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WALDSTERBEN VS. IM WALD STERBEN

FILM-KRITIK

Meinungen gehen oft weit auseinander. Was grundsätzlich kein Problem wäre, wenn wir dabei gesittet blieben und uns an ein paar Grundregel hielten. Wird nicht einfacher. Da kann der parteilose Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Wolfram Weimer auch noch so engagiert eine (teils einseitige und fragwürdige) Weitung der Meinungskorridore fordern und der Grünen-Politiker Sven Lehmann, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien, eine greifbare Replik darauf verfassen. (Beide Beiträge übrigens hinter einer Paywall bei der Süddeutschen. Wir hier bei the little queer review empfinden es als unpraktisch bis augrenzend, wenn derlei Texte von aktiven Politiker*innen zu Themenfeldern, die sie als Volksvertreter bearbeiten, nicht frei zugänglich sind. Wenn es dabei noch um Meinung(svielfalt) ist das zusätzlich von einer argen Ironie geprägt.)

https://steadyhq.com/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/9f1aac09-b9bb-439f-a8c0-9d3e2027b2d4 (Öffnet in neuem Fenster)

Nun muss es nicht immer um die ganz großen Felder gehen. So wie Israel–Palästina, Putin – Menschlichkeit oder der lange Konflikt Star Wars oder Star Trek. Mit den Sternen sind wir aber schon beim Thema: Filmgeschmack. Aktuell etwa polarisiert der deutsche, nachhaltige Indie-Crossover-Horror THE BITTER TASTE, der sich ebenso durch Überlänge wie Kreativität auszeichnet und der ein wilder Horror-Motiv-Mix ist. Das tut der Geschichte nicht immer gut, lässt sie aber in jedem Fall eine recht besondere sein.

Die durch eine Verletzung zum Karriereende gezwungene Fünfkämpferin Marcia (stoisch: Julia Dordel, auch Produzentin und Co-Autorin) arbeitet als Jagdführerin in einem dichten Waldgebiet. Dank eines besonders sympathischen Kunden (John Keogh) verliert sie nun auch diesen Job. Und weil Shit auf Show kommt, bleibt noch ihr Auto liegen, nachdem sie auf der düsteren Landstraße die vor irgendwas Flinkem und Fiesem flüchtende Silva (Imme Beccard) retten wollte. Spoiler: Wird nichts. Stattdessen wird nun Marcia sich verfolgt.

© Dorcon Film

Sie entkommt, wendet sich an die örtliche Polizistin George (im besten Sinne unsympathisch: Ann Alexander-Sieder), die ihr a) weder glaubt und sie b) verdächtigt, irgendwie nicht die zu sein, die zu sein sie vorgibt. Allein will der skeptischen Marcia die Abreise in schönster historischer Dampfeisenbahn nicht gelingen. Irgendwas führt sie dann doch auf ein altes Anwesen, das einer mystischen Gräfin und ihrer Clique gehört. Vor Ort werden – angeblich – solide Sportevents durchgeführt. Diese allerdings sind Fallen, um junge Sportlerinnen auf das Anwesen zu locken und sie bestenfalls der untoten Gräfin (angelehnt an den Mythos der so genannten Blutgräfin Elisabeth Báthory) zuzuführen.

Zur Hilfe kommt ihr in diesem ungleichen Kampf mit Kannbalistinnen und Bluttrinkerinnen, Jägerinnen und Sammlerinnen der Fischer Josh (Nicolo Pasetti, aktuell: Die Vorkosterinnen) und auch George erkennt, dass Marcia wohl doch nicht vollkommen Gaga ist. Gaga ist dafür so manch ein Moment in THE BITTER TASTE. Ganz so also, wie es sich für einen Film, der sich als actionreicher Sport-Horror mit übernatürlichen Elementen, (kanni)balistischen Vampirinnen und so einigem mehr geriert, gehört. Oder würde irgendwer ernsthaft behaupten, dass Filme und Serien wie Evil Dead, jede David-Lynch-Nummer, die Alien- oder Underworld-Reihe oder American Horror Story nicht zumindest stellenweise absolut Cuckoo sind?! (Schaue gerade erneut die zweite AHS-Season: What a beautiful mess it is!)

© Dorcon Film

Im Absurden liegen Spaß und Spannung; hier gehört es zusätzlich zum sportlichen Spiel. In der Tat nehmen Julia Dordel und Autor wie Regisseur Guido Tölke ihre Fünfkampf-Herangehensweise sehr ernst. Das wohl nicht nur, da Hauptdarsteller Dordel früher selbst Fünfkämpferin war und natürlich noch immer Kontakte in diese „Welt“ hat, was die Besetzung von Sportlerinnen und Profipferden erleichterte. Überhaupt ist dieser Ansatz ein frischer, der jedoch von einem historischen Hintergrund geprägt ist.

Es finden sich ohnehin viele historische Anleihen und filmische Bezüge in THE BITTER TASTE. Da wirkt nicht jedes Element passend, nicht alles fügt sich (problemlos) in die Erzählung, das tut der Unterhaltung vor allem in der ersten Hälfte allerdings kaum einen Abbruch. In dieser liegt der Fokus auf Spannung, Figurenentwicklung und den Geheimnissen des Schlosses. Da haben wir es im Grunde mit einem Grusel-Krimi in erstaunlich klassischen Gewand zu tun.

© Dorcon Film

In der zweiten Stunde stehen Jagd und Enthüllungen, Blut und Gore im Vordergrund. Leider auch manch eine Länge, da immer wieder kleine Ablenkungen und Herausforderungen eingebaut sind, die sich streckenweise eher redundant ausnehmen. Das allerdings macht wohl manches Mal die Liebe zum (eigenen) Film: Mensch möchte eben möglichst viele der sicherlich sorgsam geplanten und kreierten Elemente einbringen.

Zudem dauerte es fünf Jahre, bis der fertige Film das Licht der Welt erblickte: Der kreative Prozess zog sich, zunächst sei ein anderer Film geplant gewesen, bis Julia Dordel und Guido Tölke sich schließlich zu THE BITTER TASTE orientierten. Dann, und das muss immer wieder betont werden, finde mal passende Locations für eine nachhaltige Low-Budget-Production. Da geht's eben nicht nur um Lage, Lage, Lage. Sondern richtig gelegene Bezahlbarkeit, die zur Nachhaltigkeit passt. Wozu letzten Endes gar Catering und Post-Production gehören.

Kunstnebel (der teilweise schon sehr ambitioniert genutzt wird) sollte hier eben nicht aus einer eher umweltschädlichen Maschine, sondern bestenfalls aus dem Computer kommen. Effekte und Kostüme, sollten wohl nicht die schädlichsten Materialien beinhalten, usw., usf. So, jetzt der Bezug zum Beitragstitel, wird in dem schmutzigen, kleinen Horror-Event dank des Sterbens im Wald dem Waldsterben zumindest im Kleinen entgegengewirkt.

© Dorcon Film

Schauspielerisch gibt es wenig zu bemängeln – von den Anhängerinnen der Gräfin über ebendiese und den Fischer Josh zu George und Marcia sind die Leistungen solide (und der hohe Frauenanteil freut erst recht). Hin und wieder sind Inszenierung und Schnitt ein wenig chaotisch, wodurch sich an mancher Stelle mal kurz der Faden verliert und wir uns fragen: „Uhm, wo ist nun plötzlich XYZ hin?“, um dann an späterer Stelle wieder da zu sein. Außerdem gibt es jene Momente, in denen hart blutverschmierte Leute auf einmal erstaunlich sauber und frei von Flecken durchs Bild laufen. Aber das ist nun beinahe Horror-Standard.

Gewöhnungsbedürftig ist anfangs der englische Ton (gewählt aus Vermarktungsgründen, logisch), das stellt sich allerdings schnell ein. Was zum einen am internationalen Team liegt und zum anderen, auch nicht so viel anders ist, als wenn US-amerikanische Schauspieler*innen auf einmal mit englischem, irischem oder schwedischem Akzent sprechen. Oder Bayern sich im Sächsischen erproben.

https://www.youtube.com/watch?si=sVPeQVk9nByvfdAh&v=VEz5MUcc5MY&feature=youtu.be (Öffnet in neuem Fenster)

Der Titelsong “Seven Ways to Die” von MANDO DIAO erfreut uns ebenso wie der sehr klassisch-verspielte Score von Clemens Damerau, voller Reminiszenzen an die Klassiker der 1970er- und 1980er-Jahre. Unterm Strich und bei manch einem Kuddelmuddel feiern wir den Mut und die Kreativität und sind der Meinung, dass es gerade solche Filme wie THE BITTER TASTE sind, die die Liebe zum Film und Kino sowie eine Menge Herzblut der Macher*innen und letztlich auch des Publikums zeigen. Und dass viel Geld nicht immer viel hilft, konnten wir alle beim Desaster, das CAPTAIN AMERICA: BRAVE NEW WORLD war/ist, sehen.

AS

PS: Polarisieren bis spalten dürfte auch der heutige Pfingst-Tatort: Feuer aus Dortmund, in dem es neben der Mini-Verschwörung, die hinter den Rücken von Peter Faber (Jörg Hartmann) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) zu schwelen scheint, um häusliche Gewalt, toxische Männlichkeit und Vertrauen geht. Wir respektieren das wichtige Thema, taten uns aber mit einer behäbigen Inszenierung, einer teils unpassenden Besetzung, den vielen Klischees und einer allzu vorhersehbaren Auflösung schwer. Daher in dieser Woche nur diese kurzen Gedanken.

PPS: Aufmerksam wurden wir auf THE BITTER TASTE übrigens während einer Pressevorführung vom nicht weniger surrealen LEONORA IM MORGENLICHT. Zwei Filme, die zunächst nun nicht direkt zusammenpassen. Doch (thematische) Diversität ist wichtig – unsere geneigten Leser*innen kommen und bleiben immerhin auch und gerade dafür.

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THE BITTER TASTE ist seit dem 5. Juni 2025 im Kino zu sehen.


Kategorie Film

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