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Drucke und Dreiundzwanzig

[Hier folgen gleich sehr viele Bilder, es ist also ratsam, diese in dieser Mail anzeigen zu lassen.]

Vier Wochen, ca. 17 Infekte und eine Weihnachtspause sind seit dem letzten Newsletter vergangen, passiert ist einiges, das zu rekapitulieren wohl müßig wäre. Ein Jahreswechsel wurde vollzogen, was zumindest mir immer Gelegenheit gibt über die menschengemachte Zufälligkeit solcher Brüche nachzudenken. Abgesehen von dem Geknalle draußen ist es meiner Katze egal, dass am Morgen des 1. Januar ein neues Jahr angebrochen ist, solange es Futter gibt. Mir mittlerweile auch weitgehend. Es gibt aber natürlich sehr weltliche Auswirkungen des Wechsels ins Jahr 2023. Die Versicherung wird abgebucht, ich muss einen Ordner „Rechnungen 2023“ anlegen, so etwas. Außerdem, etwas weniger unmittelbar, geraten unzählige menschliche Schöpfungen in die Gemeinfreiheit.

Unser Urheberrecht sieht bekannterweise vor, dass die Schöpfer:innen geistiger Werke (und ihre Erben) diese exklusiv verwerten können, und das bis 70 Jahre nach dem Tod. Wir nehmen das heute als normal wahr, es ist aber eine recht neue Entwicklung. Die grundsätzliche Idee, dass etwas Immaterielles, Gedanken, Kreativität ein Eigentum darstellen könnte, wurde erst im 18. Jahrhundert diskutiert und in erste Gesetze gegossen, im deutschsprachigen Raum erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts.

Urheberrechte, wie wir sie hierzulande verstehen, sind insofern Schutzrechte einer Minderheit gewesen, und sie nahmen somit der Allgemeinheit etwas weg: Die Freiheit, über Gedanken, Eindrücke, Schöpfungen und Einfälle, die sie im kulturellen Austausch mit der Gesellschaft wahrgenommen hatten, zu verfügen wie sie wollten. Das Urheberrecht ist somit in einer liberalen Demokratie eine der tiefgreifendsten Freiheitseinschränkungen, die vom Staat durchgesetzt wird. Gleichzeitig befindet sie sich zunehmend unter Rechtfertigungszwang, weil sie durch die Digitalisierung zu einem weithin ignorierten Mehrheitsrecht wurde: Mit einer Handykamera und einem sozialen Netzwerk ist jeder Mensch Urheber:in; mit einem GIF-Button auf der Tastatur in WhatsApp werden wir alle laufend zu Urheberrechtsbrechern. Der erste Reflex, wie einst bei Napster, ist eine Straffung der Repression. Durchaus möglich, dass sich das in den nächsten Jahrzehnten in die andere Richtung drehen wird.

Aber zurück zum Jahreswechsel: Die Gemeinfreiheit, also der Naturzustand der Idee, wird hierzulande immer 70 Jahre nach dem Tod zum 1. Januar des Folgejahres erreicht. Das bedeutet, dass wir seit nun zehn Tagen über eine Reihe neuer Werke verfügen können, sie zitieren, remixen, abdrucken, bewundern und empfehlen können, ohne Angst vor Lizenzkosten haben zu müssen (ich klammere einige Museen hier mal aus, mit denen ich nicht zu tun haben möchte.)

Beginnen wir mit der großen Weltpolitik: Als Großbritannien noch groß war, porträtierte Oswald Birley das Königshaus und die Spitzen der Politik in Gemälden, die wir alle kennen, ohne seinen Namen zu wissen. Im Parlament hängt sein Bild von Winston Churchill, mir persönlich gefällt das Bild von Margaret Elizabeth Barrett mehr, das er anstatt eines Arzthonorars an ihren Vater zahlte.

Louis Valtat war ein Maler aus Nordfrankreich, der später natürlich nach Paris zog. Ich bin alles andere als ein Kunsthistoriker, habe mir aber sagen lassen, dass die hervorstechenden Farben Teil des „Fauvismus“ sind, dem er zugerechnet wird, dazu gehören diese Ansichten aus Spanien und von der Cote d’Azur:

Max Ernst (mitunter auch Ernst Max) Pietschmann war ein Dresdner Maler, der sich sehr divers zeigte, hier mit dem „Weiblichen Akt an einem Flusslauf in sommerlicher Landschaft“ aus den 1930er Jahren, „Robert Koch im Labor“ von 1896 sowie dem sehr bekannten und hoffentlich bald in hoher Qualität online verfügbaren „Fürst Bismarck in Dresden am 18. Juni 1892“:

Fußballtorwart beim FC Bayern München zu sein ist zwar spannend, erzeugt aber wenig Urheberrechte. Ein Glück, dass Otto Ludwig Naegele auch noch Grafiker war, u.a. das kurzlebige zweite Vereinswappen entwarf und ansonsten viel Reklame produzierte:

Jahrhunderte einer männlichen Bias führen unweigerlich dazu, dass eine Zusammenstellung von Künstler:innen, die 1952 gestorben sind, vor allem Männer beinhaltet – hier bleibt noch viel zu tun. Elisabeth Wolf-Zimmermann war eine deutsche Malerin, die sich insbesondere mit Kunst durch Frauen, Frauen in der Kunst und Frauen als Objekt von Kunst befasst hat. Beeindruckt hat mich ihr Porträt der Frauenrechtlerin Olga Friedemann, ihr zum 75. Geburtstag 1932 geschaffen:

Percy Gray war ein Landschaftsmaler aus San Francisco, der, so die deutsche Wikipedia, bekannt dafür war „Schönheit aus der nordkalifornischen Landschaft zu ziehen“. Ich war noch nie in Nordkalifornien und kann daher nicht abschließend beurteilen, wie schwierig das ist. Die Bilder gefallen mir trotzdem, ein natürlich sehr banales Konzept für Kunst:

Ebenfalls in den USA wirkend, wurde Bernard Karfiol 1886 in Österreich-Ungarn geboren. Er malte hauptsächlich Akte und Landschaftsbilder, aber auch das Gemälde „Wrestlers“:

Max Clarenbach hat eine spannende Künstlerbiografie: Mit zwölf Jahren in ohnehin ärmlichen Verhältnissen zum Vollwaisen geworden, wurde sein Talent erkannt und er in die Kunstakademie Düsseldorf aufgenommen, malte er zunächst hauptsächlich Landschaftsansichten der Rheinauen rund um Düsseldorf. Im Ersten Weltkrieg wurde er kurz als Frontmaler eingesetzt, wobei untenstehendes „Winterliches Ufer der Schara bei Slonim“ entstand. Seine Rolle im Nationalsozialismus ist ambivalent: regelmäßig Teil der „Großen Deutschen Kunstausstellung“, ab 1944 auf der „Gottbegnadeten-Liste“, aber auf Hitlers persönliches Bestreben auch nach Annahme wieder aus der Kunstausstellung gestrichen.

Arthur Illies war ein Maler und Grafiker der vor allem im Großraum um Hamburg wirkte. Entsprechend könnten seine Ansichten der dortigen Städte für viele interessant sein, hier der Rödingsmarkt in Hamburg und Am Sande in Lüneburg:

Niles Spencer, 1893 in Rhode Island geboren, zog in den 1930er Jahren nach New York und entwickelte dort seinen Stil radikal vereinfachter städtischer und industrieller Architektur:

Elfriede Thum signierte lange Zeit ihre Werke unter dem Pseudonym „Erich Thum“. Ihre Grafiken wurden in NS-Deutschland als „entartete Kunst“ beschlagnahmt, sie selbst arbeitete fortan als Bühnenbildnerin. Sie starb im Mai 1952 in Berlin.

Der Maler Herbert Arnould Olivier unterrichtete unter anderem an der Bombay School of Art, wo das erste Bild hier entstand, bevor er im Ersten Weltkrieg britischer „War Artist“ wurde, was uns unter anderem die eindrückliche Abbildung des Versailler Spiegelsaals nach Unterzeichnung des Friedensvertrages 1919 eingebracht hat.

Max Schirner hat nie eine Ausbildung zum Fotografen genossen, sich aber trotzdem in den 1920er Jahren als Sportfotograf selbstständig gemacht. In dieser Funktion hat er unter anderem die Olympischen Spiele in Berlin 1936 fotografiert, und dabei tolle Porträts geschaffen:

Edward Curtis hingegen baute kurz nachdem er nach der sechsten Klasse die Schule in Minnesota verließ seine erste Kamera und lernte sein Handwerk in St. Paul und Seattle. Bekannt wurde er zunächst als Kinderfotograf (Theodore Roosevelt ließ seine Kinder von ihm ablichten), sein Lebenswerk wurde aber die fotografische und filmische Dokumentation von Leben und Traditionen der amerikanischen Ureinwohner. Wie wenige andere hat er unser weltweites Bild der amerikanischen Völker geprägt, im Guten wie im weniger Guten.

Alice Austen war eine der ersten Fotografinnen in den USA, die auch außerhalb von Ateliers arbeitete – als Kind hatte die in eine reiche Familie geborene Austen ihre erste Kamera geschenkt bekommen und selbstständig Bilder entwickelt, in den folgenden Jahrzehnten nahm sie zwischen 7.000 und 8.000 Aufnahmen von New York auf, das sich in dieser Zeit rasant entwickelte. Ein Großteil ihres Werkes befindet sich heute im Besitz der New York Public Library, es wäre ein tolles Projekt, all diese Bilder auf einer Karte New Yorks zu verorten und mit einem Zeitstrahl erfahrbar zu machen.

Eine ganz ähnliche Biografie lebte Frances Benjamin Johnston als Pionierin der amerikanischen Porträtfotografie: Einzelkind reicher Eltern, künstlerische Begabung, liberale Energie und die Möglichkeit, eine künstlerische Ausbildung anzustreben. Für Viele werden ihre Porträts von prominenten Menschen ihrer Zeit interessant sein, mich sprach vor allem ihr „Stairway of the Treasurer’s Residence“ an, ebenso wie ihr Selbstporträt:

Die Liste ist natürlich nicht vollständig. Es fehlen auch die bildenden und schreibenden Künstler:innen, die Kartographen und Komponistinnen, die Filmemacher und Lyrikerinnen. Insofern sei diese Auswahl weniger als Übersicht über das verstanden, was ihr nun legal als Poster verkaufen dürft, sondern als externen, eher zufälligen Anlass, sich mit Urheber:innen zu beschäftigen. Selbst mit etwas so Zufälligem wie einer Auflistung im Wikipedia-Nekrolog 1952 lassen sich nämlich spannende Werke finden, neue Einblicke und Ansichten gewinnen. 2023 ist bestimmt ein gutes Jahr dafür!

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