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DIE SCHÖNEN UNTER DER SONNE

FILM-KRITIK

„Beim Lesen musste ich immer denken, dass das genau die Art von Film ist, in der ich gerne dabei wäre, eine Art von Film, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Von so etwas hatte ich geträumt!“

So Hauptdarsteller Sam Riley über sein Empfinden beim Lesen des Drehbuchs von Jan-Ole Gerster, Blaž Kutin, Lawrie Doran zu ISLANDS, dem dritten Spielfilm des deutschen Cineasten Gerster, der am 8. Mai 2025 im Kino startet. Ein Gefühl, das der Autor dieser Zeilen nur allzu gut nachvollziehen kann. In der Tat ist der auf Fuerteventura spielende ISLANDS eine Art Unikum. Das mag bei Jan-Ole Gerster nicht verwundern, waren sein Debüt „Oh, Boy“ mit Tom Schilling – einer DER Berlin-Filme – sowie der Nachfolger „Lara“ mit Corinna Harfouch (und Schilling), um eine 60-jährige Frau, die einen großen Fehler aus der Vergangenheit ausbügeln möchte, doch jeweils Filme, die es so auch nicht mehr gibt oder noch nie gab.

Ein Zaun, Anne, Anton Tennislehrer Tom auf Platz in Fuerteventura
Anne (Stacy Martin) und Anton (Dylan Torrell) warten auf den Tennislehrer (Sam Riley) // © 2025 augenschein Filmproduktion / LEONINE Studios, Foto: Juan Sarmiento G.

Eine Mischung aus eskapistischer Urlaubsszenerie, vielschichtigem Beziehungs- respektive Menschendrama und teils surrealem Film Noir. Dabei spüren wir immer die salzig-sandige Luft der Insel mit den sie umgebenden, brodelnden, nie (?) ausbrechenden Vulkanen. Allein die klimatische Atmosphäre steht sinnbildlich für die drei Hauptfiguren: den Tennislehrer einer typischen Massen-Hotelanlage Tom (Sam Riley) sowie das angereiste Ehepaar Anne (Stacy Martin) und Dave (Jack Farthing).

Die so attraktive wie mysteriöse Anne bucht Tennisstunden für ihren siebenjährigen Sohn Anton (Dylan Torrell) beim in einem Kreis aus Unterricht, Saufen, Feiern und Vögeln darbenden Tom, der einstmals Tennisprofi war (seine Einführungsszene ist ein alles sagendes Fest). Sowohl das Kind als auch das eigenwillige Paar scheinen Tom sympathisch. Jedenfalls bietet er ihnen nach einem Cringe-Dinner (sinngemäß: „Du hast die Firma von Papa in den Sand gesetzt.“ – „Du hast in der schlechtesten Serie ever mitgespielt.“) an, ihnen die Insel mitsamt Geheimtipps zu zeigen.

Fotografie Meer Fuerteventura Tom Dave Anne Küste ISLANDS Kino
Inseltour mit Fotostopps: Dave (Jack Farthing) fotografiert Tom (Sam Riley), Anne (Stacy Martin) und Anton (Dylan Torrell) // © 2025 augenschein Filmproduktion / LEONINE Studios, Foto: Juan Sarmiento G.

Der Ausflug entpuppt sich als schön gefilmte Metapher für eine Mischung aus verbotener Nähe und unangenehmen Momenten. Was im Grunde für den gesamten Film gilt. Die wunderbaren Einstellungen von Kameramann Juan Sarmiento korrelieren mit Blicken und Dialogen größtmöglichen Unwohlseins (viele Szenen sind übrigens in einer einzigen Einstellung und bei laufendem Hotelbetrieb gedreht worden). An anderer Stelle ergänzt die Musik von Dascha Dauenhauer (aktuell auch „KEIN TIER. SO WILD.“, unsere queer review folgt) die luftige Sexyness von ISLANDS.

Im ersten Drittel folgen wir diesem Semi-Throuple (plus Kind) und wähnen uns in einem sich zur sonnigen Eskalation schlängelnden Beziehungsdrama. Es scheint um die Fragen nach dem richtigen Leben im falschen zu gehen oder auch darum, wie sehr uns vermeintliche Verpflichtungen in Rollenmuster zwingen. Dann allerdings verschwindet Dave nach einer durchzechten Nacht. Anne und Tom, der sich nun ständig freinimmt, begeben sich auf die Suche nach dem fahrigen, von seiner Familienvater-Und-Ehemann-Rolle überforderten Mann. Abgehauen? Im Suff gestürzt und ersoffen? Von Einheimischen abgeschlachtet (Hey, True-Crime-Fans!)?

Anne Tom Polizei Schreibtisch ISLANDS Kinofilm Fuerteventura
Anne (Stacy Martin) und Tom (Sam Riley) geben bei der Polizei (Pep Ambròs) eine Vermisstenanzeige auf... // © 2025 augenschein Filmproduktion / LEONINE Studios, Foto: Juan Sarmiento G.

Je länger die zwei nun suchen, desto deutlicher werden zwei Dinge. Erstens: Da ist eine harte Anziehung, außerdem scheint es, als würden sie sich kennen. Zweitens: Möglicherweise hat Anne den Urlaub genutzt, um sich ihres Göttergatten Dave inmitten dieser ISLANDS zu entledigen. Es dauert nicht lange und aus der nun angewachsenen Suche nach einer vermissten Person wird eine mögliche Mordermittlung. Wenn auch ohne Leiche.

Die geneigten Zuschauer*innen mögen die gesamte Laufzeit über einen Hauch von Highsmith, ein wenig Antlitz Antonionis und ein bisschen Lust auf Lynch spüren. Einmal abgesehen von dem überschaubaren Haupt-Ensemble gibt es zudem einen starken Christie-Charme. Anfangs lernen wir die Figuren, ihre Konstellationen, vermeintlichen Bedürfnisse und Sorgen etc. kennen, um schließlich einem möglichen Verbrechen und dessen Aufklärung beizuwohnen.

Tom Anne Martini Fuerteventura Terrasse ISLANDS Kinofilm
Annes (Stacy Martin) Verhalten gibt Tom (Sam Riley) Rätsel auf (und nicht nur ihm) // © 2025 augenschein Filmproduktion / LEONINE Studios, Foto: Juan Sarmiento G.

So mag all das Schöne und vor allem die drei wirklich Schönen auch vom Bösen befallen sein. Anne bietet sich als Projektionsfläche für alles Mögliche an. Sie scheint mit ihren Gedanken hinterm Vulkan zu halten, wirkt manipulativ, lügt usw. usf. Doch womöglich ist das Selbstschutz. Zuletzt unterwegs mit Dave jedenfalls war Tom... Hmm... Hat er ein Hindernis vom Platz geschlagen? Who knows...

Lange, laaaange, wissen wir nicht, was hier vor sich geht und das Autorenteam um Regisseur Jan-Ole Gerster, Blaž Kutin und Lawrie Doran, hat sichtlich Freude daran, uns im Ungenauen zu lassen. Ein wenig wie beim gewohnheitsmäßigen, morgendlichen Kater Toms, ist's etwas neblig bei ISLANDS. Das bringt Freude, auch wenn mensch womöglich nicht so recht weiß, was genau er oder sie hier eigentlich zu sehen bekommt.

Zigarette Tom Wand tennisplatz ISLANDS Fuerteventura
Nötig: Die Zigarette danach. Tom (Sam Riley) am Rand des Tennisplatzes // © 2025 augenschein Filmproduktion / LEONINE Studios, Foto: Juan Sarmiento G.

Das allerdings, so meine ich, ist ein Vorteil. Nicht immer muss alles allzu eindeutig zuzuordnen sein, um zu gefallen. „DEATH OF A UNICORN (Öffnet in neuem Fenster)“, „Des Teufels Bad“ oder auch „The Ugly Stepsister“ ziehen ihren Reiz auch daraus, sich jeder allzu konkreten Zuteilung zu entziehen. Nur muss mensch sich darauf einlassen wollen, sonst wird dieser ISLANDS-Aufenthalt eine unangenehme Nummer.

https://www.youtube.com/watch?v=1qxDGVToNAI (Öffnet in neuem Fenster)

Während und nach der Vorführung bekam ich durchaus einigen Unmut, manch Langeweile und gar Frust mit. Andere wiederum waren eher beeindruckt von der Nummer. So fühlte ich mich durchweg gefesselt, gut unterhalten (die teils kargen Dialoge sind arg süffisant) und hab mich geärgert, als ich mal kurz zur Pinkelpause musste. Verpassen wollte ich nichts von diesem famosen Spiel der drei Schönen und Talentierten unter der Staub-Sonne Fuerteventuras, die das Böse an Stellen versteckt hält, an denen damit nicht zu rechnen wäre...

AS

PS: ISLANDS ist nach „Challengers“ schon wieder undurchsichtiges Tennis mit drei Hotties. Nettes Subgenre eigentlich.

https://steadyhq.com/de/thelittlequeerreview/posts/55a71840-6e3d-4dbf-bfac-17b0aed76701 (Öffnet in neuem Fenster)

PPS: Der vielschichtige ISLANDS ist - verdient - vierfach für den Deutschen Filmpreis 2025 nominiert und geht am 9. Mai in den Kategorien „Bester Film“, „Beste männliche Hauptrolle“, „Beste Filmmusik“ und „Beste Tongestaltung“ ins Rennen um eine Lola. Wir werden den Beitrag aktualisieren, sobald die Preisträger*innen bekannt sind.

IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Öffnet in neuem Fenster) oder auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster).

ISLANDS startet am 8. Mai 2025 im Kino

ISLANDS; Deutschland 2025; Regie: Jan-Ole Gerster; Jan-Ole Gerster, Blaž Kutin, Lawrie Doran; Bildgestaltung: Juan Sarmiento; Musik: Dascha Dauenhauer; Darsteller*innen: Sam Riley, Stacy Martin, Jake Farthing, Dylan Torrell, Pep Ambròs, Bruna Cusi, Ramiro Blas, Ahmed Boulane, Fatima Adoum; FSK: 6; Laufzeit ca. 123 Minuten

Kategorie Film

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