Zum Hauptinhalt springen

Gier tötet

Dieser Text handelt von Erdbeben und Tod. Falls du keine Ressourcen hast, scrolle runter zu der Kolumne. Sie handelt von Sterilisation als Verhütungsmittel.

Diese Zeilen entstehen am 14. Februar 2023, es ist der neunte Tag des Erdbebens in Syrien und der Türkei. Hinter mir läuft der Fernseher, ich kann ihn nicht ausschalten. Ich erledige trotz allem so viel Arbeit, keine Ahnung wie. Hinter mir, in Live-Übertragung, werden in zwei Städten, Adıyaman und Kahramanmaraş, die Bergung von Menschen ausgestrahlt. Sie leben. Am neunten Tag. 199 Stunden nach dem Erdbeben, unter den Trümmern.

Die Bilder dieser Bergungen erinnern mich an Geburten. Eine Gruppe von Menschen, koordiniert, mit einem gemeinsamen Ziel, ziehen einen Menschen mit aller Kraft, mit Liebe und Solidarität ins Leben. Irgendwo ist es vielleicht auch eine Art Geburt, der Beginn eines neuen Lebens für die Betroffenen. Nachdem sie tagelang unter den Trümmern warten mussten, nachdem sie vermutlich hörten, wie eine andere Person,  nur wenige Schritte entfernt, immer wieder nach Hilfe rief, die nicht kam, und irgendwann schwieg. Selbst wenn man nichts von anderen hört. Die Ungewissheit, ob man je wieder rauskommt. Neun Tage unter den Trümmern, während ich die 20 Minuten in einer MRT-Maschine mühsam aushalte.

Bis 13. Februar sind in Syrien und der Türkei mindestens 35 Tausend Menschen gestorben. In Syrien sind es über 5.800 Menschen, die kurdischen Gebiete bekamen bis heute teilweise absolut keine Hilfe. Sterben sollen sie. Sie sollen sterben.

Die internationalen Teams, beispielsweise die aus Ägypten und Spanien, sollen ohne Zubehör in Syrien angekommen sein, also hätten sie ruhig auch zuhause bleiben können. Der UN-Hilfskonvoi sei in Nordsyrien erst am Donnerstag angekommen. Am vierten Tag.

Die Bilder gehen um die Welt, überwiegend aus der Türkei. Menschen sitzen auf den Trümmern, die einst ihre Wohnungen, ihre Häuser waren. Menschen sagen Reporter*innen: „Ich weiß nicht, wo ich hin soll, wie ich weiterleben soll, meine gesamte Familie ist tot, meine Kinder, ich habe niemanden mehr.“ Ganze Familien, ganze Städte – ausgelöscht. Kinder ohne Familien. Tiere, die zwischen den Trümmern zittern.

Diese Zerstörung ist nicht natürlich, sondern politisch. Das Erdbeben mag ein Naturereignis sein, die Dimension der Zerstörung ist allerdings menschengemacht. Menschen in der Türkei zahlen seit Jahren Erdbebensteuer, damit die Regierung mit dem Geld genau solche Katastrophen verhindert. Was ist aus diesen Steuern geworden, wo ist das Geld hin? Das fragen sich Menschen jetzt zurecht. Und warum wurden Gebäude, die nachweislich nicht erdbebensicher waren, gegen Bezahlung als erdbebensicher zertifiziert?

Gier tötet…

🍋

Die Saure Kolumne schrieb diesmal Susanne Rau von dem Verein Selbstbestimmt Steril e.V. über die gängigen Argumente dagegen, die Menschen, die sich sterilisieren lassen möchten, von behandelnden Mediziner*innen anhören müssen. Unsere Körper gehören uns!

Unterstütze Saure Zeiten mit einer Mitgliedschaft! Ab 9 Euro/Monat kannst du meine Arbeit unterstützen. Jede Mitgliedschaft über Steady (Öffnet in neuem Fenster) oder Patreon (Öffnet in neuem Fenster) stellt sicher, dass ich den Newsletter auch in der Zukunft herausgeben kann.

Sterilisation: ein beispielhaftes Beratungsgespräch

Von Susanne Rau

Frau S. ist 33 Jahre alt, die Familienplanung ist nach zwei Kindern beendet. Die Pille möchte sie absetzen wegen Hang zu depressiven Verstimmungen und Blasenentzündungen, die Kupferspirale führte bei ihr zu massiven Blutungen, die Temperaturmethode ist zu unsicher und Kondome killen die Spontaneität.

Auf der Suche nach Alternativen ist Frau S. im Netz fündig geworden: Die Sterilisation. Bei dieser minimalinvasiven Operation unter Vollnarkose werden die Eileiter verödet, durchtrennt oder entfernt; die ist hormonfrei, sicher und dauerhaft.

Herr G., der Gynäkologe von Frau S. führt eine Tagesklinik. Sie ist zuversichtlich, das Verhütungsthema bald abschließen zu können, als sie ihren Wunsch bei der Vorsorgeuntersuchung erwähnt.

Herr G. schnauft.

„Ach Frau S., in Ihrem Alter eine Sterilisation? Sie sind noch so jung. Vielleicht kommt eines Tages die Trennung von Ihrem Mann und Ihr neuer Partner möchte ein Kind mit Ihnen.“

Nun schnauft Frau S. Sie ist seit 9 Jahren glücklich verheiratet. Und selbst wenn diese Beziehung enden würde: Wieso sollte ein potenzieller neuer Partner mit einem potenziellen Kinderwunsch ihre Entscheidung ins Wanken bringen? Ganz davon abgesehen, dass sie kein drittes Kind möchte, und ihr sogar bei der letzten Entbindung davon abgeraten wurde. Die gesundheitlichen Risiken seien zu groß. Und das weiß Herr G. als ihr Arzt.

„Oder stellen Sie sich vor, Ihre Kinder sterben bei einem Autounfall!“

Hat er das gerade wirklich gesagt?! Allein beim Gedanken daran bleibt Frau S. die Luft weg – vor Ohnmacht, Panik, Wut. Kinder sind doch keine Weingläser, die sich ersetzen lassen, wenn sie kaputtgehen! Sie ballt die Fäuste und ihre Knöchel werden weiß.

„Ihr Mann kann ja eine Vasektomie durchführen lassen.“

Die Wut von Frau S. verwandelt sich in Fassungslosigkeit – stand nicht eben eine mögliche Trennung von ihrem Mann im Raum? Immerhin kommt sie endlich zu Wort: Eine Vasektomie hatte sie ihrem Mann bereits vorgeschlagen. Er möchte sich nicht operieren lassen, das respektiert sie. Und letztendlich möchte sie diesen Schritt auch selbst gehen. Ihr Fortpflanzungsapparat, ihre Entscheidung.

„Also ICH werde Sie nicht sterilisieren. Ich kenne einige Frauen, die das bereut haben. Am Ende verklagen Sie mich in ein paar Jahren!“

Bullshit, denkt sich Frau S. Sie weiß bereits, dass erfolgreiche Klagen nach bereuter Sterilisation ein Mythos sind (Öffnet in neuem Fenster). Von dem Arzt, der sie einfühlsam durch beide Schwangerschaften begleitet hat, hatte sie mit einer Beratung auf Augenhöhe gerechnet. Und nun fertigt er sie so ruckzuck ab.

Auf dem Heimweg merkt sie mit jedem Schritt, wie ihr Vertrauen in Herr G. schwindet. Sie beschließt: Das war ihr letzter Termin bei ihm. Es gibt zweifellos Gynäkolog*innen, die sie mit ihrem Sterilisationswunsch ernst nehmen.

PS: So abstrus es auch klingt – die Aussagen des fiktiven Herrn G. sind gängige „Argumente“ von Gynäkolog*innen gegen Sterilisation.

Susanne Rau, geboren 1988 lebt seit 2007 in Leipzig. Sie arbeitet als Übersetzerin, ist überzeugt kinderfrei, seit sieben Jahren in einer Beziehung mit einem ebenfalls aus Überzeugung kinderfreien Mann, und seit 6 Jahren sterilisiert. Susanne Rau ist Gründungsmitglied und 1. Vorsitzende von Selbstbestimmt Steril e.V. Ihre Hobbys sind Poledance, Handarbeit, Katzen kuscheln, Kaffee trinken, kochen/backen und essen, mit Freund*innen spazieren und reden, und Dinge möglichst effizient tun.

Selbstbestimmt Steril e.V. (Öffnet in neuem Fenster) 

„Flowers“ von Miley Cyrus

https://www.youtube.com/watch?v=G7KNmW9a75Y (Öffnet in neuem Fenster)

Die neue Staffel von „Ginny & Georgia“ (Serie, Netflix)

Die Geschichte eines Schwarzen Mädchens und ihrer weißen Mutter, ihres gemeinsamen Kampfs ums Überleben. Eine Geschichte über psychische Gesundheit, Rassismus, Armut, Solidarität und über die Wichtigkeit davon, Differenzen zu akzeptieren und zu reflektieren.

„Backlash. Die neue Gewalt gegen Frauen“ von Susanne Kaiser (Buch)

Das neue Buch von Susanne Kaiser (Klett-Cotta (Öffnet in neuem Fenster)) handelt von antifeministischen Strömungen und der Gefahr, die von ihnen herausgeht. Eine sehr präzise feministische Analyse.

🍋

Unterstütze Saure Zeiten mit einer Mitgliedschaft! Ab 9 Euro/Monat kannst du meine Arbeit unterstützen. Jede Mitgliedschaft über Steady (Öffnet in neuem Fenster) oder Patreon (Öffnet in neuem Fenster) stellt sicher, dass ich den Newsletter auch in der Zukunft herausgeben kann.

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Saure Zeiten und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden