Zum Hauptinhalt springen

AUF WILDEN, HITZIGEN, QUEEREN PFERDEN SITZEN

FILM-KRITIK

„Es erinnerte mich an eine platonische Beziehung, die ich als junger Mann mit einer queeren Frau hatte und dass die Intensität unseres Verhältnisses sowohl uns beide verwirrte als auch unsere queeren Freunde und ihre Erwartungen an uns. Ich fühlte mich deshalb dazu berufen, diese Geschichte zu erzählen und den Film zu realisieren.“ - Regisseur Daniel Minahan

Die Geschichte, die Produzent und Regisseur Daniel Minahan (u. a. Hollywood, Ratched, Halston, Fellow Travelers) hier meint, heißt ON SWIFT HORSES und ist als Roman 2019 erschienen (und liegt leider bisher nicht in deutscher Übersetzung vor). Darin erzählt Shannon Pufahl eine queere Geschichte von Emanzipation und verlockender Freiheit in beengten Zeiten, in denen es im Grunde noch keine heutzutage so genannten Diskursräume gab. Nämlich im Amerika der 1950er-Jahre in der Eisenhower-Ära, direkt nach dem Koreakrieg und dem Ende der repressiven, ultra-konservativen und menschenfeindlichen, in mehrerlei Hinsicht angstvollen McCarthy-Ära (in diesem Zusammenhang lohnt erst recht ein Blick auf die achtteilige Miniserie Fellow Travelers).

Throuple? Lee (Will Poulter), seine Verlobte/Frau Muriel (Daisy Edgar-Jones) und sein Bruder Julius (Jacob Elordi) // © Leonine Distribution
Throuple? Lee (Will Poulter), seine Verlobte/Frau Muriel (Daisy Edgar-Jones) und sein Bruder Julius (Jacob Elordi) wider der konservativen Norm // © Leonine Distribution

Natürlich sind die Menschen, vor allem diese jungen Leute um die Mitte/Ende zwanzig, geprägt von den Jahren zuvor, dem Krieg, den gesellschaftlichen Erwartungen, der heteronormativen Norm sowie einem Aufstiegsgedanken, wenn auch verknüpft mit klar zugewiesenen Rollen. Ob es nun um die Stellung im Sinne von Klasse innerhalb des (nord-)amerikanischen Mikrokosmos oder die sexuelle (und natürlich erst recht geschlechtliche) Identität geht.

Das intensive Verhältnis, auf das Minahan hier anspielt, bezieht sich auf die Figuren Muriel (Daisy Edgar-Jones, Twisters, Mord im Auftrag Gottes) und Julius (Jacob Elordi, The Narrow Road to the Deep North, Saltburn, Euphoria, Priscillaaktuell in der ZDF-Mediathek zu finden (Öffnet in neuem Fenster)). Er wird ihr Schwager und doch reicht der kurze Moment seiner Ankunft in Kansas, als er im Winter oben ohne auf der Motorhaube liegt, sie ihm Zigarette und Streichhölzer nach unten wirft, um einander zu erkennen und sich zu verlieben.

Platonische Chemie: Muriel (Daisy Edgar-Jones) und Schwager Julius (Jacob Elordi) während einer ihrer seltenen Begegnungen
Platonische Chemie: Muriel (Daisy Edgar-Jones) und Schwager Julius (Jacob Elordi) während einer ihrer seltenen Begegnungen // © Leonine Distribution

Diese Liebe bleibt eine platonische, romantische. Sie sehen einander kaum vierundzwanzig Stunden, natürlich in Gegenwart von Muriels Neu-Verlobtem und Julius' Bruder Leo (Will Poulter, Warfare, Death of a Unicorn) und doch reichen stille Momente, ein kurzer Austausch, ein kleiner Tanz, um zu sehen, dass sie beide – queere – Glücksspieler sind, wie es auch Daniel Minahan bezogen auf sein Kinodebüt formuliert. So sagt Julius im perfekt getimten Drehbuch von Bryce Kass zu ihr, dass sie genau sehe, was vor sich gehe. In den Menschen, ihren Erwartungshaltungen und Vermutungen, dass sie hinter die Dinge schaue, die von ihr erwartet würden. Spielende, die einander erkennen, sich spiegeln.

An sich wollen sie als Trio nach San Diego, Kalifornien, um dort das große Glück (oder so etwas in der Art) zu suchen und zu finden. Doch nicht nur ist Julius „anders“, er ist auch ein Glückssucher im Alleingang, der sich zwar nach Nähe zu sehnen scheint, doch ruhe- und haltlos ist. Seine stoische Ausstrahlung und vermeintliche Abgeklärtheit scheint inneres Beben, Sorge vor Enttäuschung und Zweifel zu kaschieren. Ähnlich sieht es bei Muriel aus, die unter Frisur und hinter ihrem Lächeln nicht nur ihre Bisexualität und Spiellust verbirgt, sondern auch eine unangepasste Eigenständigkeit.

Das heimliche Leben: Gail (Kat Cunning) und Muriel (Daisy Edgar-Jones) beim Pferderennen // © Leonine Distribution
Das heimliche Leben: Gail (Kat Cunning) und Muriel (Daisy Edgar-Jones) beim Pferderennen // © Leonine Distribution

Muriel lässt sich von Lee mehr oder minder breitschlagen, ein Ranch-Haus (keine Ranch!) in einem Siedlungs-Neubau-Projekt in San Diego zu erwerben und dafür vermeintlich das ihr vererbte Haus zu verkaufen. Allein, sie verkauft es nicht, sondern finanziert das neue Haus zum Teil mit Geld, das sie bei heimlichen Pferdewetten gewonnen hat. Auf der Rennbahn trifft sie zudem auf Gail (Kat Cunning), die ihr bedeutet, sie doch einmal in einer Bar im Hotel Chester zu treffen...

...den geübten Poker-und-Co.-Spieler Julius hingegen hat es in die Wüste Nevadas nach Las Vegas verschlagen. Statt Spielhöllen und Casinos abzuzocken, zu schummeln, lügen und stehlen, bewirbt er sich lieber bei Terence (Don Swayze in finsterer Nebenrolle) als eine Art Watchdog. Nun beobachtet er Spielende, filtert Betrüger*innen raus. Genauso gern beobachtet Julius auf dem aufgeheizten Casino-Dachboden den Kollegen Henry (großartig: Diego Calva), der schnell sein (naturgemäß leider heimlicher) Lover wird. Der aus Mexiko kommende Henry allerdings will mehr als nur ein wenig luftiges Fummeln und Vögeln in Not-So-Tighty-Whities, sondern die große Kohle und ist bemüht, Julius davon zu überzeugen, ihren Arbeitgeber zu hintergehen: „I'm just gonna wear you down. You know that, right?“

Atomwaffentest als Party-Spektakel in der Wüste Nevadas: Julius (Jacob Elordi) und Henry (Diego Calva) nutzen es zur Annäherung // © Leonine Distribution
Atomwaffentest als Party-Spektakel in der Wüste Nevadas: Julius (Jacob Elordi) und Henry (Diego Calva) nutzen es zur Annäherung // © Leonine Distribution

Regisseur Daniel Minahan und Drehbuchautor Bryce Kass mischen in ON SWIFT HORSES die Story der queeren Glücksspieler mit dem häuslichen Melodrama einer Nicht-Hausfrau der 1950er-Jahre, ein wenig Film-Noir im zwielichtigen Las Vegas, dem Entdecken der verborgenen Möglichkeiten, in einem Land, das eben nicht so unbegrenzt ist, wie es heißt. „Das Glücksspiel wird zur Chiffre für die queere Liebe, das Geld zum Symbol der Freiheit“, so Minahan im Presseheft.

Diese Chiffre respektive diese Codes, die beispielsweise Julius und Henry anfangs austauschen, als sie als Duo in anderen Casinos auftauchen, können auch als Bezug auf das Erkennen und Kommunizieren in einer homosexuellen und queeren Menschen feindlich gesinnten Umgebung interpretiert werden. Dass es hier im 19. und 20. Jahrhundert ausgeklügelte Systeme gab, erfahren wir beispielsweise in einem Essay von Régis Schlagdenhauffen im Bildband LOVING. Männer, die sich lieben (queer review in Kürze).

Sandra (Sasha Calle) öffnet Muriel (Daisy Edgar-Jones) die Tür in eine neue Welt // © Leonine Distribution
Sandra (Sasha Calle) öffnet Muriel (Daisy Edgar-Jones) die Tür in eine neue Welt // © Leonine Distribution

All jene Codes, genau wie andere kleine Gesten und Blicke, Momente der Verwirrung wie Klarheit fängt Kameramann Luc Montpellier perfekt ein. Überhaupt ist ON SWIFT HORSES ein Film fantastischer, ja epischer Weitwinkel-Landschaftsaufnahmen, sexy Einstellungen des Intimen und vielsagender Close-Ups. So bricht es uns das Herz, wenn wir sehen, wie Poulters Lee nach und nach erkennt, dass die von ihm so geliebte Muriel, die mittlerweile eine Affäre mit ihrer lesbischen Nachbarin Sandra (Sasha Calle) genießt, ihr richtiges Leben nicht im falschen findet. Zwar ist er ein Mann seiner Zeit, der Normalität und Struktur schätzt, aber eben kein Klischee-Abziehbild, wie wir sie so oft in derlei Filme erleben. Nein, Lee ist zwar nicht der aufmerksamste Kerl, aber eben doch ein wirklich guter (Ehe-)Mann.

Vertrautheit oder Ende Gelände? Muriel (Daisy Edgar-Jones) und ihr Mann Lee (Will Poulter) // © Leonine Distribution
Vertrautheit oder Ende Gelände? Muriel (Daisy Edgar-Jones) und ihr Mann Lee (Will Poulter) // © Leonine Distribution

„Der wahre Antagonist dieses Films kommt aus dem Inneren unserer beiden Helden. Sie haben den Wunsch, sich authentisch auszuleben. Doch um das zu erreichen, müssen sie andere Menschen verletzen“, so Minahan über Muriel und Julius und deren Lebens-Zauberwürfel, den zu knacken, unsere Glücksspieler kaum in der Lage sind. So könnten wir ebenso sagen, dass sie letztlich aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten, der Repressionen in einer heteronormativ-binär gestalten Welt, sie dazu zwingen, zu imitieren, was von ihnen erwartet wird und somit letztlich zwangsläufig (geliebte) Menschen enttäuschen müssen.

Glaubwürdig, einfühlsam und packend vermitteln die Britin Daisy Edgar-Jones und der Australier Jacob Elordi eine innere Zerrissenheit gepaart mit dem Wunsch und Willen nach Selbstverwirklichung und einer gewissen Zielstrebigkeit, doch wenigstens Momente des persönlichen Glücks oder wenigstens der Zufriedenheit zu finden. ON SWIFT HORSES nimmt uns nicht selten an unerwarteter Stelle mit, dies gänzlich ohne große aufgeblasene, dramatische Szenen, ohne viel Gebrüll oder soapige Zusammenbrüche.

Julius (Jacob Elordi) im Casino... // © Leonine Distribution
Lieblingsorte: Julius (Jacob Elordi) im Casino und... // © Leonine Distribution

Das Erzähltempo ist entschleunigt, aber nie fad, dafür bei aller Ruhe doch oft mitreißend. Unterstrichen wird das durch die stimmungsvolle Musik von Mark Orton und den für den Film geschriebenen „Song for Henry“, den Loren Kramar perfekt performt und der in Ton und Text die Quintessenz dieses, ja, was soll's, berührenden, ästhetischen, tiefgehenden, leidenschaftlichen, wehmütigen und doch hoffnungsvollen Ausnahmefilms festhält.

„I got you here in this room, but nowhere else.“

Umso verwunderlicher ist es, dass der Verleih (in den USA ist es Sony, hierzulande Leonine Distribution, die aber natürlich auf das Originalmaterial zurückgreifen müssen), mit der ausgiebigen Queerness und der historischen Einordnung derselben so hinter dem Berg hält. Sich in Trailer und Texten gar eher dazu hinreißen lässt, es so wirken zu lassen, als erzähle ON SWIFT HORSES eine Dreiecksgeschichte Lee-Muriel-Julius, in der der Schwager mit der Ehefrau anbandelt.

Henry (Diego Calva) im Bett // © Leonine Distribution
...Henry (Diego Calva) im Bett // © Leonine Distribution

Sicher, die beiden lieben sich hier, aber eben auf eine andere Art, wie oben erwähnt. Warum also diese Marketingkampagne? Die mit Blick auf die Box Office-Zahlen eher fehlschlägt. Weil Elordis Figur in der neuen Limited Series The Narrow Road to the Deep North (wohl) eine Affäre mit der Frau seines Onkels anfängt (unsere queer review folgt)? Mah, das kann es kaum sein. Und vor allem: Haben Sony und Co. nicht erkannt, wie stark Queers wie Allies nach derlei Geschichten auch im großen Format verlangen? Wie sehr Will Poulter, Diego Calva sowie Daisy Edgar-Jones und vor allem Jacob Elordi mit ihren Performances, ihrem Aussehen und ihrer jeweiligen Attitude in der LSBTIQ*-Community ankommen? (Elordi spielt ja nicht umsonst ständig ambivalente, gay-/queer-konnotierte Rollen.)

https://www.youtube.com/watch?v=ieRdSGpTf5U (Öffnet in neuem Fenster)

Dass eine so tolle, durch und durch queere Literaturverfilmung zumindest in den us-amerikanischen Kinos nicht die Aufmerksamkeit erfährt, die er verdient (er ist als Limited Release in 255 Lichtspielhäusern gestartet und lief zuletzt nur noch in neun Kinos), ist bedauerlich; mittlerweile ist er in den USA im Stream verfügbar. Vermittelt Sony allerdings hoffentlich, dass da wohl in der Planung etwas recht kurzsichtig und, uhm, dumm ablief. Möglicherweise handelt es sich auch hier um einen Trump-Vance-Kollateralschaden. Hierzulande ist das queere und menschliche Drama am vergangenen Donnerstag im Kino gestartet. Geht hin, es lohnt sich: ON SWIFT HORSES ist ein atomarer Leinwandfilm.

JW

PS: Gesehen in der englischsprachigen Fassung, die wir, wie beinahe immer, eher empfehlen als die (wohl durchaus gut) synchronisierte Version.

https://steadyhq.com/de/thelittlequeerreview/posts/46625637-c422-4d13-9f93-928b5ed2a8a1 (Öffnet in neuem Fenster)

PPS: Leider ist unser eigentliches Online-Magazin noch immer nicht wieder erreichbar (siehe unten). Dort hatten wir vor einiger Zeit das wunderbare Postkarten-Buch QUEER HORSES von Stef Moseback besprochen. Erschienen im Verlag Kettler bleibt es eine Empfehlung! Hier geht es zum Buch (Öffnet in neuem Fenster). (KEIN Affiliate-Link!)

IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Öffnet in neuem Fenster) oder auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster). Außerdem freuen wir uns immer, wenn ihr uns einen Kaffee spendieren wollt (Öffnet in neuem Fenster).

ON SWIFT HORSES ist seit dem 29. Mai 2025 im Kino zu sehen.

On Swift Horses; USA 2025; Regie: Daniel Minahan; Drehbuch: Brysce Kass, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Shannon Pufahl; Bildgestaltung: Luc Montpellier; Musik: Mark Orton; Darsteller*innen: Daisy Edgar-Jones, Jacob Elordi, Will Poulter, Diego Calva, Sasha Calle, Kat Cunning, Don Swayze, u. a.; Laufzeit ca, 119 Minuten; FSK: 12; im Kino

Kategorie Film

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von the little queer review und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden