Wissenschaftliches Wissen als Abkürzung und Sackgasse

Unsere Fähigkeit, Phänomene wissenschaftlich zu beschreiben, blockiert unsere Kapazität zu spüren und zu fühlen. In der Wissenschaft wird generell zwischen objektiv und subjektiv unterschieden. Alles, was mit Fühlen oder Spüren zu tun hat, wird als subjektiv gekennzeichnet und nicht als wissenschaftliches Ergebnis anerkannt. Dieses Denken und diese Praxis haben eine lange Tradition. Eine Tradition, die massiv rassistisch, kolonialistisch und eurozentristisch geprägt ist.

Zahlreiche Empowermentprozesse beginnen mit dem Lesen von Texten. Viele dieser Texte sind hoch wissenschaftlich formuliert. Auch, weil es empowernd sein kann, unsere bis dahin wortlosen Erfahrungen schwarz auf weiß aufgeschrieben zu sehen. Ein Hoch auf unser Hirn. Außerdem Blessings an all jene, die in den letzten Jahrhunderten nicht müde wurden, Rassismus zu sezieren, zu analysieren und präzise zu beschreiben.

In Empowermentprozessen verleitet uns der Fokus auf wissenschaftlich Verschriftlichtes eine wichtige Phase zu überspringen: Die Phase des Fühlens und Spürens. Vom alltäglichen Erleben nehmen wir über die wissenschaftliche Beschreibung die direkte Abkürzung zur Widerstandsstrategie. In den seltensten Fällen allerdings haben unsere Vorfahr:innen zuerst einen Text zur Hand genommen, bevor sie Widerstand leisteten. Vielmehr war der Widerstand einer, der vom Körper aus initiiert war. Von starkem Schmerz, großer Wut, tiefer Trauer oder auch großer Freude. Allesamt Gefühle, die mit ganz konkreten physischen Prozessen einhergehen. Und zu einer wirksamen Handlung führen können. Mittlerweile wird die Notwendigkeit des Fühlens und Spürens kaum wahrgenommen. Zugespitzt formuliert: Wir denken, wir lesen einen Text und wissen dann, wie wir Rassismus entlernen können. Doch da fehlt was. Uns fehlt der Mut, Rassismus zu fühlen. Sowohl emotional als auch physisch.

#unlearningoppressionthroughthebody @thelovinggaze (Öffnet in neuem Fenster)