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Niemand spricht mehr über das Gendern als Friedrich Merz. Dieser Mann aus dem Sauerland, der sich noch immer irgendwie im Kanzleramt sieht, wenn er kurz die Augen schließt und der nun vor Kurzem von CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet ins Wahlkampfteam berufen wurde, um eine Partei, die noch immer kein Programm veröffentlicht hat und sich lieber an der grünen Kandidatin abarbeitet, dabei zu unterstützen, Stimmen zu gewinnen. Als was wirkt er im Wahlkampfteam? Als Beauftragter gegen geschlechtergerechte Sprache? Friedrich Merz twittert, er belehrt in Talkshows, er wird aber auch von Journalist_innen in nahezu jedem Interview zum Gendern befragt – ist das noch Leidenschaft oder schon Obsession? Ich würde mich an dieser Stelle gern mit dem Hinweis an meine Kolleg_innen wenden, dass sie damit auf die Agenda der CDU aufspringen, wenn sie immer wieder nach seiner Meinung zum Gendersternchen fragen. Beim Gendern geht es nämlich gar nicht ums Gendern. Klingt komisch, ist aber so. Warum?

Die Ablehnung von geschlechtergerechter Sprache ist eine Chiffre dafür, emanzipatorische Erfolge in Frage zu stellen und die schon länger vorübergegangene Normalität hegemonialer Männlichkeit wiederherzustellen. Männer wie Friedrich Merz möchten zurück in die geordnete Welt des Patriarchats, in der sie sich mühelos zurechtfanden, die Gattin den Koffer für die Dienstreise packte und sich nur unter Freundinnen und nicht bei Twitter darüber auskotzte. Zurück in die Zeit, in der zwar längst zu Identitätspolitik geforscht und publiziert wurde, aber man nichts davon mitbekam, wenn man nur die Westfalenpost, den Sauerlandkurier und die FAZ las. Zurück in das Leben, in dem man  nicht davon genervt und überfordert wurde, sich mit Menschen auseinandersetzen zu müssen, die ein wenig anders sind als man selbst. 

Ich weiß ganz gut, wie diese Welt aussieht, in die manche Männer gern zurückwollen und die an manchen Orten in Deutschland auch immer noch so existiert, denn ich bin im Wahlkreis von Friedrich Merz großgeworden, als er dort noch Direktkandidat war und hatte die ersten Begegnungen mit Wahlplakaten, von denen er süffisant heruntergrinste, schon als Zehnjährige. 

Konservative Politiker_innen können heute nicht mehr offensiv die Erwerbstätigkeit von Frauen in Frage stellen, auch wenn beispielsweise das Festhalten am Ehegattensplitting und der zu gemütliche Ausbau von Kinderbetreuung in ihrer Wirkung ähnlich sind wie Frauen direkt nahezulegen, ihre Aufgaben befänden sich eher Zuhause als im Beruf. Wenn es um gleiche oder bessere Löhne geht, verweisen sie auf die „unternehmerische Freiheit“ und den Markt, statt auszusprechen, dass sie denken, dass es schon in Ordnung sei, dass Frauen oft schlechter bezahlt werden, dass Erzieher_in ja irgendwie kein richtiger Job ist, von dem man eine Familie ernähren können sollte, schließlich gibt es dafür ja Ehemänner, deren Selbstbewusstsein es nicht gut verträgt, wenn ihre Partnerinnen mehr verdienen als sie. (Not so fun fact: Das Risiko für Frauen, in Beziehungen mit Männern Partnerschaftsgewalt zu erfahren, steigt, wenn sie mehr verdienen als der Mann. Glaubt ihr nicht: Dann lest diese Studie (Öffnet in neuem Fenster).)

Die alte Geschlechterordnung lässt sich mittlerweile auch nicht mehr so effektiv durch Herrenwitze, Anzüglichkeiten und sexualisierte Übergriffe aufrechterhalten wie noch vor 30 Jahren. Neben dem Gendersternchen würden diejenigen, denen das mit der Emanzipation und dem Diskurs über Diskriminierung zu weit geht, sicherlich manchmal auch gern verbieten, dass jede_r nun ins Internet schreiben kann, was alles noch lange nicht gerecht ist. Hashtags sind einfach viel zu laut.

Leider ist diese Haltung sogar auf Menschen übergeschwappt, die sich mal eher links verortet haben und nun für die immer weiter sinkenden Wahlergebnisse der SPD den Umstand verantwortlich machen, dass es bei Gerechtigkeitsthemen nicht mehr nur um eine faire Arbeitswelt geht, sondern auch um Rassismus, Transfeindlichkeit, sexuelle Selbstbestimmung und mehr. Ich sag mal so: Ich glaube, es würde der SPD mehr nutzen als schaden, wenn sie offensiver mit diesen Themen umgehen würde und dazu eine klare emanzipatorische Haltung finden würde. 

Interessant dazu fand ich das Interview (Spiegel+ (Öffnet in neuem Fenster)) mit der Politikwissenschaftlerin Silja Häusermann, die sagt, die SPD würde ihre Wähler_innenschaft falsch einschätzen, immer noch vom „dem Arbeiter“ träumen, während sie eigentlich diese Menschen erreichen würde:

„Die typische SPD-Wählerin könnte man als eine eher mittel bis höher gebildete Frau in den Vierzigern oder Fünfzigern beschreiben, die in einer Stadt oder in Stadtnähe lebt und einen interpersonellen Beruf hat: Lehrerin, Therapeutin, Projektmanagerin. Diese Menschen sind zwar nicht die Speerspitze der grünen Avantgarde, aber gesellschaftspolitische Themen sind ihnen sehr wichtig, und sie sind Teil des sehr breiten progressiven Lagers. Dieses Lager besteht nicht nur aus jungen urbanen Akademikern und Akademikerinnen.“

Zurück zum Gendern als Wahlkampf-Thema (das übrigens in den bisher vorliegenden Programmen von der Linken, den Grünen, der FDP und der SPD gar nicht als Thema auftaucht):

Diskussionen über geschlechtergerechte Sprache, die nicht nur Männer und Frauen repräsentiert, sondern das Spektrum von Geschlechtsidentitäten abbilden möchte und Bewusstsein dafür schaffen will, dass Geschlecht nicht binär ist, ist für Konservative, die feministischen Fortschritt verhindern oder zurückdrehen wollen, ein Geschenk des Himmels.

Denn auf den ersten Blick betrachtet geht es hier um eine Kleinigkeit. Es ist ja nur Sprache, die angeblich niemandem weh tut und niemandem schaden kann. (Die Erkenntnisse linguistischer Forschung wiederhole ich an dieser Stelle nicht, Interviews und Texte von Luise Pusch oder Anatol können ein Einstieg sein). Diese Bewertung als Nichtigkeit wird von Konservativen dazu genutzt, zu beweisen, dass Feminist_innen übertreiben und keine größeren politischen Fragen adressieren würden. Sie markieren damit Feminismus als unpolitisch und überflüssig. Das Thema eignet sich außerdem so gut für oberflächliche Debatten, da sich gefühlig und unterkomplex argumentieren lässt: „sieht hässlich aus“, „ist nicht flüssig lesbar“, „Hähnchen-Innen-Filet, höhöhö“, „Umerziehung“. 

Man braucht also keinerlei Sachkompetenz, um darüber reden zu dürfen und befragt zu werden. Friedrich Merz sagte beispielsweise kürzlich in einem Interview, geschlechtergerechte Sprache an der Universität sei „wissenschaftsfremd“, womit er also entweder die wissenschaftliche Forschung zu Gender-Themen und Linguistik diskreditieren will oder sie schlicht nicht kennt. Er fragte zudem: „Wer gibt zum Beispiel Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern das Recht, Prüfungsarbeiten auch danach zu bewerten, ob die Gender-Sternchen verwendet werden oder nicht?“ In Deutschland ist jedoch bislang nur ein einziger Fall bekannt, bei dem eine Studienarbeit schlechter bewertet wurde, weil der Student das generische Maskulinum verwendete. Eine Rückfrage zum Umfang dieser Praxis bekam Merz nicht. Seine Antwort blieb schlicht so stehen, als würden bereits viele Universitäten Studierende bestrafen, die keine geschlechtergerechte Sprache nutzen wollen. Dieser Mythos schleicht sich nun immer häufiger als Argument in Diskussionen über das Gendern sowohl im privaten Raum als auch in Medien und Politik ein. 

Ich frage zurück: Wer gibt Friedrich Merz das Recht, eine so stark verzerrte Information immer wieder populistisch zu nutzen? Und warum widerspricht man ihm nicht? ,Gleichberechtigung ist irgendwie ein Thema für Spinner‘, das ist das Framing, dass Konservative damit erreichen, immer wieder über das Gendern zu sprechen. Es ist die Botschaft an die potenziellen Wähler_innen: Keine Sorge, mit uns wird es nicht zu viel Gleichberechtigung geben. Mit uns werden Frauen, Queers, PoC nicht übermütig. Wir halten sie in Schach.

Immerhin wurde Merz im besagten Interview gefragt, warum er ein Verbot von geschlechtergerechter Sprache ins Spiel bringen würde, während die Gegner_innen des Genderns selbst gern diejenigen, die Vorschläge für eine Sprache, die wirklich alle meint, „Sprachpolizei“ sprechen. Ist vielleicht die Union selbst im Herzen eine Verbotspartei? Denn welche Partei ist es, die an Paragraf 219a festhält, der sachliche Information über Schwangerschaftsabbrüche verbietet? Und dass ohne, dass es auch nur irgendetwas besser machen würde.

Es gäbe viele Fragen zu Gleichberechtigung, die man Politiker_innen stellen könnte, die Teil der nächsten Bundesregierung werden wollen und mit einem Programm Ideen vorstellen werden, wie sich die Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Welche Konzepte haben sie, um die unbezahlte Care-Arbeit endlich gerechter zu verteilen? Wie gelingt es, dass anspruchsvolle, aber feminisierte Berufe wie beispielsweise die Altenpflege oder Kleinkindpädagogik, endlich angemessen bezahlt werden und die Arbeitsbedingungen besser werden? Warum ist das über 40 Jahre alte Transsexuellen-Gesetz noch immer nicht reformiert? Warum gelingt es Deutschland nicht, endlich die Zahl der Femizide zu senken? Was führt dazu, dass Männer so häufig gegenüber ihren Partnerinnen gewalttätig werden? Was hilft dagegen?

Wäre schön, wenn das jemand Armin Laschet oder Friedrich Merz in den nächsten Wochen mal fragt. Oder über Korruption und Bereicherung in der Pandemie. Denn wie Merz schon über das Gendern sagte: „Finden Sie nicht, dass wir ein paar Themen in diesem Land haben, die mindestens genauso wichtig sind oder vielleicht sogar ein bisschen wichtiger?“ 

Als antifeministischer Code wird es weiterhin funktionieren, wenn Konservative das Gendern öffentlich immer wieder thematisieren und ablehnen. Höchste Zeit für neue Fragen an sie.

Was findet ihr wichtiger als Gendern?

Ich würde gern das Ministerium in einem Programm sehen, dass Sabine Hark vor ein paar Wochen auf Twitter vorgeschlagen hat: ein Ministerium für globale solidarische Sorge und non-binäre Geschlechtergerechtigkeit.

https://twitter.com/sabine_hark/status/1370342245002526721?s=20 (Öffnet in neuem Fenster)

Und ihr?

Bis dahin
Teresa

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