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Der Jesus von Solingen und das systemische Versagen

Politiker legen Blumen in Solingen ab

Nach dem Terroranschlag von Solingen geht Social Media steil. Die Rechtspopulisten feiern es, umso mehr wenige Tage vor den Landtagswahlen. Die übrigen Politiker erzählen hilflosen Unfug. Und die tatsächlichen Experten werden nicht gehört. Auch in der Öffentlichkeit nicht, weil das Thema zu kompliziert ist und sie zu sehr in der Materie stecken.

Da ich nur ein Blogger bin, habe ich die Freiheit, Dinge persönlicher zu formulieren. Im Grunde sind alle Beiträge ein Kommentar.

Noch bevor der Attentäter von Solingen sich gestellt hat, hatte ich den Eindruck, dass der gleiche mediale und politische Zirkus ablaufen wird wie immer. Um ehrlich zu sein, habe ich aber nicht mit dem Ausmaß gerechnet, in dem nun die Verblödungsmaschinerie abläuft. Luftige Aussagen von Politikern, Allgemeinplätze, wohlfeile Willensbekundungen, und das alles hinter einer Rhetorik verschleiert, die den Laien mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt. Was dann wiederum den Rechtspopulisten dienlich ist, da ihre Kernkompetenz das Anbieten von einfachen Lösungen für komplizierte Probleme ist.

Den Sonntagnachmittag habe ich damit verbracht, mit Fachleuten verschiedener Bereiche zu telefonieren und Anfragen zu schreiben.
Inzwischen bin ich mit meiner Vorstellung, die Schieflage der inneren Sicherheit für Laien verständlich zu erklären, jedoch völlig überfordert. Dies ist der dritte Anlauf für diesen Artikel.

Also machen wir es jetzt anders. Anstatt einen rhetorisch ausgefeilten Artikel zu schreiben, werde ich dem geneigten Leser einfach ein paar Fakten und Einschätzungen um die Ohren hauen. Was er oder sie damit macht, bleibt dann ihm oder ihr überlassen.

Es geht dabei um zwei große Themengebiete. Einmal das Waffenrecht und einmal das Problem der Gewalt durch Migranten und radikalisierter Islamisten.

Spürhund bei der Suche in Solingen

Es ist systemisch

Zunächst möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass das Problem systemisch ist. Es gibt nicht den einen oder anderen Faktor, nicht den einen oder anderen Politiker, nicht das eine oder andere Gesetz, an dem man die Probleme festmachen kann.
Wer diesen Beitrag weiter liest, wird feststellen, wie unglaubwürdig es ist, dass die AfD irgendetwas davon im Alleingang wird lösen können. Das soll nicht verschleiern, dass ich die SPD in den Bereichen innere und äußere Sicherheit inzwischen für unwählbar halte. Ich bin gerne bereit das zu ändern, wenn sie aus den 2000ern in die Gegenwart zurückkehrt.

Dieses Systemische ist mir aus meiner vorherigen Arbeit im Bereich der Tobacco Harm Reduction gut bekannt. Wäre ich nicht in dieses Projekt gerutscht, würde ich dort nach wie vor gegen Windmühlen kämpfen.
Denn die Idee der E-Zigarette (Tabakerhitzer, White Snus) wurde kaputtreguliert. In einem System aus Unverständnis seitens der Politik, der Einflussnahme durch Lobbyisten, den Interessen der Pharmaindustrie und der Gesundheitsindustrie und der gezielten Manipulation der öffentlichen Meinung wurde etwas ausgebremst, was einen enormen Wert für die öffentliche Gesundheit hätte haben können, viele Menschenleben retten könnte und was nach Einschätzung von Wissenschaftlern dem Stellenwert der Erfindung der Impfung gleichkommt.

Das bedeutet systemisch. Eine Sache wird in der Komplexität des Systems Demokratie aufgerieben.
Und ich sehe ein solches System derzeit bei der inneren Sicherheit am Werk.

Steigen wir durch.

Waffenverbotszonen

Waffenverbotszonen sind vor allem eins: Eine „verwaltungstechnische Maßnahme“, die der Polizei weitere Befugnisse einräumt. Denn in einer Waffenverbotszone darf sie u.a. anlasslos Kontrollen durchführen.
Mehr nichts. Das ist es.

Durch die Aussagen verschiedener Politiker und Berichten in den Medien wurde dies jedoch völlig überhöht. Aktuell war es der von mir geschätzte Vize-Kanzler Habeck (Grüne), der sie nach dem Anschlag von Solingen wieder aufs Tablett brachte.

Habeck

Damit ist eine Erwartungshaltung produziert worden, die Waffenverbotszonen nicht erfüllen können. Im Grunde wäre gar nicht weiter über sie zu sprechen, so uninteressant sind sie. Was Waffenverbotszonen vor allem bringen, sind Klicks.

Darüber hinaus haben wir ja bereits etwas, was der laienhaften Vorstellung von Waffenverbotszonen entspricht. Der §42 des Waffengesetzes verbietet das Tragen von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen. Hinzu kommen weitere Regulierungen, welche Waffen von wem wo wie getragen werden dürfen, bzw. nicht dürfen.

Diese überhöhnte Erwartungshaltung wird wiederum dadurch gefördert, dass Rechtspopulisten sich infantil und pseudo-ironisch darüber lustig machen. Sie unterstellen, Politik oder Polizei würde ernsthaft glauben, durch Waffenverbotszonen irgendetwas unterbinden. Was selbstverständlich absurd ist. Da Attentäter sich generell eher selten an Gesetze halten.
Auch die Polizei zieht sich den Hut nicht mit dem Hammer auf. Es sind diejenigen aus der Praxis.

Das ist ein rhetorisch brillanter Schachzug, wie so vieles, was Rechtspopulisten tun. Aber wohl eher unbeabsichtigt. Es wird ein Strohmannargument aufgebaut. Und es ist ein Priming, wie doof „die da oben“ alle sind.

Alles an die Grenze!

Auf Bundesebene laufen diese Waffenverbotszonen eher ins Leere. Aus einem völlig anderen Grund.

Weil Sieglinde aus Oberursel in der simplifizierten Weltsicht lebt, ein Staat sei ein hermetisch abzuschottendes Land, wurden nach 2015 die Rufe nach Grenzkontrollen lauter. Dass Deutschlands Grenze von knapp 3900 Kilometern gar nicht abzuschotten ist, traute die Politik sich erneut nicht deutlich zu sagen.

Während die Grünen nun deren Wiederabschaffung fordern, will die zuständige Innenministerin Faeser (SPD) daran festhalten.
Das Innenministerium verkündet auf seiner Homepage vollmundig „Für ein Höchstmaß an Sicherheit“, weil zur Fußball-Europameisterschaft auch wieder Grenzkontrollen an der französischen Grenze eingeführt wurden. Nun wird darüber beraten, sie beizubehalten.
Bayern hat einen Alleingang gestartet und lässt die eigene Landespolizei Grenzen überwachen.

Screenshot Beitrag des BMI

Es hat nach 2015 keine große Einstellungswelle stattgefunden. Inzwischen arbeiten etwa 10.000 mehr Menschen bei der Bundespolizei als noch 2017. Aber es wurde auch intern umgeschichtet, dort arbeiten ja auch Verwaltungsbeamte.

Das Innenministerium möchte Sicherheit darstellen. Ein sehr einfacher Faktor, um das verkaufen zu können, sind Zahlen an Zurückweisungen an der Grenze. Und um da auf Zahlen zu kommen, werden Bundespolizisten von den inneren Objekten abgezogen. Also genau den Orten, an denen durch Waffenverbotszonen eigentlich der Polizei geholfen werden sollte.

Das Waffengesetz

Das Einhandmesser, das auch ich immer am Gürtel hatte, als ich neben dem Studium als Hiwi am Bau gejobbt habe, darf nicht mehr geführt werden. Also ein Taschenmesser, das mit einer Hand geöffnet werden kann.
Sicher würde die Polizei dafür keinen Handwerker in verschwitzten Arbeitsklamotten in den Kerker stecken. Es wäre aber möglich, dass es einkassiert wird. Ist ja auch nicht schön, womöglich landet man in der Datenbank für atheistische Trockenbauer-Gefährder.

Butterfly-Messer wurden verboten, weil aufgrund von Kung Fu Filmen eine hohe Attraktivität für Jugendliche attestiert wurde. Laut Gerüchten steckte da wohl auch der aus Medienbeiträgen bekannte Kriminologe Christian Pfeiffer dahinter, der nicht nur Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen war, sondern von 2000 bis 2003 Justizminister für die SPD in Niedersachsen.

Das Waffengesetz ist ein völlig zerfasertes Gesetz. Weil jede Regierung der letzten Jahre bei jedem Vorkommnis etwas daran geschraubt hat. Denn das Argument „Verschärfung des Waffengesetzes“ geht immer wie geschnitten Brot.
Erst gestern hat Bundeskanzler Scholz mal wieder eine Verschärfung des Waffengesetzes rausgehauen.

Man muss sich das wirklich einmal nüchtern vorstellen. Ein Migrant tötet mit einem großen Küchenmesser drei Menschen und verletzt acht weitere zum Teil lebensgefährlich. Ein Messer, dass er laut unbestätigten Meldungen aus der Gemeinschaftsküche einer Flüchtlingsunterkunft hatte. Das also womöglich vom Staat gestellt wurde. Und wir diskutieren über die Reduzierung der zulässigen Klingenlänge bei mitgeführten Waffen. Als wenn der das Messer liegengelassen hätte, weil es gegen die Klingenlänge verstößt, wenn er es mitnimmt.

Polizisten und Anwohner vor der Flüchtlingsunterkunft Solingen

Bild: Durchsuchung der Flüchtlingsunterkunft in Solingen, in der der mutmaßliche Attentäter gelebt hat. Im Zuge dessen hat er sich gestellt.

Der paranoid-schizophrene Somalier, der im Juni 2021 drei Menschen in einem Woolworth tötete, hatte nicht einmal ein Messer. Er hat sich ein Messer aus der Auslage gegriffen.

Wie ein befreundeter Bundespolizist mir sagte, hat seiner Meinung nach keine Änderung des Waffengesetzes der vergangenen 20 Jahre in relevantem Umfang Straftaten verhindert. Und dass Solingen so wenig ein Messer-Problem, wie der Breitscheidplatz ein Lkw-Problem war.

An merkwürdigen Stellen reguliert

Ein weiteres Problem ist, dass durch dieses Herumdoktern am Gesetzt verpasst wurde, irgendetwas substanzielles zu verändern. Soweit wollte die jeweilige Regierung dann wohl doch nicht gehen.
Man hat beispielsweise das Tragen von Einhandmessern verboten. Aber nicht den Handel damit. Und das führt zu einer Diskrepanz, die man eigentlich kaum verständlich machen kann.

Screenshot des Online-Shops

Zur Anschauung habe ich einmal einen sog. Dolch herausgesucht. Nicht weil die Manufaktur ausgerechnet in der Messerstadt Solingen sitzt. Sondern weil es ein reines Tötungsinstrument ist. Eine solche Klinge eignet sich zu absolut nichts, außer sie in Lebewesen zu stoßen. Weder zum Schneiden in der Küche, noch zum Segeln, noch zum Handwerken. Das Ding gibt es nicht nur wahlweise in einer Damast-Ausführung – also noch schärfer – sondern das Design orientiert sich erklärtermaßen am MG-42 der Wehrmacht. Der Griff aus deutscher Eiche… für wen so etwas attraktiv erscheint, dürfte klar sein.
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Ein guter Freund von mir schießt klassische Bögen. Auch mit ihm habe ich gesprochen. Weil sie Energie speichern und somit ohne viel Übung zu verwenden sind, gelten Armbrüste als Waffen. Sie sind aber frei verkäuflich. Bögen hingegen sind nicht nur frei verkäuflich. Sie gelten nicht einmal als Waffen. Es sind Sportgeräte.

Natürlich habe ich auch nach der Schussfolge gefragt. Er geht davon aus, dass er mit seinem klassischen, einfachen Bogen drei gezielte Schuss auf kurzer Distanz in zehn Sekunden schafft. Und da der Bogen lautlos ist, kann man sich ausmalen, was man damit bei einem Stadtfest anrichten könnte.

Bitte verstehen Sie mich richtig falsch: Ich bin eben nicht für ein Verbot für alles. Ich möchte veranschaulichen, dass sich das Waffengesetz durch ständige Mikroregulierungen inzwischen völlig von der Realität entfernt hat.

Würde ich durch meine Tätigkeit in eine Bedrohungslage kommen, wäre es mir annähernd unmöglich, mir legal eine Schusswaffe zum Selbstschutz zuzulegen. Völlig unabhängig von der Einschätzung der Bedrohung und unabhängig davon, dass ich als ehemaliger Soldat diesem Land gedient und sogar andere an Waffen ausgebildet habe. Was keine hohe Qualifikation ist, es sagt aber etwas über Relationen. Ich könnte es beantragen, aber die Ablehnung wäre ziemlich sicher.
Ich könnte allerdings in einen Verein gehen, tapfer lügen, dass ich das als „Sport“ betreibe und könnte mir dann so viele Waffen zulegen, wie ich wollte. Inklusiver solcher, mit der auf Trump geschossen wurde. Die übrigens nur „militärischer“ aussehen, aber das Gleiche können, wie alle halbautomatischen Langwaffen.

Die Politik ist in einer Diskrepanz, der sie selber vollkommen hilflos gegenübersteht. Und der Maßstab das anzugehen ist abhängig von der Bereitschaft, Interessengruppen zu verärgern.

Zuständigkeitsdschungel

Die Sicherung der Grenzen, also auch von Flughäfen und Bahnhöfen, ist eigentlich Sache der Bundespolizei. Während alles andere Sache der Polizei des jeweiligen Bundeslandes ist.
Hinzu kommt, dass die formelle Bearbeitung von Migranten Aufgabe der Ausländerbehörden des jeweiligen Landes ist.
Diese Gemengelage führt zu einem Chaos, dass der gemeine Bundesbürger sich nicht vorzustellen wagt.

Greift die Bundespolizei einen unbegleiteten Minderjährigen an einem Bahnhof im Süden der Republik auf, also beispielsweise einen abgängigen Süchtigen, kann sie ihn eigentlich gleich da sitzen lassen, wenn er aus Niedersachsen kommt. Die zuständigen Behörden gehen häufig nicht einmal ans Telefon, weil sie heillos überlastet sind.

Das gilt umso mehr für Ausländerbehörden.
Greift die Bundespolizei einen Migranten auf, ist sie teilweise nicht einmal befugt, beim Verwaltungsgericht anzufragen, wen sie da vor sich hat.
Sie darf nicht einmal fragen!

Will einer eine Reise tun

Nach dem, was bisher bekannt und zumeist noch unbestätigt ist, kam der mutmaßliche Attentäter von Solingen Issa al H. im Dezember 2022 nach Deutschland. Den Bereich der gemeinsamen Regulierungen (Dublin, Schengen, etc.) hat er aber in Bulgarien betreten. Also wäre Bulgarien für ihn zuständig.
Wenn Deutschland das als reichstes Land Europas schon nicht hinbekommt, kann sich jeder vorstellen, was in Bulgarien los ist.

Irgendwie tauchte er halt im Dezember 22 in Bielefeld auf und stellte dort erneut einen Antrag auf Asyl. Deshalb kam man dort, von wo aus er wohl in Paderborn untergebracht wurde, zu dem Schluss, dass er abgeschoben werden sollte. Nicht die Polizei. Die Ausländerbehörde.
Darüber wird der Abzuschiebende informiert.

Das alleine ist ja bereits irgendwie absurd.
Natürlich ist nachvollziehbar, dass man eine Familie mit schulpflichtigen Kindern nicht aus ihrem Alltag reißen und in Abschiebehaft stecken kann. Andererseits ist logisch, dass eine große Anzahl von Menschen dann natürlich abtaucht.

Durch dieses Abtauchen alleine hätte er bereits in einer Datei erfasst werden müssen. Das ist aber nie geschehen. Ob durch Überforderung oder Nachlässigkeit lässt sich nicht sagen. Und wird sicher nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

Durch sein Abtauchen alleine hat er bereits einen Faktor gezeigt, der zu einem Haftantrag zur Beendigung des Aufenthalts hätte führen müssen. Das ist aber nie passiert.
Es ist nicht zu sagen, ob die Polizei die Ausländerbehörde nicht informiert hat, diese den Fall nicht bearbeitet hat, oder was auch immer.

Und so tauchte Issa al H. dann irgendwann in Solingen auf. Wo man wohl sehen konnte, dass ein Asylverfahren läuft. Vielleicht auch, dass er abgeschoben werden sollte. Aber nicht, dass er nach Recht und Gesetz in Abschiebhaft gehört hätte.

Darin sehe ich den Hintergrund, warum die Bundesvorsitzende der SPD Saskia Esken so eifrig betont hat, Issa al H. sei nicht „polizeibekannt“ gewesen. Was in der Sache ja richtig sein mag. Aber für Laien einen völlig falschen Eindruck vermittelt.
Politiker wissen sehr genau, wie sie was formulieren.

Saskia Esken bei Caren Misoga, Screenshot ARD

„Aus dem Fall gibt es nichts zu lernen, weil der mutmaßliche Attentäter nicht unter Beobachtung stand.“ Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD, in der Sendung Caren Misoga, ARD, 25.08.24

Issa ist übrigens die arabische Form von Jesus.
Und der Jesus von Solingen kam aus dem ost-syrischen Deir ez-Zor. Ich würde ziemlich viel darauf wetten, dass keinem der Sachbearbeiter bewusst war, dass die Region Deir ez-Zor eine Hochburg des IS ist.
Die Begründung Issas für den Asylantrag war übrigens die Wehrpflicht in Syrien. Und er gab an, bei einem Verwandten unterkommen zu wollen, den es jedoch gar nicht gab.

Man kann natürlich darüber lachen, dass er sich bei seinem Bekenner-Video mit benutzten Küchentüchern vermummt hat. Das Lachen bleibt einem aber im Halse stecken, wenn man die Banalität begreift. Denn kurz danach ist er ja losgegangen und hat drei Menschen getötet.

Screenshot des Bekenner-Videos

Wie mein Kumpel sagte: Solingen war so wenig ein Messer-Problem, wie der Breitscheidplatz ein Lkw-Problem war.

Vergessen Verlängerung zu buchen

Betritt jemand in Bulgarien Europa, ist Bulgarien für ihn zuständig.
Reist der dann weiter nach Deutschland, hat Deutschland sechs Monate Zeit, ihn zurück nach Bulgarien zu schaffen.

Taucht derjenige ab, verlängert sich diese Dauer auf 18 Monate. In diesem Fall hätte man also Druck auf Bulgarien ausüben können.
Aber wenn nicht weitergegeben wird, dass der Mann untergetaucht ist, kann es auch keine Verlängerung geben.

Issa al H. ist schlicht durch die Maschen geschlüpft, weil die Verantwortlichen ihren Job nicht gemacht haben. Und das war wohl eher nicht die Polizei.
Und nun sitzen die Politikerinnen und Politiker in Talkshows und scharwenzeln rhetorisch ausgefeilt um eines der größten Probleme herum. Und die Redaktionen haben auch niemanden aus den Ausländerbehörden, den sie da hinsetzen können. Denn die sind weisungsgebunden. Was bedeutet, dann kommt einer der Politiker und erzählt, dass alles läuft und die Sicherheit des Landes höchste Priorität hat. So vorhersehbar, so ermüdend.

Ich bin sicher, die Recherche-Teams der großen Medien sind bereits auf der Suche nach Mitarbeitern von Ausländerbehörden, die anonym berichten können. (Sollte dies einer lesen, kann er sich gerne per Mail bei mir melden.)
Ich weise nochmal darauf hin: Das liegt nicht alleine an der „Ampel“. Das ist ein Problem in allen Bundesländern, egal vom wem sie regiert werden.

Wer was weiß, weiß man nicht

Auch die Frankfurter Allgemeine schrieb gestern, der Spiegel habe geschrieben, die Deutsche Presseagentur habe berichtet, Issa al H. sei den „Sicherheitsbehörden demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt“ gewesen.
Ich wage die Richtigkeit der Aussage anzuzweifeln.

In Deutschland herrscht das so genannte „Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten“. Das ist eine der Lehren aus dem Dritten Reich.
Das bedeutet, die Nachrichtendienste dürfen Dinge, die die Polizei nicht darf. Und die Polizei darf Dinge, die die Nachrichtendienste nicht dürfen. Und diese Kompetenzen dürfen nicht zusammengebracht werden. Es darf also keinen Polizeinachrichtendienst geben. (Vermutlich gibt es gar keine Datenbank für atheistische Trockenbauer-Gefährder. Aber man weiß ja nie.)

Es wird ständig juristisch gestritten und verhandelt. Nachrichtendienste wollen immer mehr, das ist ihr Job. Andere wollen lieber keine Volksrepublik China aus Deutschland machen. Das ist gut so. Dieser Widerstreit mach eine Demokratie aus.
Im Jahr 2013 befand das Bundesverfassungsgericht zu einer Terroristendatenbank. Und es sagte, der Austausch von Daten zwischen den Nachrichtendiensten und der Polizei sei grundsätzlich möglich. Aber es gelte ein „informationelles Trennungsprinzip“. Das den Austausch nur bei entsprechender Verhältnismäßigkeit legalisiert. (BvR 1215/07)

Und das bedeutet wiederum, dass selbst wenn der Bundesnachrichtendienst Informationen dazu hat, dass Issa al H. bereits in Syrien ganze Wohnblocks gesprengt hat, bedeutet das noch lange nicht, dass die deutsche Polizei das wusste. Und die Ausländerbehörde Solingen schon gar nicht. Die wussten ja nicht einmal, dass Issa aus Bielefeld kommt.
Vereinfacht gesagt dürfte der BND der Polizei erst dann sagen: „Hier, ihr habt da einen rumlaufen…“ wenn eine konkrete Bedrohung bestünde. Für Anfragen wäre aber wiederum der Verfassungsschutz zuständig. Und vor allem müssten BND und Verfassungsschutz ja überhaupt erstmal wissen, dass Issa al H. plötzlich in Bielefeld steht. Und dann wieder weg ist. Und dann wieder woanders auftaucht.
Diese Datenerfassung ist ebenso wenig wie der Informationsaustausch in 2024 angekommen.

Und das ist der Grund, warum einige das nun auf die Aussage verkürzen, dass wir Islamisten die Türe geöffnet haben. Die erschreckende Tatsache ist, dass wir vielleicht wissen, wer die Terroristen sind. Aber wir wissen es eben nicht alle.
Nicht „den Sicherheitsbehörden“ war Issa al H. nicht als islamistischer Extremist bekannt, sondern der Polizei nicht. Mehr können FAZ, Spiegel und dpa nicht wissen.

Und als wenn das nicht genug wäre, kommt das dicke Ende noch.
Taucht ein Migrant in Deutschland ab, egal ob er abgeschoben werden soll oder nicht, wird nicht aktiv nach ihm gefahndet. Die Polizei hat dafür keine Kapazitäten.
Soll ich es nochmal sagen?
Nach untergetauchten Migranten wird nicht gefahndet.

Abschiebehaft

Ein weiteres Hemmnis kommt hinzu. Und ich gebe hier wirklich nur exemplarische Details wieder.

Man darf in Europa niemanden unbefristet in Abschiebehaft stecken. Man muss beim Haftantrag angeben, wie lange derjenige in Haft soll.
Das bedeutet, wenn ein Land wie Burkina Faso einem Abzuschiebenden keine Papiere ausstellt, muss man ihn auf freien Fuß lassen. Weil sonst die Haftdauer überschritten wird bzw. gar nicht erst zuverlässig anzugeben ist.

Die Abschiebung ist Ländersache.
Flapsig formuliert schiebt Bayern rigoros ab und in Bremen und Niedersachsen wird niemand abgeschoben. Berlin ist eh jenseits von Gut und Böse.

Das liegt ebenfalls an Faktoren wie der Überlastung. Aber auch an den Zellen.
Denn Abschiebehäftlinge dürfen nicht mit normalen Häftlingen zusammen untergebracht werden. Die Bundesländer müssen solche Haftplätze vorhalten. Haben sie keinen Platz mehr, müssten sie den Abzuschiebenden laufen lassen.
Im Mai 2018 beklagte der „Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.“, die Abschiebehaft sei häufig rechtswidrig.

Nur um eine Dimension zu geben: Schleswig-Holstein hat 42 Plätze für eine Abschiebungshaft. Davon stehen dem Land aber nur 14 zu, weil diese 42 Plätze aufgrund eines Staatsvertrages auch für Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sind.
Bayern hat derzeit 150 Plätze und eine neue Abschiebungshafteinrichtung mit weiteren 200 wird gerade gebaut.
Die Zahlen weichen häufig ab, brandaktuelle sind schwer zu bekommen. Aber es geht ja um Relationen.

Aus einer Antwort auf eine Anfrage der Linken an das Abgeordnetenhaus Berlin (18 / 24 961) geht hervor, dass von September 2018 bis September 2020 49 Personen inhaftiert waren, 27 davon nur für einen Tag.
Bei zweien ergaben sich Probleme mit den Herkunftsländern, so dass sie ca. drei und fünf Monate inhaftiert waren.

Nur eine ungefähre Vorstellung

Die Polizeigewerkschaften sitzen zwischen zwei Stühlen.
Zum einen müssen sie Forderungen für ihre Mitglieder stellen. Zum anderen dürfen sie aber nicht über das Ziel hinausschießen, weil sie mit den Politikern im Gespräch bleiben müssen. Da geht Diplomatie los, das ist bei allen Lobby-Verbänden so.

So hätten die Gewerkschaften gerne die Übergabe der Landesverantwortung für die Abschiebung an die Bundespolizei. Das würde vieles erleichtern.
Doch eine solche Forderung wird öffentlich nicht verstanden, weil es zu sehr in die Materie geht.
Und das nutzen die Politiker aller Parteien aus, um wohlfeile Willensbekundungen abzugeben, die am Ende wie heiße Luft verpuffen. Oder, wie im Falle der AfD, die Abschaffung des Verfassungsschutzes zu fordern. Weil der böse zu ihr war.

Persönlich sehe ich es absolut nicht so, dass wir Islamisten Tor und Tür geöffnet haben. Geschweige denn, dass alles heillos verloren ist.
Aber wie es in einer Demokratie so ist, muss hart daran gearbeitet werden. Und die Politikerinnen und Politiker müssen gemessen werden. Das kann aber nur passieren, wenn die Öffentlichkeit endlich versteht, dass Sicherheit kein Söldnergeschäft ist und sie sich endlich ernsthaft damit auseinandersetzen muss. Sowohl äußere wie auch innere. Die heile Welt ist vorbei, wir alle haben einen süßen Traum des Weltfriedens geträumt. Das Wort Feind ist verpönt.

Dazu ist zwingend notwendig, dass die Menschen endlich verstehen, wer die Zuständigkeiten hat. Die Berliner Politiker können erzählen, was sie wollen. Tatsächlich verändern können sie nur etwas in Teilbereichen, wie dem Waffengesetz. Alles andere hängt vor allem auch von den Ländern ab.

Ich wollte nur einmal eine ungefähre Vorstellung geben, was tatsächlich passiert und wo die Probleme liegen.
Wenn der geneigte Leser nun einmal hingeht, und vor diesem Hintergrund die Äußerungen der Politiker prüft, wird er verstehen.

Auf meine Anfragen habe ich durchgehend keine einzige Antwort erhalten, u.a. vom Innenministerium und der DPolG.
Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, wollten lieber nicht namentlich zitiert werden.

Kategorie Medien und Politik

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