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Durch meine Twitter-Timeline rutschte vor ein paar Tagen ein recht typischer Tweet eines Mannes, der in etwa lautete: 

Die Leute empören sich mehr über Väter aus dem Prenzlauer Berg und Springreiten als über die Lage in Afghanistan. 

Kritik dieser Art gibt es häufig und ja, gerade in feministischen Debatten sollten wir uns darüber austauschen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten und auf welche Weise der „weiße Feminismus“ Ungerechtigkeiten verstärken und festigen kann – auch über die Besetzung von öffentlichem Raum. (Buchtipp hierzu: „White Feminism“ (Öffnet in neuem Fenster) von Koa Beck). Auffällig ist nur, dass wenn diese Kritik an der Gewichtung von Themen von Männern auf Twitter kommt, sie besonders gern die Themen abwerten, die sie irgendwie als „Mädchen-Thema“ verorten. Haha, das bisschen Hausarbeit und Ponys, Frauen interessieren sich einfach nicht für harte Politik.

Man könnte zu wenig Aufmerksamkeit für Afghanistan genauso gut mit anderen Themen kontrastieren, die nicht vor allem Frauen zugeordnet werden, oder sich fragen, wie viel Wissen man denn eigentlich selbst über internationale Politik hat, bevor man anfängt, andere zu kritisieren. Wenn ich in einem anderen Leben mal mehr Zeit habe, belehre ich drei Mal die Woche irgendwelche Typen im Netz und auf der Straße darüber, dass sie sich bitte mal mit der prekären Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland beschäftigen sollen und das alles viel besser wäre, würden sie sich nicht vorrangig für irrelevante Themen interessieren. Wie viel Zeit für politisches Engagement würde frei, würde sich niemand mehr für die Bundesliga interessieren? Hätten wir vielleicht auf diese Weise alle Probleme schon gelöst? Das ist natürlich ironisch gemeint, aber ich denke es zeigt ganz gut, wie weit wir damit kommen, uns gegenseitig dafür zu kritisieren, worüber man gerade twittert oder auf Instagram postet. Sehr viel Engagement und Interesse findet statt, ohne es im Netz zu dokumentieren.

https://twitter.com/PhilipLeButt/status/1427717450582405134 (Öffnet in neuem Fenster)

Was wir außerdem nicht vergessen sollten: Wir sind immer noch halb oder auch ganz in einer Pandemie und viele Leute schreiben ins Netz, was sie gerade bewegt, weil ihnen die kleinen Runden mit Menschen fehlen, mit denen sie zusammensitzen und alles mögliche besprechen. Ich hätte auch lieber mit Freund_innen Wein getrunken und mich dabei über den weinerlichen Spiegel-Titel über das Maternal-Gatekeeping aufgeregt, statt darüber zu twittern. 

Nach eineinhalb Jahren Pandemie Mütter als diejenigen hinstellen, die ihre Partner von Care-Aufgaben abhalten. Come on. Wie sehr kann man die Themen verfehlen, die Eltern gerade umtreiben und belasten? Ich bin fast sicher, dass mindestens 97 Prozent aller Mütter jetzt gerade innerhalb einer Stunde einen Koffer packen und allein für eine Woche an die Ostsee fahren würden, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ob die Väter ihrer Kinder die richtige Windelmarke kaufen, während sie im Hotelzimmer ausschlafen.

Es ist zudem keinesfalls unpolitisch, über den Gender-Care-Gap zu diskutieren. Denn das bißchen Hausarbeit hält viele Frauen effektiv davon ab, sich politisch zu informieren und einzumischen. Dass Frauen im Ehrenamt und in der Politik nach wie vor unterrepräsentiert sind, hängt unter anderem daran, dass Jonas und Jochen ihr Engagement in der Familie überschätzen und ihren Partnerinnen häufig zu wenig Zeit bleibt, bei allen Nachrichtenthemen mitreden zu können oder für ein politisches Amt zu kandidieren. Vielen Menschen, die in ihren Lebensgemeinschaften die Hauptverantwortung für Kinder und Pflegebedürftige tragen, fehlt schon die Zeit, in Ruhe mal ein oder zwei Nachrichtentexte zu lesen, geschweige denn ein ganzes Dossier oder die Newsletter, die sie in der Hoffnung abonniert haben, sie wenigstens ab und an lesen zu können und doch meistens ungelesen löschen. Eltern, die versuchen acht Stunden Schlaf zu bekommen, sind zu den Tagesthemen oft nicht mehr wach oder das Baby schreit genau dann, wenn man gern sehen würde, die Mariette Slomka (Öffnet in neuem Fenster) jemanden interviewt.

Hinzukommt, dass Geschlechterstereotype sogar prägen, welche Medien und Themen Menschen interessieren. Eine Studie zum ,News Avoidance Gap‘ (Öffnet in neuem Fenster)bezeichnet das Gefühl, die den Geschlechterunterschied in der Nachrichtenorientierung beschreiben soll, als „News-Is-for-Men“. Viele Frauen fühlen sich vom politischen Journalismus irgendwie nicht gemeint. Das ist nicht ihre Schuld, sondern liegt unter anderem an ihrer Sozialisierung oder an der journalistischen Herangehensweise an politische Themen. Diese Dinge sollte man wissen, bevor man sich über vermeintlich weniger politische und weniger informierte Frauen erhebt. Es säßen mehr Frauen in Chefredaktionen, mit der Zeitung am Frühstückstisch und im Bundestag, wenn schon Heinz und Armin sich vor 40 Jahren gleichberechtigt im Haushalt betätigt hätten. Bei ihren Söhnen ist es zwar heute ein wenig besser, aber gleichberechtigt leben wir in Deutschland eben immer noch nicht. „Der bundesweite Frauenanteil unter den Direktkandidaturen liegt bei nur 30 Prozent“, hat die EAF für die diesjährige Bundestagswahl (Öffnet in neuem Fenster) erhoben. Von den meisten Plakaten, die gerade überall in Deutschland von den Parteien aufgehängt wurden, lächeln Männer zu den Passant_innen herab.

Wir können festhalten: Der Abwasch und das Interesse an Afghanistan haben durchaus miteinander zu tun.

Ich habe auch keine Lust, noch die nächsten zwanzig Jahre über den Gender-Care-Gap zu schreiben. Aber in meinen Händen liegt das nicht. Es liegt, lieber Markus, Philipp, Tilmann, in deinen Händen, indem du deinen Teilzeit-Antrag ausfüllst und deiner Chefin gibst. Oder in dem du dich traust, deiner Partnerin zu sagen, dass du gern ebenso viele Elternzeit-Monate machen möchtest wie sie. Und dass ihr einen Weg finden werdet, das finanziell zu stemmen, weil dir das als Gutverdiener-Ausrede mittlerweile auch zu blöd ist. Das Fantastische an der Elternzeit ist übrigens, dass nachdem man gemerkt hat, dass man mit weniger Geld eigentlich doch ganz gut klarkommt, die 30-Stunden-Woche auch gar nicht mehr so weh tut.

Und um das abzuschließen: Ich fand den Spiegel-Titel zum ,Maternal Gatekeeping‘ auch schlicht so deppert, weil man sich als Autor*in einfach fünf Sekunden lang mit der Frage hätte beschäftigen können, ob es einen Begriff für das männliche Pendant der zurückhaltenden Beteiligung an den Aufgaben rund ums Kind gibt. Natürlich gibt es innerhalb von Paarbeziehungen Dynamiken und Konflikte, die auf Rollenmodelle und eigene Ansprüche zurückgehen, doch auffällig ist nun mal, dass der Begriff des ,Maternal Gatekeepings‘ dafür genutzt wird, Frauen als mächtig und bisweilen sogar als böse darzustellen, die ihren chancenlosen Partner davon abhalten, sich um sein eigenes Kind zu kümmern. ,Maternal Gatekeeping‘ ist kein wertfreier Begriff und verkehrt sogar die Machtverhältnisse, die sich in Mann-Frau-Beziehungen oft finden, denn die ökonomische Macht wiegt deutlicher schwerer als der Wissensvorsprung beim Wickeln. Die Erwerbsquote von Frauen steigt in Deutschland zudem seit Jahrzehnten, obwohl sie als Rabenmütter bezeichnet werden und im Job oft Sexismus erleben. Warum sollten sich Männer sich von mehr Beteiligung an der Kindererziehung abschrecken lassen, nur weil sie manchmal gesagt bekommen, dass sie die Mütze einpacken sollen?

https://twitter.com/teresabuecker/status/1426145900502691843 (Öffnet in neuem Fenster)

Ich denke, dass wir bei der Frage der Arbeitsteilung in Familien weniger Schuldzuweisungen brauchen, sondern eine andere Gesprächskultur. Ich habe schon mal für das SZ-Magazin einen langen Text über Väter und Elternzeit (Öffnet in neuem Fenster)geschrieben und darin einen Forschungsbefund zitiert, der gezeigt hat, dass viele Männer annehmen, dass ihre Partnerin von ihnen erwartet, dass sie in die Ernährerrolle gehen und sie zudem glauben, dass ihr der große Teil der Elternzeit zustehe. Sie gehen davon aus, ohne mit ihr darüber gesprochen zu haben. Diese Vorannahmen stehen dann auch einem offenen Gespräch zwischen den werdenden Eltern entgegen. Ein Gespräch, in dem sie einander die eigenen Wünsche offenlegen und sich möglichst frei von gesellschaftlichen Rollenerwartungen machen könnten. Meine Vermutung ist, dass diese Gespräche viel zu selten stattfinden und das Muster überwiegend ist, dass Väter denken, sie dürften keinen Anspruch auf eine lange Elternzeit oder die berufliche Teilzeit erheben und Mütter wiederum denken, dass ihr Partner kein Interesse daran hat oder sie komisch finden würde, wenn sie keine Lust auf eine lange Elternzeit hat. 

Vielleicht hilft es, sich mal die Fragen zu stellen:

  •  Wie lange würdest du gern in Elternzeit gehen, wenn weder Geld, noch berufliche Projekte, noch die Limitierung der Monate eine Rolle spielen würden?

  •  Wie viele Stunden würdest du pro Woche arbeiten wollen, wenn weder Geld, noch Karriere-Chancen eine Rolle spielen würden, sondern vor allem die Zeit, die du mit deinen Kindern, für Freund_innen und für dich selbst haben kannst?

  • Wie viele Stunden würdest du arbeiten wollen, wenn du die 40-Stunden-Vollzeit-Norm nicht kennen würdest?

Sich darüber offen auszutauschen bringt Eltern vielleicht näher in Richtung des Familienmodells, das beide gern leben wollen.

Ich würde mich riesig freuen, wenn ihr mir dazu ein paar Gedanken zu den Fragen per Mail schicken würdet.

Und noch als Ergänzung: Beim Thema Elternzeit gibt es noch viel zu oft Wissenslücken, die wir schließen müssen. Denn viele Männer glauben tatsächlich, sie könnten nur zwei Monate Elternzeit nehmen, weil sich tragischerweise irgendwann der Begriff „Vätermonate“ eingeschlichen hat. Aber das ist falsch. Väter und Partner_innen der Person, die das Kind geboren hat, können so viele Monate wollen, wie der Bezugszeitraum hergibt. Mein Partner hat zum Beispiel gerade 14 Monate Elternzeit gehabt. Eine Bekannte, die in der Familienberatung arbeitet und häufig Paare zum Elterngeld berät, erzählte mir zudem, dass meistens die Frauen sehr große Augen bekommen, wenn sie erklärt, dass die Väter die Elternzeit nicht beantragen müssen, sondern dem Arbeitgeber gegenüber schlicht erklären. In den wenigsten Fällen kann ein Arbeitgeber nein sagen und wer erzählt, die Firma würde die Elternzeit nicht genehmigen, ist schlecht informiert. Der Anspruch auf Elternzeit ist rechtlich abgesichert, auch für Männer. Die Frauen in der Beratung, so meine Bekannte, nehmen diese Erkenntnis meistens erleichtert auf, weil sie nun wissen, dass ihr Partner Elternzeit nehmen kann und sie nicht allein zuständig sind. Er muss nur wollen. Und ich möchte hierzu bitte auch nichts mehr hören wie: „Aber es ist ein krasses berufliches Risiko, als Mann in Elternzeit zu gehen.“ Nö. Bislang schadet die Elternzeit Frauen beruflich erheblich mehr als Männern – und wenn man das unkalkulierbare Risiko auf sich nimmt, 18 Jahre lang verantwortlich für ein Kind zu sein, mit all dem, was da so passieren und schiefgehen kann, dann sind ein paar Monate Elternzeit einfach ein Klacks dagegen.

Nach diesem Newsletter über Babykotze gibt es zu Beginn der nächsten Woche beim SZ-Magazin (Öffnet in neuem Fenster) einen Text über ein ganz anderes, aber ebenso hartes politisches Thema.

Bis dahin

Teresa

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Lese-Tipps

„Sie starben, wir warteten“ (Öffnet in neuem Fenster) von Anna Dushime.

„Das eine ist,  wenn deine liebsten Menschen um dich herum sterben, das zweite ist die  Indifferenz aller, während das alles passiert. Es ist ein zweifacher  Tod. Was wirklich niemals passieren darf, ist, dass wir uns an  Bürokratischem aufhalten, wenn Menschen wie du und ich um ihr Leben  bangen.“

„Schluss mit der Afghanistan-Heuchelei!“ (Öffnet in neuem Fenster) von Waslat Hasrat-Nazimi.

„Eines der Hauptargumente für die Besatzung war der Schutz der Rechte  der afghanischen Frauen. Jetzt, knapp zwanzig Jahre später, wird klar,  dass es nie um die Frauen oder die Demokratie ging.“

„Emanzipation ist kein Exportgut“ (Öffnet in neuem Fenster) von Antje Schrupp.

„Schon lange ist "der Westen" kein Leuchtturm mehr, der den Weg zu besseren Zeiten weist. Zu groß und sichtbar ist die Diskrepanz zwischen den Lippenbekenntnissen und der Realität, vom Sterbenlassen flüchtender Menschen im Mittelmeer (Öffnet in neuem Fenster) bis zur Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA (Öffnet in neuem Fenster), von sexualisierter Alltagsgewalt bis zu Korruptionsaffären aller Art. Dass es für Frauen, Homosexuelle, ethnische Minderheiten oder Flüchtlinge anderswo auf der Welt oft noch schlechter aussieht, dass die soziale Ungerechtigkeit woanders noch größer sein mag, entkräftet das nicht: Man wird eben nicht nur an der objektiven Realität gemessen, sondern auch an den moralischen Ansprüchen, die man vor sich herträgt.“

„Schutzengel zur Einschulung gesucht“ (Öffnet in neuem Fenster) von Anna Clauß. (€)

„Die realistischste Chance meines Sohnes auf eine Kindheit ohne  Corona-Infektion wäre die Herdenimmunität gewesen. Zu einem Akt der  Solidarität mit den Kleinsten sind weite Teile der Gesellschaft aber  offenbar nicht bereit.“

Video-Tipps

Abtreibungen: Wie Ärztinnen und Ärzte entscheiden (Öffnet in neuem Fenster)  (NDR)

Nach wie vor sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland rechtswidrig und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Mittlerweile müssen Frauen in manchen Regionen lange Wege für einen Schwangerschaftsabbruch in Kauf nehmen. Denn immer weniger Ärzte und Ärztinnen bieten Abtreibungen an. Was sind die Gründe dafür?

Eine bewegende Rede der argentinischen Politikerin Silvia Lospennato über die Legalisierung von Abtreibungen. Sie ist am 28.8. beim digitalen Fachkongress über „150 Jahre § 218 Strafgesetzbuch“ (Öffnet in neuem Fenster)mit dabei. 

https://www.youtube.com/watch?v=rksEY-1Azk0 (Öffnet in neuem Fenster)

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