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Deine einzigen Konkurrenten sind Idioten

George Antheil: The Ben Hecht Valses (1943)

Aus der Patentanmeldung von Antheil und Lamarr

Der in Hollywood arbeitende Drehbuchautor Herman Jacob Mankiewicz telegrafierte 1926 seinem Freund Ben Hecht: “Hier sind Millionen zu machen, und deine einzigen Konkurrenten sind Idioten. Lass dir das nicht entgehen.”

Hecht zog von Chicago, wo er jahrelang als Journalist gearbeitet hatte, nach Hollywood, schrieb (erfolgreich) mehrere Drehbücher, überarbeitete das Buch zu “Vom Winde verweht” und wirkte (nicht so erfolgreich) selbst als Regisseur. Tatsächlich aber verachtete er das Filmbusiness und schrieb lieber Theaterstücke. Er setzte sich für den Zionismus ein, so dass das Immigrantenschiff einer zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation 1947 auf seinen Namen getauft wurde. Ein ziemlicher Hecht, der Ben!

Genauso wie der Komponist George Antheil, geboren 1900 in New Jersey als Sohn deutsch-jüdischer Einwanderer, der ab den 1930ern Musik für die Filme Hechts schrieb. Da hatte er den größten Skandal seiner an Skandalen nicht eben armen Karriere bereits hinter sich: Die Uraufführung der Musik zu dem Stummfilm “Ballet Mécanique” (Öffnet in neuem Fenster) für automatisches Klavier, die sogenannten Pianolas. Diese Klaviere spielten wie von Geisterhand Musik von Lochstreifen aus Papier. (Die prominentesten Musiker zeichneten ihr Spiel auf solchen Lochstreifen auf, darunter Sergei Rachmaninow, und diese Aufnahmen können wir heute in tadelloser Tonqualität reproduzieren (Öffnet in neuem Fenster).)

In einer frühen Fassung kamen neben dem Pianola zusätzlich acht Klaviere, vier Xylophone, zwei elektrische Klingeln, ein Tamtam (ein Gong), zwei Flugzeugpropeller, vier Trommeln und Sirenen zum Einsatz. Die Besetzung lässt erahnen, dass dieses “mechanische Ballett” ein brutales Gehämmere war, und zwar nicht nur für die Ohren des damaligen Publikums. Aber dieses Stück zwang Antheil zu einer Erfindung, die noch heute zum Einsatz kommt.

Antheil musste ein Synchronisationsproblem lösen, denn er wollte, dass die Pianolas untereinander und auch mit dem Film synchron spielen. Die Musik sollte den Film nicht nur grob begleiten, sondern beide Medien sollten eine perfekt synchrone Einheit bilden. Die Schauspielerin Hedy Lamarr entwickelte zusammen mit Antheil eine Technik, die das Frequenzsprungverfahren nutzt, eine Methode, die heute zum Beispiel bei Bluetooth zum Einsatz kommt. Lamarr und Antheil meldeten ihre Technik zum Patent (Öffnet in neuem Fenster) an, aber nicht zur Steuerung automatischer Klaviere, sondern zur Funkfernsteuerung von Torpedos. Dieser frühe Einsatz drahtloser Kommunikation war offenbar seiner Zeit voraus, denn die US-Navy verwarf die Idee einer Schauspielerin und eines Komponisten, ohne sie einer genauen Prüfung zu unterziehen.

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In den 1950ern kam die Technik dann doch zum Einsatz und 1997 schließlich erhielt Lamarr den Pioneer Award der American Electronic Frontier Foundation. “Wurde auch Zeit”, war der Kommentar der 84jährigen. Da war Antheil, ein starker Raucher, bereits achtunddreißig Jahre tot.

Das Spätwerk des bereits 1959 verstorbenen Komponisten, Pianisten, Erfinders und selbsternannten Bad Boy of Music (so der Name seiner Autobiografie), begann bereits mit Anfang vierzig und es war deutlich gefälliger als die mechanische Musik, die seinen Ruf als Komponisten in den späten 1920ern dauerhaft ramponiert hatte. Aus der Spätphase seines Schaffens stammt der Klavierwalzer, um den es heute in den Schleichwegen geht. Man hört hier bestenfalls noch den Witz und die Altersmilde von einem raus, dessen Frühwerk solche Tumulte ausgelöst hat, dass er immer einen Revolver dabei hatte, um sich den Weg zum Ausgang notfalls freischießen zu können. (Unklar, ob das stimmt, eine gute Story ist es allemal.) Gewidmet ist dieser coole Walzer Ben Hecht. Alle anderen waren Idioten.

https://www.youtube.com/watch?v=ejRiDOjf7DU (Öffnet in neuem Fenster)

Hier findet ihr das Stück im Streaming (Öffnet in neuem Fenster).

Schöne Grüße aus Berlin
Gabriel

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