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Guten Tag, werte Lesende!

Dieser Newsletter versteht sich auch als Trendletter für unsere schöne Sprache. Außerdem geht es um Rezo, um Christian Lindner, der fast mal eine Kimaschutzbewegung begründete, um Falten, um Konservative, die Rasen hämmern, um UrologInnen und die künftige Ex-Kanzlerin, die öfter mal gegen Herz und/oder Verstand regierte. 

Erst mal zum Sprachtrend. Langsam, aber stracks schleicht sich das Wort "Ambiguitätstoleranz" (AT) in unseren Alltag, was zugegebenermaßen schwerer auszusprechen ist als die Genderpause, aber deutlich mehr her macht. Übersetzt heisst AT, dass wir mit Widersprüchen leben lernen sollten. Ist nicht das ganze Leben ein Widerspruch, kostenlose Newsletter zum Beispiel?

Deswegen machen wir's kurz. Aber heiter. Kein Widerspruch.

 Viel Spaß!

Quietschen der Woche

Rezo und kein Ende. Mit jedem neuen Video erreicht der Youtuber Millionenquoten. Er hat eine Parteivorsitzende (AKK) erledigt und zerlegt seither bevorzugt die Klimapolitik unserer Volksvertretenden, nach Expertenmeinung übrigens fachlich korrekt. Meine Söhne haben weder Triells noch Arenen geguckt, aber jeden Rezo. Gleichwohl arbeiten sich konservative Journalisten verbissen an der blauen Locke des jungen Mannes ab, obgleich, weil, während er ihnen zeigt, wie moderne und zielgruppengerechte Ansprache  geht. Rezo und Journalismus, das ist kein Widerspruch. Mehr AT bitte. Dass man mit Rezo auch richtig gut blödeln kann (mit konservativen Journalisten übrigens auch, wenn sie den Stock einfach mal rausziehen und aufhören, über Youtuber zu quietschen), sehen wir hier.

https://www.youtube.com/watch?v=mwdxC1bEooE (Öffnet in neuem Fenster)

Hammer der Woche

Dr. Jan-Marco Luczak lud mich die Woche per analog an die Haustür geklebten Zettel  auf eine Grillwurst und Bier ein. Netter Kerl. Es gibt vegane Alternativen, aber immer nur eine Portion. Wie bei Brian: "Jeder nur ein Kreuz" – was kein schlechter Kalauer für den Wahlkampf ist. 

Luczak, Luczak – da war doch was? Genau. Das Video. Nicht ganz Rezo, aber voll mit AT-Stoff. Denn Dr. L. hämmert völlig sinnbefreit auf unschuldigen Rasen ein. Der Clip klickt besser als jeder offizielle CDU-Wahlwerbespot. Dabei wollen doch alle immer Inhalte. Wenn das kein Fall für AT ist. 

https://twitter.com/JM_Luczak/status/1424660037809676289 (Öffnet in neuem Fenster)

Mail der Woche

Mich erreichte eine sehr freundliche Anfrage, ob ich nicht bereit sei, für eine durchaus prominente Politikerin ein kleines Werbevideo aufzunehmen, einfach so. Ich war versucht. Denn Machtfrauen haben mich immer erotisiert, ehrlich. Mit Rücksicht auf die arglose junge Frau, die diese Mail schrieb, werde ich nicht verraten, um wen es sich handelt. Tja, hier ist die AT der Lesenden gefragt. Ein Journalist, der weniger schreibt als er weiß. Auch ein Hammer. Außerdem habe ich Angst, dass im Gegenzug meine Antwort öffentlich wird. Die lautete u.a.: "Die Standesregeln für Journalisten verbieten, zu Recht, jede Form von Werbung, egal für wen oder wie ... Damit geht keinerlei Wertung einher; ich würde für keine/n Partei/KandidatIn werben, nicht mal für meine Frau ... PS: Sollten Sie mir einen üppig dotierten Halbtagsjob mit Abwesenheitspflicht und komfortabler Pension anbieten, so dass ich meine journalistische Tätigkeit umgehend einstellen kann, sieht die Sache natürlich anders aus." Ich warte auf Antwort.

Lindner der Woche

Unser künftiger Finanzminister kommentierte  Fridays For Future einst mit den Worten, dass man Klimaschutz den Profis überlassen solle. Dieser Spruch motivierte nun wiederum eine Gruppe PsychologInnen, die PFF zu gründen - Psychologists for Future. Zulässig verkürzt heisst das: Christian Linder hat eine Klimabewegung mitbegründet. Solche und leider deutlich weniger amüsante Begebenheiten und Einsichten zum Kampf zwischen Wissen und Handeln liefert die Futur-Psychologin Katharina van Bronswijk in unserem Mutmach-Podcast. AT-Training pur.

Alltagshelden der Woche

Nachdem ich mein Millionenvermögen auch dem Moderieren zahlreicher Presisverleihung-Galas zu verdanken habe, begegne ich Medien- und Journalisten-Auszeichnungen mit begründetem Unernst. Bei der Deutschen Urologischen Gesellschaft (DUG) ist das anders. Männer sind Idioten, weil sie viel zu selten und wenn, dan viel zu spät zum Arzt gehen, vor allem eben zum Urologen. Schlechtscherzeinladung: Urologinnen gibt es auch. 

Meine Arbeit in der Jury des Medienpreises ist frei von AT. Auch mal schön.  Dieses Jahr gewinnt Marco Giacopuzzi mit einer Langzeit-Reportage über einen Jungen, der zunächst auf eine Spenderniere wartet und dann mit dem neuen, gebrauchten Organ lebt. Alltagsheldentum braucht grenzenlose AT. 

https://www.ardmediathek.de/video/was-wurde-aus/max-leben-mit-der-neuen-niere/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xMjMzMTE/ (Öffnet in neuem Fenster)

Merkel der Woche

Frage der Nation: War Angela Merkel eine gute Kanzlerin, weil sie uns durch so viele Krisen manövrierte oder eine schlechte Kanzlerin, weil sie so viel liegen ließ? Mehr AT geht nicht, weder für sie noch für uns Volk. Ich habe da mal ein wenig draufrumgedacht. 

Die Machtphysikerin

Wie ist Angela Merkels Amtszeit zu bewerten? Souveräne Krisenkanzlerin oder Herrin der Baustellen? Zur Bilanz gehört auch, was die Regierungschefin den Deutschen erspart hat.

Bezieht sie eine schicke Dachwohnung im ehemaligen Schöneberger Postgebäude? Baut sie draußen, noch hinter Oberschöneweide? Oder wird es doch die klassische Villa am Grunewald? Aus sicherer Quelle wüssten sie, so wispern Berlins Immobilienmakler („Aber nicht weitersagen!“), wo die künftige Kanzlerin a.D. sich zur Ruhe setzen wolle. So wirkt die Aura Angela Merkels über ihre Amtszeit hinaus, bei den Quadratmeterpreisen. Was bleibt noch von ihrer im internationalen Vergleich märchenhaft langen Amtszeit?

16 Jahre Kanzlerschaft werden derzeit historisiert; es geht um das Kapitel Merkel im Geschichtsbuch, dem Klassenbuch für politische Führungskräfte. War sie die weltweit respektierte Krisenpilotin, die Deutschland eine Phase der Stabilität in unruhigen Zeiten bescherte oder die Unvollendete, die viele innenpolitische Baustellen offen ließ? Antwort: Beides. Beim Bewerten der Ära Merkel geraten oft zwei Ebenen durcheinander: die pragmatische und die idealistische. Idealisten weisen auf all die unbewältigten Aufgaben hin, Rente, Bildung, Digitalisierung, Wohlstandsschere. Pragmatiker dagegen blicken auf Machterhalt, Machtausbau und Machtverlust, dem Kerngeschäft der Politik. Macht, so verstand die Physikerin Merkel rasch, ist wie Schwerkraft, eine Art Basisenergie, von der alle anderen Kräfte abhängen. Ohne Macht keine Inhalte. Modernisieren oder Macht, das ist wie Wunsch oder Wirklichkeit ein ewiger Zwiespalt. Merkel orientierte sich an der deutschen Wirklichkeit.

Wohin Wünsche führen, lernte Merkel noch vor vor Beginn ihrer Amtszeit. Mit einem ambitionierten Wirtschaftsprogramm unter dem Schlagwort „Neue soziale Marktwirtschaft“, das ihrer liberalen Haltung entsprach, war sie 2005 in die Wahl gezogen und hätte gegen einen entfesselt kämpfenden Kanzler Schröder fast noch verloren. Der hatte mit einer hastig zusammengestopselten Agenda 2010 erst seine SPD und dann das ganze Land aufgebracht. Die ernüchternde Wirklichkeit: Reformatorische Trägheit sichert Macht, Veränderungsmut gefährdet sie. Und so ging es weiter: Menschenrechte schön und gut, aber das Geschäft mit China muss laufen. Klimaschutz okay, aber erst mal die Grenzwerte in Brüssel an den deutschen Trend zum SUV anpassen.

Ihr eigenes Handeln mochte die Kanzlerin moralisch-intellektuell oftmals unterfordert haben. Aber in Merkels innerem Team hatte nicht die protestantische Idealistin, sondern meist die Machttechnikerin das Sagen. Die Kanzlerin folgte nicht Überzeugungen, sondern Meinungsumfragen; der relative Stillstand auf den Dauerbaustellen war demokratisch legitimiert. Entschied die Pastorentochter wie im Flüchtlingswinter 2015/16 mit dem Herzen, stand die Macht schnell auf dem Spiel.

Merkels Kritiker bemängeln, zu Recht, was alles nicht geschah seit 2005. Zum vollständigen Bild gehört aber auch, was sie dem Land ersparte. Frankreichs Macron strauchelte im Furor aufgebrachter Gelbwesten, in Italien regierten Clowns, Rechtspopulisten oder beide, ein zerrissenes Großbritannien manövrierte sich aus der EU, Österreich hadert mit einem nassforschen Taschenspieler, in den USA klaffte ein Graben, ach was, ein Canyon, zwischen den politischen Lagern, Verständigung kaum noch möglich. Autokrat Putin kommt auch nicht auf die Füße. Dass das Lager der gewaltbereiten Querdenkenden in der Pandemie nicht mehr Zulauf bekam, mag auch am Merkelschen Geist des berechenbaren Geradedenkens gelegen haben.

Keine Frage, sie hätte ihre Macht fürs Modernisieren riskieren können. Doch Angela Merkel entschied sich für eine andere Kernbotschaft: „Sie kennen mich“, übersetzt: Ich werde die Wähler nicht überfordern. 83 Prozent der Befragten schätzen ihre 16 Jahre Regentschaft laut Forschungsgruppe Wahlen als eher positiv ein; ein Wert, den wohl kein anderer Regierungschef erreichte, auch nicht Barack Obama. Träte Angela Merkel zu einer fünften Amtszeit an, würde sie wiedergewählt. Mehr Bestätigung einer Machtstrategie geht nicht.

Mit freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost

Falten der Woche

Zum Glück neige ich nicht zum Exhibitionismus und zeige dauernd Fotos von mir. Heute mache ich mal eine Ausnahme.

Auf dem Personalmanagementkongress wurde dieses Foto angefertigt, was die nachlassende Spannkraft meiner Gesichtshaut unvernünftiger Mengen Hyaluron-Zeugs (Diebesgut aus dem ehelichen Badezimmer) offenbart. Das Bild erinnert mich an einen dieser überzüchteten Tempelköter. Nun der Widerspruch: Wie kann ich in einem Gebirgsmeer von Kopfkissen schlafen und kriege die Krater trotzdem weg? 

Für Hinweise stets dankbar und mit besten Wünschen für ein AT-armes Wochenende. 

Hajo Schumacher

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