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Heute ist der 378. März 2020. Das im Lockdown geborene Baby hat im Lockdown begonnen zu laufen und ist der fröhlichste Mensch, den ich gerade kenne. Ich frage mich immer, wie sehr es sich wundern wird irgendwann, dass es mehr als drei andere Menschen gibt.

Zählt der zweite Geburtstag innerhalb der Pandemie als Älterwerden oder bleibe ich 36, bis das alles vorbei ist? Wenn ich dem Spiegel vertraue, werde ich heute fünf Jahre älter als letztes Jahr.

Es ist nun das dritte Jahr in Folge, dass mein Geburtstag ein seltsamer Tag ist. An diesem Tag im vergangenen Jahr wurden die Kita- und Schulschließungen verkündet, um die Infektionsrisiken mit Covid-19 zu senken. Es war ein Freitag und ab diesem Tag würde das Baby noch 23 Nächte in meinem Bauch sein, bevor es von dort in unsere Wohnung ziehen würde. Dementsprechend hatte ich keine besondere Lust, meinen 36. Geburtstag zu feiern – zu unbeweglich, um ausgelassen zu sein – aber für den Tag darauf hatte ich ehemalige Kolleg_innen zu mir eingeladen, in deren Kreis wir uns alle paar Monate trafen, um nach dem gemeinsamen Arbeiten in Kontakt zu bleiben. Das geplante Treffen, das unter dem Arbeitstitel „Brunch & Hausgeburt“ lief, sagten wir schließlich ab, da es allen unvernünftig erschien. Den alkoholfreien Sekt, den ich damals kaltgestellt hatte, habe ich vor ein paar Wochen an die Nachbarin unter uns verschenkt, die gerade schwanger ist. Wer trinkt schon alkoholfreien Sekt allein? Eigentlich schmeckt er nicht mal gemeinsam.

Mein Geburtstag 2019 war vermutlich der elendste Geburtstag, den ich je hatte. Am Tag davor hatten meine Chefinnen mir gesagt, dass mehrere Mitarbeiter_innen betriebsbedingt gekündigt werden mussten, auch aus dem Team, das ich damals leitete. An meinem Geburtstag wurde diese Entscheidung an alle Mitarbeiter_innen kommuniziert. Ich war den ganzen Tag benommen und vergaß immer wieder, dass ich Geburtstag hatte und war jedes Mal irritiert, wenn mich jemand für einen kurzen Moment anlachte und freudig in den Arm nehmen wollte, während alle im Büro verstört und traurig waren oder weinten. Auch an diesem Tag, dem Jahr vor der Pandemie, wollte ich weder an dem Abend noch ein paar Tage später mit Freund_innen feiern. Mitzuerleben, wenn Menschen gekündigt wird, mit denen man gern arbeitet, die man schätzt und besonders bei denen, für die es der erste Job ist, bricht einem das Herz.

Ich ging abends mit meinem Freund zusammen essen, Wein trinken, wenigstens das, um mit ihm nachzudenken, was ich tun wollte. Ich habe am Abend meines 35. Geburtstages entschieden, meinen Job zu kündigen, ohne zu wissen, was danach kommen würde. Aber ich wusste, dass ich dort nicht mehr länger sein wollte. Ich hatte schon länger an einen Abschied gedacht. Dass ich wieder ein Jahr älter wurde, gab der Entscheidung den letzten Schubs. Fast genau fünf Jahre vorher, wenige Tage vor meinem 30. Geburtstag, hatte ich meinen damaligen Job gekündigt und in dem, den ich jetzt verlassen würde, unterschrieben. Wenige Tage nach Kündigung und Vertragsunterzeichnung 2014 hatte ich den ersten positiven Schwangerschaftstest meines Lebens in der Hand und begann meine Arbeit im neuen Job im vierten Monat schwanger.

Jetzt, damals, an diesen Tagen 2019, dachte ich, dass fünf Jahre genug waren. Ich war hungrig darauf, wieder mehr dazu lernen zu können, Routinen loszulassen. Zudem war ich erschöpft von fünf Jahren Führungsposition in einem Startup, zwei Krisen dort, die jedes Mal doppelten Einsatz verlangten, Veranstaltungen am Wochenende und am Abend, während ich außerdem fünf Jahre Mutter war und das alleinerziehend, seitdem mein Kind eineinhalb war. Ich hatte fünf Jahre lang die berühmt-berüchtigten 150 Prozent gegeben, zu viel. Nein, mit Kind und als Single-Mutter vermutlich eher 300 Prozent. Unmenschlich viel. Am Abend meines Geburtstages war ich endlich in der Lage, mir die Frage zu stellen: „Für wen mache ich das eigentlich? Für wen würde ich das machen, wenn ich jetzt bleibe?” Nicht für mich.

Ich hörte endlich auf mich.

Ohne Plan und mit der Vermutung, dass es als feministische Journalistin alles andere als einfach werden würde, irgendwo anders einen Job zu bekommen. Unbequeme Frauen. Dazu könnte ich einen eigenen Essay schreiben, aber jede Frau, die schon einmal „unbequem“ oder „schwierig“ genannt wurde, weiß, was ich meine. Das Label existiert nur für uns, die keine cis Männer sind. Wir sollen keine Fragen stellen, vor allem nichts in Frage stellen, sondern das tun, was man von uns erwartet. Wenn eine Frau präzise Argumentationen mag, sich gern unbeeindruckt gibt, nicht über flache Witze lacht, nur dann spricht, wenn es etwas zu sagen gibt, wird sie als „kühl“ bezeichnet oder als „streng“.

Meine Freundin, die mir das erzählte, lacht sich halbtot als sie sagte: „Er hat gesagt, du würdest so kühl wirken. Ich glaube, er hat Angst vor dir.“


Ich brauche drei, vier gemeinsame Kaffeetrinken, um warm zu werden, ja. Die Zeit braucht es, um jemanden zumindest in Umrissen zu kennen. Ich bin geduldig, abwartend, interessiert genug, um mich noch einmal mit jemandem zu treffen. Aber nicht kühl. Ich würde mich eher als körperlich beschreiben. Ich stehe nach einem Jahr blöde Pandemie noch immer vor anderen mit zuckenden Armen, die zur Umarmung ansetzen. Meine Arme gewöhnen sich nicht an Gebote. Ich habe Mühe, diesen körperlichen Impuls zu kontrollieren, weil ich nicht streng sein kann. Ich tagträume seit Monaten von schweißnassen Körpern in dichtgedrängten Bars, anonymen Berührungen. Ich habe immer wieder Flashbacks an Nächte in Clubs, die es nicht mehr gibt und erinnere Momente dort so klar, wie ich sie vor der Pandemie nie hätte abrufen können. Ich, die Passiv-Rauch hasst wie kaum etwas anderes, würde alles geben um jetzt diesen beißenden Rauch schmecken zu dürfen. Eine blöde Anmache würde sich heute anfühlen wie eine Erlösung.

Sauna ist das Pendant zum Club, was ich so sehr vermisse. Die gelegentlichen Belästigungen dort stören mich wenig, weil die Hitze wichtiger ist und ich mittlerweile gelernt habe, sie zu kontern. Beleidigungen und Drohungen auf Twitter zu blocken, ist ein mechanischer Vorgang. Wenn man eine Belästigung in der Sauna oder in der U-Bahn abwehrt, erhascht man wenigstens noch diesen ungläubigen Blick dazu, dass man sich gewehrt hat.

Ich möchte am liebsten noch mehr Kinder nur aus dem Grund, weil ich Geburten und Stillen und seufzende Säuglinge, die auf dem eigenen Körper eingeschlafen, wirklich genießen kann. Als ich vor knapp einem Jahr Wehen bekam hatte ich kurz Angst und dachte wie bei meinem ersten Kind kurz ,Oh Gott, was für eine Schnapsidee wie komm ich aus dieser Geburtsnummer schnell wieder raus?‘ nur um dann an diesem ersten Aprilsonntag zu betrauern, dass die Geburt viel zu schnell war.

Ich kann diese Pandemie intellektuell noch verarbeiten, aber mein Körper ist sauer.

Und ich glaube immer noch, dass das antifeministische Feuilleton vor allem umarmt werden will, genau wie ich, und lieber herzlich wäre, wenn man in herzlichem Ton überlegen klingende Texte schreiben könnte. Muss das anstrengend sein, sich diese Herzlichkeit nicht zu erlauben. Diese Texte klingen, als bohre sich der Autor während er mit einer Hand tippt mit der anderen einen Füllfederhalter in den Unterarm, damit in dem Text bloß keine emotionale Regung sichtbar werden kann. Ich bin so wenig kühl, ich würde es wenigstens einmal versuchen, ein wenig Liebe in eine Person hinein zu umarmen, die Angst vorm Gendersternchen hat. Das Sternchen piekst ja nicht, es ist ganz zart. Kaum hörbar, wenn man es spricht, getippt und gelesen in unter einer Sekunde.

Vom Sommer 2019 bis in den Januar 2020 sprach ich mit einem Verlag über eine Stelle und es waren fast alle Details geklärt, als die Absage kam. Budgetkürzungen für das Jahr. Ich hatte kurz zuvor offengelegt, schwanger zu sein, weil es zu mir nicht passt, so etwas nicht zu sagen. So viel Vertrauen muss sein, wenn man miteinander arbeiten will. Ich glaube nicht, dass die Absage an der Schwangerschaft lag, aber völlig ausschließen kann ich es letztlich auch nicht. Es ist ein Scheißgefühl, die eigene Ehrlichkeit in Frage stellen zu müssen.

Ich wurde übrigens schwanger mit meinem zweiten Kind, genau zwei Jahre nachdem ich das Zwischen_Kind verlor, sechs Wochen nachdem ich meine Stelle als Chefredakteurin verlassen hatte. Kündigen scheint mein Rezept zu sein, damit mein Uterus an die Arbeit will. Offenbar hat er nicht verstanden, dass der Kapitalismus wenig davon hält, wenn er sich ausdehnt.

Jetzt bin ich meine eigene kühle, strenge, herzliche Chefin. Am meisten vermisse ich die Zusammenarbeit mit jüngeren Kolleg_innen und Praktikant_innen. Irgendwo habe ich doch einen Mutterkomplex und fast nichts ist so schön, wie den jungen Frauen, mit denen ich in den letzten Jahren arbeiten durfte, dabei zuzusehen, wo ihr Talent sie hinträgt. 

Young women today are brilliant. – Laurie Penny (Öffnet in neuem Fenster)

Ich hoffe, sie werden und bleiben so unbequem in so großer Zahl, dass irgendwann niemandem mehr auffällt, dass sie es sind. Menschen sind schließlich keine Sofakissen.

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Hier sind alle Infos (Öffnet in neuem Fenster).

Seit gestern sind schon Christine, Cornelia, Dirk, Cerridwen, Johanna, Anna Maria, Kirsten, Daniela, Christel, Annika, Barbara und Mia als Unterstützer_innen dabei. Danke und herzlich willkommen!

Bleibt bitte, bitte unbequem.

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