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Schöne Aussicht: Die Strasse von Manu Larcenet

Ich habe großen Respekt vor Künstlern, die mit ihren Zeichnungen, Illustrationen und Malereien die Fantasie anregen und damit manchmal erst die Tore öffnen, durch die Storywriter, Programmierer und viele andere gehen, um eine ganze Welt daraus zu formen. Manchmal schaut man ein Bild an und sieht schon ein Abenteuer vor sich - oder wünscht sich eines.

Aber manchmal kennt man eine Geschichte sehr gut und sie wird nachträglich bebildert. Und je berühmter die Vorlage, je mehr man mit ihr persönlich verbindet, desto schwieriger ist die Adaption als Comic. Kürzlich hatte ich auf den Franzosen Michel Plessix (1959-2017) hingewiesen, der Der Wind in den Weiden (Öffnet in neuem Fenster) von Kenneth Grahame aus dem Jahr 1908 wunderbar illustrierte.

Und es ist erneut ein Franzose, der 55-jährige Manu Larcenet, der einen Klassiker der Literatur meisterhaft in Szene zeichnet. Es geht um den Roman Die Straße (Öffnet in neuem Fenster) von Cormac McCarthy aus dem Jahr 2006, der zwar noch in meiner Schatzkiste (Öffnet in neuem Fenster) fehlt, aber schon auf der Liste steht - diese tragische Geschichte hat damals beim Lesen Spuren hinterlassen.

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Natürlich ist der 160-seitige Comic von Larcenet, der gerade auf Deutsch bei Reprodukt (Öffnet in neuem Fenster) erschienen ist, eine erzählerische Verkürzung dieser Reise. Allerdings eignet sich der Schreibstil von McCarthy sehr gut für eine Reduzierung in Szenen mit kleinen Dialogen. Denn die Sprache seines Romans zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie auf das Wesentliche fokussiert ist. Seine Sätze sind kurz und seine Wortwahl ist eher spartanisch als poetisch, so dass sie das Kalte, Harte und Brüchige dieser Welt stilistisch spiegeln konnte.

Die Reise führt Vater und Sohn durch ein endzeitliches Amerika, in dem sowohl die Städte als auch die Menschlichkeit in Trümmern liegen; Mord, Vergewaltigung, Sklaverei und Kannibalismus sind an der Tagesordnung. Aber dennoch gibt es in Gestalt des Jungen noch Hoffnung, die man auch in den Illustrationen von Larcenet finden kann. Es gibt viel Tod und Gewalt, aber er inszeniert kein Gemetzel à la The Walking Dead, sondern zeigt innerhalb der Trostlosigkeit mit kleinen Gesten und Blicken das tragisch Menschliche. Eine ausführlichere Besprechung des Comics gibt es übrigens von Christian Endres beim Tagesspiegel (Öffnet in neuem Fenster).

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Larcenet war mal Sänger in einer Punkband, schrieb Kurzgeschichten und war eher für seinen Humor und Comics für Kids bekannt. Ins Deutsche wurde er zum ersten Mal 2002 bei Egmont in Trondheim: Die Kosmonauten der Zukunft übersetzt. Populär wurde er hierzulande mit seiner vierteiligen Reihe Der alltägliche Kampf (Öffnet in neuem Fenster), die 2011 als Gesamtausgabe bei Reprodukt erschien.

Aber er war vielfältig aktiv, sammelte auch Erfahrung mit eher ernstem literarischen Stoff, der sich mit düsteren Facetten der Menschlichkeit beschäftigt. In diesem Sinne war sein in holzschnittartiger Dunkelheit gemeißelter Comic Brodecks Bericht (Öffnet in neuem Fenster), der auf dem Roman von Phillipe Claudel beruht, eine Art stilistischer Vorläufer für Die Strasse. Auch dort geht es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem deutsch-französischen Grenzkaff um eine Art menschliche Endzeit.

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Es gibt bereits einige "Schöne Aussichten" im Archiv, ich werde versuchen sie alle zwei Wochen anzubieten.

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Kategorie Erkundung

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