Müll und Museum
„It belongs in a museum!” – Es gehört in ein Museum, das ist einer der bekanntesten, mehrfach ausgerufenen Sätze in der Indiana-Jones-Filmreihe. Mittlerweile hat er angesichts der verlangten, geplanten und durchführten Rückgaben von Kolonialbesitz einen etwas anderen Beiklang als zur Uraufführung, aber mitunter rutscht er auch mir über die Lippen. Und auch ganz anderen Leuten, in mir eher ungewohnten Lebenssituationen.
An diesem Wochenende wateten beispielsweise Angehörige der Polizei und Aktivist:innen im Schlamm um den Weiler Lützerath und waren mal mehr und mal weniger gewalttätig zueinander aus mal mehr und mal weniger guten Motivationen heraus. Und mittendrin stand ein 63 Jahre altes Mitglied der Grünen, Dirk Weinspach, im Hauptberuf Aachener Polizeipräsident, und musste sich mit Museologie befassen.
Der Focus berichtete online (Öffnet in neuem Fenster) nämlich über einen eher ungewöhnlichen Vorgang während der Räumung: Mitten in den Einsatz hinein platzte die Anfrage des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, doch bitte eine der größeren der eher schief als stabil errichteten Holzbaracken der Aktivist:innen namens „Rotkoehlchen“ zu verschonen, damit sie später in der Ausstellung „Protest/Architektur“ ausgestellt werden könne. Weinspach schob die Verantwortung dafür von sich. Wenig später wurde die Baracke dann, wohl von RWE-Arbeitskräften, zerstört.
Der Vorgang, isoliert betrachtet – ich werde mir hier nicht irgendwelche Expertise zu legalen, klimawissenschaftlichen und energiewirtschaftlichen Sinnhaftigkeiten anmaßen – hat zwei Dimensionen, eine rechtliche und eine museale. Die rechtliche ist, dass hier Aktivist:innen in Eigenleistung auf einem Gelände, dass ihnen nicht gehört hatte, ein nicht genehmigtes Bauwerk errichtet hatten und für dieses Bauwerk einen Leihvertrag mit dem Museumsteam geschlossen hatten. Wenn es hier zu einer juristischen Klärung kommt, wird es spannend sein zu erfahren, ob RWE überhaupt das Recht hatte einen Gegenstand zu zerstören, zu dem ein Dritter ein Besitzrecht innehatte. Auch wenn er auf Privatgelände stand.
Die andere Frage ist die, die seitdem auf Twitter kontrovers disku.. naja, nicht diskutiert wird, aber zu der sich laufend Leute zu Wort melden: Ist so eine Baracke ein Objekt für ein Museum? Der verneinende Flügel verweist auf die fehlende architektonische Güte und die mangelhafte handwerkliche Ausführung. Latent schwingt auch die Vorstellung mit, dass ein Architekturmuseum sich gefälligst nur mit klassisch „schönen“ Bauten zu befassen habe, so deutlich ausgesprochen wird das selten. Einige Male, auch direkt unter dem Instagram-Account des Museums, wird das Wort „Entartet“ verwendet, als sei das ein herkömmliches kritisches Attribut. Unterstellt wird auch, dass das Architekturmuseum „links unterwandert (Öffnet in neuem Fenster)“ sei und die Anfrage an die Polizei nur ein Versuch, die Räumung von Lützerath zu erschweren.
Dem zugrunde liegt ein dreifaches Missverständnis: Dass Museen nur sammeln, was sie unmittelbar ausstellen wollen; dass Museen nur sammeln, was schön oder besonders hochwertig ist; dass Museen sich mit ihren Exponaten politisch identifizieren oder eine Heldengeschichte erzählen wollen.
Das lässt sich schon daran ablesen, was bislang über die Ausstellung „Protest/Architektur“ bekannt ist (Öffnet in neuem Fenster). Ausgestellt werden sollen eben nicht Entwürfe, Modelle oder Teile von hoher Baukunst, sondern im weitesten Sinne als Architektur begreifbare Äußerungsformen von politischem Protest: Barrikaden der 1848er Revolution, Pfahlbauten (Öffnet in neuem Fenster) der „Republik Freies Wendland“, sogar Laserpointerkollaborationen der Protestierenden von Hongkong: Architektur wird in der Ausstellung sehr weit und divers aufgefasst. In diese Liste passt das „Rotkoehlchen“ problemlos hinein, gleichzeitig würde vermutlich niemand davon sprechen, dass die 1848er Straßenbarrieren „entartet“ seien und insofern nicht museumswürdig.
Wir hatten ein solches Missverständnis schon vor sechs Jahren, als der damalige Präsident des Bonner Hauses der Geschichte laut darüber nachdachte (Öffnet in neuem Fenster), einen Teil des LKW in die Sammlung zu übernehmen, mit dem Anis Amri auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 13 Menschen ermordete. Der Shitstorm war nicht zu vermeiden, tagelang mussten sich die Mitarbeiter:innen des Museums in den Sozialen Medien damit auseinandersetzen, dass hunderte, tausende Menschen ihnen Leichenfledderei vorwarfen. Das lag natürlich an der zeitlichen Nähe, drei Wochen nach dem Attentat, während noch Menschen im Krankenhaus um ihr Leben kämpften. Aber in vielen Wortmeldungen schwang auch die Vorstellung mit, dass das Museum sich nicht mit Tatwerkzeugen und tragischen Ereignissen beschäftigen solle, sondern eine Heldenerzählung der aus Ruinen auferstandenen und dann gegen den Sozialismus siegreichen Bundesrepublik zeigen solle – der Eindruck kommt nicht von ungefähr, mitunter ist das der alten Dauerausstellung des Hauses der Geschichte auch so vorgeworfen worden.
Aber natürlich ist das nicht der Auftrag eines Museums, weder des HdG noch des Architekturmuseums. Tatsächlich hätte das „Rotkoehlchen“ einen gewinnbringenden Einblick in das Wesen der dortigen Aktivist:innen geben können, für Menschen die mit ihren Zielen übereinstimmen wie für deren Gegenüber. Es hätte zeigen können wie menschliche Grundbedürfnisse wie ein Dach über dem Kopf und Wärme in diesem Protest zusammenfallen mit einem übergeordneten Bedürfnis nach Kommunikation, mit einem Bewusstsein dafür, dass auch eine solche Baracke als Foto um die Welt gehen kann, wenn der Polizeieinsatz einmal begonnen hat. Es hätte gleichzeitig als Beispiel dafür stehen können, wie naiv die Erbauer:innen waren, dass sie dachten, in solch einem windschiefen, wackeligen, keiner Baunorm entsprechenden Unterschlupf irgendeine Form von Sicherheit finden zu können, und das Museum hätte das spiegeln können mit der vielleicht vorhandenen Naivität gegenüber den rechtlich-politischen Rahmenbedingungen, denen Lützerath jetzt zum Opfer fällt.
All das abzuwägen und zu bedenken ist nicht Aufgabe der Polizei, es ist ihr auch in der akuten Situation der Räumung nicht zuzumuten. Doch Polizei und RWE haben sich dafür entschieden, diese Abwägung auf die schlechtestmögliche Form abzulehnen: Sie haben Tatsachen geschaffen. Das „Rotkoehlchen“ gibt es nicht mehr, es ist für die Nachwelt und für das Museum, in dessen Besitz es sich befand, für immer verloren. Man kann das für bedauernswert halten, es kann einem egal sein. Eigentlich sollten wir hierzulande aber alle einig sein, dass über den Wert eines Gegenstandes für ein Museum, über seine Museabilität, nur eine Gruppe zu entscheiden hat: Die Museumsmitarbeiter:innen. Die Exekutive des Staates hat sich aus dieser Frage, wo immer es geht, herauszuhalten. Auch das ist eine Frage der Gewaltenteilung.