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Mit fluffigem Bauchgefühl gegen die AfD

Es sind noch 36 Tage bis zur Bundestagswahl. Der Wahlkampf fällt dieses Mal deutlicher kürzer und kälter aus. Er fällt in die Zeit, in der rund um Weihnachten und den Jahreswechsel privat ohnehin viel zu organisieren war. Auf dunkle und frostige Tage, in denen die meisten Menschen ein wenig träger sind als im Herbst. Zum Ende und Anfang eines Jahres sind viele Menschen mit ihrer persönlichen Sicht beschäftigt auf das, was war, sowie das, was das neue Jahr für sie selbst bringen mag. Der Winter ist für Politik und größere Bezugsrahmen nicht die offenste Zeit. Nicht die typische Zeit für Optimismus und Aufbruchsstimmung.

Der Wahlkampf fällt in eine Zeit, in der die Parteien, die angeben, die AfD zurückdrängen zu wollen, immer näher an die Positionen der rechtsextremen Partei heranrücken und noch einmal stärker mit eingestiegen sind in die Abwertung und Ausgrenzung von Menschen, in die Markierung derer, die sich zugehörig fühlen dürfen und derer, die nur noch toleriert werden sowie derer, die nicht mehr erwünscht sind.

Das 2018 erschienene Buch „Die Rhetorik der Rechten“ (Öffnet in neuem Fenster)von Franziska Schutzbach ist ein sehr guter Ratgeber dafür, was man den autoritären Bewegungen in Europa entgegensetzen könnte, nur bei einem der sieben Jahre alten Sätze zucke ich zusammen, als ich das Buch in dieser Woche noch einmal zur Hand nehme:

„Wählen wir deshalb die Parteien, die sich nicht vom Rechtspopulismus anstecken lassen und seinen Forderungen hinterlaufen. Das ist entscheidend. Wählen wir SozialdemokratInnen, Grüne, Linke, Liberale oder Konservative.“

Welche Parteien bleiben 2025 übrig?

Welche Gefühle habt ihr, wenn ihr an den herannahenden Wahlsonntag denkt?

Dürfen überhaupt alle, die hier mitlesen, wählen? Menschen können jahrelang in Deutschland leben und arbeiten, ohne politisch mitbestimmen zu dürfen über die Dinge, die sie betreffen. Welchen demokratischen Effekt hat das beispielsweise für den Care-Sektor, in dem besonders viele und perspektivisch noch mehr Arbeitsmigrant_innen arbeiten? Wie viel Ohnmacht bedeutet es, länger als eine ganze Legislatur auf die Einbürgerung zu warten und auch bei der nächsten Bundestagswahl nur dabei zuschauen zu dürfen, in welche politische Richtung sich Deutschland bewegt?

Die Ampel hat sich überschwänglich für die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts gelobt, deren antifeministische Ausrichtung (Öffnet in neuem Fenster) jedoch, die es Care-Verantwortlichen, insbesondere Alleinerziehenden, und auch Behinderten sehr schwer machen wird, sich einbürgern zu lassen, wurde jedoch kaum problematisiert. Die Gesetzesreform unterstreicht, dass gewollt diejenigen sind, die vollumfänglich der Wirtschaft zur Verfügung stehen können; für den gesellschaftlichen Kitt der Fürsorge, für die aufdringliche Normalität von Care-Beziehungen ist in diesem aseptischen Entwurf einer Einwanderungsgesellschaft kein Platz.

Mit wie dünnen Trennlinien zu menschenfeindlichen Politikentwürfen soll man sich aktuell begnügen? Wie stark muss man abstumpfen, um Parteien, die Menschen in enge Kategorien von Nützlichkeit fassen (und dabei keine Ahnung haben, wie schnell eine Welt ohne Care zerfallen würde) noch etwas zuzutrauen, das ohne Grausamkeiten auskommt?

Wenn ich frage: „Wie fühlst du dich, wenn du an den Wahlsonntag denkst?“, kommen schnell Entgegnungen auf wie: „Welche Rolle sollen Emotionen bei großen politischen Fragen überhaupt spielen? Politik braucht einen kühlen Kopf.“

„Die Zähmung zumindest bestimmter Emotionen“ gelte gemeinhin als Voraussetzung von Demokratie, so die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer und der Soziologe Otto Penz, die jedoch das Verdrängen von Gefühlen aus dem politischen Raum als Schwachstelle sehen, über die autoritäre Bewegungen angreifen: „Dies macht sich die autoritäre Rechte zunutze, indem sie den vermeintlich gefühlsentleerten Raum (neo-)liberaler Demokratie, mit Gefühlen von Angst, Wut und autoritär-rassistischer Sorge füllt.“ [1] (Öffnet in neuem Fenster) Sauer und Penz forschen dazu, wie und mit welchen affektiven Strategien die autoritäre Rechte erfolgreich ist. Teil einer Gegenstrategie müsse daher auch sein, anzuerkennen, dass Affekte „ein notwendiges Element des Politischen“ seien und der demokratische Raum Platz für die Bandbreite von Gefühlen bieten müsse.

Gefühle gegenüber politischen Situationen sind angemessen, wir sollten uns jedoch auch damit beschäftigen, wie andere Gefühle als solche, die Rechtspopulist_innen instrumentalisieren, in gesellschaftlichen und politischen Debatten stärkeren Eingang finden können.

Für Menschen, die progressive Werte vertreten oder schlicht keine Energie daraus ziehen, Ressentiments zu schüren, ist die Bilanz der ablaufenden Legislatur bitter. Wieder sind es negative Gefühle: Enttäuschung und Frustration. Das, was als Mitte gilt, hat sich weiter nach rechts verschoben und linke Positionen wirken umso radikaler und utopischer.

Für Gleichstellung war es eine verlorene Legislatur (Öffnet in neuem Fenster) und die möglichen Regierungskonstellationen sowie eine weiterhin laute AfD lassen vermuten, dass auch in den kommenden vier Jahren im Sinne von Geschlechtergerechtigkeit, queeren Rechten, Armutsbekämpfung und Anti-Rassismus nur wenig nach vorn bewegt werden kann oder es harte Kämpfe werden, rechtliche Errungenschaften, die Menschen Schutz bieten, zu verteidigen. Diese Aussicht kann den Sinn des eigenen Engagements in Frage stellen. Ob es überhaupt einen Unterschied macht.

Ich habe in den vergangenen Monaten in vielen Gespräche immer wieder von Menschen, die sich selbst als politisch sehr interessiert oder auch engagiert betrachten, dass sie das erste Mal in ihrem Leben verstehen können, warum Menschen nicht wählen gehen, und über dieses Gefühl erschrocken sind. Dass sie zwar wissen, dass die Entscheidung, nicht zu wählen, Rechtsextreme stärkt, aber dass sie gleichzeitig so enttäuscht und pessimistisch sind, dass es ihnen schwerfällt, sich für irgendeine Partei zu entscheiden. Ich kann das nachempfinden. Nicht nur aufgrund der nahezu nicht vorhandenen Ergebnisse bei Gleichstellungspolitik, oder dass eine Reform von §218 StGB (Öffnet in neuem Fenster) erst thematisiert wurde, als die zeitliche Perspektive das Vorhaben schon so gut wie unmöglich machte – unglaubwürdig angetäuschte Ambition für reproduktive Rechte, um ,den Frauen‘ kurz zuzuwinken – oder die mittlerweile schon wieder fast vergessene Kindergrundsicherung, die 2021 noch als größtes sozialpolitisches Vorhaben der Ampel gehandelt wurde.

Der von der AfD gesetzte Begriff der „irregulären Migration“ (Öffnet in neuem Fenster) ist mittlerweile auch etablierter Begriff bei Union, SPD, FDP und Medien – als hätten nicht einmal diejenigen, die in Parteien für strategische Fragen bezahlt werden, das Konzept der rechten Metapolitik (Öffnet in neuem Fenster) verstanden, obwohl eine gute Kenntnis rechtsextremer Strategien mittlerweile Grundvoraussetzung für gewichtige Positionen in Parteizentralen sein sollte. Robert Habeck kommentierte (Öffnet in neuem Fenster) vor einigen Tagen ohne Not über Geflüchtete aus Syrien: „Diejenigen, die hier arbeiten, die können wir gut gebrauchen“. Die anderen müssten irgendwann zurück. Robert Habeck gilt als der empathische Spitzenkandidat. Offenbar muss man sich diese Empathie jedoch auch als Kriegsflüchtling erst verdienen. Sie gilt in diesem Wahlkampf für diejenigen, die die Ärmel hochkrempeln und arbeiten wie ein Mann.

Die geringe Erwerbsquote syrischer Frauen, die die Quote der erwerbstätigen Syrer_innen insgesamt senkt, hat unter anderem damit zu tun, dass es zu wenig geschlechtersensible Unterstützung bei der Arbeitsmarktintegration gibt und die Vereinbarkeitskonflikte für geflüchtete Frauen mit Care-Verantwortung noch einmal deutlich höher sind als für andere Frauen. Denn schon der Zugang zu Sprachkursen kann aufgrund von Care-Aufgaben und unzureichender Kinderbetreuung verzögert oder erschwert sein. Gewalterfahrungen auf der Flucht, die psychosozialen Belastungen durch Unterbringung in Massenunterkünften und mangelnde Gesundheitsversorgung haben Einfluss darauf, wie schnell und gut insbesondere geflüchtete Frauen und queere Personen Orientierungs-, Bildungs- und Arbeitsangebote annehmen können.

Die Grünen nutzen 2021 in ihren Kampagnen noch das Hashtag #geballterfeminismus. In der Neuausrichtung der Partei, die nun um ehemalige Merkel-Wähler_innen werben will (Öffnet in neuem Fenster), muss der Feminismus leiser auftreten, was sich einzureihen scheint in eine globale Entwicklung, in der es vielen cis Männern mit Gleichstellung und Diversität jetzt erst einmal reicht und nun auch wieder öffentlich nach „mehr maskuliner Energie“ (Öffnet in neuem Fenster) (Mark Zuckerberg) gerufen werden darf – ohne Scham, eher schäkernd in Richtung der Bros, die endlich wieder unter sich sein wollen. Entscheider_innen des Öffentlich-Rechtlichen-Fernsehens finden es funky, einem Moderator mit mehr als fragwürdigem Frauenbild (Öffnet in neuem Fenster) eine progressive Kultursendung anzuvertrauen, Friedrich Merz hält nichts von Geschlechterparität im Kabinett (Öffnet in neuem Fenster), Robert Habeck hat – anders als bei seinen vorigen Sachbüchern – auf geschlechtersensible Sprache verzichtet und „entschieden, es diesmal einfach zu lassen“ (Öffnet in neuem Fenster).

Auf Threads fand ich diese Woche eine sarkastische Kommentierung (Öffnet in neuem Fenster) von Zuckerbergs Wunsch nach mehr ,masculine energy‘ in Unternehmen bräuchten, die mich auch an die aktuelle deutsche Politik erinnerte:

„Men do realize that the "male loneliness epidemic" is only going to worsen with this strange trend of restoring intense masculine energy, right? Like we've literally told you exactly what we want from men time and time again. Equal opportunity, a supportive partner, someone who listens, shares the labour, encourages us, is in touch with their feminine and creative side, goes to therapy ect. Not doing the work and adding "manly" to their resume isn't going to fix it.“

Ich bin der Auffassung, dass alle demokratischen Parteien sehr gut wissen, wie man die vielfältigen weiblichen und queeren Zielgruppen, die jungen Wähler_innen, von sich überzeugen könnte. Es ist eine aktive Entscheidung, dies nicht zu tun. Weil sie nach wie vor mit dem bare minimum durchkommen wie ein Partner, der zwar mehr Kopfschmerzen als Freude macht, aber zumindest manchmal die Spülmaschine ausräumt und einkaufen geht, wenn man ihm eine Liste schreibt.

Das Durchkommen mit dem bare minimum gelingt dann, wenn Wähler_innen denken: „Etwas Besseres findet sich nicht – wir bleiben pragmatisch zusammen. Jetzt, wo jeder zweite Typ von Autoritären träumt, tut es auch einer, der glaubt, dass Nagellack ein feministisches Statement sei.“

Ich halte die verstärkte Vermännlichung in Form patriarchaler Kultur, das Fehlen von wirklich feministischer Politik – in der Gleichstellung zentral ist, statt ein Nice-to-have für bessere Zeiten – für einen Fehler von Parteien, weil die Gefahr besteht, dass tatsächlich Menschen nicht wählen gehen, obwohl sie rational abwägen können, dass sie aus demokratischen Gesichtspunkten wählen sollten. Dass es mehr Menschen gibt, die vielleicht noch pflichtbewusst ins Wahllokal schlendern, aber nicht mehr im Freundeskreis über Politik sprechen, nicht mehr einander mobilisieren oder überzeugen, weil sie sich von nichts mehr gemeint fühlen.

Ich halte es auch für falsch, jetzt progressive Parteien nicht zu kritisieren.

Denn mehr „maskuline Energie“ ist weder ein Konzept gegen der Erfolg der AfD noch ein gutes politisches Angebot für alle.

Was sich innerhalb von Parteien ändern muss und auch in der öffentlichen Kritik wichtig ist, ist die Machtdynamiken zu benennen, die bestimmte Themen wie Care, reproduktive Gesundheit, Gleichstellung, Inklusion, immer wieder marginalisieren. Es ist wichtig, den Vertrauensbruch zu benennen, der entsteht, wenn vorausgegangene Wahlkampagnen explizit mit feministischer Politik geworben haben, diese Themen dann aber nach der Wahl nicht mehr wichtig waren oder es aktuell im progressiven Spektrum kaum gewichtige weibliche Stimmen gibt. Die neuen Wahlprogramme von SPD und Grünen sind bei diesen Themen zwar solide, enthalten aber im Vergleich zu den Programmen 2021 keine nennenswerte inhaltliche Weiterentwicklung, sodass im Prinzip all das erneut versprochen wird, das im Koalitionsvertrag der Ampel versprochen war und trotz dreijähriger Regierungszeit nicht zur Umsetzung kam. All das auf Blockaden der FDP zu schieben, ist nicht aufrichtig.

Ich werde zu den Wahlprogrammen noch an anderer Stelle etwas ausführlich schreiben, aber rolle schon jetzt mit den Augen, da wieder einmal die unterkomplexe Lösung präsentiert wird, dass mehr Kinderbetreuung der Schlüssel zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Müttern an beruflichen Chancen und existenzsichernden Einkommen sei. Will sich ein Mann Feminist nennen, sollte er bei so einer zentralen Gleichstellungsfrage schon lange fundierteres Wissen haben und dementsprechende politische Ansätze vermitteln wollen. Wie ernst man Gleichstellungspolitik wirklich nimmt, zeigt sich letztlich an der konkreten Expertise – denn mit immer der gleichen abgedroschenen Lösungsformel käme man(n) bei Wirtschaftspolitik nicht durch. Und wer sich erst Monate nach Veröffentlichung des Kommissionsberichts zur reproduktiven Gesundheitsversorgung aus der Deckung wagt, findet höchstwahrscheinlich, dass die Forderung nach Entkriminalisierung nicht allzu drängend ist und die jetzige rechtliche Regelung sowie Versorgungslage noch mehr autoritären Einfluss locker übersteht. Auch bei diesem Thema fehlt es an einem ernsthaften Interesse, denn die Beurteilung, dass es in der Legislatur der Ampel wenig wichtig war, Abbrüche abzusichern, ist mehr fluffiges Bauchgefühl als sorgsame politische Analyse.

Aus Furcht vor möglichen Regierungskonstellationen, die Gleichberechtigung attackieren könnten, sollte man nicht aufhören, auch progressive Akteur_innen zu kritisieren – denn nur so kann es Auseinandersetzung und Entwicklung geben und nur so nehmen Menschen wahr, dass progressive Strömungen vorhanden und weiterhin lebendig sind. Nur so nehmen Menschen, denen Gleichstellung, Antidiskriminierung, Armutsbekämpfung wichtig sind, wahr, dass sie nicht allein sind damit, dass ihnen das politische Angebot derzeit zu wenig ist. Je mehr Feminist_innen ihre Forderungen zurücknehmen, aus Frustration oder weil ihnen erzählt wird, das beflügle die Rechten, desto weniger werden feministische Positionen Berücksichtigung finden. Ein Erstarken rechter oder gleichgültiger Positionen muss mit mehr Feminismus, mehr Inklusion, mehr konsequentem Einstehen für Menschenrechte beantwortet werden.

Kritik ist kein Canceln. Kritik von Politik bedeutet nicht, gar nicht zu wählen oder Politiker_innen geringzuschätzen. Kritik bedeutet, in Verbindung zu bleiben und ein Gespräch zu beginnen.

(Gilt zB auch für die Debatte um Thilo Mischke und das Verhalten der ARD.)

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat darauf hingewiesen, dass Muster der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit unterbrochen werden müssen, damit sich der Legitimationsfundus von Rechtspopulisten bzw. Rechtsextremisten nicht vergrößert und normalisiert. Denn alles, was als normal gilt, kann nicht mehr problematisiert werden.“[2] (Öffnet in neuem Fenster)

Wir erleben gerade aber eine erhebliche Normalisierung von ausgrenzenden, stigmatisierenden, dämonisierenden Haltungen – daher muss der Widerstand gegen diese Narrative größer werden, statt sie hinzunehmen als vermeintlich vertretbares Mittel, um Angebote an (mögliche) AfD-Wähler_innen zu machen.

Ein Ansatz gegen Rechtsextremismus, den die verstorbene Psychologie-Professorin Birgit Rommelspacher für notwendig hielt, ist die Bekämpfung von Ungleichheit. Das umfasst die „Zurückweisung aller Bestrebungen, die die Ungleichwertigkeit von Menschen propagieren, legitimieren und verfestigen“. „Jede Stigmatisierung und Zurücksetzung von Menschen und Menschengruppen“ fördere, dass diese ungleich behandelt würden. Zu den Ungleichheitsideologien zählte sie „Rassismus, Sexismus und Heterosexismus, aber zum Beispiel auch die Denunziation von Arbeitslosen als faul und nicht leistungsbereit.“

Gerade die letzte Abwertungsform hat gerade Hochkonjunktur. Dabei sind diejenigen, die gerade am vehementesten erwerbslose Menschen und Bürgergeld-Beziehende stigmatisieren und den Vorwurf der Faulheit sogar schon an Erwerbstätige richten, die sich krankmelden, Vertreter von CDU und FPD.

Die CSU-Bundestagsfraktion postete in dieser Woche eine Social-Media-Grafik, (Öffnet in neuem Fenster) die von einem AfD-Plakat nicht mehr unterscheidbar ist. Auf dem Motiv sieht man ein weißes, heterosexuelles Paar mit Kind, an der Wand des Zimmers hängt ein Kruzifix. Auf dem Bild findet sich der Slogan: „Starke Familien statt woke Gesetze!“ Welche Menschen die CSU als zugehörig zu Deutschland sieht, wer ausgegrenzt und stigmatisiert werden soll, ergibt sich unmissverständlich aus Text und Bildsprache. Die Vorstellung der einen, richtigen Familienform, der einen akzeptierten Religion, ist Kennzeichen autoritärer Politik.

Dass rechtsextreme Denkmuster der jüngsten Mitte-Studie (Öffnet in neuem Fenster) zufolge stark angestiegen sind, geht auch auf das Konto aller Akteur_innen, die mit Äußerungen und Regelungen die Vorstellung nähren, dass Menschen nicht gleich an Wert sind.

(Robert Habeck hat in dieser Woche bei einer Publikumsdiskussion erläutert, warum aus seiner Sicht ein Verzicht der CDU Schleswig-Holstein auf Populismus dazu geführt hat, dass die AfD dort nicht im Landtag sitzt, zu finden in den letzten Minuten der Aufzeichnung (Öffnet in neuem Fenster)).

Das Zurückdrängen der AfD sowie rechtsextremer Einstellungen wird nicht schnell verlaufen. Diejenigen, die sich dagegenstellen wollen, brauchen dafür einen langen Atem, es werden kleine Schritte sein. Doch je mehr Menschen im Pessimismus versinken und glauben dass sich ein Eintreten für progressiven Wandel nicht mehr lohnt, desto schwieriger wird es, die autoritäre Entwicklung zu bremsen.

Das Engagement gegen Rechts, für eine plurale, lebenswerte Welt für alle, braucht Zeit nicht nur in der langen Perspektive, sondern ausreichend Zeit heute, morgen, in den 36 Tagen bis zur Wahl und an jedem weiteren Tag danach. An einem Sonntag zum Wahllokal zu laufen oder ab und an auf eine Demo zu gehen, wird nicht reichen. Daher ist es auch wichtig, weiterhin für neue zeitpolitische Ansätze einzutreten und sich dafür zu engagieren, dass alle Menschen genügend freie Zeit für Information, Austausch mit anderen und Engagement bekommen. Dafür kann man sich einsetzen in Gewerkschaften, in Parteien, in Gesprächen im sozialen Umfeld und in den Unternehmen und Organisationen, in denen wir arbeiten. Zum anderen sind wir aber auch selbst gefordert, dort, wo es möglich ist anderen Menschen Zeiten für Engagement zu ermöglichen, auf die besonders Zeitarmen zu achten, auf ihre Abwesenheit aufmerksam zu machen und sie einzubinden.

Franziska Schutzbach geht in „Die Rhetorik der Rechten“ auf Pessimismus ein, der sich einstellen kann und beschreibt, dass es eine innere Arbeit gegen Verzweiflung brauche, um sich dann auch strukturell gegen Unrecht wehren zu können: 

„Die italienischen Diotima-Philosophinnen plädieren deshalb dafür, auch die bereits vorhandenen Freiheitsspielräume in den Blick zu nehmen. Wir können uns also fragen: Selbst wenn vieles schlecht läuft und es Zwänge gibt, wo ist der Punkt, an dem ich hier und jetzt Freiheit umsetzen, frei handeln kann? Ich will nichts schönreden und bin mir meiner Privilegien bewusst. Aber ausschliesslich darauf zu fokussieren, was alles schiefläuft, kann den Effekt haben, dass man sich selbst nicht mehr als handelndes Subjekt sieht. Man entmachtet sich selbst.“

Ich halte nichts von Neujahrsvorsätzen, möchte euch aber dennoch Fragen zur Reflexion mitgeben:

  • Welche Freiheitsspielräume habe ich, um mir jede Woche Zeit für Engagement zu nehmen? Was hält mich davon ab, diese Zeit aufzubringen? Was fehlt mir, was brauche ich, um mir diese Zeit zu nehmen?

  • Wie kann ich andere dabei unterstützen, dass sie sowohl Zeit als auch die Gemeinschaft finden, um sich zu engagieren und wieder zu spüren, dass sie nicht machtlos sind?

Parteien sind nicht perfekt. Sie brauchen Kritik und Engagement. Die Zeit, die viele Ehrenamtliche in den Wahlkampf und die politische Arbeit stecken, sollten alle, die dürfen, mit der Wahl einer demokratischen Partei würdigen. Das Ergebnis der Bundestagswahl im Februar schreibt nicht fest, wie es danach weitergehen wird. 36 Tage sind wenig Zeit, aber die Zeit, die danach kommt, bietet weiterhin Freiheitsspielräume, um die Zukunft gerechter und solidarischer zu gestalten. Dazu braucht es Alltagspraxis und öffentliche Intervention von Menschen, die Gelegenheiten, Bühnen, Netzwerke, mediale Räume haben, um anzusprechen, dass andere Wege nötig sind, auf die wachsende Wählerschaft der AfD zu antworten, als ihr nachzulaufen. Es braucht mehr Menschen, die aussprechen, dass sie für ihre Wahlentscheidung von den demokratischen Parteien erwarten, dass die Debatten der Abwertung, Stigmatisierung und Ausgrenzung aufhören.

Bis bald
Teresa

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Lesungen, Gespräche, Moderationen mit mir 2025

teresabuecker.de/termine (Öffnet in neuem Fenster)

22. Januar 2025 – Hamburg
19 Uhr, Körber-Forum
Female Futures: Gewalt in der Beziehung

Gewalt gegenüber Frauen nimmt seit Jahren deutlich zu. Häufig geschehen die Taten im engen sozialen Umfeld. Was können wir dagegen tun und wie können Betroffene gestärkt werden? Mit der Journalistin Teresa Bücker diskutieren die Soziologin Julia Habermann, die Anwältin Christina Clemm und Stefanie Knaab von Gewaltfrei in die Zukunft.

Anmeldung (auch für Livestream) (Öffnet in neuem Fenster)

23.01. 2025 – Potsdam
Ringvorlesung der Uni Potsdam: „Zeitfragen: Zeitkonzepte – Arbeitszeiten – Zeit und Geschlecht“
Lesung aus „Alle_Zeit“

im Buchladen Sputnik, Charlottenstraße 28, 14467 Potsdam um 19 Uhr
Infos zur Ringvorlesung (Öffnet in neuem Fenster)

29.01.2025 – Online-Lesung zu »Alle_Zeit«
organisiert von feffa e.V.

19 – 20.30 Uhr
Infos und Anmeldung (Öffnet in neuem Fenster)

[1] (Öffnet in neuem Fenster) Aus: Sauer, Birgit, and Otto Penz. Konjunktur der Männlichkeit: affektive Strategien der autoritären Rechten. Campus Verlag, 2023

[2] (Öffnet in neuem Fenster) Heitmeyer, Wilhelm. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Interaktionsprozesse Im Gesellschaftlichen Raum." Rechtsextremismus in Deutschland Und Europa, 2012.

 

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