TÄTERSOHN UND OPFERMENSCH
TV-KRITIK
Die Frage, ob Menschen böse geboren oder „gemacht“ werden, also aufgrund von Erfahrungen, (nicht verarbeiteter) Traumata, psychischer Störungen, usw. usf., beschäftigt die Menschen seit Ewigkeiten. Eine Art „Hype“ erlebt sie nicht zuletzt seit einigen Jahren durch mehr und mehr True-Crime-Formate und auch lesenswerte Bücher wie Die Masken der Psychopathen von Heinz Schuler und Dominik Schwarzinger (erschienen bei C.H. Beck) oder Warum Menschen Böses tun von Gwen Adshead und Eileen Horne (Dumont Verlag).
https://steadyhq.com/de/thelittlequeerreview/posts/85eb6dca-eb26-4aba-b3c0-35f871f4e12d (Öffnet in neuem Fenster)Dass sich Romane und Filme sowie TV-Serien/-Reihen ebenfalls damit befassen, liegt vermutlich in der Natur der Sache. Selten geschieht dies allerdings so dezidiert (wenn auch letztlich lückenhaft) wie im Rostocker Polizeiruf 110: Böse geboren, der heute Abend im Ersten zu sehen ist. Lückenhaft da Elke Schuch und Catharina Junk den Fokus in ihrem empathisch-mysteriösen Drehbuch vor allem auf die Zweifel an der Unschuld bzw. Vorverurteilung des jungen Mannes Milan Greuner (Eloi Christ, in ähnlich ambiguer Rolle im grandiosen Polizeiruf 110: Black Box zu sehen gewesen) sowie weitere Figuren, die ihre ganz eigenen Gründe für das Schlechte haben, legen.

Das ist größtenteils interessant und durchaus spannend, verleiht dem von Alexander Dierbach inszenierten Film allerdings eine wenig hilfreiche Episodenhaftigkeit, da der Fokus immer wieder wo anders liegt. An den Kern beispielsweise des Mutter-Sohn-Konfliktes Milan und Eva Greuners (yay: Jördis Triebel) wird letztlich vor allem durch Exposition und wenig subtil erläutert.
Warum aber halten ihn denn alle für den Mörder einer jungen Tierschützerin? Nun, der Bengel ist Spross eines Vergewaltigers und Serienmörders. Zudem verhält der schweigsame Außenseiter sich noch so psychoesk: Er ist lieber allein im Wald (Öffnet in neuem Fenster) als unter Menschen und vergräbt Tierkadaver, nachdem er Kugeln, die er sammelt, aus ihnen entfernt hat. Da kann, ja muss (!), doch etwas nicht stimmen.
Dass auch Mutti so ihre Zweifel am moralisch-menschlichen Zustand ihres Sohnes hegt, ihn argwöhnisch beäugt, hilft dabei vermutlich weniger. Und für die Jagd- und Försterfamilie Cobalt ist der als Täter eh ausgemacht, vor allem, da dessen Schuld von den eigenen Leichen im Keller, Sünden im Haus und Affären in der Nachbarschaft ablenken würde. Einzig der gleichaltrige Vorzeigesohn Paul (Jonathan Lade) sucht Milans Nähe, will ihn aus dieser recht toxischen Umgebung rausziehen. (Und: Wird's da etwa ein wenig homophil?)

Dass es zwischen den Ermittlerinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann) dieses Mal wieder mehr Reibung als reibungslose Zusammenarbeit gibt, ist ein zusätzlicher Nebenschauplatz, der dem eigentlichen Geschehen Zeit und Aufmerksamkeit raubt (das klappte im Bremer Stalking-Tatort kürzlich besser (Öffnet in neuem Fenster)). Wie auch das Auftauchen von Böwes Tochter Rose (Emilie Neumeister), die aus dem Nichts Fragen zum abgetauchten Onkel Alexander Bukow (Charly Hübner) und ihrem unbekannten Vater stellt. Am Ende soll das indirekt mit dem Fall zu tun haben, wirkt aber unangenehm implantiert. Wie so oft in Polizeiruf- und Tatort-Filmen: Wenn die Kinder der Ermittelnden auftauchen, ist das meist störend und dröge.

So ist der von Kameramann Ian Blumers stimmungsvoll gefilmte Polizeiruf 110: Böse geboren über moralische Ambivalenz, Verrohung und Vorurteile letztlich selber eine äußerst ambivalente Geschichte, die zwar bestens gespielt in Form und Inhalt, aber leider teils allzu roh von sehr sensiblen Dingen erzählt. Wenn auch zwei bis drei sehr schmerzhafte, intensive Szenen, die sich in Stille andeuten, zeigen, welch wirklich guter Film es bei stärkerem Fokus hätte werden können.
AS
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Das Erste zeigt den Polizeiruf 110: Böse geboren am Sonntag, den 25. Mai 2025, um 20:15 Uhr, auf one ist er um 21:45 zu sehen und anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Polizeiruf 110: Böse geboren; Deutschland 2025; Regie: Alexander Dierbach; Drehbuch: Catharina Junk, Elke Schuch; Bildgestaltung: Ian Blumers; Musik: Fabian Römer, Steffen Kaltschmid; Darsteller*innen: Anneke Kim Sarnau, Lina Beckmann, Uwe Preuss, Andreas Guenther, Josef Heynert, Emilie Neumeister, Jördis Triebel, Eloi Christ, Annika Kuhl, Nicki von Tempelhoff, Jonathan Lade, u. a.; Eine Produktion der Filmpool fiction GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste.