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Barbie macht den Job

Alles etwas pink gerade? Was der Barbie-Hype gemeinsam hat mit der Sommersitzung des Wissenschaftsrates


Kürzlich sah ich auf LinkedIn ein Posting der Journalistin Nena Brockhaus, in dem sie aufmachte mit "Ich bin genervt vom pinken Feminismus!" (Öffnet in neuem Fenster). Nena Brockhaus ist mit der WELT-Journalistin Franca Lehfeldt Co-Autorin von Alte weise Männer. Hommage an eine bedrohte Spezies, in dem sie für die Besagten eine Lanze brechen.

Verrückt! Mir geht es total anders. Brockhaus' politische Verortung und die Einbindung ihres Beitrags in ihr Buchmarketing mal außen vor gelassen, war ihr Beitrag interessant - denn sie adressiert natürlich kritische Punkte, die diskussionswürdig sind. Sicherlich, der Kapitalismus hat schließlich auch den Feminismus entdeckt und deshalb sind female only Events aus der ehrenamtlich organisierten Ecke heraus und Tickets werden hochpreisig vertrieben - denn: es lässt sich Geld damit verdienen. Und sicher bedeutet #sisterhood nicht, dass sich alle Frauen jetzt lieb haben, ja es gibt weiter Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten (wie überall).
Aber das ist kein Wunder, denn wie Gilda Sahebi im Mai auf der Hauptbühne der re:publica (Öffnet in neuem Fenster) sagte: alle feministischen Aktionen finden immer noch im Patriarchat statt, und können daher auch nicht vollkommen feministisch sein. Sie bleiben eine feministische Bewegung innerhalb eines misogynen Systems, das goutiert, wenn Frauen sich gegen Frauen stellen. Das ist fast empirisch messbar an der (erwartbaren) Zustimmung vieler Männer unter ihrem Posting.

So leistet der Buchtitel Alte weise Männer genau diesem Patriarchat übrigens wunderbar Vorschub. Denn wo gibt es sie denn, die jungen aufstrebenden Journalisten, die der Gesellschaft mit flammenden Zungen das Werk der nun 70-90-jährigen deutschen Second-Wave-Feministinnen erläutern? Ihr Buch darf gerne noch geschrieben werden.

Alles gute Nachrichten
Wie immer, wenn es eine Gegenbewegung gibt, ist offensichtlich irgendwo eine Grenze überschritten. Für eine kritische Masse passiert im Bezug auf Chancengleichheit und Feminismus zu viel. So viele Berichte, neue Netzwerke, Events, Postings, Filme - sprich viele Stimmen und Formate. Offenbar mehr, als einer "feministischen Welle" zugesprochen wird (von wem?) - denn schließlich reicht es auch irgendwann einmal, oder? Wer konnte das bitte ahnen?! Am Ende sind wir gar nicht in der xten Welle des Feminismus, sondern gar in der letzten angekommen? Zeit für eine Counterbewegung! Und wie es aussieht - auch damit kann frau (Brockhaus) wunderbar Geld verdienen. Das soll sie gerne machen - es ist genug Platz für alle Stimmen da.

All das schreibe ich als Beobachterin, aber auch, um einen Gegensatz aufzumachen. Ich bin in einer gänzlich anderen Stimmungslage. Der schöne Sommer, der hinter mir liegt, mit viel Erholung, schönen Momenten mit meiner Familie und Freund*innen, und vor allem mit Zeit für Reflexion.
Ich bin nicht genervt, ich bin dankbar. Mich macht es total glücklich zu sehen, wie viel aktuell passiert. Ich muss nicht an jedem Event teilnehmen, jedes neue feministische Buch lesen oder in jedem Netzwerk sein, aber es macht mich glücklich, dass es sie (jetzt) gibt, dass sie Zulauf haben, dass auch viele Frauen, die sich zuletzt niemals als Feministin bezeichnet hätten, nun feministische Ziele an ihren Wirkstätten umsetzen - einfach, weil das Thema gender equality soviel an Strahlkraft gewonnen hat und Thesen, die 1985 noch reaktionär klangen, nun plausibel und selbstverständlich klingen. Mich macht es glücklich, dass ich den Überblick verliere und es ganz unterschiedlichen Auslegungen feministischer Themen gibt - das bedeutet, dass die Debatte vorankommt und sich differenziert. Weil sich Menschen gefunden haben, die dies vorantreiben. Weil es politische weibliche Zirkel gibt, wie z.B. Frauen100 (Öffnet in neuem Fenster), die sich vernetzen und ihre Agenda voranbringen. Weil auch das Bundesbauministerium im Sommer 2023 endlich ein Forschungsprojekt zu Gender Planning ausschreiben ließ.

Das alles wäre mit der Vorarbeit von Second-Wave-Feministinnen nicht möglich gewesen. In den Ferien habe ich Klassiker gelesen, z.B. von bell hooks oder Audre Lorde, und es ist einfach mindblowing - Gedanken, die Feministinnen heute wiederaufnehmen, weiterdenken, weiterentwickeln. Sie waren Avantgarde und sind nun unsere besten Referenzen. Ihre frühen Werke zeigen einmal mehr auf, dass es Zeit ist.

Der Wissenschaftsrat sagt an
Neben Brockhaus' Beitrag gibt es andere Zeichen dafür, dass die Debatte längst nicht mehr beim "ob" sondern längst beim "wie" und mehr noch beim "wie genau" angekommen ist. In den Ferien hatte ich kurz eine Story dazu bei Instagram:

Der Wissenschaftsrat hat nach der dreijährigen Analyse einer eigens gegründeten Arbeitsgruppe Empfehlungen zu einer grundsätzlichen Verankerung der Geschlechterperspektive in der Forschung erarbeitet. Der Wissenschaftsrat ist ein maßgebliches Beratungsorgan der Wissenschaftslandschaft, sei es für Hochschulen, forschenden Institutionen oder z.B. Ressortforschung des Bundes.

In dem Papier Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Geschlechterforschung in Deutschland (Öffnet in neuem Fenster) wird die gesamte bestehende Struktur der Geschlechterforschung, also nicht nur der Gender Studies, sondern auch der Verankerung z.B. in der Medizin und in den Naturwissenschaften, analysiert. Im Ergebnis werden auf dieser Grundlage Maßnahmen empfohlen, um die Geschlechterperspektive noch besser in allen Fächern zu verorten. Insbesondere die Analyse des Status quo ist neu - und unfassbar wertvoll. Sie ermöglicht, Missstände zu benennen und strukturelle Veränderungen anzustoßen. Gleichwohl werden gute Beispiele als Blaupausen benannt.

Die interdisziplinäre Einflechtung der Geschlechterperspektive in die Forschung wird dazu führen, dass mehr Geld fließt, dass z.B. es mehr (Gast)Professuren zu diesem Thema geben wird und evtl. eine höhere Bereitschaft zur Finanzierung und Ausschreibung von entsprechenden Forschungsprojekten . Das bedeutet, die Entwicklung von geschlechtsspezifischen Fachthemen in allen Bereichen der Wissenschaft bleibt nicht engagierten Einzelpersonen überlassen, die hartnäckig gegen Widerstände und Vorurteile arbeiten müssen. Das bedeutet Rückenwind. Die Ansage kommt quasi von oben - und wird sicherlich murrend, aber perspektivisch berücksichtigt werden. Auf das Papier kann man*frau sich in jedem zukünftigen Förderantrag bestens beziehen - es liefert eine neue Ebene der Legitimation.

Spoilering Barbie
Zurück zur Puppe. Wie cool ist der Barbie-Film, bitte? Mir hat es total gut getan, die vielen ernsten Themen einmal anders aufbereitet zu sehen und herzlich darüber zu lachen. Auch Barbie steht für eine Ausdifferenzierung der Debatte: nämlich als Comedy, als Teil des Mainstreams. Natürlich werden Stereotype wiederholt, gleichzeitig machen sich Frauen* die Farbe pink gänzlich zu eigen. Ja, es darf gelacht werden. Darüber, was die Machos in kürzester Zeit aus Barbieland machen (Kendom), das Gestotter des CEO von Mattel zu Frauen in Führung (...es gab da eine Frau in den 1990ern, ....) und die Akzeptanz der Typen, dass sie sich mit der Herrschaft der Männer vielleicht doch etwas übernommen haben (Ken's Sweater mit der Aufschrift - "I am Kenough"). Sorry, ich liebe es.

Ken im Blockbuster "Barbie" trägt einen Hoodie mit der Aufschrift "I am Kenough"

Will mehr sein als "Beach": Ken alias Ryan Gosling im Blockbuster Barbie

Mich freut der Erfolg des Films. Seine augenzwinkernde Patriarchatskritik erreicht ganz neue Zielgruppen (ich stelle mir die vielen Partner vor, von ihren Frauen in den Film geschleppt, ...). Schluss mit der Überlegung, wie feministische Grundsatzanliegen einfach, am besten als Teil eines Lifestyles, in die Breite getragen werden: Barbie macht den Job. Ich war selbst kritisch ob des Barbie-Hypes, aber was dieser Film doch wunderbar schafft - und ich hoffe sehr, dass Regisseurin Greta Gerwig allein dafür einen Oskar bekommt - er bricht herunter, wo das Problem liegt, wie es sich äußert und was es für Folgen hat. Ja, es gibt sogar simple Ideen, das Patriarchat zu überwinden. Diese prägnanten Verkürzung ist die größte Leistung des Films. Klar bleibt alles streng auf Barbie und Ken bezogen, aber ich schätze total, dass der Problemaufriss dank dieser Vereinfachung so gut gelingt. Dazu hinterlässt Barbie keine Verlierer*innen - ein sehr schlauer Move, wirklich allen den Spiegel vorzuhalten.

Was mich am meisten am Film verstört hat, ist die amerikanisch-selbstverständliche Verbindung von Kunst und Kommerz - heute auch von Margarete Stokowski auf Instagram (Öffnet in neuem Fenster) kritisiert. War Mattel Sponsor? Nein, natürlich Produzent. Product Placement gab es ohne Ende, und nach einer Viertelstunde war auch dem letzten klar, dass dieser Film eben auch zum Ziel hat, einen neuen Barbie-Hype auszulösen. Nicht im Kino, sondern im Kinderzimmer. Der Film unternimmt nebenbei den Versuch, die unter Eltern verbreitete kritische Barbie-Antizipierung zu beenden und mit Barbie's Re-Framing als neue emanzipierte Kult-Puppe die letzte (linke) zweifelnde Zielgruppe zu überzeugen. Das fand ich - vielleicht haben wir in Europa auch andere Sehgewohnheiten als in Nordamerika - sehr unverhohlen. Ich fühlte mich so ähnlich, wie nach dem Naturkundemuseum direkt im Shop zu landen. Und Gott behüte uns vor den sämtlichen Nachfolgern, die der Film unweigerlich produzieren wird.

Was also haben die Sommersitzung des Wissenschaftsrats und der Barbie-Hype gemeinsam? Sie sind Indizien dafür, dass gender equality im Mainstream angekommen ist. Ich meine, soweit waren wir noch nie. Ja, der Barbie-Film wird als "zu woke" kritisiert, dennoch hat er gerade eine Milliarde Dollar eingespielt. In Deutschland hat ihn schon jede*r Vierte gesehen.

Übrigens: ich hatte nie eine Barbie, war aber immer scharf auf das Pferd. Wie passend, so war doch mein liebster Gag im Film die Aussage von Ken (Ryan Gosling), der nach seiner Rückkehr ins Barbieland befand, er habe am Patriarchat sowieso in dem Moment das Interesse verloren, als er verstanden habe, dass es nicht um Pferde ging.

Einfach göttlich!

Auf bald,
und genießt den ausklingenden Sommer,
Karin

Buchempfehlungen

Aktuell höre ich von bell hooks Belonging. A Culture of Place (Öffnet in neuem Fenster). Dieses Buch ist eine Hommage an ihren Heimatstaat Kentucky, den sie als junge Erwachsene verließ und in den sie später zurückkehrt. Neben einer Analyse von Heimat beschreibt bell hooks wie immer brillant, wie white supremacy das Leben von Schwarzen Menschen einschränkt.

Die besten Artikel zum Barbie-Film gibt es bei The Atlantic (Öffnet in neuem Fenster) (tw. Paywall). Sehr gut gefallen hat mir auch die Kolumne von Katharina Pfannkuch: Was nicht nur Männer von Barbies Ken lernen können. (Öffnet in neuem Fenster) Lesenswert!

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26.09.2023, Hansestadt Stade
Stadt für viele = Stadt der Vielfalt? Perspektiven für diverse und nachhaltige Lebensräume (Öffnet in neuem Fenster), Buchgespräch mit Jacqueline Jugl, Buchhandlung Schaumburg

27.09.2023, Kiel
Lesung und Diskussion im Baukulturforum Kiel (Öffnet in neuem Fenster)

04.10.2023, Frankfurt am Main
Diskussionsrunde im Deutschen Architekturmuseum

03.11.2023, Berlin
Gesprächsrunde anlässlich der Lesung mit Till Raether (Öffnet in neuem Fenster),
Autor von Die Architektin, Urania Berlin

14.11.2023, Kassel
Buchvorstellung und Gespräch, Architects for Future Kassel

Bei Spotify gibt es eine lustige Playlist zu Schwarzer Rolli, Hornbrille (Öffnet in neuem Fenster) mit aktuellen feministischen Liedern und einigen aus den 1990er-Jahren.
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