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„BUT SOMETIMES IT'S IMPORTANT TO BE STUPID“

FILM-KRITIK

Als ich hörte, dass es ein Remake des mutigen, queeren Klassikers von Ang Lees Das Hochzeitsbankett (1993 gab es den Bregriff „queer“ noch nicht wirklich und eine nicht-heteronormative Geschichte über eine taiwanesische Familie zu erzählen, war wirklich etwas Besonderes) geben wird, war ich zunächst skeptisch. Dann Feuer und Flamme, als bekannt wurde, dass sowohl Lee (später sehr berühmt dank Tiger & Dragon und Brokeback Mountain) als auch der damalige Produzent und Co-Autor James Schamus ihr „Okay“ gaben. Letzterer ist in der Neuverfilmung sogar erneut als Produzent und Autor an Bord.

Dass Andrew Ahn Regie führen und Bowen Yang eine der Hauptrollen übernehmen würde, gab mir dann den positiven Rest. Ahn hatte sich mit Fire Island in mein Herz inszeniert und Yang ist ohnehin immer ein Highlight, nicht nur bei Saturday Night Live. Mit Lily Gladstone (Killers of the Flower Moon), Kelly Marie Tran (Star Wars: Die letzten Jedi) und dem K-Star Hang Gi-chan (Where Your Eyes Linger) war eine wunderbare, besonderes und authentische Darsteller*innen-Riege gefunden.

Der neue Film, der am morgigen Donnerstag in unseren Kinos startet, ist kein Eins-zu-Eins-Remake des Kultfilms von vor gut dreißig Jahren. Zwar bleibt es bei einem gewissen Screwball-Charme sowie einer relativ eigenwilligen Mischung aus Komödie und (Beziehungs-)Drama sowie Familiengeschichte, doch ist einiges anders bei diesem Wedding Banquet.

Nicht alles eitel Sonnenschein: Min (Ha Gi-chan) und Chris (Bowen Yang) in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street
Nicht alles eitel Sonnenschein: Min (Ha Gi-chan) und Chris (Bowen Yang) in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street

Min (Hang Gi-chan) steht kurz vor dem Auslauf seines Studentenvisums, was wohl bedeuten würde, dass er sowohl Seattle als auch seinen Partner Chris (Bowen Yang) Richtung Südkorea verlassen müsste. Das Angebot der großmütterlichen Matriarchin Ja-Young (fantastisch: Youn Yuh-jung) in den USA für das Familienunternehmen tätig zu werden, läuft dem Künstler-In-The-Making zuwider. Einen Heiratsantrag allerdings lehnt der scheinbar bindungsscheue und immerfort unsichere Vogelfan Chris ab.

Nach einer durchsoffenen Nacht, schlägt Min seiner guten Freundin Lee (Lily Gladstone) vor, dass er ihre Partnerin Angela (Kelly Marie Tran) heiraten und so an eine Green Card kommen könnte. Im Gegenzug würde der wohlhabende Junge den beiden eine weitere, sehr teure In-Vitro-Fertilisationsbehandlung bezahlen. Nach anfänglicher Skepsis lassen sich alle auf den Deal ein. Verkompliziert wird das alles, als sich die Großmutter ankündigt, um sich das potenzielle Wifey einmal anzusehen...

...wir ahnen es: Mit Omas Ankunft bricht Chaos über das ohnehin nicht sonderlich sortierte Vierer-Gespann herein. Die blickige Ja-Young durchschaut die Nummer schnell, hält sie für dumm... und um Dummheit mit Blödheit zu reparieren, schlägt sie ein traditionelles Fake-Hochzeitsbankett vor, so dass Geschäftspartner und der homophobe Großpapa Fotos des glücklichen Hetero-Paares in den heimischen und internationalen Zeitungen sehen kann.

Dass dies nicht reibungslos läuft, muss wohl nicht erwähnt werden. Einige der Konflikte laufen ähnlich wie im Original, andere nicht, was schon bei der Konstellation zwei queerer Paare nicht verwundern dürfte. So ist The Wedding Banquet quasi ein Doppelregenbogen. Was passt, ist der Film doch auch wunderbar doppelbödig und bietet reichlich Zwischen- bzw. Untertöne was zum Beispiel die südkoreanische Gesellschaft angeht, die bei aller Fortschrittlichkeit und allem vermeintlichen Liberalismus doch auch eine stark hierarchisches, auf Effizienz getrimmtes Patriarchat ist.

Geimensamer (?) Kinderwunsch: Lee (Lily Gladstone) und Angela (Kelly Marie Tran) in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street
Geimensamer (?) Kinderwunsch: Lee (Lily Gladstone) und Angela (Kelly Marie Tran) in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street

Ebenso geht die Frage danach, was, nun wo wir Queers heiraten dürfen, was die Zukunft bringt. Wollen/sollen wir das überhaupt tun? Und was ist mit Kindern? Augenscheinlich wünscht Lee diese sich sehr und Angela (Ang Lee, merkste, ne?!) möchte ihr diesen Wunsch gern erfüllen. Andererseits will sie auch noch „leben“, raus, reisen, genießen. Das geht natürlich theoretisch auch mit Kindern, aber sein wir mal ehrlich: Wenn die Blagen erst einmal da sind, ist so ein Trip an die Côte d’Azur eben doch dezent schwieriger zu organisieren, als wenn du nur jemanden finden müsstest, der dir mal den Ficus gießt (und selbst das ist so leicht auch nicht immer).

Tief und intensiv wird es auch, wenn es um die Verletzungen geht, die uns die eigene Familie zufügen kann, wenn es darum geht, einfach nur wir selbst sein zu wollen. Hier speziell in Form von Angela und ihrer von Joan Chen hervorragend verkörperten Mutter May Chen, die nach dem Coming-out der Tochter zunächst nicht mehr mit ihr sprach und sie im Grunde zurückließ, um dann eines Tages als späte Helikopter-Vorzeige-Regebogen-P-Flag-Mutter wieder auf der Bildfläche zu erscheinen. Oder in der Figur von Min, der damit ringt, dass seine Homosexualität im Grunde ein offenes Geheimnis ist, es aber innerhalb der konservativen Familie auszusprechen wohl einen Bruch nach sich ziehen würde.

Joan Chen in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street
Joan Chen in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street

Damit kommen wir zur Wahlfamilie und der Wichtigkeit, sich sein eigenes Zuhause ganz unabhängig von jenem, in das wir geboren werden, bauen zu können. Da ist's lustig, dass der Film in Seattle spielt und die Vier in einer recht freien Konstellation (im Haus, das Lee geerbt hat und das sie im Sinne ihrer indigenen Duwamish-Wurzlen mit mehr Familie füllen möchte) zusammen wohnen: Das erinnert hart an Grey's Anatomy und das Patchwork-Zusammenwohnen im elterlichen Haus Merediths. Überhaupt wartete ich irgendwie darauf, dass eine Amelia, Teddy oder ein Owen durchs Bild laufen.

Das passiert zwar nicht, dafür gibt es einige andere überraschende Momente in dem emotionalen Film, dem es allerdings nicht immer ganz leicht fällt, zwischen Comedy und Drama, Drama, Drama zu wechseln. Es gibt so manch eine Schwankung im Ton, die irritiert und der eine oder andere Streit wirkt sehr implantiert. Andererseits kann eine entspannte, heitere Situation mit nur einem falschen Satz oder Blick schnell kippen. Insofern ist das womöglich gar nicht so weit hergeholt.

https://www.youtube.com/watch?v=kWy_IzW04YM (Öffnet in neuem Fenster)

Das große Highlight in Andrew Ahns The Wedding Banquet ist sowieso der wirkliche tolle Cast, der den Film mit all seinen Schwankungen und verwirrenden Gefühlen (und Bettausrutschern) trägt, zwischen dem die Chemie stimmt und der eine Joan Chen sowie Youn Yuh-jung wunderbar gegen den Strich besetzt und uns so über gut neunzig Minuten bestens zu unterhalten weiß. Dass er dazu in der aktuellen politischen, teils arg menschenfeindlichen Lage in den USA (wie auch Teilen Europas) genau zur rechten Zeit kommt, macht ihn erst recht wertvoll.

JW

PS: „Vintage Beverly Housewives with Camille...“ - immer ne gute Idee!

PPS: „Min proposed to me.“ - „Oh my gosh, it's Cartier! Congratulations.“

PPPS: „That's all very hard on my ego.“ Min ist der Beste und Han Gi-chan spielt ihn mit einem unfassbar einnehmenden Charme.

Tradtion verpflichtet auch bei Lüge: Min (Ha Gi-chan), Ja-Young (Youn Yuh-jung) und Angela (Kelly Marie Tran) in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street
Tradtion verpflichtet auch bei Lüge: Min (Ha Gi-chan), Ja-Young (Youn Yuh-jung) und Angela (Kelly Marie Tran) in THE WEDDING BANQUET // © 2024 Luka Cyprian / Bleecker Street

PPPPS: Youn Yuh-Jung über die Gründe, die Rolle der Großmutter anzunehmen: „'Ich habe das Drehbuch meinem ältesten Sohn geschickt, der ein Fan des Originals und von Andrews Werk ist, und seine Begeisterung hat mich überzeugt', lacht Youn. Sie erinnert sich, wie sich ihr Sohn im Jahr 2000, ein Jahr vor der Legalisierung der Homo-Ehe in New York, ihr gegenüber outete und wie Youn selbst ein Hochzeitsbankett organisierte. 'In diesem Jahr wollte er Greg, seinen Partner, heiraten, also habe ich die Hochzeit für ihn ausgerichtet. Darauf bin ich sehr stolz.'“

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THE WEDDING BANQUET ist ab morgen, 5. Juli 2025, im Kino zu sehen.

Kategorie Film

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