Senf #10: Dieser Account existiert nicht.
Vor einigen Tagen habe ich meinen letzten, geschlossenen, Twitteraccount gelöscht nach 15 Jahren auf der Plattform. Warum eure Accounts auch längst weg sein sollten, nehme ich im heutigen Newsletter auseinander.
This is fine. (Foto: Ervins Strauhmanis (Öffnet in neuem Fenster) auf Flickr unter CC BY 2.0 (Öffnet in neuem Fenster))
Twitter ist tot
Das wird kein positiver Text über Twitter, obwohl Twitter für mich einige Jahre lang eine Art digitaler Heimat war. Ich kann und möchte über das Twitter der letzten Jahre nichts Positives mehr sagen. Ich kann aber erzählen, wie sich, für mich, die Plattform von einem Stressfaktor in meinem Leben zu einem Ort gewandelt hat, den ich nicht mehr betreten möchte. Twitter ist in seiner heutigen Form ein Ort, an dem Rechtsextreme Terroranschläge planen, an dem man per Robo Anwalt am Tag mehrere hundert Strafanzeigen wegen Volksverhetzung stellen müsste, wenn diese denn ernst genommen würden. Doch diese Möglichkeit haben wir bereits vor 3 bis 4 Jahren durch eine Überlastung des Justizsystems mit einer rechten Massenmeinung verloren, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat daran nichts geändert.
Ich verzichte in diesem Text auf Screenshots rechtsextremer Inhalte und werde stattdessen eine Grundstimmung beschreiben, die diese Textfragmente nicht reproduziert. Ich muss auch nicht auf jedes der 15 Jahre eingehen, die meisten LeserInnen hatten früher oder später eigene Berührungspunkte mit Twitter oder ähnlichen Plattformen und wissen, dass sich die eigene Haltung zur Lage der Website jederzeit ändern kann, wenn man beispielsweise eine Beziehung mit einer anderen NutzerIn beginnt, sich in irgendeiner Weise outet, von einem Medien- in einen “Normalo”-Job wechselt, oder nach einem einschneidenden Lebensereignis sein Onlineleben überdenkt. Wichtig werden die Entwicklungen erst in den stillen Momenten, wenn man auf das Gesamtergebnis schaut und für sich abwägen muss, wo die letzte wichtige Linie überschritten ist.
Twitter ist antisemitisch
Für viele NutzerInnen, so auch die beiden Macher von “Haken dran”, einem Podcast der sich mit den Veränderungen auf Twitter seit Musks Übernahme beschäftigt, wurde diese letzte Linie vor zwei Tagen überschritten, als Musk kurz und bündig schrieb “Soros erinnert mich an Magneto” und auf die Rückmeldung eines Journalisten, dass Soros und Magneto beide durch ihre Biografie als Holocaustüberlebende geprägt wurden, aber Soros im Gegensatz zu Magneto für seine politischen und moralischen Überzeugungen von Rechten dämonisiert wird, nach legte und Soros als Menschenhasser bezeichnete, der nur Schlechtes im Sinne habe. So weit so Musk. Umso überraschender, dass das nun ein Argument sein soll, die Plattform zu verlassen, wenn man die rechtsextremen Posts und Memes des Besitzers bisher stillschweigend geduldet hat.
Bereits vor seinem Erwerb der Plattform, dem Umwandeln eines börsennotierten internationalen Unternehmens in einen privaten Spielplatz, auf dem nur mitspielen darf, wer den kleinen Elon lobt, fiel Musk nicht durch grandioses Unternehmertum oder technisches Genie auf, sondern nahezu ausschließlich durch rechtes Trolling auf dem Stand eines circa 14-jährigen. Damit war er allerdings Ende 2022 schon längst nicht mehr allein. Twitter hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die US-Rechte heute dort steht, wo sie Abtreibungen bei Todesstrafe verbieten (Öffnet in neuem Fenster) wollen, Kinderkliniken schließen weil auch Transpersonen behandelt werden oder Schulbibliotheken leeren kann, weil dort LGBTQI*-Inhalte (Öffnet in neuem Fenster) auch vorkommen. Keine andere Plattform hat so aktiv daran mitgewirkt, dass sich Strukturen verfestigen konnten, in denen Menschen wie Tucker Carlson, Ben Shapiro oder Matt Walsh Millionen verdienen und eigene große Mediennetzwerke betreiben können, in denen ein Podcast auch mal mit 50 Millionen Dollar bezahlt (Öffnet in neuem Fenster) werden kann und dessen Betreiber den Deal ablehnt, weil ihm die Summe zu niedrig erscheint. Die US-Rechte besteht heute aus Multimillionären, die sich keinerlei Sorgen darum machen müssen, was geschehen würde, wenn ihre rechtsextremen, verhetzenden Medienoutlets morgen geschlossen werden, weil sie ein Leben lang ausgesorgt haben. Seit rechtsextreme Regierungen die einzelnen Staaten übernehmen und alle wichtigen Positionen mit Kameraden besetzen, müssen sie es nicht mal mehr theoretisch.
Schuld daran waren im Unternehmen Twitter, dass demnächst in Musks "X"-Firmenplan aufgehen wird, keine Rechten, die diese Extremisten bewusst auf die Plattform holten, sondern größtenteils links bis liberal agierende Meinungsfreiheits-FetischistInnen. Dort wo in Deutschland bis vor circa 2014 noch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, wenn man Aufrufe zu Mord und Vernichtung, Bewaffnung und Widerstand meldete, ließ Twitter die Rechten einfach machen. Diese Wirkweise haben andere Menschen in Büchern und Berichten in den letzten nahezu 100 Jahren besser aufgearbeitet, als ich es in einem kleinen Newslettertext kann. Dass Rechte immer stärker werden, je mehr man mit ihnen diskutiert, je öfter man sie in Talkshows und auf Panels einlädt, ist nachweisbar. Dass Rechte sich in den 2010ern würden über Twitter so einfach organisieren können, dass sie schließlich Verwaltungsgebäude in den USA stürmen würden, Anschläge begehen und dafür erst recht gewählt werden, das hätte man im Unternehmen Twitter in seiner ursprünglichen Form beobachten und unterbinden können. Aber wer jede Aussage, egal wie drastisch, als freie Meinung bestehen lässt, schafft Freiräume, in denen sich diese Gruppen wohlfühlen, wachsen können - und schließlich einfach die Plattform aufkaufen.
Das Iranische Regime verbreitet auf Twitter völlig frei Hass gegen JüdInnen, ungeahndet. (Foto: Heinrich Böll Stiftung auf Flickr (Öffnet in neuem Fenster) unter CC BY-SA 2.0 (Öffnet in neuem Fenster))
Twitter ist populistisch
Die Personalie Elon Musk ist nicht das Problem. Im Prinzip hätte auch Peter Thiel persönlich die Plattform kaufen können. Für mich persönlich ist es egal, wer die rechtsextremen Werte mit viel Geld und Reichweite fördert. Für mich geht es eher um die Reaktion darauf. Was mache ich mit der Info, dass 130 Millionen Accounts diesem rechten Privatbesitzer folgen und seine Tweets millionenfach gelesen und hunderttausendfach geliked werden. Und ich glaube, dieses Problem muss man auf kleinerer Ebene pro Person, die jetzt noch ausharrt, betrachten.
Ungefähr seit Gründung der ersten Pegida-Gruppen sind die Rechten in Deutschland auch für die Leute sichtbar, die keinen migrantischen Freundeskreis haben, nie in linken Strukturen organisiert waren und nicht im Osten aufgewachsen sind. Menschen sahen plötzlich 2014 und 2015 im Fernsehen, in Zeitungen und in persönlichen Chats, wie ihre eigenen Familienmitglieder bei rechtsextremen Demonstrationen gegen ein diffuses Feindbild “Islamisierung des Abendlandes” mitmarschierten. Vom Hausmeister der Grundschule bis zur Hausärztin waren Personen dabei, die man am nächsten Tag wieder treffen musste. In WhatsApp-Chats schickten auf einmal hier und da die eigenen Eltern Inhalte an alle, die man bis dahin nur in geschlossenen rechten Foren lesen konnte.
Was tun, wenn die eigene beste FreundIn, der eigene Vater, die eigene Nichte plötzlich glaubt, sich im Widerstand gegen kriminelle Ausländer zu befinden und - wenn “die da oben” nichts unternehmen - gegen den deutschen Staat? Für die meisten sah die Reaktion ungefähr so aus, wie jetzt auf Twitter. Man schluckt es. “Ich kann doch nicht den Kontakt zu meinen Eltern abbrechen, nur weil” hat oft so lange Bestand, bis man beispielsweise einen Enkel über das Wochenende zu Oma und Opa bringt und das Kind danach mit rechten Ideen wiederkommt. Da hilft dann auch keine Nostalgie, da muss eine klare Grenze her, oder die Rechten zerstören das eigene Leben.
Twitter ist rechtsextrem
Der Zustand von Twitter war nicht zu jeder Zeit für alle gleichermaßen ersichtlich. Als ich 2008 beitrat, war die Anzahl deutscher Accounts so begrenzt, dass man alle UserInnen, wenn man das wollte, auf kleinen Twittertreffen überall im Land kennenlernen konnte. Tatsächlich kannte ich eine Zeitlang nahezu alle persönlich, denen ich folgte, oder die mir folgten. Dazu zählten auch später von befreundeten Medien zu “Stars” hochgeschriebene Twitteraccounts von Technik- und WelterklärerInnen, JournalistInnen, PolitikerInnen und BetreiberInnen von Unternehmensaccounts. Man würde ja ohnehin nahezu jeden Tag voneinander lesen für die nächsten Jahre, dann konnten wir uns auch zum Grillen oder auf ein Bier treffen. Natürlich war es nicht realistisch, dass das so weitergehen würde. Nimmt eine Plattform langsam Form an und treten auch “ganz normale” Personen bei, wird es schnell unübersichtlich. Das gilt aktuell auch für Mastodon, das noch immer von Techniknerds gegatekeept wird, die keine Lust auf eine durchdachte Lösung haben und stattdessen ganze Instanzen sperren, wenn sich dort ein irgendwo auf der Welt sitzender Spamladen eingeloggt hat, um Leuten Logins zu Erotikportalen und Cryptoscams zu senden. Es ist völlig klar, dass diese Welle kommt, sobald eine gewisse Menge an NutzerInnen vorhanden ist , die Plattform attraktiv für alle wird, die Geld verdienen wollen, und Twitter selbst schien mit dem Wachstum lange Schritt halten zu können.
Mit der Menge der NutzerInnen stiegen aber natürlich auch die Fälle, in denen es einen Support benötigte, der sich Meldungen anschauen und sie bewerten konnte. Und spätestens als in den USA einige prominente Accounts mehr als 10 Millionen FollowerInnen verzeichneten, hätte man die Infrastruktur, die sich darum kümmert, welche Inhalte mit den Nutzungsbedingungen vereinbart sind, dringend ausbauen müssen. Stattdessen setzte Twitter ab circa 2011 auf eine Mischung aus Automation und vermutlich gering bezahlten Clickworkern irgendwo im Ausland. Anders war nicht erklärbar, dass klar menschenfeindliche Inhalte, Videos von Amokläufen und Morden und viele klar verbotene Inhalte teils gar nicht mehr moderiert wurden, auch wenn sie tausende Male gemeldet waren. Was NutzerInnen also taten, war, auf eine verbale Reaktion zu setzen. Ein Nazi postet etwas, jemand anders weist seine Bubble darauf hin, dass ein Nazi was gepostet hat und hunderte Menschen finden sich unter dem Tweet ein, um zu widersprechen. Aber irgendwann um diese Zeit herum wurden auch Interaktionen neu bewertet. Ein Tweet, auf den besonders viel reagiert wurde, war - so der Algorithmus - ja ganz offensichtlich interessant für viele Personen. So wurden beispielsweise Funktionen getestet und teils eingeführt, die anzeigten, auf was die Personen, denen man folgt, reagieren, um die viel beachteten Inhalte schneller zu finden.
Im Jahr 2014 hatte Twitter etwas über 320 Millionen aktive Accounts, aber auch bereits ein Bot-Problem. Auch wenn umstritten bleibt, ob die viel in den Medien beschriebenen Social Bots, die angeblich wie echte Personen mit NutzerInnen agierten, überhaupt je existiert haben, oder man nicht vielmehr Menschen, die manuell Spam und bezahlten Hass verbreiteten Bot-Eigenschaften zusprach, nur weil sie schnell reagierten, gab es um die Zeit der Pegida-Gründung bereits Bots, die zumindest weniger technikaffine Menschen überzeugen konnten mit automatisiert geposteten politischen Takes und Links zu rechten Artikeln. Auch die Macht, die in Deutschland Medien wie Compact plötzlich auf die Meinungsbildung hatten, stieg durch immer mehr aktive Verlinkungen zu rechten Inhalten. In den USA stiegen Personen wie Alex Jones und Tucker Carlson zu den Meinungslieblingen von Millionen auf und Donald Trump ging in die Startlöcher für seinen zigten Versuch, Präsidentschaftskandidat zu werden. Und Twitter? Twitter bestand auf Meinungsfreiheit (Öffnet in neuem Fenster) und versäumte es immer öfter, klar menschenfeindliche Inhalte zu sperren.
Davon bekamen viele NutzerInnen, gerade in deutschen Bubbles, wenig mit. Sie waren mit Hashtagspielen, “frivolem Freitag” und anderen Sachen beschäftigt, die sie, so nehme ich an, als eine Art Hobby betrachteten. Während die politischen Bubbles zusehen mussten, wie korrekte Fakten, linke Ideen und rationales Denken immer mehr durch rechte Propaganda übertönt wurden, hatte Schmunzeltwitter Spaß mit sexistischen Witzchen und Brüste in die Kamera zeigen. Meinetwegen. Allerdings änderte sich auch das immer mehr. Dadurch, dass deutsche Medien jedes Jahr mit den gleichen Debatten aufmachten, “Darf man XY noch sagen”, “Lebensmittel plötzlich halal”, “Frauen tragen Kopftücher” und natürlich “ehemaliger Geflüchteter jetzt kriminell”, war plötzlich auch auf Schmunzeltwitter genug Alltagsstoff da, um dazu eine Meinung zu haben. Und diese Meinung war dann eben “Ich lasse mir rassistisches Wort XY nicht verbieten” und “Die sollen sich erst mal an unsere Kultur anpassen”, etwas später dann “GENDERGAGA MACH ICH NICHT MIT” und immer mehr Ausrufezeichen pro “Meinung”. Diese Bubbles grenzten sich jedoch immer stark von den “echten” Nazis ab. Sie verbleiben auf Twitter. Auch nachdem ich und die meisten FreundInnen ihre Accounts gelöscht haben, trenden “Guten Morgen Klaus”, “Schöne Woche” und Bilder von halb bekleideten Busen in der “Nachttimeline” noch. In Schmunzeltwitterhausen hat sich nichts geändert, außer dass man nun eben auch den Holocaust relativiert und andere rechte Ideen teilt, in ganz lockerer Runde.
Twitter ist transphob
Mit der Übernahme Twitters durch Musk, der Jahre vorher bereits durch rechtsextreme Ideen, “edgy” rechte Memes und einen absolut menschen- und umweltverachtenden Kapitalismus aufgefallen ist, siehe Brandenburg das durch die Giga Factory diesen Sommer wird Wasser rationieren müssen (Öffnet in neuem Fenster) oder das Naturschutzgebiet, das durch die unverantwortlichen und sinnlosen SpaceX Sprengungen zerstört wird (Öffnet in neuem Fenster), war für mich die Grenze erreicht. Ich schloss meinen Hauptaccount und beobachtete nur noch aus dem Off. Und, oh boy, habe ich eine Entwicklung beobachtet. Die wohl schnellste rechte Entwicklung der letzten Jahre geschah im letzten halben Jahr auf dem Gebiet des Hasses gegen Transpersonen. Von politischen Akteuren forciert bildete sich praktisch zeitgleich in den USA und Deutschland eine große Gruppe, die durch völlig erfundene Horrorgeschichten, falsche Daten und erfundene Zahlen ein Narrativ aufbaute, in dem Millionen von Transpersonen die Rechte von Frauen untergraben wollen. Zur Einordnung: Rund ein Prozent aller Menschen weltweit ist nicht cis, also möchte nicht in dem Geschlecht leben, das ihnen bei Geburt zugewiesen wird. Dazu zählen trans Frauen, trans Männer, non binäre Menschen, Menschen die sich gar keinem Geschlecht zuordnen, aber beispielsweise auch intersexuelle Menschen, denen in Deutschland noch immer ein Geschlecht zugewiesen wird, obwohl sie genetisch über Anlagen für verschiedene biologische Geschlechter verfügen. Die Zahl hat sich historisch übrigens auch nie geändert, nur die Anzahl derer, die ihre Identität ohne Angst vor Gewalt und Repressionen leben können. Dieses 1 Prozent bedroht also laut Rechten die 99 Prozent der Menschen, die als männlich oder weiblich geboren werden, sich damit identifizieren und es wahrscheinlich in ihrem Leben nie auch nur hinterfragen.
In der Realität ging diese Kampagne jedoch damit einher, dass Transpersonen und biologischen Frauen gleichermaßen Rechte beschnitten wurden. In den USA ging das erstaunlich schnell. Ungefähr ein halbes Jahr dauerte es von Kampfmeinungen, dass Transpersonen eigentlich gar keine Menschen sind, auf Twitter, bis zu den ersten Fällen in denen Staaten anordneten, wenn Jugendliche sich für medizinische Begleitung bei der Transition entscheiden, die Eltern mit Haftstrafen belegt werden und die Kinder in Obhut kommen, wo ihnen diese essentiellen Maßnahmen verboten werden (Öffnet in neuem Fenster). Mittlerweile nähert sich in einigen Gegenden die Gesetzgebung dem an, dass auch erwachsene Menschen nicht mehr über ihren Körper bestimmen dürfen. Gleichzeitig wurden Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert und der Zugang zu gynäkologischer Medizin und Verhütung erschwert. Hier und da wurden Mutterschaftsregelungen gesetzlich wieder eingestampft, so dass Arbeitnehmerinnen* sich nun wieder zwischen der Geburt eines Kindes und einem bezahlten Job entscheiden müssen, denn Mutterschaftsurlaub muss es nicht mehr geben. In einigen Staaten können Männer nicht einmal zu Unterhaltszahlungen verpflichtet werden.
Ein schöner Punkt, um zu Musk zurückzukommen. Eines von Musks 9 Kindern mit verschiedenen Müttern ist eine junge trans Frau, die gegen seine transfeindlichen Behauptungen kämpft (Öffnet in neuem Fenster). Das sollte als seine Tochter nicht ihre Aufgabe sein, aber auch hier wieder die Frage - was denn sonst tun, wenn der eigene Vater einem das Existenzrecht abspricht und sich mit seinen rechtsextremen Freunden dafür einsetzt, dass die eigene gesundheitliche Versorgung kriminalisiert wird. Musk zahlt, so zumindest die Aussagen einiger Exfrauen, keinerlei Unterhalt für seine Kinder. Dabei sollten wir uns noch einmal vor Augen halten, dass er bis zum Twitterkauf der reichste Mensch der Welt war. Aktuell wird Elon Musks Vermögen auf 175,8 Milliarden Dollar geschätzt. Das ist mehr als 300 Menschen zusammen in ihrem gesamten Leben ausgeben könnten, egal wie sehr sie sich anstrengen. Wie viel besitzt eigentlich Georg Soros, der jüdische Investor und Philanthrop, der von Musk als einflussreicher Strippenzieher dargestellt wird? 2022 waren es rund 6 Milliarden Dollar, von denen aus seiner Stiftung jedes Jahr rund 150 Millionen Dollar an Charity-Organisationen fließen. Zusätzlich unterstützt Soros demokratische bis linke politische Vereine und Parteien mit Spenden, in 2022 hat er dafür erneute rund 150 Millionen Dollar Privatvermögen ausgegeben. Auch wenn sich natürlich darüber streiten lässt, ob irgendwer auf der Welt 6 Milliarden Dollar besitzen sollte, reichen dieses Vermögen und der sehr spendable Umgang damit, nicht einmal mehr für die Top 100 der reichsten Menschen der Welt, wie wir sie heute nun einmal vorfinden. Auf Platz 100 lag zuletzt der US-Unternehmer John Menard mit etwa 18 Milliarden Dollar Vermögen, der öffentlich einsehbar etwa 10 Millionen Dollar im Jahr spendet - für Sportevents.
Verdient rund 1 Million Dollar im Monat mit rechten Podcasts und Shows: Ben Shapiro. (Foto: Gage Skidmore auf Flickr (Öffnet in neuem Fenster) unter CC BY-SA 2.0 (Öffnet in neuem Fenster))
Twitter ist politisch
Twitter im Mai 2023 ist keine Plattform mehr, die man nutzen kann, wenn man sich moralisch demokratischen Werten verpflichtet fühlt. Twitter hat zuletzt Opposition Tweets zur türkischen Wahl gesperrt (Öffnet in neuem Fenster), nachdem Musk und Erdogan sich bei der WM in Katar gut verstehen zu schienen, ukrainische Telefonnummern zur Registrierung blockiert (Öffnet in neuem Fenster), so dass die gesamte Plattform voll russischer Propaganda ist, aber es keine Widerrede zu ihren Behauptungen geben kann, und hat Tucker Carlson nach seinem Rauswurf bei Fox News eine neue publizistische Heimat geboten. Die deutschen Trends orientieren sich weiter an rechtsextremen Fragen wie “Warum darf ich das N-Wort nicht mehr sagen und keinen indigenen Kopfschmuck tragen”, aber natürlich nicht in dieser Wortwahl. Rechtsextreme PublizistInnen, AfD-PolitikerInnen und abgestürzte Verlierer wie Reichelt haben dort hunderttausende FollowerInnen. Es gibt keine linken Bubbles mehr auf Twitter. Alle verbliebenen linken Accounts sind seit über einem Jahr nur mehr damit beschäftigt, Screenshots der rechten Inhalte zu debattieren. Die Allerdümmsten retweeten die Inhalte immer noch, damit sie vom Algorithmus positiv bewertet werden. Alles Ringen um das Einstellen dieser Verhaltensweisen über die Jahre hat nichts gebracht. Ein paar Genies antworten unter Nutzung des Hashtags #NoAfD direkt auf AfD-Tweets, damit diese es in die Trends schaffen. Als ich mich zuletzt vor der Löschung einloggte war die gesamte Startseite für Twitter in Deutschland voll mit rechtsextremen Inhalten.
Wo, das frage ich euch nicht wirklich, bitte nicht antworten, sehen einige verlorene Gestalten da noch eine Chance, den Rechten nicht das Feld zu überlassen? Wenn ich morgen einen Podcast bei Daily Wire, dem größten rechtsextremen Mediennetzwerk, starte, bin ich doch nicht das Gegengewicht zu Ben Shapiro, sondern lediglich ein kleiner Insiderwitz der Rechten. Es gibt keinen Raum mehr für linkes Denken auf Twitter. Es gibt nicht mal mehr Raum für eine gesunde liberale Einstellung, die nicht der des rechten Flügels der FDP entspricht. Auch hier sind nur noch Personen wie Kubicki auf Twitter unterwegs und beliebt. Wer jetzt noch auf Twitter angemeldet ist, ist Mitglied einer rechten Plattform. Nicht mehr und nicht weniger. Natürlich ist es in einem demokratischen Deutschland legal, rechte Meinungen zu vertreten, mit Rechten zu schwatzen oder rechte Parteien zu wählen. Aber wenn ihr zwischen allen AfD-WählerInnen des Landes sitzt und für die Veranstaltung Eintritt bezahlt habt, dann seid ihr Teil dieser Gruppe.
Den Eintritt bezahlen bei Twitter nicht nur “some of the dumbest people on the planet, Twitter Blue Users” (Drew Gooden), sondern alle, die auf ihrer Timeline scrollen. Twitter ist Elon Musk und Twitter nimmt mit jeder eingeblendeten Werbeanzeige, die ihr seht, Geld ein. Der heute zweitreichste Mensch der Welt, ein einflussreicher Rechter, der auf seinem Profil jüdische Weltverschwörungen propagiert und Personengruppen das Existenzrecht abspricht, wird jeden Tag, den ihr diese Plattform nutzt, reicher und gewinnt an Einfluss. Und das muss eine klare Entscheidung herbeiführen. Die Entscheidung kann nur lauten, den Account zu löschen.
Twitter ist jetzt weg
Gibt es eine Zukunft nach Twitter? Wenn man seit 15 Jahren auf dieser Plattform unterwegs war, Freundschaften und Beziehungen geschlossen hat, seinen Nachrichtenkonsum zuletzt fast ausschließlich über Twitter abgewickelt und dort zu jeder Frage eine Antwort gefunden hat, kann man dann einfach dort weg? Im nächsten Newsletter werde ich euch ein paar Ideen vorstellen, wie ich glaube, dass wir in den kommenden Jahren mit Internet und Social Media umgehen können und was sich eventuell ändert, wenn Twitter aus unserem Leben verschwindet, aber auch nicht ersetzt wird.