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Rakete auf Fußballplatz: Hintergründe, Auswertung

Am gestriegen frühen Abend schlug ein Flugkörper auf einem Fußballplatz in dem kleinen, drusischen Ort Madschdal Schams (engl. Majdal Shams, 10.000 Einwohner) ein. Dabei wurden 12 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 20 Jahren getötet.

Unmittelbar danach setzte die Propaganda auf Social Media ein.
Die Hisbollah leugnete den Angriff. Israel bestätigte „eindeutige“ nachrichtendienstliche Informationen, die den Angriff einer Stellung zuweisen konnten. Also von wo aus die Rakete gestartet wurde.

Zum Teil wurden Drusen als „Siedler“ und „Kolonisatoren“ bezeichnet, es wurde das Narrativ der False Flag Aktion gestreut, die dazu dienen solle, einen Einmarsch in den Libanon zu rechtfertigen, und es wurde durch arabische Medien verbreitet, es habe sich um eine fehlgeleitete Flugabwehrrakete des israelischen Iron Dome gehandelt.

Die Situation der Drusen ist noch komplizierter als die der Palästinenser. Das zu klären, würde hier weit den Rahmen sprengen. Zumal es eigentlich auch keine große Rolle spielt.
Versuchen wir das erneut ein wenig zu entwirren. Für Dummies.

Die Golanhöhen

Die Golanhöhen liegen im Nordosten Israels. Sie gehören zu Syrien.

Allerdings war auch das umstritten. Der Libanon erhebt seit etwa 100 Jahren Anspruch auf die so genannten Schebaa-Farmen, einem schmalen Streifen im Norden der Golanhöhen.
Was sich anhört wie ein einem Star Wars Film, waren im Grunde nur eine Hand voll Bauernhöfen, die durch die Landverteilung der Mandatsträger Großbritannien und Frankreich von Schebaa im heutigen Libanon abgeschnitten wurden. Die Bauernhöfe existieren längst nicht mehr.

Im Sechstagekrieg eroberte Israel 1967 das Westjordanland von Jordanien, den Gazastreifen von Ägypten und die Golanhöhen von Syrien. Es besetzte die Gebiete.
1981 annektierte Israel die Golanhöhen. Es machte das Gebiet also rechtstaatlich zu einem Teil Israels. Das ist international nicht anerkannt, da Annexionen nach dem Völkerrecht unzulässig sind.
Die USA erkannten unter Präsident Trump die Golanhöhen 2019 jedoch als Teil Israels an.

Anders als den Gazastreifen oder die Westbank sieht Israel die Golanhöhen also als Israel und die dort Lebenden als israelische Staatsbürger.

Es gibt auch ein Völkergewohnheitsrecht. Die Gelehrten streiten sich, unter welchen Umständen die Annexion „rechtmäßig“ werden könnte. Ein Vorschlag ist dabei ein Referendum.
Insgesamt hält Israel die Golanhöhen nun also seit fast 60 Jahren.

Es hat immer wieder Verhandlungsversuche von Israel gegeben, wobei es sich bereit gezeigt hat, die Golanhöhen zurückzugeben. Es fordert dafür einen Friedensvertrag. Den sowohl Syrien als auch der Libanon nicht zugestehen wollen.

Sowohl Libanon als auch Syrien befinden sich seit 1967 offiziell mit Israel im Krieg.
Damit ist das Argument hinfällig, Israel bräuchte eine False Flag, um einen Grund für einen Einmarsch zu finden. Es befindet sich im Krieg, es braucht keinen weiteren Grund.

Der Libanon

In der vergangenen Nacht war auf Social Media immer wieder zu lesen, Israel oder gar die USA sollten nun den Libanon platt machen. Das ist völliger Blödsinn, selbst für das Niveau der Menschen, die so etwas schreiben.
Der Libanon als Staat hat damit nichts zu tun.

Der Libanon ist tief zerrissen. Er wird durch Konfessionalismus regiert, was bedeutet, dass jeder Religionsgemeinschaft bestimmte Posten zukommen. Ich habe das bereits in einem Artikel auseinanderklamüsert (Öffnet in neuem Fenster).
Die größte Gruppe machen die maronitischen Christen aus, gefolgt von schiitischen und sunnitischen Muslimen.

Die Angriffe auf Israel gehen nicht vom Staat Libanon aus, sondern von der Hisbollah, die die schiitischen Muslime vertritt und Proxy des Irans ist. Sie hat den Süden des Landes die Kontrolle. Es ist im Grunde ein Staat im Staat, wobei sie aber auch im Parlament sitzt.

Inzwischen hat Syrien dem Libanon die eingangs erwähnten Schebaa-Farmen offiziell zugesprochen. Es hat den Landstrich also auf dem Papier verschenkt, ohne wirklich Kontrolle darüber zu haben.
Das ist wiederum das Hauptargument der Hisbollah, von einer „israelischen Besetzung“ des Libanon zu sprechen. Was von Syrien auch sicher genau so beabsichtigt war. Das syrische Regime, der Iran und die Hisbollah stehen sich nah.

Die Drusen

Die Drusen leben bereits seit tausenden Jahren in der Region. Das konnten DNA-Tests nachweisen.
Sie stellten jedoch keine eigene Ethnie dar, sondern es waren einfach die Menschen, die nun einmal dort lebten. Ihre Sprache ist Arabisch.

Im frühen 11. Jahrhundert splitterten sie sich aufgrund von religiösen Inhalten von den Ismaeliten, also im Grunde den Schiiten, ab. Seither werden sie in der islamischen Gemeinschaft als Abtrünnige oder auch als Sekte angesehen, jedoch auch akzeptiert.
Die drusische Religion hat sich so stark verändert, dass man sie heute nicht mehr zu den Muslimen zählt. Sie wird zur Abgrenzung als „ismailitisch“ bezeichnet.

Da man aber nicht einfach zur drusischen Religion übertreten kann, gilt sie als „Geheimreligion“. Die „Eingeweihten“ (vergl. Priester) sind an den langen, schwarzen Gewändern und der weißen Kopfbedeckung (Fes) zu erkennen.
Dadurch kann sie inzwischen auch - nach 1000 Jahren - als eigene Ethnie angesehen werden. Allgemein gelten die Drusen allerdings einfach als Religionsgemeinschaft.

Das macht sich auch an der Diversität bemerkbar. Drusen leben auch in Syrien und im Libanon.
Im Syrischen Bürgerkrieg haben Drusen sowohl auf Seiten der aufständischen Gruppen, als auch auf Seiten des Assad-Regimes gekämpft. Drusen fühlen sich als Ganzes keiner Regierung verpflichtet.

Die meisten Drusen, die auf den Golanhöhen leben, bezeichnen sich selber nach wie vor als „syrisch“. Nur wenige haben die israelische Staatsbürgerschaft angenommen.
Israel möchte die Drusen natürlich an sich binden. Alleine schon, um weitere Konflikte zu vermeiden. Die Drusen sind in Israel völlig akzeptiert und integriert. Sie sind sogar die Minderheit, aus der die meisten freiwillig Militärdienst in den israelischen Streitkräften leisten.

Drusische Anwohner von Madschdal Schams sind heute extra über eine Stunde gefahren, um für die strenggläubigen jüdischen Soldaten, die gerade dort eingesetzt sind, koscheres Essen zu kaufen. Das sagt etwas über das Verhältnis.
Gleichzeitig wurde der rechtsradikale Finanzminister Smotrich (Öffnet in neuem Fenster) beschimpft und verjagt.

Der Sprecher der israelischen Streitkräfte hat nach dem Angriff auf den Fußballplatz erklärt, die Drusen seien israelische Bürger und Israel würde sie schützen und für sie einstehen.
Gestern Abend wurde das Rathaus von Tel Aviv mit der drusischen Flagge beleuchtet. Noch in der Nacht kamen auch hochrangige Vertreter der israelischen Streitkräfte nach Madschdal Schams.

Diese Zusammenhänge machen deutlich, dass die Hisbollah also sicher keine Rücksicht darauf genommen hätte, bei ihrem seit Monaten andauernden Beschuss ein israelisches Dorf auszunehmen, weil es drusisch ist.

Und es ist sicher der Grund, warum die üblichen pro-palästinensischen Proteste und Propagandisten vergleichsweise ruhig sind.
Dort wird niemand unterdrückt, die Situation ist durch Libanon und Syrien zerfasert und beispielsweise Saudi-Arabien ist eher für Israel als für die Hisbollah.
Einerseits werden die Drusen als „Siedler“ und „Kolonialisten“ bezeichnet, andererseits bemüht man sich, jede Schuld von sich zu weisen. Sonst könnten womöglich die Drusen in Syrien und im Libanon für Probleme im eigenen Land sorgen.
Die Drusen stören das Narrativ des jüdischen, europäischen, kolonialistischen Israels. Weil die Drusen ein Zeichen dafür sind, dass auch Araber zufrieden in der israelischen Multi-Kulti-Gesellschaft leben können.

Die Flugabwehr

Arabische Medien berichteten, dass in Madschdal Schams keine Rakete der Hisbollah, sondern eine fehlgeleitete Flugabwehrrakete des israelischen Iron Dome eingeschlagen sei. Das habe ein israelischer Sanitäter vor Ort zu einem der Reporter gesagt.
Natürlich kann ich nicht beurteilen, ob ein Sanitäter das gesagt hat. Aber die Schlussfolgerung ist Blödsinn.

Es tut mir leid, wenn ich mich wiederholen muss. Aber manche Dinge muss man anlassbezogen der Vollständigkeit halber öfter erklären:

Eine Rakete hat eine große Sprengwirkung. Also hat sie einen entsprechenden Gefechtskopf, sie macht entsprechend Bums.

Eine Flugabwehrrakete hat das nicht. Weil sie es nicht braucht.
Eine Flugabwehrrakete muss klein und leicht sein. Weil sie schnell genug sein muss, um die Rakete, die sie abfangen soll, zu erreichen. Und wendig genug, um in dieser enormen Geschwindigkeit auch kurven zu können.
Also wird in eine solche Rakete, die an sich schon weit leichter ist, möglichst viel Treibstoff gesteckt. Wodurch weniger Platz für Sprengstoff ist.
Die genauen Daten zum System Iron Dome sind streng geheim, aber die Grundlagen gelten für alle Flugabwehrraketen.

Moderne Flugabwehrraketen müssen ihr Ziel gar nicht mehr treffen. Sie haben Annäherungszünder. Diese lösen bereits aus, wenn sie sich in der Nähe der Rakete befindet, die sie abfangen sollen.
Sie sprengen sich dann so zu sagen selber in die Luft und verteilen dadurch Schrapnelle. Diese zerstören dann die Rakete oder lösen bei ihr die eigene Detonation aus.
Es ist also nicht so, als würde man mit einem Tennisball auf ein fliegendes Modellflugzeug werfen, sondern eine Hand voll Murmeln vor das Flugzeug. Den Rest erledigt die Physik.

Zudem haben diese modernen Systeme eine Sicherung eingebaut. Denn sie werden ja zumeist über eigenem Gebiet eingesetzt. Man möchte ja nicht, dass diese Dinger auf eigenem Gebiet heruntergehen.
Verlieren sie ihr Ziel, zerstören sie sich in der Luft selber.

Hätte also eine Flugabwehrrakete auf dem Fußballplatz eingeschlagen, hätten gleich zwei Dinge schieflaufen müssen. Sie hätte das Ziel verlieren müssen und die Selbstzerstörung hätte versagen müssen.
Das System Iron Dome ist aber sehr zuverlässig. Nach meinem Kenntnisstand ist das bei inzwischen tausenden abgefeuerten Raketen erst ein oder zwei Mal passiert.

Der Einschlag

Kommen wir also zur Auswertung der Wirkungsbilder.
Eigentlich reicht ein Bild.

Zunächst sehen wir eine recht große Stelle des Einschlages.
Auf dem Bild kam die Rakete von rechts oben.

Bei Detonationen sieht man in der Regel einen großen Feuerball. Dieses Feuer tut aber erstmal nix, überspitzt gesagt. Es ist der gleiche Effekt, als wenn man mit der Hand durch eine Kerzenflamme geht. Da passiert ja erstmal auch nichts. Man kann aus der Größe des Feuerballs vieles schließen, aber eben nicht das, worum es hier geht. Es verpufft. (Natürlich nicht bei Waffen, die durch Feuer wirken sollen. Aber das würde ebenfalls den Rahmen sprengen.)
Entscheidend ist die Sprengwirkung (Wuchtwirkung). Und die kann man auf solchen Wirkungsbildern gut beurteilen.

Nach Links hin sieht man nämlich eine solche, dunkle, verbrannte Fläche. Dort hin ist die eigentliche Wuchtwirkung gegangen. Man kann sogar erkennen, dass sie wie mit einem Lineal gezogen abbricht. Dort stand etwas im Weg. Vermutlich der Zaun oder die Beton-Erhöhung am Boden.

Es ist wenig Wirkung am Boden erkennbar. Es gibt keinen Krater, es liegen keine Trümmer in der Gegend herum. Zudem ist das Quad, das auf „dieser“ Seite des Zauns stand, komplett zerlegt und ausgebrannt. Ebenso das Fahrrad davor. Das Kinderrad, das am nächsten zum Betrachter liegt, scheint aber nahezu unversehrt.
Dort war die Wirkungsgrenze. Was auch immer dort detoniert ist, hatte genug Kraft, in dem markierten Radius zu wirken. Aber nicht darüber hinaus. (Nicht überinterpretieren, natürlich ist es auch in weiterem Umkreis tödlich.)
Es war also keine große Rakete, kein Marschflugkörper oder ähnliches.
Beides könnte vielleicht (!) noch auf eine fehlgeleitete Flugabwehrrakete deuten.

Aber jetzt kommt das Entscheidende:
Die Wucht der Detonation hat den Zaun zwischen zwei Segmenten aufgerissen. Obwohl es ja ein Maschendrahtzaun ist, und somit „durchlässig“. Er bietet einer Detonation nicht viel Widerstand.
Die Wucht muss innerhalb dieses beschränkten Bereichs also so groß gewesen sein, dass sie den Zaun aufpressen konnte.
Das schafft keine Flugabwehrrakete. Denn sie wirkt ja vor allem durch die Splitter, nicht durch die Wucht. Und die Splitter würden einfach durch den Zaun durchgehen.

Alleine aufgrund dieses Bildes erkennt man gut, dass es sich um eine kleine Rakete gehandelt haben muss.
Ich bin kein Experte dafür, ich war eher für das “Davor” als für das “Danach” zuständig. Aber für jeden mit auch nur ein bisschen Ahnung ist das wirklich völlig offensichtlich.

Die Rakete

Israel hat inzwischen veröffentlicht, dass es sich bei der Rakete um eine Falaq-1 gehandelt haben soll.
Das würde mit dem Wirkungsbild übereinstimmen.

Die Falaq-1 ist eine vom Iran produzierte Boden-Boden-Rakete. Die Hisbollah besitzt solche Raketen und hat sie bereits eingesetzt.
Sie hat einen Gefechtskopf von 50 Kilogramm.
Zum Vergleich: Die Rakete des Iron Dome hat etwa 11kg, eine GBU-28 (Bunkerbrecher), wie sie gerade von Israel im Gazastreifen gegen Mohammed Deif eingesetzt wurde, hat 545kg.

Diese Raketen sind dazu gedacht, dass sie von kleinen, mobilen Einheiten in großer Stückzahl abgefeuert werden. Sie dürften also auch nicht besonders genau sein.

Interpretation

Erneut halte ich die Angaben der IDF (Israel Defense Forces, Israelischen Verteidigungsstreitkräfte) für glaubwürdig. Bisher hat jede Aussage der IDF, die ich geprüft habe, sich mit meiner Interpretation gedeckt.

Die Möglichkeit, dass eine eigene Flugabwehrrakete des Iron Dome den Fußballplatz getroffen hat, ist nicht plausibel.
Dass der Platz nur am Rande getroffen wurde, würde ebenfalls zu diesen alten und sehr einfachen Raketen passen.

Die Hisbollah hat genau zu der Zeit des Angriffs selber bestätigt, dass sie mehrere Raketen auf Israel abgefeuert hat. Eine Salve mit „Dutzenden“ Katyusha-Raketen (entwickelt im Zweiten Weltkrieg) auf eine Kaserne bei Beit Hillal, das nur etwa 10km westlich liegt.

Zeitgleich hat sie veröffentlicht, dass sie genau eine einzelne Falaq-1 auf eine Kaserne auf den Golanhöhen gefeuert hat.

Das würde es auch erklärlich machen, warum eine Rakete durchgekommen ist. Umso mehr Raketen in der Luft sind, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass eine durchkommt.

Was meiner Meinung nach passiert ist, ist sehr einfach. Wenn man sich nicht von der Social Media Propaganda und Nebelkerzen verwirren lässt:
Die Hisbollah wollte mit vielen Raketen eine Kaserne treffen. Um die Wahrscheinlichkeit eines Durchdringens zu erhöhen, hat man eine einzelne Rakete aus einer anderen Richtung in die gleiche Region gefeuert.
Und die hat dann Fußball spielende Kinder in Stücke gerissen.
Und dann auch noch Drusen. Also hat man sehr schnell alles geleugnet.

Es passt alles. Ort, Zeit, Taktik, Waffensystem.

In der vergangenen Nacht hat Israel bereits Luftschläge gegen mindestens sieben Ziele der Hisbollah geflogen, darunter zwei Waffenlager. Die Luftschläge gingen bis tief in den Libanon hinein.
Ich rechne derzeit nicht damit, dass Israel in die Bodenoffensive gehen wird. Selbst wenn sie das tut, würde man das an dem häufig erklärten Shaping zuvor ablesen können. Danach sieht es derzeit nicht aus.

Man muss nun also abwarten, was weiter passiert. Der Iran hat Israel bereits gedroht. Letztendlich hängt aber alles davon ab, wie die Hisbollah reagiert und wie massiv Israel in der kommenden Nacht weitere Luftschläge fliegen wird.

Kategorie Krieg

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