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Senf #1: Enttäuschung

Nachdem ich den gröbsten Dschungel vom Grundstück verdrängt und die Müllmassen aus Haus und Schuppen begonnen hatte zu sortieren, war meine erste Handlung im neu gepachteten Kleingarten, einen Pfirsichbaum zu setzen. Das war er auch bereits, der erste grobfahrlässige Fehler im neuen Garten.

Huhu, Hallo, da ist sie, die erste Ausgabe von Senf. Ich weiß nicht, ob der Newsletter das ist, was du dir erwartet hast, aber so ist er nun einmal und daran kann nur eine höhere Macht etwas ändern. Ich streue über meine Texte gern ein paar Links, hier und da, wo es passt. Dabei handelt es sich meist um Clips oder Artikel, die zum Inhalt passen. Wenn du also noch mehr aus deinem persönlichen Senf rausholen möchtest, kannst du da drauf klicken. Viel Spaß & Danke fürs Reinschauen!

Müllheim

Wer einen Garten pachtet, hat Erwartungen daran, wie es wohl sein würde, einen Garten zu besitzen. Meine waren äußerst niedrig angesetzt. Zum einen wollte ich einen Raum, in dem mich niemand mit Alltagsproblemen würde behelligen können, zum anderen wollte ich Beeren, viele viele Beeren. Ich hatte mich also einige Monate zuvor auf eine Warteliste setzen lassen, falls im Verein die Straße runter, weniger als glückliche drei Kilometer entfernt, etwas frei werden würde. Meine Großmutter war zeitlebens jeden einzelnen Tag rund fünf Kilometer gelaufen, um ihren Garten zu pflegen. 

Eines schönen Tages im heißen Sommer riefen mich die Vorstandsmenschen an und meinten, wir haben hier ein völlig verwildertes Grundstück das seit 5 Jahren leer steht und keine Ahnung, ob da irgendwas außer Unkraut wächst. Wir wissen nicht, ob die Laube in Ordnung ist, ob durch den Wald dahinter jemand darin übernachtet. Aber wenn du das Grundstück willst, bekommst du es kostenfrei. 

Kurzum, der Garten war perfekt für mich. Und so machte ich mich auf, ein paar Scheren und eine Machete zu kaufen, Kleidung, die kaputt gehen konnte und eine Astschere um die massive Rose, die als Baum den Eingang versperrte, zu zerschneiden, irgendwie. Dahinter lagen 340 Quadratmeter Urwald aber auch ein kleiner Teich, in dem noch verwilderte Fische schwammen. Sogar die Hütte war ganz okay. Ich schnitt alles runter und fand einen mit der Erde verwachsenen ehemaligen Swimmingpool, sammelte die Plastikfasern einzeln aus dem Boden und beschloss, nach etwas Erdbelebung würde hier im Rondell mein erster Baum stehen - ein Pfirsich. Um genau zu sein: Einen Plattpfirsich, der jeden Spätsommer eine große Menge sanft-weicher, süß-fleischiger Untertassen hervorbringen sollte. 

(Foto: Was ich auch fand - ein gut verstecktes Nest, dessen Bewohner später zuverlässig flügge wurden. Seither weiß ich: Im Sommer schneidet man keine Büsche)

Hummelheim

Direkt nach dem Pflanzen, ganz nach Anleitung, alles beachtet, ich hatte ja keine praktische Erfahrung, fing der kleine Pfirsich an zu blühen. Er bekam ein bisschen Dünger und eine Kokosmatte, um die Feuchtigkeit im Sommer zu halten, er bekam was er brauchte und alles sah gut aus. Das war der Moment, als die Erdhummeln Einzug hielten. Gleich mehrere von ihnen bauten sich Gänge unter der Kokosmatte, um geschützt zu sein vor Hitze und Fressfeinden. Mit Insektenhotel nur wenige Zentimeter entfernt, mussten sie sich nicht mal anstrengen, um ein gemütliches Heim zu bauen und gleichzeitig für Nachwuchs zu sorgen.

Doch je länger ich den Hummeln (Öffnet in neuem Fenster) auf dem Boden sitzend zusah, wie sie es sich gemütlich machten, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass mit dem Pfirsich irgendetwas nicht stimmte. Eigentlich konnte das gar nicht sein. Schließlich sollte die Sorte resistent gegen Krankheiten sein. Aber die Blätter verfärbten sich immer röter und dann eines Tages hatte ein Kräuseln eingesetzt.

Kräusel ist bei Pflanzen nie eine gute Sache, so viel ist klar. Pfirsiche sind anfällig für viele Krankheiten, aber laut Beschreibung sollte dieser Baum hier immun sein. Nun gut, wenn ich den Kräusel entfernen und den Baum behandeln würde, würde sich das sicherlich wieder geben. Die Blüten fielen ab, die Hummeln fühlten sich auch nicht mehr wohl rund um den Baum, aber im nächsten Jahr.

Sorgenheim

Enttäuschung ist so eine Sache. Man merkt erst gar nichts davon. Das kommt alles mit der Zeit. Ein unidentifizierbares Gefühl der Abneigung gegenüber einer Sache. Das erste Gartenjahr war okay. Ich habe rund 30 Beerenbüsche gepflanzt, Beete angelegt, den Boden belebt, kompostiert, gestrichen, repariert. Rhabarber und Erdbeeren wuchsen gut, Kräuter wurden kniehoch, jeden Tag frischer Minztee, massenhaft Äpfel vom rund 60 Jahre alten Baum, der sich über die Aufmerksamkeit freute. Fische, die im Teich wieder aufatmeten und Teichfrösche die einzogen. Eisvögel, die sich um die neue Population kümmerten und Waschbären, die mir ihre Babys vorbei schickten, die sogleich an meinen Schuhen nagten und hinter meinen Beinen Verstecken spielten.

(Foto: Flauschige Ohren können nicht davon ablenken, dass Waschbären reifes Obst vom Baum klauen)

Aber dann war da dieser Baum. Der Pfirsich wuchs von rund 40 auf rund 80 Zentimeter, erkrankte erneut, warf alle Blätter ab und wurde uninteressant für alle Tiere, sogar Blattläuse und die Ameisenkolonien die sie pflegten. Viel gießen bekam ihm nicht, wenig gießen bekam ihm nicht, mit Mittel zur Krankheitsabwehr behandeln bekam ihm nicht und im Winter warm eingepackt werden führte zum Absterben von Ästen. Alles an dieser Pflanze war eine Beleidigung und egal wie viele Himbeeren ich erntete, wie gut der Hibiskus blühte und wie viel Kilo Johannisbeeren ich mit nach Hause nahm - dieser verdammte Baum machte alles kaputt.  

Vor Weihnachten (Öffnet in neuem Fenster) ging ich nur noch bis raus in den Garten, um zu prüfen, ob der Pfirsich noch lebt. Aus irgendeinem Grund tat er das, aber besser sah er deswegen auch nicht aus. Im dritten Jahr kamen Kirschbaum, Feige, Nashi und ein kombinierter Pflaumenbaum aus drei verschiedenen Sorten dazu. Die Feige starb praktisch sofort. Nashi und Kirschbaum wuchsen schnell und gut und gerade und blühten. Und dann war da der 150 Euro teure kombinierte Baum, auf dem die drei Sorten aufgepfropft waren. Zwei der Seitenäste starben noch im gleichen Jahr ab. Sie vertrockneten einfach. 

(Foto: Echte Meisterleistung - als Pflaumenbaum vertrocknen, während überall im Garten Pilze durch die feuchte Erde sprießen)

Überraschungsheim

Ich glaube, es war in dieser Minute, als ich die Seitenäste der teuren Gärtnereien-Kreation einfach abknicken konnte, weil sie komplett hohl waren, dass ich bemerkte, dass der Perfektionismus in meinem Garten Einzug gehalten hatte. Offenbar, so meine vage Ahnung, hatte ich es nicht geschafft, den Alltag daheim zu lassen. Stattdessen sollten nun statt meiner die Pflanzen performen. Ein Flieder, der nicht ausreichend blüht (Öffnet in neuem Fenster), ein Pfirsich, der nur wächst, aber keine Früchte bekommt, eine verdammte tote Mirabelle - das reicht nicht. Nicht für diesen Garten, denn in diesem Garten herrscht eine gute, zuverlässige Arbeitsmoral.

“Stecken Sie da nicht so viel Arbeit rein. Das machen Sie eh bald noch mal anders.” sagte eine der alten Damen aus meinem Gang, als sie mich rund um den Pflaumenbaum Blumen, Kräuter und Büsche anordnen sah. Und ich versicherte ihr, dass der Plan schon aufgehen würde. Aber natürlich tat er das nicht. Nicht nur die Pflaume wuchs anders als gedacht, es tauchten auch plötzlich Lilien und Farne auf, die definitiv nicht ich gepflanzt hatte, aber die beim Umgraben nach oben gekommen waren. Aber Umplanen kommt nicht in Frage, dann würde die fremde Person Recht behalten. Jahr für Jahr beobachtete ich die Pflanzen, die sich offenbar gegen mich verbündet hatten, kritischer. 

Und dann passierte etwas unerwartetes. Diesen Herbst bekam der Pfirsich einen Seitenast, der sich sofort senkrecht aufrichtete. Er bog den alten Hauptstamm zur Seite und wuchs gesund und schnell neu. Die Pflaume die geblüht hatte, wurde zu einem kleinen Fruchtwunder - alle drei Sorten waren vorhanden. Mirabellen, Zwetschgen und Sugarplums wuchsen auf dem gleichen Ast. Wie das funktioniert? Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. 

(Foto: Pfirsichblüten - gab es exakt ein Mal)

Heimheim

Die Enttäuschung ist noch da. Sie steckt in dem Wollvlies, das ich der neuen Feige umgelegt habe. Sie sitzt unter den Beetumrandungen, die ich wieder entferne, nachdem sie die Schneckenpopulation ins Unermessliche gesteigert haben, denn Schnecken, so stellt sich heraus, lieben feuchtes Holz. Die Enttäuschung liegt als abgeschnittener Hauptstamm des Pfirsichs auf einem der Komposthaufen. Wahrscheinlich kriecht sie gerade als Apfelschädling den großen Baum hinauf, um im nächsten Jahr für Ernteausfälle zu sorgen.

Aber zu verstehen, dass ein Mensch es schaffen kann, sich von einer Pflanze persönlich gekränkt zu fühlen, weil sie nicht von Anfang an perfekt ist, das hat etwas in meinem Garten geändert. Dass ein großer, dicker Waschbär (Öffnet in neuem Fenster) der sich im Sommer unter meine Sonnenliege legt, um den Tag mit gemütlich ausklingen zu lassen, nicht ausgleichen kann, dass die Tomaten durch Luftfeuchte verfault sind, das ist die eigentliche Überraschung. Das und - wie gesagt, keine Ahnung wie das sein kann, dass gelbe Mirabellen und große Zwetschgen auf dem gleichen Ast wachsen. Oder dass die fette Winkelspinne in meiner Laube, die ich nur toleriere weil sie so groß ist (Öffnet in neuem Fenster) dass sie uns beiden einen Gefallen damit tut, kein Anrecht auf das Grundstück anzumelden, einfach nicht stirbt obwohl sie natürlich nur bis sechs Jahre alt werden kann und vor fünf Jahren schon ausgewachsen war.

Im kommenden Jahr wird den Pfirsich vermutlich das fünfte Jahr in Folge eine seltene Krankheit befallen, einfach mal was Neues das er als völlig immune Züchtung noch nicht hatte. Und natürlich werde ich enttäuscht sein.

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Kategorie Senf - Der Newsletter