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Wut und die Suchthilfe

Wir waren auf der Jahrestagung der deutschen Suchthilfe in Berlin und wir haben beide nur noch Grütze im Kopf, deswegen wird das heute nur ein kurzes Update und ein kleines Plädoyer, bevor wir in die Badewanne verschwinden und Blubberbläschen machen. 

Die Tagung versammelt das Who is Who der deutschen Suchthilfeverbände, der Fachkliniken und Rentenversicherungen, hat das Motto »Teilhabe statt Ausgrenzung – gemeinsam gestalten!« und will das Stigma von Suchterkrankungen unter die Lupe nehmen. Mika ist für den zweiten Tag zu einer Podiumdiskussion eingeladen, auf der sie zusammen mit Suchthilfevertreterinnen und Medizinerinnen die Frage diskutieren soll: »Verändert sich gerade die Sicht auf Sucht und Suchtmittel?« (Spoiler: Die Antwort ist wie fast immer ein deutliches Jein.)

An Tag eins hören wir uns Vorträge über FASD und Wege aus der Stigmatisierung an. Und dann gibt es kleine Arbeitsgruppen. Wir entscheiden uns für eine, die sich mit der Zukunft der Suchthilfe beschäftigen will. In dem Workshop, in dem zehn Leute sitzen, geht es dann allerdings überhaupt nicht um die Zukunft, sondern sehr viel um die Gegenwart, genauer gesagt, um die desolate und prekäre Finanzierungssituation der Suchthilfe. Leute, es sieht düster aus. Es wird diskutiert, ob man besser die Kommunen verklagen oder die Arbeit hinschmeißen sollte. Eigentlich ist der Workshop wie eine Selbsthilfegruppe für Suchtberater:innen.

Btw: Die schmeißen nicht hin, weil die ihren Job wirklich gerne machen. 

An Tag zwei gibt es nochmal Vorträge und dann ist die Podiumsdiskussion und Mika ist die totale Rampensau. Sie hält ein Leidenschaftliches Plädoyer für Community, selbstbewusstere Kommunikation und Wut gegen die Alkohollobby. Sie ist ist die Einzige, die Lacher und Zwischenapplaus bekommt. Ich sitze voller Bewunderung in der letzten Reihe und Filme ihren Micdrop. (einen Clip könnt ihr euch auf insta (Öffnet in neuem Fenster) anschauen)

Am Ende aus der Tagung mitgenommen / gelernt:

Suchthilfe ist wie alle sozialen Bereiche saumäßig unterfinanziert (no surprise) und wir können irgendwie froh sein, dass wir nie wegen Geld hier waren, sondern wegen der Sache. Und der Leute.

Dr. Henrike Schecke sagte uns beim Mittagessen, wie bemerkenswert sie es findet, dass in der Suchthilfe sehr wenige unterwegs sind, die selbst betroffen sind, wenn man das beispielsweise mit einer ähnlich stigmatisierten Erkrankung wie beispielsweise HIV vergleicht, wo sich Betroffene von Anfang an mit organisiert und eingebracht haben. 

Wir brauchen mehr Betroffene, die ihre Erfahrungen (auch öffentlich) teilen, denn ohne deren Mitgestaltung haben die Helfenden logischerweise ein lückenhaftes Wissen über die hilfreichsten Maßnahmen. Die, die selbst betroffen sind, haben außerdem viele intensive Gefühle (wie Leidenschaft für die Nüchternheit und Wut auf die Alkohol-Lobby) und diese Gefühle sind ein mächtiger Motor.

Das Stigma ist immer noch ziemlich weit verbreitet, aber je mehr wir werden, desto schneller wird es fallen. Wenn ihr könnt: Organisiert euch (wenn ihr Gruppen habt, ihr wisst, wir bewerben sie!), findet einander. Wenn ihr Eventveranstalter:innen seid, veranstaltet Events! Wenn ihr Musiker:innen seid, schreibt Songs über die Nüchternheit. Wenn ihr euch auch immer so über die Schnapsflaschen an den Supermarktkassen aufregt, schreibt dem Supermarkt einen Brief oder startet eine Petition. Wir müssen mitreden.  

(Oder, wenn ihr wohlhabend seid: Geld hilft natürlich auch immer sehr. Wenn ihr was übrig habt, aber keine Zeit oder Energie: Spendet an die Suchhilfe oder an eure lokale Gruppe!)

Ich kenne mehr Leute, die sich mit ihrer Erkrankung bedeckt halten, als welche, die offen darüber reden. Ich rede darüber auch viel mit meinen nüchternen Freund:innen. Sie haben alle möglichen guten Gründe dafür, ihre überwundene Abhängigkeit nicht an die große Glocke zu hängen und ich würde nie jemandem vorhalten, dass er:sie sich nicht outet. Aber es braucht Leute, die sich outen, sonst kriegen wir dieses verdammte Stigma nicht weg. 

Also. Wenn ihr könnt, wenn ihr (finanziell und/oder emotional) unabhängig seid und ein bisschen Gegenwind und Kontroverse wegstecken könnt: redet mit. Seid mündige, eloquente, unbequeme, fordernde Suchtis. 

(Es gibt dann natürlich nicht nur Gegenwind und Kontroverse, es gibt auch mehr Liebe und Zusammenhalt, als ihr euch vorstellen könnt.)

Wie Mika schon sehr gut gesagt hat: Wut ist angebracht. Seid wütend auf die Lobbys und die Industrie, die davon leben, dass wir uns schämen. Schreibt entlarvenden Kommentare unter jede dumme Wein-Romantisierung (besonders, wenn sie im ZEIT Feuilleton steht), entlarvt diese Leute, wo immer es geht. Die sind darauf angewiesen, dass wir den Mund halten. 

Mic Drop.

Und jetzt habt tolle Ostern ihr Hasis 🐰💕

Kategorie Weekly

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