Über Sturmbringer und legendäre Schwerter
Ich lese seit einiger Zeit wieder mit großem Vergnügen Elric (Öffnet in neuem Fenster) von Michael Moorcock, das gerade als illustrierte Gesamtausgabe neu ins Deutsche übersetzt wurde. Darin spielen bekanntlich die beiden Schwerter Sturmbringer und Trauerklinge eine wichtige Rolle. Nicht nur weil sie mächtige, mit Runen verzierte Waffen sind, sondern weil sie eigene Wesen mit Eigenschaften darstellen, die Seelen verschlingen und mit ihrem Willen auf den Helden einwirken - nicht immer zu seinem Vorteil. Die beiden Zweihandklingen gelten als Zwillinge, die einst Teil eines mythischen Drachenschwertes waren.
Cover von The Weird of the White Wolf aus dem Jahr 1977 mit Elric und Stormbringer. Es taucht erstmals 1961 in The Dreaming City auf.
Damit sind sie Artefakte einer Vorzeit, über die selbst Elric, der überaus gelehrte Kaiser von Melniboné, kaum etwas weiß. Moorcock gelingt es jedenfalls sehr gut, diesem uralten Reich auch über diese Waffen noch mehr archaische Tiefe und seinem Helden noch mehr tragische Macht zu verleihen.
Legendäre Schwerter sind hier wesentlich zentraler für die Fantasygeschichte als etwa in Der Herr der Ringe. Auch Tolkien stattete Gandalf bekanntlich mit Glamdring und Bilbo mit Stich aus, die beide als magische Elbenklingen blau leuchten, sobald Orks in der Nähe sind. Aber darüber hinaus sind sie nicht sehr wichtig, was fast ein wenig verwundert.
Gerade die germanischen Überlieferungen, die Tolkien ja sehr gut kannte, bieten nämlich viele berühmte Schwerter, vom Beowulf über die Edda bis zur Sagaliteratur: Naegling, Hrunting, Surtalogi, Tyrfing, Gram (Balmung), Mimung, Nagelring. Fast alle stammen von Göttern oder Zwergen und nicht wenige sind im wahrsten Sinne des Wortes zweischneidig für den Helden. Manche zerspringen plötzlich, manche verfehlen zwar nie ihr Ziel, aber fordern dafür drei mal einen Blutzoll und andere müssen sogar töten, sobald man sie aus der Scheide zieht. Gerade das Tragische, Verfluchte und Persönliche dieser Waffen wird in diesen Geschichten spürbar. Obwohl das Schwert Hrunting z.B. jedem den Sieg brachte, versagt es im entscheidenden Augenblick, als es Beowulf gegen Grendels Mutter führte. Wieso, weshalb, warum? Da gibt es zig Interpretationen, von psychoanalytisch bis religionshistorisch.
Innerhalb der Videospiele gibt es auch einige berühmte Klingen. Innerhalb der Videospiele gibt es auch einige berühmte Klingen. Dass Schwerter sogar über Spiele hinweg verbinden, fast wie eine Art digitales Firmenartefakt, zeigt sich im Moonlight Sword von From Software, das vom ersten King's Field im Jahr 1994 über Armored Core bis hin zur Soulsreihe, inklusive Bloodborne und Elden Ring immer wieder auftaucht.
Aber nur wenige besitzen derart übersinnliche oder gar ambivalente Kräfte. Und selbst in Rollenspielen muss man länger nach Klingen mit Persönlichkeit suchen. Manche wie etwa das Dragonbane aus The Elder Scrolls V: Skyrim klingen zwar sagenhaft, aber sind bis auf schnöde Boni wie mehr Schaden gegen die (viel zu harmlosen) Drachen eigentlich austauschbar. Und das übergroße Buster Sword aus Final Fantasy VII ist lediglich eine visuelle Nachhahmung von Dragon Slayer, dem ikonischen Schwert von Guts aus Berserk (Öffnet in neuem Fenster). Dass die Japaner allerdings eine Vorliebe für extreme Klingen haben, zeigte sich kürzlich bei einer Ausgrabung in Nara (Öffnet in neuem Fenster), wo man ein 2,37 (!) Meter langes Schwert vom Dakoken-Typ aus dem Frühmittelalter fand.
Schwert von Nara, Archäologisches Institut von Kashihara, Präfektur Nara.,
Im berühmten Manga von Kentaro Miura (zur Vertiefung (Öffnet in neuem Fenster)) hat es natürlich eine eigene Geschichte, aber in einem Videospiel sind sie oft nur Waffen, die vielleicht besonderen Schaden dank Feuer oder Eis ausrichten. Trotzdem spiegeln sich in einigen digitalen Klingen auch mythische Eigenschaften aus der Literatur: Das von der Göttin Hylia geschmiedete Goddess aka Master Sword aus The Legend of Zelda sucht sich nicht nur seinen Helden aus, wie Gram in der Völsunga- oder Excalibur in der Artus-Sage, es wird auch von einem Geist namens Fi bewohnt und besitzt magische Eigenschaften; leider ist es in The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom nur eine optionale Waffe. Das Soul Edge aus dem gleichnamigen Fighting Game von 1995, das heute als SoulCalibur bekannt ist, ist selbst ein dämonisches Wesen, das Seelen frisst wie Elrics Klingen.
Es manifestiert sich sogar in der Gestalt von Inferno als Boss, der auf alle kriegerischen Erinnerungen seiner bisherigen Besitzer zugreifen kann. Mit dem Energieschwert Monado aus Xenoblade Chronicles kann man die Welt um sich herum manipulieren und in die Zukunft blicken. Aber damit entfernen sich diese Videospiele schon weiter von den Legenden oder gar historischen Überlieferungen. Michael Moorcock kannte als britischer Autor von Fantasy und Science-Fiction natürlich auch die Sagenwelten seiner Heimat.
In The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom ist das Master Sword zwar eine hilfreiche, aber leider nur optionale Waffe.
Betrachtet man die europäische Frühgeschichte, würde man von den Kelten ohnehin sehr viele Geschichten über besondere Schwerter erwarten. Im Gegensatz zu den Römern waren ihre Krieger nicht nur Individualisten, was Ausrüstung und Bewaffnung angeht, sie verfügten auch über die wesentlich bessere Schmiedetechnik, die sich im mehrfach gefalteten Langschwert der Latènezeit (5.Jh.-1.Jh.v.Chr.) manifestierte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Römer ihre zweischneidige Spatha, die erst ihre Kavallerie und im Frühmittelalter auch germanische Könige wie Childerich trugen, nach diesen technisch überlegenen Vorbildern aus dem Norden herstellten.
Das Schwert spielte bei den Kelten der Eisenzeit jedenfalls eine wichtige Rolle, es gibt tausende Funde aus dieser Periode und die künstlerische Gestaltung war ebenso bemerkenswert wie das Schmiedehandwerk. Vor allem die teils verschlungenen Tiermotive auf Griffen und Schneiden, ganz unten als Motiv auf dem Ortband, oder auch als Schmiedezeichen bzw. Stempelmarke, sprechen für eine Wertschätzung und Verehrung über das Militärische hinaus. Man findet Schlangen bzw. Drachen, Vögel, Pferde, Eber oder Stiere, dazu menschliche Figuren und Köpfe, vielleicht Fabelwesen oder Götter. Welche Vorstellungen und Geschichten sich dahinter verbergen, werden wir wohl nicht mehr erfahren, denn leider haben die Festlandkelten keine Literatur hinterlassen.
Aber im Mittelalter haben Mönche die Sagen der Inselkelten aufgeschrieben, darunter jene des irischen Helden Cúchulainn, die in der Táin Bó Cuailnge, dem Rinderraub von Cooley, erzählt wird. Darin heißt es z.B. über Schwerter, dass man sie bei Festen quer über die Beine legte, um seine Ehrlichkeit zu demonstrieren, denn im Falle einer Lüge würde sich die Klinge gegen ihren Besitzer richten. Überhaupt scheinen die Kelten an eine Art von Beseeltheit der Schwerter geglaubt zu haben. Laut der christlichen Verfasser der Texte konnten die Dämonen aus den Schwertern zu ihnen sprechen, womit wir wieder ganz nah bei den ebenso mächtigen wie unheilvollen Klingen von Elric sind.
Sturmbringer hat jedenfalls als eines der berühmtesten Schwerter der Fantasygeschichte überlebt und soll noch heute mit einigen (wenigen) Abenteurern sprechen, als gleichnamiges Pen&Paper-Rollenspiel Stormbringer (Öffnet in neuem Fenster), das ab 1981 bei Chaosium erschien.