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Der Generalbass deines Lebens

Giuseppe Antonio Brescianello: Ouvertüre-Suite in A-Dur

Die heutige Ausgabe der Schleichwege wird präsentiert von note 1 music (Öffnet in neuem Fenster). note 1 vertreibt nicht nur ein breites Spektrum noch so nischiger Klassik, sondern produziert mit eigenen Labels auch Aufnahmen von Musik, die man nicht überall hören kann. Auch die Musik von Brescianello findest du im Katalog von note 1. Auf meinen Text hat der Sponsor keinen Einfluss.

Stillleben eines niederländischen Meisters: Saiteninstrumente, eine Pastete, geschnittenes Weißbrot, ein Glas mit einer orangenen Flüssigkeit, eine Schildkröte, auf und um einen Tisch mit weißer Decke drapiert, vor schwarzem Hintergrund

Pieter Claesz: Stillleben mit Musikinstrumenten, 1623

Was soll man sich vornehmen am Beginn eines neuen Jahres? Sport machen, abnehmen, sich weniger stressen, mehr Zeit mit der Familie verbringen, dem Faschismus die Stirn bieten, körnigen Frischkäse essen.

All dies ist schwierig und wenn man sehr streng ist mit sich und übermäßig ambitionierte und unrealistisch genaue Pläne macht, dann überfordert man sich, und schon eine Woche später (das wäre jetzt) macht man alles wieder wie im alten Jahr. Was es bräuchte, ist ein grober Plan, den man immer im Hinterkopf hat, der Ordnung schafft, ohne aber zu streng zu sein.

So etwas gibt es in der Musik und zwar in der des Barock. Diese Epoche schenkt uns robuste, rhythmusbetonte, oft humorvolle Musik. Barockmusik ist schwungvolle Freude an der ganzen Breite menschlicher Lüste und Empfindungen. Sie hat etwas ungemein Sinnliches, Appetitliches, vielleicht weil sie der gleichen Zeit entstammt wie die üppigen, hyperrealistischen Stilleben der niederländischen Meister.

Und sie hat ihren ganz eigenen Sound, weil sie für Instrumente komponiert wurde, die sich seitdem sehr verändert haben (wie die Geige oder das Cello) oder für die es gar keine aktuelle Entsprechung gibt, wie die vierzehnsaitige (!) Riesenlaute, die Theorbe.

In den Schleichwegen zur Klassik stelle ich seit fast drei Jahren Musik vor, die du vielleicht noch nicht kennst. Und führe dich durch die Musik: Worauf soll ich hören? Wie kann ich diese Musik besser verstehen und damit mehr genießen? Damit ich auch weiterhin auf die Schleichwege gehen kann, unterstütze mich auf Steady (Öffnet in neuem Fenster) mit einer Mitgliedschaft!

Auch notiert wurde diese Musik anders, oft weniger präzise, mit mehr Freiheiten für die Musizierenden. So gibt es für die Instrumente, die die Basslinie spielen, nur einstimmige Noten, obwohl man auf diesen Instrumenten durchaus mehrere Töne gleichzeitig spielen kann (wie beim Cembalo oder der Laute). Über diesen Noten stehen bei Barockmusik manchmal Ziffern, die die passenden Akkorde bezeichnen – aber auch nicht immer. Den Musizierenden ist es dann überlassen, innerhalb bestimmter Regeln – und natürlich passend zu Basslinie, Oberstimme und dem Verlauf des Stücks – mehrstimmige Harmonien zu finden. Diese können sich bei jeder Aufführung leicht verändern – es ist also Improvisation gefragt.

Die Barockmusik steht und fällt mit dem Bass: Er gibt Rhythmus, Struktur und Harmonik vor. Dieses Prinzip nennt sich Generalbassoder Basso continuo, “fortlaufender Bass”.

Eine Idee, die gut 400 Jahre alt ist und immer noch so frisch und mitreißend klingt wie damals – eine so gute Idee kann nicht veralten. Und vielleicht ist sie auch eine gute Metapher für das neue Jahr: Einen groben Plan haben, ohne aber zu streng (mit sich) zu sein. Der Generalbass deines Lebens.

Wie könnte sich das alles nun anhören? Hören wir doch mal bei Giuseppe Antonio Brescianello rein, einem nicht so bekannten Barockkomponisten aus Bologna, der lange am Württembergischen Hof in Stuttgart als Hofkapellmeister gearbeitet hat und erst spät zu komponieren begann. Er schrieb der damaligen Mode folgend Musik “im französischen Stil”.

Der Hof bekam finanzielle Probleme, so dass Brescianello seine Stelle zwischenzeitlich verlor. Dann heuerte man ihn wieder an, um sich in Stuttgart französisch klingende Musik von einem Italiener schreiben zu lassen. So wackelig konnten Karrieren bei Hofe Anfang des 18. Jahrhunderts sein.

Hier ist die Gigue, ein heiterer Tanz, aus der Ouvertüre-Suite in A-Dur von Giacomo Antonio Brescianello, wunderbar gespielt von dem englischen Barockensemble La Serenissima. Übrigens auf originalen Barockinstrumenten oder originalgetreuen Replikas.

Viel Freude beim Hören und ein gutes neues Jahr!

https://www.youtube.com/watch?v=xmokO2biRYA&list=PLHFdMFm6MsG5hnSqcLW3dbRZaIxiLvBM-&index=3 (Öffnet in neuem Fenster)

Das Stück im Streaming (Öffnet in neuem Fenster).

Die fantastische CD “Unlocked” (Öffnet in neuem Fenster), die einige Werke von Brescianello versammelt (Teil einer aus zwei CDs bestehenden Reihe), ist bei Schleichwege-Sponsor note 1 music erhältlich. In dem du nicht nur streamst, sondern auch CDs kaufst, unterstützt du die Arbeit kleiner, unabhängiger Ensembles und natürlich die der Komponist*innen abseits des Mainstreams.

Schöne Grüße aus Berlin
Gabriel

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P.P.S.: Dank an Ivo Zedlitz für die Empfehlung dieser Aufnahme und das kritische Gegenlesen des Newsletters.

Kategorie Alte Musik

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