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Putins neue Weltuntergangs-Waffe?

Zwei Boote der Oscar Klasse

Es liegt mir fern, mich an irgendwelchen anderen MilBloggern oder YouTubern abzuarbeiten.
Denn diejenigen, die einer bestimmten Klientel folgen, werden das auch weiter tun. Weil sie dort ihr Weltbild widergespiegelt bekommen. Man nennt das in der Psychologie Confirmation Bias.
Das höchste, was passieren kann ist, dass man in eine Debatte gerät. In der diese Kandidaten einen mit Bullshit-Asymmetrie-Prinzip vor sich hertreiben. Reine Zeitverschwendung.

Vor ein paar Tagen bin ich jedoch über ein Video gestolpert, dass sehr genau und sehr falsch meinen alten Fachbereich betrifft.
Ich möchte nur einige getroffene Aussagen einmal kommentieren. Um zu zeigen, wie schnell man desinformiert wird und in einen Strudel gerät, der eine Parallelwelt ins Hirn pflanzt.

Auf YouTube ist der Herr Thomas Gast umtriebig. Ein ehemaliger Fremdenlegionär, der sich mit Survival-Zeug und „Wie man einem Polizei-Suchhund entkommt“ beschäftigt. Was 176.000 Abonnenten zu interessieren scheint.
Inzwischen ist Herr Gast auch dazu übergegangen, sich zu Politik und Strategie zu äußern.
Schwierig. Und „schwierig“ ist ein Euphemismus.

Er adressiert sehr deutlich an ein eher konservatives Publikum mit einem sehr maskulin-militärischen Bild. Auch „konservativ“ ist ein Euphemismus. Ich kenne so Archetypen vom Heer. Muss es wohl auch geben.
Gast war Fallschirmjäger. Daher gehe ich vom 2. Regiment bei Calvi auf Korsika aus.
Das bedeutet auch, dass er Infanterist und höchstens Unteroffizier war. Eine Offiziersausbildung kann man eigentlich ausschließen. Nur 10% der Offiziere der Legion kommen selber aus der Legion, und davon sind die allermeisten gebürtige Franzosen. Weil sie ein französisches Abitur abgelegt haben müssen.
Ich möchte das nicht herabsetzen, sondern in einen Kontext setzen: Nichts an diesem Werdegang zeigt eine Expertise in Strategie, Sicherheitspolitik oder nachrichtendienstlicher Analyse.

DAS droht Frankreichs Armee!!!!!!

In einem Video philosophiert er beispielsweise, man hätte das geleakte Gespräch um den Taurus absichtlich abhören lassen. Also eine quasi False-Flag-Aktion.
Er nennt das des Öfteren „Geheimgespräch“. Aber genau das ist der Punkt. Das war gar nicht so geheim. Und militärische Geheimnisse wurden auch nicht verraten, wie ich bereits ausführlich erklärt habe (Öffnet in neuem Fenster).
Es war ein stinknormales Gespräch als Vorbereitung zu einem 30-minütigen Briefing des Verteidigungsministers. Genau deshalb haben die beiden Generäle das ja wohl eher auf die leichte Schulter genommen und nicht-sichere Leitungen verwendet. Zumindest militärisch völlig unspektakulär.
Aber wenn man das ganze dramatisch überhöht, liegt die Annahme eines Verschwörungsmythos natürlich nahe.

Am 12. März veröffentlichte Gast ein Video mit dem Titel „DAS droht Frankreichs Armee bei einem Einmarsch in die Ukraine!!!“
Aber darin erklärt er gar nicht, was der französischen Armee droht.
Gut, vielleicht in den letzten Minuten, die ich zur psychischen Gesundheit ausmachen musste. Aber ich denke eher nicht.

Was Gast tatsächlich tut ist, ein Bedrohungsszenario aufzubauen in dem er erklärt, wie stark Russland und wie schwach die NATO ist. In einem anderen Video bezeichnet er Russland als Riesen und die NATO als Zwerg. Und da frage ich mich, ob sein Verhältnis zur Realität eher ein oberflächliches ist, oder wo man derart falsch abgebogen sein kann. (Die Militärausgaben der NATO betragen etwa das 18-fache der russischen.)

Nun gut, gehen wir einige Aussagen durch. Dann wird klarer, worauf ich hinaus will.

Die Belgorod

„Alle westlichen Politiker, die wollen Krieg um jeden Preis.“

Was soll man dazu noch sagen?
Da ist doch fraglich, warum die NATO nicht zumindest Truppen in die Ukraine schickt. Wäre doch schnell erledigt, das mit dem Krieg.
Geschenkt.

„Gehen wir mal von einem nuklearen Erstschlag aus. Was gibt es da für die Russen, welche Joker haben sie da im Ärmel? Da wäre zunächst mal die Belgorod.“

Und das war der Punkt, an dem es mich fast vom Hocker gehauen hätte.

Bereits im Juli 2022 habe ich mich ausführlich zu dem Teil geäußert. Weil die Bild Zeitung aufmachte „Was kann Putins Weltuntergangs-Waffe?“ Das Video dazu ist wohl nicht mehr öffentlich.

Was mich sofort hellhörig werden ließ, ist die Bezeichnung des Schiffs beim Namen. Weil das nachrichtendienstlich eher unüblich ist.
Denn die Belgorod gehört zur Oscar-II-Klasse. Und von der Oscar-Klasse insgesamt wurden 13 Stück gebaut. Also warum wird hier genau dieses eine Boot herausgestellt?

„Die Belgorod ist das größte Atom-U-Boot der Welt.“

Es ist das längste. Ob es das größte ist, ist fraglich. Auch wenn die Medien das gerne so kolportieren.
Beispielsweise hat die US-amerikanische Virginia Klasse weit mehr Besatzung und auch mehr Waffen an Bord. Größe, Länge oder Verdrängung ist bei U-Booten kein wirklich relevanter Maßstab. Denn Größe ist bei einem U-Boot ja etwas Schlechtes.

„Ich habe mir hier ein paar Notizen gemacht und da schaun‘ wir mal rein.“

Das sagt eigentlich schon alles, was man wissen muss.

„Was kann jetzt diese Belgorod? Die Belgorod taucht ab und sie ist weg. Man kann sie nicht aufklären.“

Da musste ich als ehemaliger Aufklärer an den Cartoon von Perscheid denken.

Was für eine Dramaturgie.
Tatsächlich ist es aber so, dass alle Atom-U-Boote das können und genau so können sollen. Egal ob die Oscar, die US-amerikanische Virginia oder Seawolf, die französische Triomphant, die chinesische Xia, die indische Arihant oder die britische Vanguard. Alles jeweils Klassen, alle Länder haben davon mehrere und weitere Klassen.

Die Belgorod ist also irgendwie gar nicht so besonders. Und selbstverständlich kann man sie aufklären. Jagd-U-Boote wie die deutsche 212 A oder der Exportschlager 214 sind genau darauf spezialisiert. Und obwohl Diesel, sind sie die leisesten der Welt. Deutschland ist da echt gut drin. Wirklich.
Deshalb hat Russland auch keine solche dicken Atom-U-Boote in der baltischen Flotte. Sie kämen durch Kattegat und Skagerrak nie da raus. Weil Deutschland und Dänemark den Ausgang bewachen. Ich war dabei.

„Wir wissen im Augenblick nicht, wo die Belgorod ist. Niemand weiß das. […] Die Amerikaner wissen nicht, wo die Belgorod ist, und das ist eine ständige Gefahr.“

Öh, doch. Wissen wir.
Sie gehört zur Nordmeer Flotte und da zur 29. U-Boot-Division. Das ist eine Spezialeinheit. Ich komme darauf zurück.
Sie liegt in Sewerodwinsk, wo sie offenbar wieder repariert wird. Dort ist auch die Sewmasch-Werft, in der sie gebaut wurde. Vielleicht wird sie danach wieder zum Hauptquartier der Flotte in Seweromorsk verlegt. Aber das ist nur so in die Tüte gesprochen.

Satellitenbild von Sewerodwinsk mit der Belgorod

Hat mich am heimischen PC etwa acht Minuten gekostet, sie zu finden.
Nix zu danken. Helfe gerne.

„Was hat die Belgorod jetzt für Waffen an Bord? Die Belgorod hat vor allem sechs nuklear betriebene Torpedos. Einige sprechen auch von Unterwasser-Drohnen oder Wasserdrohnen allgemein. […]
Wenn sie [Belgorod] jetzt zum Beispiel irgendwo im Atlantik ist […] oder vor der Küste der Vereinigten Staaten, dann ist sie auf jeden Fall in der Lage, jede europäische und jede amerikanische Stadt zu striken.“

An dem Punkt wird es dann doch etwas zu phantasievoll. Auf den Rest gehe ich gar nicht erst ein. Und über den angeblichen Verbündeten China wird an anderer Stelle zu sprechen sein.
Wie eine Unterwasserdrohne Kansas City oder München erreichen soll, bleibt das Geheimnis von Herrn Gast.

Kommen wir zur Auflösung dieses Dramas.
Sie brauchen nicht mitschreiben, ist nicht prüfungsrelevant.

SSBN und SSGN

Das „Atom“ in „Atom-U-Boot“ bedeutet nicht, dass die Schiffe mit Atomwaffen beladen sind. Sondern dass sie einen atomaren Antrieb haben.

Es gibt SSGN und SSBN. Das sind diese dicken Pötte.
SSGN, wie die Oscar Klasse, haben Raketen an Bord, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können. SSBN haben auch solche Raketen, aber ballistische. Also Langstrecken- oder Interkontinentalraketen. Die gibt’s nur mit Atom.

Die Logik eines Atomkrieges läuft wie folgt:
Der Erste schießt Atomraketen auf den anderen. Das ist der Erstschlag.
Der Andere startet sofort die eigenen Atomraketen, noch bevor die Raketen des Angreifers eingeschlagen sind. Denn die würden die eigenen Raketen ja zerstören.

Diese SSBN tauchen schon ab, bevor der Angreifer den Erstschlag ausführt. Deshalb haben die alle eine enorme Reichweite, können monatelang tauchen und sind autark. Und super-geheim. Da ist die Belgorod also gar nichts Besonderes.
Sind die Raketen hin und her geflogen, tauchen diese U-Boote wieder auf und feuern ihre Raketen ab. Nun, eigentlich müssen sie dafür nicht einmal auftauchen. Und die Ziele haben sie vorher schon bekommen.
Deshalb sind das so genannte Drittschlagwaffen.

Und deshalb werden solche U-Boote auch nie für einen Erstschlag eingesetzt werden. Das ist völlig unlogisch. Denn der Angreifer würde damit ja direkt alle Karten auf den Tisch legen.
Zudem würden diese dicken Brummer dann von den Jagd-U-Booten gejagt werden. Denn spätestens dann weiß man ja, wo sie sind. Bedeutet: Hat so ein Ding erst einmal geschossen, ist es eigentlich wertlos.

Was sein könnte - mit einem ganz großen Konjunktiv - wäre, dass man ein SSGN, wie zum Beispiel die Oscar, atomar bestückt und sie dann auf ein Ziel ansetzt, ohne direkt das ganz große Fass aufzumachen. Auf Südafrika oder Argentinien oder so. Aber sicher nicht gegen ein NATO-Mitglied. Es wäre das Ende Russlands.

Die Oscar kommt aus dem kalten Krieg. Die erste wurde 1975 gebaut.
Mal vom Untergang der Kursk gehört? Richtig. Das war eine Oscar.
Die Belgorod ist ein Sonderfall. Aber ein ganz anderer, als der Herr Gast erzählt.

Die angebliche Wunderwaffe

Die Belgorod wurde schon 1992 auf Kiel gelegt. Da ging der Bau also los.
Das war in Sewerodwinsk. Genau da, wo sie gerade auch liegt. Und offenbar repariert oder gewartet wird.

Als in den 90ern die Sowjetunion zerfiel, war auch keine Kohle mehr für das riesige Militär da. Das habe ich so häufig erklärt, weil wohl sehr viele bis heute Russland mit der Sowjetunion verwechseln.
In Russland leben weniger Menschen als in Deutschland und Frankreich zusammen. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist fast doppelt so groß wie das russische. Trotz viel weniger Einwohnern. Etwa ein Viertel der Russen hat keinen Anschluss an die Kanalisation.

Und so wurde ab 1997 nicht mehr weiter an der Belgorod gebaut.
Als die Kursk 2000 gesunken ist, wurde überlegt, ob die Belgorod fertiggestellt werden soll, um die Kursk zu ersetzen.
2004 war der Rumpf fast fertig. Aber das Ministerium konnte nicht zahlen. Weshalb die Sewmasch-Werft den Bau dann aus eigener Tasche weiter betrieb. In der Hoffnung, dass Russland das Ding irgendwann mal bezahlen kann. Aber es wurde weit langsamer gebaut.

2006 war die Belgorod zu 80% fertig. Als der Verteidigungsminister bei einem Besuch in der Werft sagte: „Och nö, wir wollen die doch nicht.“
2012 wurde sie komplett umgeplant zu einem „Multifunktions-U-Boot“. Eben weil sie so groß ist.
2018 sollte sie an die Marine gehen. Das fand jedoch erst 2019 statt.
Klingt das nach einer Wunderwaffe?

2015 wurde das „Status-6 Oceanic Multipurpose System“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Es erhielt den Namen Poseidon, die NATO nennt es Kanyon. Das sind diese Unterwasserdrohnen, die Herr Gast anspricht.
Also unbemannte U-Boote, die auch nukleare Gefechtsköpfe tragen können sollen.

Ob das aber jemals Realität wird, ist mehr als fraglich.
Die Poseidon wurde als neue Wunderwaffe 2018 von Putin präsentiert. Und inzwischen dürfte sich herumgesprochen haben, was mit den anderen Wunderwaffen bisher so passiert ist.
Der Wunderpanzer T-14 Armata blieb ausgerechnet bei einer Parade liegen und musste abgeschleppt werden. Bis 2020 sollten 2300 dieser neuen Kampfpanzer im Dienst sein. Derzeit existieren wohl etwa ein Dutzend.

Die Interkontinentalrakete Sarmat (SS-X-29/30) kann wohl fliegen. Es wurde ein Versuch durchgeführt. Um auf dicke Hose zu machen, kurz nach dem Überfall auf die Ukraine.
Aber die kommt ja nicht obendrauf, sondern soll das alte Zeug ersetzen. Das wahrscheinlich in den Silos unintelligent rumsteht. Aber um das alles zu ersetzen, ist ein Versuch 2022 etwas wenig. Die sollte eigentlich schon 2016 fertig sein.

Und vielleicht sagt jemand mal Herrn Gast Bescheid, dass die angeblich nicht abfangbare Hyperschall-Rakete Kinschal abgefangen wurde. Und scheiß teuer ist.

Tatsächlich sollte die Belgorod dann 2019 an die Pazifikflotte gehen. Als „normales“ SSGN.
Inzwischen ist sie aber als Mutterschiff für ein ebenfalls atomgetriebenes U-Boot konstruiert. Das aber gar nicht bewaffnet ist. Sondern u.a. Sonden absetzen kann.
Deshalb wird die Belgorod derzeit als „Intelligence“ eingestuft, also als Aufklärer. Das macht auch total Sinn. Denn da das Eis im Nordmeer zurückgeht, wird da oben immer mehr Schiffsverkehr stattfinden. Und daran hat Russland natürlich ein Interesse.
Und genau deshalb gehört die Belgorod derzeit zur 29. U-Boot-Divison. Denn das ist eine Forschungsabteilung.
2021 lief sie einmal zu Tests aus. Die aber laut Analysten nicht durchgeführt wurden. Danach kehrte sie unverrichteter Dinge wieder zurück. 2022 sollte sie wohl doch wieder zur Pazifik-Flotte.

Ob die Poseidon überhaupt existiert, wissen höchstens die Nachrichtendienste. Und die Bild Zeitung. Die aber lediglich das nachplappert, was an russischen, feuchten Wunschträumen erzählt wird. Denn diese ganze Nummer wurde dick zur besten Sendezeit von den russischen Propaganda-Medien aufgemacht: Die Poseidon könne ganz England überschwemmen.
Ob diese Poseidon dann tatsächlich durch eine Unterwasser-Explosion einen Tsunami auslösen können, der Küstenstädte zerstört, wage ich mal zu bezweifeln.
Aber was weiß ich schon? Ich war nie gut in Füsiek.

Parallelwelten

„Russland ist die modernste und stärkste Atommacht der Welt.“

Nein, Herr Gast. Sie ist ganz sicher nicht die modernste. Das Allermeiste, was die in den Silos stehen haben, ist aus dem kalten Krieg. Und viel Neues können sie sich nicht leisten.
Ob es noch die stärkste Atommacht ist, wage ich zu bezweifeln.

Anhand dieses Beispiels wollte ich einmal zeigen, was dem geneigten Zuschauer für Halbwahrheiten und Parallelwelten angeboten werden. Verhaftet in einem Weltbild der 1980er.
Genauso könnte ich viele weitere Äußerungen zerlegen.

Aber wer es bis hier geschafft hat merkt, wie aufwändig es ist, so etwas zu widerlegen. Das ist Brandolinis Gesetz oder das Bullshit-Asymmetrie-Prinzip. Es kostet weit weniger Arbeit, sich im Confirmation Bias irgendetwas zusammenzusuchen, sich vor eine Kamera zu setzen und etwas zu erzählen, als das dann zu widerlegen.

Und dafür ist mir das Wochenende auch echt zu kostbar.
Laut meinem Haus-Geologen ist die Tsunami-Wahrscheinlichkeit sehr gering. Vor allem in München.

Kategorie Krieg

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