Es bleibt so unendlich viel zu tun
Im Journalismus gibt es das Format der Blattkritik (bei Online-Medien nennt sie sich mittlerweile Site-Kritik), die zum einen innerhalb einer Redaktion zum Austausch über Texte genutzt werden kann, für die zum anderen hingegen auch viele Redaktionen regelmäßig externe Gäste einladen, um über einen Blick von außen zu lernen, was die Berichterstattung in anderen Menschen auslöst, was sie schätzen, was sie begeistert, was sie kritisch sehen, was ihnen fehlt. Innere Vielfalt in Redaktionen können Blattkritiken nicht ersetzen, zumindest jedoch dafür sensibilisieren, welche Blickwinkel im eigenen Medium fehlen. Eine ähnliche Funktion haben Leser_innen-Brief und -Mails sowie Reaktionen in sozialen Medien, die teilweise von Social-Teams ausgewertet und an die Redaktion zurückgespielt werden. Sind Redakteur_innen mit eigenen Accounts auf Twitter und anderen Netzwerken, können sie Wertschätzung und Kritik zudem direkt bekommen und darüber wieder in den Austausch mit Leser_innen gehen.
In den Jahren, seitdem ich als Journalistin arbeite, habe ich diese direkte Reaktionsmöglichkeit als etwas sehr Wertvolles erlebt und enorm viel über den Austausch mit den Menschen dazu gelernt, die meine Texte gelesen haben. Meine Haltung als Journalistin würde ich mit „Please read the comments“ beschreiben, denn es stimmt nicht, dass die Reaktionen auf Texte überwiegend negativ und unsachlich sind. Es gibt unzählige Menschen, die sich die Zeit nehmen, differenziert Kritik zu üben, die lange Dankesmails formulieren, die erzählen, was ein Artikel in ihnen bewegt hat, Fragen stellen, auf Leerstellen oder Fehler hinweisen, die in mir wieder neue Ideen entstehen lassen.
Seitdem vor rund zehn Tagen mein erstes Buch »Alle_Zeit« erschienen ist, bin ich in einer neuen Rolle. Ich werde von anderen Journalist_innen interviewt und auch porträtiert. Für mich selbst wären Rezensionen am interessantesten, weil ich wissen will, wie der Text auf andere gewirkt hat, weiß aber auch, dass Medien ihre Seiten mit unterschiedlichen Formaten füllen und zur Berichterstattung über Themen auch gehört, über die Personen zu schreiben, die sie vertreten. Sich darauf einzulassen ist für mich eine Gratwanderung, denn selbstverständlich will ich, dass über das Buch berichtet wird, da ich ein Anliegen habe und ein politisches Sachbuch geschrieben habe, damit es im besten Fall über die Zeit etwas gesellschaftlich bewegt und mehr sein kann als ein interessanter Text, den man liest und irgendwann wieder vergisst. Gleichzeitig sehe ich die Medienlogik der Personalisierung von Themen kritisch und ein Verdienst der aktuellen feministischen Bewegungen im deutschsprachigen Raum ist es, dass sie vielstimmig sind und bewusst versuchen, die Vielfalt sichtbar zu machen und zu erhöhen. Es ist eben keine Schwäche des jüngeren Feminismus, dass es keine Nachfolgerin von Alice Schwarzer gibt, es ist seine Stärke, das weder zu brauchen noch zu wollen.
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