CDU-Anträge: Die Flüchtlings-Farce für Fußgänger
Was wir derzeit bestaunen dürfen, ist eine politische Komödie auf höchstem Niveau. Es geht um Flüchtlinge, Messerstecher und Brandmauern. Und darum, dass hinter Verklausulierungen populistischer Wahlkampf betrieben wird.
Obwohl ich wohl im Ruf stehe, ruhig und sachlich (und irgendwie neutral) zu erklären, habe ich mich heute fürchterlich aufgeregt. So sehr, dass ich mich entgegen meiner Pläne noch spät ins Büro gesetzt habe, um zu erklären, was für eine politische Schmierenkomödie gerade aufgeführt wird. So, dass es jeder halbwegs versteht und sich selber schlauer machen kann.
Also schauen wir uns das Theater doch einmal an.
Der dritte Akt
Eigentlich fing die ganze Nummer schon viel früher an. Wir sitzen schon im dritten Akt.
Es wäre zu viel, die Handlung der ersten beiden Akte nachzuerzählen.
Der dritte Akt begann damit, dass ein afghanisches Arschloch mit Drogenerfahrung und einer gepflegten Delle am Helm in einem Park in Aschaffenburg auf Kindergartenkinder eingestochen hat.
Der Volkszorn kochte diesmal besonders hoch, weil schnell herauskam, dass der Mann gar nicht mehr in Deutschland hätte sein dürfen. Und die Behörden versagt haben.
Es wurde deutlicher als beispielsweise bei dem Attentat in Solingen (Öffnet in neuem Fenster), dass wir ein „strukturelles“ Problem haben. Weil die behördlichen Mechanismen gar nicht darauf ausgelegt sind. Ich hatte es bereits mehrfach kommentiert.
Da wir im Wahlkampf sind, kündigte der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz, Maßnahmen an, sollte er die Wahl gewinnen. Das war am Donnerstag, dem 23.01.25.
Dabei waren einige Vorschläge, die ich konstruktiv fand und die zu dem Zeitpunkt die einzigen in dem ganzen Zirkus waren, die ansatzweise fachlich und sachlich waren. Das Ganze lief wörtlich unter der Hausnummer „Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit…“
Dabei war u.a. der Plan, jede „illegale Einreise zurückzuweisen“. Das kann vieles bedeuten. Die „illegale Einreise“ ist zum Kampfbegriff geworden, der kaum noch etwas mit der Realität zu tun hat.
Merz wollte ein „faktisches Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente“. Macht Sinn. Das ist ja eigentlich auch jetzt schon geltendes Recht. Irgendwie.
„Merz forderte zudem ein massenhaftes Abschiebegewahrsam von Personen, die ausreisepflichtig seien.“ (Tagesschau, 23.01.25) Über den Begriff „massenhaft“ darf man streiten. Derzeit sind bummelig und aus dem Kopf 130.000 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig, da kann man schon von Massen sprechen. Im Moment haben wir aber kaum die Möglichkeit für ein Abschiebegewahrsam: bundesweit etwa 750 Haftplätze, Berlin hat genau 0. Das müsste ausgebaut werden. Oder überhaupt mal gebaut.
Und, was einer meiner Favoriten ist, die Bundespolizei müsse Haftbefehle aussprechen dürfen. Das finde ich gut, bisher dürfen sie teilweise nicht einmal anfragen, ob eine von ihnen aufgegriffene Person überhaupt ausreisepflichtig ist.
„Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik.“
Da kann ich nur beipflichten. Unser ganzes System ist darauf ausgelegt, dass mal ein paar hundert Gastarbeiter aus Spanien, Italien, Griechenland oder der Türkei kommen. Beispielsweise sind die Ausländerbehörden auf Kreisebene angesiedelt und häufig weiß die eine nicht, was die andere tut. Siehe Täter von Solingen (Öffnet in neuem Fenster).
Das muss also dringend überarbeitet werden, und zwar sehr grundlegend.
Es ist in meinen Augen völlig in Ordnung, dass auf die Agenda zu setzen und das für den Fall der Wahl in Aussicht zu stellen. Ob man es inhaltlich mag oder nicht, aber das ist in Ordnung.
Auch mit der AfD
Einen Tag später, am Freitag den 24.01.25, sagte Merz dann, die CDU wolle Anträge in den Bundestag einbringen.
Und das alleine dreht die ganze Nummer völlig.
Denn einen Tag zuvor ging es darum, was Merz machen will, wenn er König von Deutschland ist. Plötzlich geht es darum, dass noch vor der Wahl Anträge eingebracht werden sollen. Da muss man sich fragen „Wozu?“
Wegen der Wahl in vier Wochen, schon klar. Aber wozu genau?
Es ist offensichtlich, aber kaum jemand scheint das mitbekommen zu haben, der sich nicht intensiv mit Politik befasst. Da haben wohl einige Chefstrategen in der CDU die Köpfe zusammengesteckt und sind zu dem Schluss gekommen, dass damit mehrere Dinge passieren.
Zum ersten setzt man die Opposition unter Druck. Die auch prompt so reagiert, wie erwartet. Sie poltert dagegen. Das treibt einen Keil zwischen die CDU, die SPD und die Grünen. Die CDU kann damit ihr „Profil schärfen“, also zeigen, dass sie ja ganz anders als die anderen ist.
Zum zweiten kann man damit Wähler vom rechten Rand abfischen. Vor allem diejenigen, die mehr auf Parolen denn auf Inhalte achten. Auf gut Deutsch: Die Dummen.
Und Merz hat angekündigt, die Anträge zu stellen, auch wenn die AfD dem zustimme. Das war eine politische Falle, in die viele auch tatsächlich getappt sind.
Denn selbstverständlich geht es danach, ob etwas in der Sache richtig ist. Ob die AfD einem Antrag zustimmt oder nicht, ist ein Furz im Orkan, es interessiert keine Sau. Also wozu es erwähnen?
Damit hat Merz allen anderen ein Stöckchen hingehalten. Über das sie artig gesprungen sind. Indem sie natürlich sofort kritisiert haben, die CDU würde sich damit der AfD annähern. Und das führt bei den Wählern der AfD natürlich dazu zu denken, was Merz implizieren wollte: Dass Inhalten widersprochen wird, nur weil die AfD sie gut finden könnte.
Die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, sprach den Satz des gestrigen Tages dazu: „Die Brandmauer von Friedrich Merz, sie ist aus Papier gebaut und sie brennt lichterloh“. Damit werden wiederum die Linken und nicht ganz so Rechten bedient, die heute zu zehntausenden auf Demos riefen „Wir sind die Brandmauer“.
Ich hab ja gar nichts dagegen, aber… Manchmal kann man auch einfach mal geschmeidig bleiben. Oder ein Eis essen gehen oder so.
Man kann gar nicht anders, als die Stöckchenspringer dafür zu kritisieren. Auf dem Parteitag der Grünen, auf dem es nur um das Wahlprogramm gehen sollte, wurde auch einiges dazu gesagt. Anstatt den Merz da sein Liedchen singen zu lassen und gut ist. Geschweige denn, es mal inhaltlich so zu erklären, dass die Menschen es auch verstehen. Aber zu dem dicken Ende komme ich noch.
Das hat gar nichts mit den Inhalten zu tun, sondern schlicht damit, was wann wie gesagt und getan wird. Denn viele Inhalte sind – aus meiner Sicht - gar nicht verkehrt.
Schauen wir uns also an, was da drinsteht. Dann wird plötzlich klar, was das für eine Schmierenkomödie ist, die hier aus politischem Kalkül aufgeführt wird. Nicht nur wegen dem „drin“, sondern auch wegen dem „drüber“.
Die Anträge
Zunächst hat es bereits am 17.12.25 einen solchen Antrag gegeben, Drucksache 20/14253 (Öffnet in neuem Fenster). Da steht vieles recht Gleiches drin, wie in dem „großen“ Antrag von heute.
Es gibt nämlich einen „großen“ Antrag, der 27 Punkte enthält und fünf Seiten lang ist. Darin geht es unter anderem auch um den Entzug der Staatsangehörigkeit bei doppelter, von Russland gesteuerter Migration, Datenschutz und vieles mehr.
Da die Homepage nach wie vor down ist (wir arbeiten daran), verlinke ich hier (Öffnet in neuem Fenster) die Quelle der Tagesschau. Vorsicht, das PDF wird sofort heruntergeladen.
Und für die, die nicht so gerne lesen, gibt es einen „kurzen“ Antrag. Mit dem Titel „Fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“.
Der ist nur zwei Seiten lang. Und der hat auf ganz wundersame Weise (zwinkazwonka) den Weg zur Bild Zeitung gefunden, die ihn heute Morgen veröffentlichte. Als Bilddatei, damit andere Medien es nicht so leicht finden oder kopieren können. Wie sowas nur passieren konnte?
Die Tagesschau hat das Ding inzwischen auch veröffentlich (Öffnet in neuem Fenster).
Beide sind so heiß aus dem Druck, dass sie noch nicht einmal eine Drucksachen-Nummer des Bundestages haben. Was bedeutet, sie wurden noch gar nicht offiziell eingereicht.
Nach einer langen Einleitung kommen die besagten fünf Punkte. („Die abscheuliche Mordtat von Aschaffenburg, bei der zwei kleine Kinder Opfer eines brutalen Messerangriffs wurden, hat Trauer und Bestürzung in ganz Deutschland ausgelöst…“)
„Dauerhafte Grenzkontrollen“
Das ist de facto auf Jahre hinweg gar nicht umsetzbar. Man kann das als politisches Ziel haben, aber akut ist es unmöglich. Zum ersten fehlen die Beamten dazu, was sogar die Gewerkschaft der Polizei inzwischen gesagt hat, und zum zweiten ist es durch die Vereinbarungen der EU gar nicht möglich. Es müsste also zuerst dort geändert werden.„Es gilt ein faktisches Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen.“
Das hatte Merz quasi wörtlich so gesagt. Auch das ist aber gar nicht umsetzbar. Denn jedem Menschen muss die Möglichkeit eingeräumt werden, ein ordentliches Verfahren zu durchlaufen. Man kann also nur Teilmengen abweisen.„Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, dürfen nicht mehr auf freien Fuß sein. Sie müssen unmittelbar in Haft genommen werden.“
Das würde bedeuten, dass derzeit auch bei einer Ablehnung Kinder aus den Schulen geholt und ins Gewahrsam gesteckt werden. Unabhängig von dem moralischen Aspekt ist das bei derzeitiger Gesetzeslage aus ganz vielen Gründen aber auch nicht möglich. Beispielsweise gibt es eine gesetzliche Beschränkung der Abschiebehaft (aus dem Kopf: glaube 90 Tage). Was bedeutet, dass wenn die Herkunftsländer in der Zeit nicht reagieren, man die Leute wieder gehen lassen muss.„Mehr Unterstützung für die Länder beim Vollzug der Ausreisepflicht…“
Das finde ich persönlich ganz spannend: Die CDU will das also eben nicht zur Sache des Bundes machen, sondern die Länder lediglich unterstützen. Was bedeutet, das Saarland, Bremen oder Schleswig-Holstein sollen sich weiter selber darum kümmern, dass die Voraussetzungen für einen Abschiebung geschaffen werden. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was ich für einen sinnvollen Lösungsweg halte.„Verschärfung des Aufenthaltsrechts für Straftäter und Gefährder…“
Den Punkt halte ich tatsächlich für sinnvoll: Die Leute sollen in Abschiebehaft und da so lange bleiben können, bis sie freiwillig ausreisen oder die Herkunftsländer sie zurücknehmen. Doch wie bereits erklärt, müssen dafür Gesetze geändert werden. Und wenn das bei dieser Zielgruppe so ist, soll das offenbar bei allen anderen nicht so sein.
Unterm Strich bleibt also ganz klar: Nichts davon ist akut umsetzbar, vieles wird vermutlich nie umsetzbar sein.
Und das bedeutet, Merz hat sich innerhalb von wenigen Tagen von einigen vernünftigen Ansätzen gewandelt und haut nun so etwas raus. Das ist nichts anderes als Populismus aus dem Bilderbuch. Und das ist der Punkt. Weniger was drin steht, sodnern wie es serviert wurde.
Zudem ist es gar nicht so sicher, ob das überhaupt noch abgestimmt werden wird. Denn es bleiben nur wenige Sitzungstage bis zur nächsten Wahl. Es wurde angekündigt, über die Anträge soll „in der kommenden Woche“ abgestimmt werden. Es ist also eine Frage des Protokolls, wie sie noch in die Sitzungen gequetscht werden. Dafür muss vermutlich die Tagesordnung geändert werden, worüber wiederum abgestimmt werden muss.
Aber das Beste habe ich mir für den Schluss aufgehoben:
Das sind Entschließungsanträge!
Deshalb steht darüber „Der Bundestag stellt fest“ und „Der Bundestag fordert“.
Selbst, wenn sie also beschlossen werden, haben sie absolut nichts zur Folge. Es sind Willensbekundungen. Wer glaubt, sie würden nun dadurch zum Gesetz, kann sich bei denen anstellen, die über Merzens Stöckchen springen.
Sie sind Schall und Rauch.
Ich habe mich aufgeregt
Aufgeregt habe ich mich nicht einmal über diese Posse an sich.
Es gibt derzeit nur eine einzige Partei, der ich das so nicht zutraue. Und das sind die Grünen. Nicht, weil ich Mitglied bin, sondern weil die jetzige Führung einfach nicht so gestrickt ist. Dazu sind die Grünen insgesamt derzeit auch gar nicht in der Lage.
Aufgeregt habe ich mich darüber, dass es wiedermal nirgends für Dummies erklärt wird. Und da zähle ich mich gerne zu.
Zuerst habe ich auf dem Tablett die Meldung zu den Anträgen gelesen. Erst heute, da ich keine Bildzeitung lese. Und weil Wochenende ist.
Dann habe ich versucht, weitere Informationen zu bekommen. Die Anträge selber habe ich dann erst eher durch Zufall bei der Tagesschau gefunden, weil der Beitrag, in dem sie ausnahmsweise verlinkt standen, mir in der App nicht ausgespielt wurde. Anstatt sie dann aber angezeigt werden, wurden sie als PDF dann sofort heruntergeladen. An dem Punkt war ich so geladen, dass ich fluchend an den Rechner gegangen bin.
Zwar wurden Dutzende Fakten-Checker veröffentlicht, ob die Pläne überhaupt umsetzbar wären. Aber dass es sich lediglich um Entschließungsanträge handelt, habe ich erst gesehen, als ich die Anträge hatte. Das wurde nirgendwo erklärt.
Mir das überhaupt näher anzugucken, war eigentlich dadurch begründet, dass ich auf den Sitzungskalender des Bundestages geguckt habe und mich gefragt habe, wie die in einer Woche (und zwei Tagen im Februar) auch nur ein Gesetz durchbekommen wollen. (Erste Lesung, Ausschüsse, zweite Lesung, usw.)
Es wird vor der Wahl kein neues Gesetz geben, Ende. Feierabend, können alle nach Hause gehen. Jeder nur ein Kreuz. Ihr seid ja immer noch hier, ihr könnt abschalten, heute kommt nix mehr.
Und wenn das mir, als wenigstens halbwegs oder punktuell politisch Interessierten schon so geht, wie geht es dann anderen?
Nochmal: Auch die anderen Parteien erklären es nirgendwo. Es wäre so leicht gewesen, Merz den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber nein, es wird verklausuliert gefaselt. Die Menschen werden nicht mitgenommen.
Ich erlaube mir, es zusammenzufassen. Weil das echt eine ziemlich wirre Screwball-Komödie ist.
Ein Afghane sticht auf Kindergartenkinder ein. Es kommt heraus, dass die Behörden versagt haben. Es wird von anderen (!) erklärt, dass wir ein strukturelles Problem haben. Es sollte langsam klar werden, dass wir tiefgreifend etwas an dem ganzen System ändern müssen.
Kanzlerkandidat Merz geht hin, und sagt erstmal Dinge, die sich zumindest verhandelbar anhören. Darüber, was er machen wollen würde, würde er Kanzler werden.
Schon am Tag darauf wird aus der Absichtserklärung aber ein Antrag im Bundestag, den man auch mit den Stimmen der rechtsradikalen AfD durchbringen will. Zu der man selber wieder und wieder eine Brandmauer rhetorisch aufgebaut hat. Was eigentlich gar nicht so schlimm wäre, hätte man es nicht vorher extra erwähnt.
(Es wird auch spannend, ob die AfD dem überhaupt zustimmt, weil da auch echt „russlandfeindliche“ Sachen drinstehen. Nur so nebenbei.)
Dafür wird er von allen Seiten, auch in der CDU, kritisiert.
Dann formuliert die CDU einen Antrag, in dem man Versatzstücke vom letzten Jahr einbaut. In dem es nur noch so ganz grob und eher homöopathisch um Flüchtlinge geht. Und um das volle, populistische Potenzial mitzunehmen, formuliert sie noch einen zweiten, kurzen Antrag, der fünf Kernpunkte beinhaltet. Die gar nicht sofort umsetzbar sind. Der dann wie durch Zauberhand bei der Bild Zeitung landet, die das auch prompt veröffentlicht. Noch bevor er im Bundestag eingebracht wurde.
Alle Medien stürzen sich drauf, Fakten-Checker legen los, die Opposition geht steil, und irgendwie vergessen alle zu erwähnen, dass es sich nur um Willenserklärungen handelt, die absolut null verbindliche Auswirkungen haben.
Meine Damen und Herren: Sie werden verarscht.