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Grandia, Golden Sun, Skies of Arcadia: Als das Rollenspiel heiter war

Als ich kürzlich diese Karte von Grandia (1997) sah, die exklusiv für den japanischen Release auf dem Sega Saturn auf Stoff gedruckt wurde, wollte ich zunächst einen weiteren Artikel über die Faszination von Karten schreiben. Denn Osamu Kobayashi (1964-2021) illustrierte sie im Stil der Carta Marina aus dem 16. Jahrhundert, mit mythischen Wesen und Kreaturen, die ja auch diese Webseite zieren - mehr dazu in der Vertiefung (Öffnet in neuem Fenster).

Aber kaum sah ich mir die Kontinente genauer an, erinnerte ich mich an das Rollenspiel selbst. Nicht sofort an Einzelheiten der Story rund um Justin und seine Gefährten, oder an die Spielmechanik, sondern vor allem an dieses heitere Abenteuer-Flair und dieses unbeschwerte Spielgefühl, das sich unter einer auf den ersten Blick kitschigen Oberfläche verbarg.

Das kennzeichnete auch einige andere japanische Rollenspiele dieser Zeit wie Skies of Arcadia (2000) zwischen den Wolken der Luftschiffe oder Golden Sun (2001) auf dem GBA, das gerade mit zwei Abenteuern bei Nintendo (Öffnet in neuem Fenster) verfügbar ist. Grandia erschien ja zuerst auf dem Sega Saturn (1997) und der PlayStation (1999), wo ich es zum ersten Mal spielte. Grandia II (2000) folgte dann auf Dreamcast und Grandia III (2005) schließlich auf PlayStation 2.

Ich bevorzugte zwar schon damals den ernsten westlichen Stil, von Icewind Dale bis Planescape Torment. Aber diese Rollenspiele aus Japan fühlten sich auf eine gewisse Art wohltuend an. Sie versprühten so etwas wie kindliche Neugier und einen fröhlichen Optimismus, einen hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft, den man sonst nur in Kinderbüchern oder Zeichentrickserien fand - und den man als zynischer Erwachsener vielleicht belächelte.

Das Apokalyptische und das Pessimistische beherrschen ja viele Rollenspiele. Meist steht eine Welt vor dem Untergang und Helden treten an, um sie zu retten. Wenn kein verrückter Hexenmeister oder chaotisch böser Magier die Strippen zieht, dann sind es Schurken oder Konzerne, Dämonen oder Götter. Das war schon in den ersten Dungeons so, wurde von Final Fantasy VII bis Fallout weiter kultiviert und hat sich bis Cyberpunk 2077 und Baldur's Gate 3 gehalten. Und ich mag das.

Aber so richtig Urlaub machen will man vermutlich weder in der Welt des Hexers noch in den Vergessenen Reichen oder Night City. Selbst im Independent-Bereich sind die Aussichten in Colony Ship (Öffnet in neuem Fenster), Sovereign Syndicate (Öffnet in neuem Fenster) oder Broken Roads (Öffnet in neuem Fenster) eher dunkel und dystopisch als heiter und optimistisch. Und damit verstärken sie das Gefühl der Gegenwart. Meist wird man als Held in bedrohte, dem Untergang geweihte oder schon gestürzte Welten gebeamt, ohne dass man ihre Vorzüge oder Bewohner überhaupt kennen lernen und ihnen einen emotionalen Wert beimessen könnte.

Wenn ich jetzt zurückblicke, waren Grandia, Skies of Arcadia und Golden Sun vielleicht die ersten Cozy Games für Rollenspieler. Also ähnlich Stress abbauende und entspannende Spiele wie heutzutage Animal Crossing, Dorfromantik & Co. Aber damit wird man ihnen auch nicht gerecht, denn sie boten natürlich Spannung und Kämpfe über die dahin plätschernde Gemütlichkeit hinaus. Sie erweiterten das Genre um kreative Ideen und Grandia stach unter den Genannten mit seinem Ansatz heraus.

Denn die erzählerische Ausgangslage und Stimmung innerhalb der Rollenspiele glich sich schon Anfang der 2000er immer mehr, selbst zwischen den auf den ersten Blick so unterschiedlichen westlichen und japanischen Stilen. Das hat (bis heute) viel damit zu tun, dass Videospiele letztlich die etablierten Muster der Fantasy und Science-Fiction für ihre Geschichten nachahmen, mit all den bekannten Strukturen und Archetypen.

Was mir damals nicht bewusst war, war dass der Schöpfer von Grandia dem gezielt etwas entgegen setzen wollte. In einem Interview (Öffnet in neuem Fenster) von 1997 formulierte es Director Takeshi Miyaji ganz deutlich, sowohl was das die Wahl des Szenarios...

"In searching for an era that would be appropriate to a dynamic and lively world, we came upon the idea of a post-Age of Exploration, post-Industrial Revolution era, a time of new and sudden prosperity for mankind. Everyone living in that time would have their thoughts turned toward the future, and their present time would be overflowing with energy and optimism. In people’s hearts, there would be a desire for new horizons and unseen worlds–“adventure”. Hence the “age of adventure.”

...als auch das angestrebte Spielgefühl betraf:

"I wanted to make a game that felt like a breath of fresh air, like you were seeing the blue sky break through the clouds. Of course there are sad stories and painful episodes in Grandia, but when it’s over, I wanted players to feel that blue sky. (...) I wanted to show the optimism of welcoming something new, and the hopes and expectations people have for the 21st century: something new is about to begin."

Mit diesem fast schon philosophischen Ansatz konnte Grandia innerhalb der Geschichte der Rollenspiele einen atmosphärischen Kontrapunkt setzen, mit deutlichen Unterschieden zu Final Fantasy VII. Aber was für den Spielhistoriker im Rückblick interessant ist, kann im heutigen Spielerlebnis ganz anders wirken. Der erste Teil ist ja für knapp 13 Euro sowie über PlayStation Plus (Öffnet in neuem Fenster) verfügbar. Und als ich da nach über zwanzig Jahren reingezockt habe, war das erstmal eine dahin flackernd bunte Bruchlandung in eine Zeit, als Sprites durch grob polygonale Kulissen liefen.

https://youtu.be/PYMOJJZ8UNs (Öffnet in neuem Fenster)

Man braucht viel Geduld für Grandia, das seine Charaktere, Welt und Geschichte langsam und linear entwickelt. Der jugendliche Held wird erst mit der Zeit erwachsen, das zunächst kindliche Flair weicht (damals erst auf der zweiten Disc!) ernsteren Tönen. Statt erläuternder Texte steht das situative Erleben im Vordergrund, denn man kann mit allen Bewohnern und nahezu allen Objekten interagieren; es gibt einige zauberhafte Kleinigkeiten. Beim vielleicht etwas zu leichten Kampf konzentrierte es sich auf Elemente aus Fighting Games, übrigens ohne nervige Zufallsgegner wie in Skies of Arcadia.

Aber wichtiger als diese spielmechanischen Merkmale, oder die Erkenntnis, dass ich es in der Form nicht nochmal durchspielen würde und eher Colony Ship (Öffnet in neuem Fenster), Sovereign Syndicate (Öffnet in neuem Fenster) und Broken Roads (Öffnet in neuem Fenster) bevorzuge, ist einfach diese schöne Erinnerung an ein besonderes Spielgefühl. Es konnte eine optimistische Perspektive auf die Zukunft vermitteln und damit durchaus wohltuende Wirkung entfalten. Das gelang kürzlich übrigens viel direkter The Talos Principle 2, wenn auch auf eine ganze andere philosophische und überraschend weise Art. Wer auf der Suche nach atmosphärischen Alternativen innerhalb der Rollenspiele ist, und Disco Elysium mochte, sollte auch Esoteric Ebb beobachten - hier die Erkundung (Öffnet in neuem Fenster).

Kategorie Erkundung

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