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Heft 2 - Die Vogelinsel Isle of May

Bootsausflug •• Naturfotographie •• Geschichte ••

Auf der Insel May suchen sich 200 000 Seevogel-Paare ihren Brutplatz.

Unser Boot gleitet über die spiegelglatte See und von weitem ist schon das Ziel unserer Reise zu sehen, die Isle of May, 45 Hektar groß und rund acht  Kilometer von der schottischen Ostküste entfernt gelegen. Die Insel liegt als dunkle  Silhouette auf den glitzernden Wellen, die unser Boot umspielen. Aber wir wissen, dass sie je nach Jahreszeit und Wetterlage ihr Aussehen gehörig verändern kann.

Im Winter schimmert die Isle of May schneeweiß durch die dunklen Sturmwolken. An manchen Tagen ist sie kaum mehr als ein schwacher Schatten, der durch den Nebel erkennbar ist. An einem Sonnentag wie heute aber scheint sie fast zum Greifen nah zu sein. „Sie haben einen perfekten Tag erwischt“, ruft uns der Kapitän der „May Princess“ über Mikrophon zu.

Die Insel ist die Heimat von 200 000 Seevögeln, die hier brüten oder auf ihrem Weg zurück aus dem Süden im Frühling Rast machen: Seeschwalben, Tölpel und Papageientaucher . Im Winter bringen die Seehunde auf der Isle of May ihre Babies zur Welt, ab März beginnt die Brutsaison der Seevögel. Keine Frage: Die Insel bietet einen einzigartigen Einblick in ein Stück naturbelassenes Schottland und die Besucherzahlen sind seit Jahren steigend.

 Wir starten in der hübschen, kleinen Hafenstadt Anstruther. Um das Boot nicht zu verpassen, haben wir der Versuchung widerstanden, das Fischerei-Museum (Scottish Fisheries Museum) zu besuchen oder uns in die lange Schlange einzureihen, die mit sprichwörtlicher britischer Geduld vor dem weithin bekannten Fish & Chip-Shop direkt am Hafen auf ihre Bestellung wartet.

Und während wir bis zur Abfahrt noch ein wenig an den Segelbooten vorbei schlendern, die in der Hafenmole festgemacht sind, entdecken wir unsere Mitreisenden auf dieser Tour. Die meisten von ihnen sind schlicht an den teuren Kameras mit den gewaltigen Objektiven zu erkennen, die ihnen über der Schulter hängen.

Endlich geht es los. Seit vielen hundert Jahren haben die Menschen in den Küstenstädten wie Anstruther, Crail oder St Monans diese Überfahrt angetreten. Könige, Pilger und Missionare kamen auf die Isle of May. Ebenso wie Schmuggler und die Plünderer havarierter Schiffe. Die Wikinger fuhren auf ihren Raubzügen hier vorbei und selbst eine versprengte Galeone der spanischen Armada ist nach der Schlacht gegen die englische Flotte von Sir Francis Drake  nachweislich durch diese Gewässer gesegelt. In der Ferne ist Bass Rock zu sehen, ein gewaltiges Stück Fels nahe Edinburgh und ein ähnliches Vogelparadies wie die Isle of May.

Als wir langsam näher kommen, sehen wir Seehunde (grey seals), die sich auf den Felsen in der Sonne lümmeln. In Großbritannien leben 40 Prozent dieser Tiere weltweit. Auf den zahllosen Felsvorsprüngen sitzen Seevögel dicht an dicht und die Kameras klicken eifrig. Wir werden nun auch begleitet von einem halben Dutzend See-Kayaker, die das gute Wetter ebenfalls ausnutzen wollen und mit uns gemeinsam den kleinen Hafen anlaufen.

Dort erwarten uns Ranger des National Nature Reserve und geben eine kleine Einweisung. Der National Nature Reserve (NNR) managet die Insel. Niemand darf so einfach mir nichts dir nichts hier herumspazieren. Wir sind schließlich nur Gäste, und die Vögel sollen möglichst wenig beim Brüten gestört werden.

Den Hafen hat sich eine Kolonie Seeschwalben (terns) ausgesucht. Sie bevorzugen feinen Sand für den Nestbau, und sie sind von unserer Ankunft wenig begeistert.

 Allerdings brauchen die Tiere die NNR-Ranger gar nicht, sie wissen sich auch sehr gut selbst zu helfen. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm. Und dabei bleibt es nicht. Die Seeschwalben kommen im Sturzflug angesaust und wem sie einmal die Frisur zerzaust haben, der überlegt es sich in Zukunft sehr gut, wohin er seine Füße setzt.

 „Es gibt nicht wenige Orte in Schottland, wo Sie der Natur und den Tieren so nahe kommen wie hier“, sagt einer der Ranger zu uns, der gerade in aller Seelenruhe durch so eine Traube nicht gerade friedfertiger Vögel hindurchmarschiert ist. Den Trick lernen wir schnell: Am besten ist es, einen kleinen Stock hoch über den Kopf zu halten.  So kommen wir unbehelligt durch das Nistgebiet und haben nun mehr Ruhe dabei, die Insel zu erkunden.

Die Vegetation drückt sich in jeden noch so kleinen Windschatten, den die Steine zu bieten haben  - und sei er auch noch so klein. Überall wachsen die für die schottischen Küsten so typischen, leuchtend gelben Flechten. Ein asphaltierter Weg führt uns hinauf zum höchsten Punkt der Insel, zu den beiden Leuchttürmen.

 Auf der Isle of May wurde im Jahr 1636 gegen großen Widerstand der erste Leuchtturm in ganz Schottland gebaut. Manche Kritiker hatten religiöse Bedenken und andere meinten, die Kapitäne der havarierten Schiffe seien selbst Schuld an ihrer eigenen Dummheit. Einige Familien auf der Insel und entlang der Küste besserten ihr Einkommen auf, indem sie die havarierten Schiffe plünderten, und dementsprechend hatten auch sie kein Interesse an einer sicheren Fahrtroute in der Firth of Forth-Mündung.

Doch der Bauherr, Alexander Cunnynghame, ließ sich nicht beirren. So entstand ein viereckiger Turm, auf dem ein Kohle-Feuer brannte. Zwanzig Jahre später wurde der Turm noch einmal erweitert. Das Feuer verschlang nun pro Nacht zwischen einer und drei Tonnen Kohle. Dieses erste Leuchtfeuer brannte 180 Jahre lang und wurde erst 1811 von einem neueren Gebäude abgelöst, das Robert Stevenson baute, der Onkel des Schriftstellers Robert Louis Stevenson.

Wir haben uns bei den Leuchttürmen genug umgeschaut, gehen den Hügel wieder hinunter und packen vor dem kleinen Besucherzentrum nahe des Hafens unser Picknick aus. Ein Café oder Restaurant gibt es nicht auf der Insel. Dafür lernen wir in dem Besucherzentrum viel über die Tiere auf der Insel und die Arbeit der Vogelforscher.

In der Nordsee geht die Zahl vieler Seevögel zurück und die Forscher wollen unter anderem den Zusammenhang zwischen den schlechten Brutergebnissen  und dem Klimawandel, sowie den Einfluss der Fischindustrie und der wachsenden Nutzung der Meere als alternative Energiequelle untersuchen.

Zu einem ihrer Forschungsgebiete zählen die Papageientaucher. Ihre Zahl auf der Insel lag zuletzt bei mehreren Zehntausend Tieren. Mit kurzen, schnellen Flügelschlägen flitzen sie dicht über die Wasseroberfläche, um im nächsten Moment wegzutauchen. Papageientaucher legen nur ein einziges Ei. Ihre Brutzeit dauert von April bis Juli und ab Mitte Juli sind jede Menge Papageientaucher auf der Insel. Ihre scheinbar große Anzahl täuscht aber darüber hinweg, dass die Brut nach den zuletzt veröffentlichten Zahlen mit durchschnittlich nur 0,57 Küken pro Elternpaar nicht sehr gut verlaufen ist.

Wir schauen uns noch einen Moment in der Ausstellung im Besucherzentrum um. Als wir wieder draußen sind, fällt uns auf, dass die anderen Ausflügler, vor allem diejenigen mit den großen Kameras, alle verschwunden sind und wir machen uns auf, sie zu suchen. Dazu gehen wird zum südlichen Ende der Insel. Dort erheben sich die Klippen imposante 46 Meter aus dem Wasser und hier ist die Kinderstube von Krähenscharben (shags) und Tordalks (razorbills). So dicht an dicht kleben die Nester auf den Felsvorsprüngen, dass der schwarze Fels an einigen Stellen unter Nestmaterial, Gefieder und weißer Vogelkacke gar nicht mehr zu sehen ist. 

Über die Insel fliegen Tölpel (gannets) hinweg. Sie sind die größten und schwersten Seevögel im Nordatlantik. Ihr Körper kann bis zu einem Meter lang werden und sie können ins Wasser eintauchen wie ein Torpedo. Die erwachsenen Tiere sind weiß,  sie haben schwarze Flügelenden, einen pfirsichgelben Schnabel und eisblaue Augen. In Schottland gibt es den Spruch: „Gierig wie ein Gannet“ und tatsächlich können sich die Vögel so sehr mit Fisch vollfuttern, dass sie kaum starten können.

Ununterbrochen klicken die Fotokameras. Doch allmählich ist es Zeit, zum Boot zurückzukehren. Wir machen noch einen kleinen Abstecher zu den Ruinen einer Kapelle. Sie liegt in der Klippe mit dem viel sagenden Namen „The Pilgrim“ („Der Pilger“).

Es gibt einige Namen mit religiösem Bezug. So etwa Kirkhaven, der kleine Hafen im Osten der Insel, den wir mit unserem Ausflugsboot angelaufen sind. Der Hafen auf der Westseite heißt Altarstanes. Diese Namen haben natürlich mit der Geschichte der Insel zu tun.

Die frühesten Fundstücke von Menschen auf der Isle of May haben Archäologen auf rund 2000 Jahre vor Christus datiert. Der fruchtbare Boden spricht dafür, das die Insel einmal ein attraktiver Siedlungsort war. Mit Sicherheit aber war sie einmal ein wichtiges religiöses Zentrum. Der Heilige Adrian kam im 9. Jahrhundert als Missionar von Irland an die schottische Ostküste. Adrian wurde der erste Bischof von St. Andrews. Nachdem er im Jahr 875 von Wikingern auf der Isle of May getötet worden war, wurde die Insel ein viel besuchter Pilgerort. Im Jahr 1145 ging sie an ein englisches Benediktiner-Kloster. In den Wirren der schottisch-englischen Unabhängigkeitskriege im 14. Jahrhundert verließen die Mönche die Insel und ließen die Isle of May verlassen zurück.

Wir kommen wieder zur Anlegestelle zurück und sammeln uns am Boot. Auf der Insel gibt es kein Hotel. Die Vögel sollen nach unserer Abreise wieder ihre Ruhe haben. Wer doch unbedingt einmal länger auf der Insel bleiben möchte, der findet vielleicht diese Hintertür: Auf der Isle of May befindet sich die älteste Vogel-Beobachtungsstation Schottlands. Sie wurde von ein paar begeisterten Amateurvogelfreunden im Jahr 1934 gegründet, und seitdem bietet die Station Freiwilligen zwischen März und November für eine Woche eine Unterkunft, wenn sie dafür im Gegenzug die Augen offen halten.

„Die beste Zeit für die Seevögel ist Mitte Juni bis Mitte August“, sagt Jonathan Osborne von der Beobachtungsstation. Zu den Aufgaben gehöre, die Anzahl der Vögel zu notieren und besonders interessante Exemplare zu vermerken. Dazu müssten die Besucher keine ausgewiesenen Experten sein, sagt Osborne: „Wer sich am Anfang noch nicht so sicher fühlt, bekommt viel Unterstützung von den Rangern auf der Insel.“

Wir aber überlassen das Vogelbeobachten erst einmal anderen und gehen wieder an Bord der „May Princess“. Als es losgehen soll, wird es auf einmal eng in dem kleinen Hafen. Auch die See-Kayaker, die mit uns auf die Insel gekommen waren, treten die Rückreise an, und gerade hat auch noch eine Gruppe Taucher mit ihrem Rib festgemacht, so dass es einiger Manöver und Lautsprecherdurchsagen von unserem Kapitän bedarf, bevor wir endlich losfahren können.

Auf der Rücktour fahren wir an den gewaltigen Klippen entlang, die wir bei unserem Besuch schon von oben bewundert haben. Nun sehen wir die Nester in Felsvorsprüngen von der Wasserseite. In den Höhlen und verborgenen Klüften versteckten Schmuggler einst ihre Ware wie Wein, Tabak und Whisky. Die Steilküste ist ein beliebtes Tauchrevier und gilt als eines der besten an der schottischen Ostküste. Allerdings gelten auch hier strenge Auflagen, um die Vögel nicht zu stören und zu verletzten, die oft auf dem Wasser sitzen, um sich auszuruhen. Zwischen Oktober und Dezember braucht man eine spezielle Tauchgenehmigung, weil dann die Seehunde ihre Jungen auf der Isle of May auf die Welt bringen.

Für uns geht es endgültig zurück nach Anstruther. Den Leuchtturm auf der Hafenmole sehen wir schon von weitem grüßen. Und als wir wieder in den Hafen eingelaufen sind, ist endlich auch Zeit für Fish & Chips.

 Info:

Boots-Touren (von April bis September):

Anstruther Pleasure Cruises

Email: info@isleofmayferry.com (Öffnet in neuem Fenster)

Telefon: 0044 (0) 7957 585200.

www.isleofmayferry.com (Öffnet in neuem Fenster)

Osprey of Anstruther Boat Trips

Email: info@isleofmayboattrips.co.uk (Öffnet in neuem Fenster)

Telefon: 0044 (0) 7966 926 254 oder 0044 (0) 1333 310054 ( zwischen 19 Uhr und 20 Uhr)

www.isleofmayboattrips.co.uk (Öffnet in neuem Fenster)

The Scottish Seabird Centre, North Berwick

info@seabird.org (Öffnet in neuem Fenster)

Telefon: 0044 (0) 1620 890 202

www.seabird.org (Öffnet in neuem Fenster)

Scottish Fisheries Museum

www.scotfishmuseum.org (Öffnet in neuem Fenster)

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