben jenem wohlstandsverwahrlosten Dünkel, den ich beschrieben habe.
Und man ändert die Welt nicht dadurch, dass man bei Senioren anfängt.

Von mir aus kann man gerne darüber diskutieren, ob man auch Feuerwehrfrauen erwähnen sollte. Tut das, es ist ok für mich. Aber nicht, wenn es um Kameradinnen geht, die jetzt gerade im Feuer stehen.

Ich wurde mehrfach gefragt, ob ich darüber nur mit Menschen diskutieren würde, die gedient hätten.
Ja, selbstverständlich. Mehr als das.
Ich diskutiere darüber nur mit Menschen, die sich dessen, was dort abläuft, tatsächlich bewusst sind. Die mal eine NATO-Übung mitgemacht haben, die unter Beschuss waren, die sich jahrelang den Arsch für die Ausbildung aufgerissen haben, die ihre Familie für Monate zurücklassen, weil sie für uns alle dort ihren Hintern hinhalten.
Aber mit denen habe ich solche Diskussionen nie. Nur mit Menschen, die Sätze beginnen mit „Also ich habe ja nicht gedient, aber…“

Eine Kommentatorin meinte, man sollte die Frauen jedes Mal mit erwähnen, so lange bis klar ist, dass an Bord nicht nur Männer sind. Da falle ich bald hinten über.
Seit mehreren Jahrzehnten sind Frauen an Bord und im Ausland und im Einsatz. Das ist die selbstverständliche Realität. Und Menschen mit dieser Perspektive, die so diskutieren, sollten sich doch mal hinterfragen, ob sie das nicht anmahnen, eben weil sie selber zu den Gestrigen gehören. Ich bin da schon seit den 90ern ganz selbstverständlich angekommen. Ich war schon woke, bevor die meisten das Wort überhaupt kannten. Ich kannte es nicht.
Es sind zumeist jene Frauen und Männer, die darüber debattieren, die im Leben nie selber auf die Idee gekommen wären, sich eine Knarre zu schnappen und die Wacht zu übernehmen.

Mit Leuten, die über Jim Knopf palavern oder sich für „paramilitärisch“ halten, diskutiere ich so etwas nicht. Und ja, in diesem Kontext ist das dann wohl elitär. Inkludierend können wir gerne bei anderen Themen wieder sein. Und gleichberechtigend ist die Bundeswehr so sehr, wie kaum ein anderes Militär der Welt.

„Sprache schafft Wirklichkeit“ …wenn ich sowas schon lese.
Die Dienstvorschrift hat längst Wirklichkeiten geschaffen. Wirklichkeit kann befohlen werden.

Und davon weiche ich nicht ab. Ich kann es gar nicht. Weil ich es nach zehn Jahren Dienst zutiefst so empfinde. Ein Banner am Oberarm und ein Dienstgrad steht über allem. Auch über dem Geschlecht.

Es geht nicht um Gleichberechtigung oder Anerkennung der Frauen.
Es geht hier und jetzt um Anerkennung der Kameradinnen und Kameraden.
Es geht um die richtige Zeit und den richtigen Kontext.

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