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Das neue Twitter-Abo, anders betrachtet

Du möchtest Communitys besser verstehen? Du würdest gern mehr Abos oder Mitgliedschaften verkaufen? Mein Community-Marketing-Newsletter „Blaupause“ macht dir dabei Mut. Diese Woche: ein Twitter Hot Take.

Diese Blaupause wird präsentiert von nextMedia.Hamburg (Öffnet in neuem Fenster).

An einem Tag zu Gast bei fünf Medienunternehmen!

Eine Tour durch die City of Content – das sollten Medienschaffende nicht verpassen! Gemeinsam mit nextMedia.Hamburg (Öffnet in neuem Fenster) habt ihr am 25. November die Möglichkeit, hinter die Kulissen des NDR, der Podstars by OMR, der Rocket Beans, von Musicube und dem Carlsen Verlag zu blicken. Jeder Stopp verkörpert die Vielfalt der Hamburger Content-Branche, bietet euch die Möglichkeit, exklusive Einblicke in die Unternehmen zu erhalten, euer berufliches Netzwerk zu erweitern und euch mit anderen Content-Schaffenden auszutauschen.

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Hallo!

Ist Twitter tot?

Liest man Twitter, glauben das viele Twitterer. Alles, was der neue Besitzer vorhat, ist Mist und Müll, naiv und nutzlos. Für viel Amüsement und Kopfschütteln sorgt Elon Musks Plan, noch diese Woche ein 8-Dollar-Abo einzuführen für Leute, die einen blauen Haken hinter ihrem Namen tragen wollen und damit nachweisen, echt sie selbst zu sein.

Nur ein Beispiel: Frederik von Castell schreibt bei Übermedien (Öffnet in neuem Fenster), die Sache mit dem Haken habe einen Haken, der diene nämlich der Verifizierung von Accounts. Ihn gegen Geld zu vergeben, mache das Netzwerk für Journalist:innen irrelevant. 

https://twitter.com/FvCastell/status/1586988776676593664 (Öffnet in neuem Fenster)

Totale Quatsch-Idee also, da sind sich fast alle einig. Scharenweise melden sich die Leute jetzt bei Mastodon (Öffnet in neuem Fenster) an, einem offenen, dafür aber leider schwer zu benutzenden Konkurrenz-Angebot mit einem irgendwie abstoßenden Namen, das sehr langsam lädt – und erzählen davon bei Twitter.

Warum Twitter lebt

Ich glaube nicht, dass Twitter tot ist.

Im Gegenteil. Geld für die Verifizierung eines Accounts zu verlangen, wird das Vertrauen in die per Twitter verbreiteten Informationen stärken. Hör mich an.

Wer im Internet zahlt, nutzt dazu eine Kreditkarte, oder einen Service wie Paypal, Apple Pay oder Google Pay. Angeschlossen ist immer eine Bank. Banken legen großen Wert darauf, zu wissen, wer ihre Kund:innen sind. Erstens wäre alles andere wirtschaftlicher Irrsinn. Zweitens sind sie dazu verpflichtet, denn jeder Staat will Steuern erheben und Geldwäsche verfolgen. Banken prüfen so genau wie sonst niemand die Identität ihrer Kund:innen. 

Sobald ich zahle, weiß Twitter also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass es mich gibt, und dass ich ich bin. Piggy backing nennen die Amerikaner so etwas, also Huckepack. Das Musk-Abo klettert den Verifikations-Verfahren von Banken und Firmen wie Apple und Google auf den Rücken, und bekommt auf diese Weise verifizierte Accounts ("payment verified"). Das ist wahrscheinlich ein gutes Geschäftsmodell. Vor allem aber behindert es die große Pest der Sozialen Medien: anonyme Hass-Trolls.

So wie ich das Projekt verstehe, werden die Tweets von verifizierten Accounts zukünftig häufiger angezeigt, als die von kostenlosen Accounts, und das möglicherweise schon ab der kommenden Woche. Anonyme, rassistische Tweets wird es weiterhin geben, aber sie werden seltener im Feed auftauchen. Der Twitter-Algorithmus macht sie irrelevant. „Der beste Ort, eine Leiche zu verstecken, ist die zweite Trefferseite der Google-Suche“, umschreibt (Öffnet in neuem Fenster) Musk das Vorgehen. Prominent ignorieren, könnte man sagen. 

Wer mit einem verifizierten Account – und damit unter der eigenen Identität – gesetzeswidrige Dinge postet, macht sich dann juristisch angreifbar und wird es sich zweimal überlegen.

Hass-Trollen wird schwierig und teuer

Es ist lang erwiesen (Öffnet in neuem Fenster), dass der russische Geheimdienst mit seinen Troll-Fabriken via Social Media Einfluss auf die Wahl Donald Trumps hatte, auf den Brexit und viele andere Abstimmungen. Das war schockierend einfach und billig. Beides behindert das neue Twitter-Abo ziemlich elegant. In Zukunft wird so etwas schwierig und teuer sein.

Wer weiterhin wahrgenommen werden möchte, muss zahlen. Acht Dollar im Monat ist ein Preis, den ich persönlich angemessen finde. Er schließt niemanden wirklich davon aus, mitzureden, ändert aber das Geschäftsmodell von sozialen Medien auf revolutionäre Weise.¹ Das bestand bekanntlich bisher aus dem Prinzip: Wenn du für ein Produkt nicht zahlst, bist du das Produkt (Öffnet in neuem Fenster). Denn Facebook, Tiktok und Google verkaufen deine privaten Daten als detailliertes persönliches Profil meistbietend. Im besten Fall an Werbetreibende, im schlimmsten an Wladimir Putin.

https://youtu.be/GGTWUOxkfGQ (Öffnet in neuem Fenster)

"Senator, we run ads!"

Bin ich ein Elon-Versteher?

Ich gebe zu, ich klinge wie ein Elon-Versteher. Das weise ich von mir. Ich mag Bullys und Trolle überhaupt nicht. Ich würde nie die republikanische Partei wählen. Und ich finde manche von Musk per Twitter verbreiteten Ansichten (Öffnet in neuem Fenster) jenseits von akzeptabel, in Deutschland wohl rechtswidrig.

Nur tut Musk, der Produktmanager, meiner Meinung nach das Richtige. Er verändert das Geschäftsmodell von Sozialen Medien zum Besseren. Weg von der Werbefinanzierung, hin zur Finanzierung durch die Nutzer:innen. Das ist eine Revolution, deren Bedeutung noch nicht erkannt wird. 

Die Idee könnte von mir sein

Ich finde all das auch deswegen so spannend, weil meine eigene Arbeit viel mit diesem Problem und mit dieser Lösung zu tun hat. Bei der Gründung von Krautreporter und Steady war meine Kernhypothese: Ändere das Geschäftsmodell, dann verbessert sich der Journalismus. Das Geschäftsmodell für Journalismus war 2014 Werbung und führte in einer Abwärtsspirale zu immer mülligerem „Content“. Mitgliedschaften sollten das ändern. Und das haben sie auch. 

Medien werden heute nicht mehr für die Werbewirtschaft hergestellt, sondern für Endverbraucher:innen. Die Plus-Abos bei Spiegel, Zeit und deiner Regionalzeitung haben besseren digitalen Journalismus ermöglicht. Überraschung! Menschen zahlen nicht für Schund, sondern für Qualität.

Inzwischen kann ich auch beweisen, dass sich der Diskurs verbessert, wenn die Mitdiskutierenden zahlen. Bei KR dürfen nur Mitglieder Kommentare schreiben. Dadurch sind die Debatten zu unseren Artikeln sehr ausgewogen und wohlwollend. Natürlich rastet ab und zu jemand mal aus. Aber immer wieder haben wir beobachtet, dass die Community selbst es dann schafft, so jemanden wieder einzunorden. Es hat Jahre gedauert, bis wir den ersten Kommentar löschen mussten und passiert bis heute extrem selten. 

Das ist ein Kommentar eines KR-Mitglieds unter einem Artikel zum Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder:

Viele Zeitungen und Sender beschäftigen dagegen ganze Teams, die den Hass löschen, und die oft psychologische Unterstützung brauchen, weil es kaum zu ertragen ist. Auch andere Medien sind darum diesen Weg gegangen (2020 zum Beispiel die Welt (Öffnet in neuem Fenster)) und lassen nur noch zahlende Abonnent:innen kommentieren.

Wie du bei Twitter Geld verdienen könntest

Weiter gedacht ermöglicht es dieses Geschäftsmodell, dass Content Creators einen Teil der durch Abos (und Werbung) generierten Einnahmen abbekommen. Musks jüngste Tweets deuten darauf hin.

https://twitter.com/elonmusk/status/1589010272341340160 (Öffnet in neuem Fenster)

Gleichzeitig sollen Paywalls neue Creator-Geschäftsmodelle ermöglichen, die sehr an Membership-Plattformen erinnern wie Patreon und Steady – oder gar die Porno-Plattform OnlyFans (Öffnet in neuem Fenster).

https://twitter.com/elonmusk/status/1589009644114284544 (Öffnet in neuem Fenster)

Das Team des Newsletter-Dienstes Revue, das Twitter erst vor Kurzem übernommen hatte, wurde zwar entlassen, eine Substack- und Steady-artige Newsletter-Funktionalität scheint aber auch geplant zu sein:

https://twitter.com/stillgray/status/1589013109301456896 (Öffnet in neuem Fenster)

Twitter würde durch diese Maßnahmen von einer Link-Schleuder zu einer Creator-Content-Plattform wie Spotify oder Youtube, also neben Kurznachrichten auch für längere Formate wie Videos, Events, Podcasts, Zeitungsartikel und so weiter. Und das mit einer hohen eingebauten Plattform-Viralität und Teslas Team von erfahrenen Entwickler:innen von künstlicher Intelligenz – wie das von TikTok.

Ich wäre vorsichtig, alte Gewissheiten weiter vor mir herzutragen, wie es zum Beispiel der New Yorker Medienprofessor Jeff Jarvis tut.

https://twitter.com/jeffjarvis/status/1588519363732070405 (Öffnet in neuem Fenster)

Anders als Javis könnte ich mir zum ersten Mal überhaupt vorstellen, dass Mikro-Payments in so einem Kontext funktionieren könnten. Creators, die mit einem Paywall-Text einen viralen Hit landen, werden durch ein Twitter-Mikro-Payment-System eine Menge Mikro-Umsätze machen können. Wenn Zeitungen etwas abbekommen, sobald sie Twitter-Nutzer:innen hinter ihre Paywall lassen, werden möglicherweise nicht alle von ihnen nein sagen. Twitter wäre dann das viel beschworene „Spotify für Journalismus“.

Like it or not, das neue Twitter ist sehr lebendig. Könnte man noch Twitter-Aktien kaufen (und würden mir meine Kinder nicht die Haare vom Kopf fressen), würde ich das jetzt tun.

Bis nächsten Montag!
👋 Sebastian

_____________________

¹ Bei Twitter wurde ich gestern ein paar mal darauf hingewiesen, dass 8 Dollar eben doch manche Menschen von Diskurs ausschließt, Arme nämlich. Dabei hat doch gerade erst der Hashtag #IchBinArmutsbetroffen (Öffnet in neuem Fenster) dazu beigetragen, ihnen eine Stimme zu geben – bei Twitter.

https://twitter.com/teresabuecker/status/1589344022967226368 (Öffnet in neuem Fenster)

Das stimmt natürlich. Bei KR lösen wir das dadurch, dass arme Leute eine Mitgliedschaft kostenlos bekommen. Wie und ob Twitter das Problem sieht und lösen will, weiß ich nicht.

Vergessen wir aber nicht, dass die bisherige Lösung problematisch war: Statt Geld haben wir mit unserer Privatsphäre bezahlt. Die NSA, die AfD und Cambridge Analytica konnten nur aus unseren Daten ihre Suppen kochen, weil Soziale Netzwerke kostenlos sind. Seitdem endlich gesetzliche Maßnahmen dagegen greifen, wird es tendenziell schwer, Twitter zu betreiben. Das ist der Grund, warum die defizitäre Firma nicht höher bewertet war und Musk sie sich leisten konnte. Einfach so weiter machen, finde ich darum nicht sinnvoll.

PS:

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Kategorie Storys

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