Es könnte auch alles ganz anders sein

Amanda Maier: Sonate für Violine und Klavier (1873) / Neu: Die Schleichwege-Spotify-Playlist für Mitglieder

Die Violinistin und Komponistin Amanda Maier (Foto: Öffentliche Bibliothek Bergen (Öffnet in neuem Fenster))

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Unter einem Social-Media-Post, in dem die Tagesschau erklärt, für welche Temperaturen die Zahlen eins bis fünf auf Heizungsthermostaten stehen, zerreissen sich derzeit Menschen die Mäuler über eine offenbar stattfindende “Umerziehung” durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Vermutlich lasen sie den Post als Aufforderung zum Energiesparen.

Der Umerziehungsvorwurf ist eine gängige Reaktion auf Unerwünschtes, ursprünglich nur beim rechten Rand, mittlerweile auch bei Konservativ-Liberalen. Das Faszinierende daran ist das Verräterische der Vorsilbe “um-”. Sie kommt oft dann zum Einsatz, wenn von etwas Eigentlichem abgewichen wird. Die Umleitung, der Umweg, aber auch die Umverteilung sind Beispiele dafür. Die Verwendung der Vorsilbe verweist auf eine Denkwelt, in der es etwas Eigentliches gibt – und die Abweichung davon.

Wer von Umerziehung spricht, meint Erziehung, aber von etwas Richtigem hin zu etwas Falschem (wie in dem Begriff Umerziehungslager). Den Öffentlich-Rechtlichen wird also vorgeworfen, ihr Publikum zu indoktrinieren, ihm falsche Gedanken einzuflößen.

Die gleichen Kreise, die von Umerziehung sprechen, benutzen auch “Ideologie” als Kampfbegriff. Sie werfen zum Beispiel den Grünen vor, “zu ideologisch” oder “Ideologen” zu sein. Sie werfen also Menschen mit anderen politischen Überzeugungen vor, politische Überzeugungen zu haben.

Richtige Erziehung ist demnach Erziehung, falsche Umerziehung. Erziehung ist neutral, Umerziehung Ideologie. Aber auch das ist Ideologie. Zu glauben, die eigene Überzeugung sei neutral oder gar normal, andere Überzeugungen hingegen Abweichungen.

Von dem französischen Philosophen Quentin Meillassoux stammt die knappe Feststellung, dass die Aufgabe von Ideologiekritik ist, zu zeigen, “dass eine gesellschaftliche Situation, die als unvermeidlich dargestellt wird, in Wirklichkeit kontingent ist”. Der philosophische Fachbegriff der Kontingenz meint schlicht: Es könnte auch ganz anders sein. 

Als die schwedische Geigerin und Komponistin Amanda Maier im Juli 1880 den deutsch-niederländischen Pianisten und Komponisten Julius Röntgen heiratet, ist es mit ihren öffentlichen Auftritten vorbei. Und was für Auftritte das waren! 1876 war sie Solistin ihres eigenen Violinkonzerts im Leipziger Gewandhaus. 1872 bereits hatte sie als erste Frau den Titel musikdirektör vom Stockholmer Konservatorium erhalten. Sie begann das Studium als Vierzehnjährige, heißt es in der vom Sophie-Drinker-Institut veröffentlichten Biografie (Öffnet in neuem Fenster) (das Institut erforscht Leben und Werk von Instrumentalistinnen).