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Instagram-Therapie: Warum ich The Holistic Psychologist problematisch finde

Immer mal wieder haben wir im Podcast das Buch der amerikanischen Psychologin Nicole LePera lobend erwähnt: How to do the work hat mich mit seiner Mischung aus Ratgeber und persönlicher Geschichte zunächst sehr berührt und inspiriert. Doch die Autorin, die als @the.holistic.psychologist über 5 Millionen Follower auf Instagram hinter sich vereint, wird mir zunehmend suspekt: Auf bunten Kacheln liest man über „Trauma Response“, die „Mother Wound“ und das „Higher Self“. Reihenweise Schlagwörter, stets auf der Grenze zwischen psychologischem Fachvokabular und Spiri-Geschwurbel. Das passt auch zu LePera selbst. Denn immer wieder betont sie ihre psychologische Ausbildung, während sie sich im gleichen Atemzug von dem ganzen Berufsstand distanziert. Zu ihrem stets mitgeführten Doktortitel, trägt sie oft weiße Gewänder und die kalifornische Sonne im Haar.

In einem Video teilt sie beispielsweise „als Psychologin“ ihre Überzeugung, die Zukunft läge in der Erkenntnis, dass alles was wir als psychische Erkrankung begreifen, eigentlich eine Fehlregulierung des Nervensystems sei. Klingt ja erstmal nett, aber was soll das eigentlich genau bedeuten? Dass psychische Erkrankungen Reaktionen auf die Umwelt sind (duh…)? Oder vielleicht, dass es keine psychischen Erkrankungen gibt? Dass ich meine ADHS wegatmen kann? Dass eine Person in einer schweren Depression versuchen soll, sich mit LePeras Tipps selbst zu heilen, statt Hilfe bei ausgebildetem Fachpersonal in Anspruch zu nehmen?

Das alles sagt sie nicht, aber man könnte es hineininterpretieren.

Natürlich ist die Frage, inwiefern man sich mit Kategorien identifiziert, persönlich und wichtig. Wir kennen die Debatte in Bezug auf Alkoholiker*innen. Die einen finden den Begriff zu einengend, wollen sich nicht als krank begreifen oder sind vom Stigma abgeschreckt. Die anderen finden gerade in diesem Wort eine neue Freiheit, einen Identifikationspunkt, eine Gemeinschaft und Halt. Manche (so wie ich) bewegen sich irgendwo dazwischen. Die Frage nach der Selbstbeschreibung kennt viele Antworten, die einander manchmal widersprechen und manchmal ergänzen. Sie verändern sich mit der Zeit, sind mal wichtiger und mal unwichtiger. Diese Reibungen durch die grobe Erklärung eines „fehlregulierten Nervensystem“ zu ersetzen, erscheint mir eindimensional, vereinfacht und letztlich auch ein bisschen langweilig.

Für LePeras Geschäftsmodell ist es aber natürlich nützlich. Denn wenn das Grundproblem für uns alle dasselbe ist, passt die Lösung eben auch für alle: Reguliere dein Nervensystem. Wer widerspricht, ist vielleicht einfach kein mutiger #SelfHealer (Wie sie ihre Community nennt). 

„You are your own best healer”

Das Absurde ist: Ich kann LePera eigentlich kaum widersprechen (das hat sie mit gut gemachten Horoskopen gemeinsam). Ich finde auch, dass wir es mehr feiern sollten, wenn Menschen tun, was gut für sie ist! Es ist auf jeden Fall eine gute Idee, bei großer emotionaler Anspannung (when being triggered) zu fragen: Was fühle ich? Was brauche ich wirklich? Was kann ich tun, um für mich zu sorgen? Und ich glaube auch, dass wir in klassischen Therapien zu wenig mit dem Körper arbeiten. Auf ihrer Website, die ein Abo für das SelfHealer-Membership-Programm bewirbt, finde ich den Satz: „Have you tried traditional therapy and felt something was missing?“

Und noch während sich meine Fußnägel hochrollen, muss ich natürlich schon irgendwie sagen: Joah.

Mit den Jahren hat sich ein Glaube in mir festgesetzt, der gut zu LePeras Ansatz der SelfHealer -Community passt. Denn in gewisser Weise bin ich enttäuscht vom System; fühlte mich nicht abgeholt von der Suchthilfe und machte eine Verhaltenstherapie, in der weder meine ADHS-Symptomatik erkannt noch mein kritischer Alkoholkonsum thematisiert wurde. Ich bemühe mich seit längerem erfolglos wieder um einen Therapieplatz. Jetzt wechsle ich meinen Psychiater, weil er mir zwar ohne Murren Medikamente verschreibt, aber ansonsten keine große Hilfe ist. „Alles muss man selber machen“ – ist ein Gedanke, der mir in Bezug auf meine Genesung immer nah ist.

Es ist auch viel Wahres dran: Wir tragen Verantwortung für unsere Entscheidungen, für unseren Anteil in Konflikten und letztlich für unsere Heilung. Wie könnte es auch anders sein, schließlich sind wir die einzigen, die wissen, wie es ist, unser eigenes „Ich“ zu sein. Uns selbst kennenzulernen ist eine Aufgabe, die niemand für uns übernehmen kann. Und wenn mir die Nüchternheit eines gezeigt hat, dann, dass ich mich wirklich grundlegend verändern kann.

Aber. Und hier kommt ein großes ABER: Wir sind nicht alle mit den gleichen Voraussetzungen ausgestattet, seien sie psychisch, finanziell oder sonstwie. Und so angenehm LePeras gleichmachendes „Alles-ist-Nervensystem-heile-dich-selbst“-Mantra auch sein kann, so sehr kann es auch Druck auslösen. Schon wieder deine Morgenmeditation nicht gemacht? Ist wohl, weil du kein Cycle Breaker bist.

Ich habe es bei einer Freundin erlebt, die vor einiger Zeit in einer heftigen depressiven Phase steckte und mich nach Lektüre zu Mental Health, Gefühlen und so Zeug fragte. Ich gab ihr How to do the Work in die Hand, mit den Worten: „Guck, was du davon brauchst, aber nimm es nicht zuu ernst“. Das war eine völlig bescheuerte Aussage, zumal an eine Depressive gerichtet. Natürlich nahm sie es ernst. Sie quälte sich durch die ersten Seiten und gab mir das Buch schließlich zurück – in der festen Überzeugung, sie hätte irgendwie versagt. Das ganze Gerede vom Selbstheilen, von Verantwortung und Muster auflösen wurde durch ihre Depression gefiltert und zu einer Schuldfrage und einem brutalen Imperativ. Ein und derselbe Satz bedeutete für mich: „Ich kann selbst etwas bewegen!“ und für sie: „Dir geht’s scheiße? Selbst schuld.“

Ich bin froh, dass meine Freundin in professioneller Behandlung war. Ich bin froh, dass sie das Buch weglegen konnte. Doch kein Buch einer Psychologin über Trauma und Selbstheilung sollte das Gefühl auslösen, versagt zu haben, wenn man ihre Tipps nicht befolgen kann – insbesondere nicht bei jenen, die sich in einer heftigen Krisensituation befinden.

Die Frage, an wen ich meine Lösungen und Tipps vermarkte, hat viel mit Verantwortung zu tun. Coaching-Angebote richten sich beispielsweise (so denn sie denn seriös sind) an Menschen, die erstmal grundsätzlich psychisch gesund sind. Für mich selbst bezeichne ich es gerne als „lebensfähig“: Ich bewältige meinen Alltag, ich bin nicht depressiv, habe keine Panikattacken und bin etwas mehr als die Hälfte der Zeit guter Dinge. Ich bin in einer Position, in der ich Selbsthilfebücher nicht „zu ernst nehmen“ kann, weil ich nicht aus tiefer Verzweiflung heraus nach jedem Strohhalm greife. Doch LePera vermarktet nicht als Coach, sondern als Psychologin in Besitz einer in sich geschlossenen Wahrheit – und damit schließt ihre Zielgruppe aktiv Menschen mit ein, die im klinischen Sinne eine psychische Erkrankung haben. Und auch wenn Krankheit ein Konstrukt und alles irgendwie Nervensystem ist:  Menschen in der Krise brauchen mehr als eine Morgenroutine, Yoga und psychologisch gefärbte Kalendersprüche. Sie brauchen sichere Räume, individuelle Beratung von Menschen, die sich auskennen und manchmal auch Medikamente.

Und trotzdem: Ich habe How to do the Work gerne gelesen und will es an dieser Stelle bei einem  Zitat einer tollen Rezension auf Good Reads (Öffnet in neuem Fenster) belassen, das es auf den Punkt bringt: This planet is 4.5 billion years old, there are approximately 6500 languages spoken on earth, so many diverse cultures, various fields of science, do you really think that your content is what constitutes “the work”? A more fitting title to me seemed to be, “How I Did My Work.”

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