Spiele des Jahres 2022: Meine neun Favoriten
Letztes Jahr (Öffnet in neuem Fenster) konnte mich Returnal von Housemarque am stärksten beeindrucken, dicht gefolgt von The Forgotten City und schließlich Metroid Dread. Das sind (bis auf die Loop-Thematik der ersten beiden) komplett unterschiedliche, aber wirklich feine Abenteuer. Zumindest hat es in diesem Jahr noch kein Spiel geschafft, sie in ihrem speziellen Subgenre zu überflügeln.
Diesmal konnte ich über volle zwölf Monate arbeiten - und was für tolle Spiele dabei waren! Trotzdem gibt es natürlich einige schwarze Flecken: Ich kam z.B. nicht dazu, das Horror-Adventure Scorn zu spielen; das verschiebe ich erstmal auf die Version für PlayStation 5. Auch die Globalstrategie Victoria 3 kann ich nicht einschätzen. Und Return to Monkey Island wollte leider thematisch nicht zünden, weshalb ich lieber auf eine Rezension verzichtet habe - laut Ben, Micha und vielen anderen ist es großartig.
Was mich besonders gefreut hat, waren die kleinen Highlights, die ich gar nicht auf dem Zettel hatte: z.B. das coole Knobeln in Dungeons of Dreadrock, die angenehm menschliche Fantasywelt des Text-Adventures Roadwarden oder das feine Storytelling in South of the Circle. Freunde guter Geschichten wurden auf jeden Fall fündig, zumal ich einwerfen muss, dass sogar Dwarf Fortress auf seine Art wunderbar erzählt, wenn sich die eigene Fantasie aus all den pseudohistorischen Fragmenten und Ereignissen ein Epos baut - das meist tragisch endet.
Es gab auch einiges an Mittelmaß, das im Ansatz richtig gutes Potenzial hatte, aber mich letztlich nur solide unterhalten konnte: von Galactic Civilizations IV bis Ghostwire Tokyo, von Trek To Yomi bis Steelrising. Angesichts meiner Erwartung war die größte Enttäuschung sicherlich The Callisto Protocol, auch wenn es rein qualitativ noch deutlich schlechtere Spiele gab, etwa The Last Oricru, Kamiwaza oder Dolmen.
Welche neun Abenteuer haben mich am besten unterhalten? Das Remake von The Last of Us, die Complete Collection von Sorcery! oder die Advanced Edition von Into the Breach, die alle für sich klasse sind, lass ich für diese Liste weg, da es sich um bekannte Spiele handelt. Ach so: Die Grundvoraussetzung für eine Platzierung ist entweder eine Kurzkritik in einer Breitseite oder eine Rezension. Steady-Unterstützer finden sie alle hier auf Steady (Öffnet in neuem Fenster) oder hier auf Spielvertiefung unter Berichte (Öffnet in neuem Fenster).
Aber jetzt los, das sind meine Lieblingsspiele des Jahres 2022:
Platz 9: Stray (PC, PS4/5)
Ich habe Stray mit einem Lächeln im Gesicht gespielt - und natürlich hatte es bei mir als Katzenfreund einen dicken Sympathiebonus. Zumal das kleine Team versucht hat, ihr typisches Verhalten nachzuahmen, was in vielen Situationen gelungen ist. Auch wenn die Cyberpunkwelt das erzählerische Versprechen nicht ganz halten konnte und die Kämpfe überflüssig waren, war das ein richtig gutes Action-Adventure mit coolen Robotern, etwas Stealth sowie Rollenspielflair - und dabei so ansehnlich, als hätte Studio Ghibli einen Bladerunner animiert.
Platz 8: Horizon Forbidden West (PS4/5)
Horizon Forbidden West ist nicht so visionär wie ein Death Stranding und es erreicht nicht die emotionale Wirkung eines The Last of Us: Part 2. Aber dieser unfassbar prächtige Hightech-Jurassic-Park setzt das Erbe von Uncharted in offener Welt sehr gut fort. Auch wenn die Story nicht mehr so geheimnisvoll ist, weil der erste Teil nahezu alle Mysterien offenbarte, ist das ein sehr gutes Action-Rollenspiel, das in nahezu allen Bereichen verbessert wurde. Manchmal blitzt sogar auf, was mit mehr kreativer Freiheit und weniger Zwang zur Fortsetzung möglich gewesen wäre.
Platz 7: Citizen Sleeper (PC, XBS, SW)
Eine der Überraschungen des Jahres ist dieses kleine, abstrakt anmutende Schmuckstück für Rollenspieler - entwickelt von Gareth Damian Martin. Denn es gehört zum erzählerisch Besten, was ich den letzten Jahren an Science-Fiction erlebt habe. Es interpretiert den Cyberpunk deutlich markanter und politischer als etwa Stray und entführt in eine futuristische Welt der Macht und Ausbeutung, in der man sich fast wie in einem Brettspiel über Würfel vorwärts hackt, während man in vielen klasse Dialogen (bisher nur auf Englisch) Entscheidungen trifft und auf überraschend menschliche Schicksale trifft. Das war ein lebendiger Run bis ins Finale!
Platz 6: Immortality (PC, XBS, iOS, And)
Ich habe ja schon in der Einleitung angedeutet, dass das ein tolles Jahr für Freunde guter Geschichten war. Und Immortality hat großen Anteil daran, zumal es sich komplett auf eine detektivische Story konzentriert, die mich als Spieler auf einer mysteriösen Spurensuche in Filmrollen versinken lässt. Vielleicht muss man ein Faible für alte Filme haben, damit es zwischen all den Schnipseln, zwischen all dem Vor- und Zurückspulen irgendwann Klick macht. Aber wenn es das tut, gehört Immortality von Sam Barlow zu den ganz besonderen Erfahrungen interaktiven Storytellings, das ich noch eine Stufe besser einschätze als das vergleichbare Her Story.
Platz 5: Norco (PC, PS4/5, XBS)
Schon wieder Cyberpunk? Das war damals der erste negative Gedanke, der mir bei der Ankündigung durch den Kopf schoss. Tja, so kann der erste Eindruck trügen, denn Norco trifft als herausragend erzähltes Point&Click-Adventure meinen Nerv. Es schlägt ähnlich gesellschaftskritische und menschliche Töne an wie Citizen Sleeper, aber ist dabei weniger abstrakt als vielmehr wehmütig und greifbar. Wer sich einen Hauch von True Detective mit ordentlich surrealer Science-Fiction vorstellt, bekommt vielleicht eine Vorstellung von diesem dystopischen, tragisch verträumten Roadtrip durch Louisiana. Übrigens auch mit deutschen Texten.
Platz 4: Pentiment (PC, XBS)
Pentiment ist wie ein fernes Gemälde. An der Oberfläche ist es ein Adventure-Rollenspiel für Detektive, eine Art Ace Attorney in Oberbayern. Aber darunter entdeckt man so viele Schichten, in denen die lokale Vergangenheit sowie die konfliktreichen Beziehungen von Bauern, Adel und Klerus sichtbar werden. An der Schwelle vom Spätmittelalter zur Neuzeit ist man quasi auf einer multiplen Spurensuche, nach einem Mörder, den Geheimnissen eines Ortes und sich selbst. Pentiment mag mit seinem groben Zeichentrickstil nicht sofort beeindrucken, aber das tolle Artdesign verströmt das Flair alter Manuskripte.
Platz 3: God of War Ragnarök (PS4/5)
Ich liebe dieses Spiel für so vieles: Die Einbindung der nordischen Mythologie ist - medienübergrefend - grandios, das taktische Kampfsystem anspruchsvoll und die Dialoge sowie Schauspieler erreichen höchstes Niveau. Außerdem demonstriert Sony Santa Monica, dass auch Triple A wunderbar erzählen kann! Aber so hart das klingt: Dieses prächtige Abenteuer von Kratos und Atreus ist letztlich "nur" die verfeinerte Fortsetzung des Reboots, es kann als zweiter Teil ein herausragendes Finale inszenieren, aber schleppt auch einige Altlasten mit und ist auf dem Weg ins Ziel etwas häufiger Spielplatz als Spielwelt. Zur (Öffnet in neuem Fenster)
Platz 2: Signalis (PC, PS4/5, XBS, SW)
Dass ich ein kleines Spiel wie Signalis rückblickend etwas höher einschätze als God of War Ragnarök, liegt einfach daran, dass es mich gedanklich mehr beschäftigt hat, und dass es auf seine Art kreativer und überraschender war. Signalis setzt die Tradition der frühen Pioniere des Survival-Horrors fort, aber erzählt eine Geschichte von Macht und Unterdrückung, in der ideologischer Schrecken und verträumt Surreales in futuristischer Retro-Ästhetik verschmelzen. Zwischen Beklemmung und Neugier versinkt man in einem labyrinthischen Geheimnis, löst clevere Rätsel, kämpft taktisch und wird immer weiter weg von der Realität in einen surrealen Nebel gelockt. Diese Science-Fiction würde vielleicht auch Philip K. Dick gefallen.
Platz 1: Elden Ring (PC, PS4/5, XBS)
Es kann hier nur einen Sieger geben - und zwar mit weitem Abstand. Also schnallt euch an für einen (extra langen) Satzgesang: Denn wenn ich ein Spiel mit in den Schlaf nehme, wenn ich davon träume und über Wochen mehrere Notizbücher fülle, weil ich eine monströse Fantasywelt wie ein rätselhaftes Monument erkunde, indem ich wie Odysseus durch Katakomben irre und wie Herkules gegen Giganten kämpfe, nur um plötzlich in eine megalithische Tiefe stürze, die gar kein Ende nehmen will, bevor selbst die Sterne und die Götter zum tödlichen Tanz bitten, dann erreicht ein digitales Abenteuer fast homerische Sphären. Und dass so eine Spielereihe, die mal als kleines Licht in dämonischer Düsternis aufleuchtete, über das ein paar Importfreaks ehrfürchtig flüsterten, mittlerweile erfolgreicher ist als Call of Duty, ist wie ein später spielkultureller Segen. Möge er noch lange wirken. Also, From Software:
You have a heart of gold. Don't let them take it from you!
(Bild: Der Hamburg Süd Schiffahrts-Plakat-Adventskalender aus dem digitalen Archiv des Maritimen Museums Hamburg; Twitter (Öffnet in neuem Fenster))