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Krieg, Kunst, Frieden

Hallo,

hier ein Bild von etwas Kunst. Die Installation heißt „Magical Manti“ und stammt von Elisa Duca, meiner Lebensgefährtin, die sie drei Tage lang in Berlin auf den Leopoldplatz gestellt hat.

Zwei große aufgeblasene, amorphe Objekte auf einem Platz, das vordere rosa-lila-grün gefärbt, das hintere himmelblau-weiß. Hinter ihnen Bäume, Bänke, zwei Männer im Gespräch, eine Kirche.

Dazu unten mehr, jetzt erstmal Krieg.

I. Krieg

Krieg spiele ich jeden Tag, auf dem Smartphone, manchmal mehrmals, ich finde das sehr entspannend. Das Spiel ist ein auf meine verdachtsautistischen Bedürfnisse herunterabstrahiertes Civilization und heißt Antiyoy. Ganz wenig Grafik, Reizüberflutung ausgeschlossen. Spielziel ist die Weltherrschaft, etwas anderes ist nicht vorgesehen. Ich beginne im Nebel mit einem, zwei, oder drei Stücken Land, und muss genug Dörfer bauen, damit ich Truppen rekrutieren kann, um andere Stämme, Kulturen oder Zivilisationen niedermetzeln zu können, bevor sie mich niedermetzeln.

Es gibt so viele Spiele, die Hobbes’ Angst vor dem „Naturzustand“ replizieren. Angriff ist die einzig mögliche Verteidigung, Präventivschlag, Kesselschlacht, dann muss ich den Widerstand in den besetzen Gebieten niederschlagen. Die Entspannung nach meinem Sieg in dem mir aufgezwungenen Krieg ist sehr schön. Und im Krieg ist der große Reiz die absolute Klarheit: keine Grauzonen mehr, keine Zweifel.

In den vergangenen Wochen habe ich mir dazu noch eine Überdosis US-amerikanischer Actionfilme gegeben, deren Und-täglich-grüßt-das-Murmeltier-artige Berechenbarkeit fast schon rührend ist: Jeden Morgen steht wieder ein Mann auf und muss seine Familie oder seine Ehre oder beides bis auf die letzte Patrone aus der Maschinenpistole verteidigen, und am Ende sinkt er blutverschmiert in die Arme einer sexy Frau, die ihn bemuttert. Manchmal ist es seine eigene, aber wenn die Gangster sie ermordet haben, um seinen Schmerz noch zu vergrößern, ist es die Verflossene, die nie aufgehört hat, ihn zu lieben.

Vielleicht ist dieser Mann am Ende auch deshalb so erschöpft, weil seine Story schon bis zum Erbrechen durchanalysiert ist. Wobei die Analyse der ganzen tiefen Traurigkeit des Männlichkeitsbildes dieses Genres leider nie die Zielgruppe der Filme erreicht und sie nie klüger gemacht hat, so wie auch die Analyse des Krieges, den die AfD unserer Gesellschaft erklärt hat, nie eine Wirkung hatte. Was die AfD angeht, sind wir jetzt in einer Phase, in der entscheidende Player sich ihr in vorauseilendem Gehorsam unterwerfen, während Menschen, denen oft nicht einmal zugestanden wird, über sich selbst zu entscheiden, sich Länder überlegen, in die sie flüchten können. (Das sind natürlich Memmen und meistens sowieso nur Frauen!)

Irre wurde es bei meinem Actionfilm-Bingen dann bei „Mission Impossible – Fallout“ von 2018. Tom Cruise war schon lange ein Schauspieler, bei dem ich mich gefragt habe, ob er sich bewusst selbst parodiert, aber in diesem Film wird der Wahnwitz so weit überdreht, dass man glaubt, ein sehr spätes Spätwerk der Marx Brothers vor sich zu haben. Immer wenn der Plot einen Endzustand der Unglaubwürdigkeit erreicht hat, wird die Unglaubwürdigkeitsschraube einfach weitergedreht, bis es wirklich egal ist: das große Gaga der Weltenrettung. Hauptsache, ER siegt. Hauptsache, ER überwindet alle Widerstände. Bis er blutverschmiert und allein in der Felswand hängt:

Screenshot aus dem Film "Mission Imossible - Fallout": Tom Cruise  mit blutverschmiertem Gesicht halbnah in einer Felswand, er starrt nach links mit einer Grimasse wie ein Gorilla wütender Gorilla, da ist aber nichts.

Ein Mann, der nur im Sieg ganz bei sich ist, ergriffen vom Hochgefühl der einen, unausweichlichen, heiligen faschistischen Tat. Denn im Grunde ist das alles unter anderem auch Faschismustheorie 101. Tom Cruise kriegt dann zu Belohnung gleich zwei sexy Krankenschwestern, die Ex-Frau und die aktuelle Geliebte, und beide verständigen sich mit stillen Blicken, dass dieser Mann zwei Frauen einfach verdient hat. ER ist wichtiger als ihre Eifersucht.

Die Zielgruppe ist klar: Wir denken uns einen Abteilungsleiter beim TÜV Nord kurz vor der Rente, der immer wusste, wie man es besser macht, dem man aber nie zugehört hat. Dessen inneren Tom Cruise seine Chefs hätten entfesseln können, aber sie haben es nie getan. Dann eben mit Gewalt: Dann wählt er in einer Art Trotzkrampf eben AfD.

Endsieg. Unendlich erleichternd.

Männerrechtler zerstören die Welt.

Wo in meinem Kriegsspiel Antiyoy Truppen niedergemetzelt werden, wachsen Bäume. Die Bäume kann ich dann abholzen und bekomme dafür ein paar Stücke Gold, mit denen ich neue Truppen rekrutieren kann, die dann wieder niedergemetzelt werden, worauf wieder Bäume wachsen: Kreislauf der Kriegsnatur. Für die Zeit, wenn ich den Krieg aus mir selber rausbekommen habe, wünsche ich mir ein Spiel, in dem nur noch einfach so gestorben wird und daraus etwas wächst. Es muss auch niemand Gold dafür bekommen.

II. Kunst

In Berlin hat das Haus der Kulturen der Welt eine neue Leitung, und ich war zwei Mal dort, dann nicht mehr. Es war immer sehr energiegeladen, sehr freundlich und sehr fröhlich, und vielleicht kann ich damit nichts anfangen, weil dort kein Krieg herrscht.

Ich habe sehr viel Krieg gespeichert. Meine Eltern sind, bzw. waren Jahrgang 1926 und haben eine volle Nazi- und Kriegserziehung erlebt. Grausamkeit war die Norm, Erziehung ohne Grausamkeit war eine Schwäche, bei der man sich nicht erwischen lassen durfte.

Als Kind meiner Eltern fand ich Grausamkeit im Kulturbetrieb immer normal – diktatorische Intendanten, die diese Grausamkeit in Kunst verwandelten. Je grausamer, desto Kunst. Ich habe immer dagegen rebelliert, aber auf meine eigene grausame Weise. Kunstproduktion ohne Grausamkeit gegen sich selbst und andere kann ich mir bis heute nicht wirklich vorstellen, und Freundlichkeit langweilt mich sofort. So kriegskrank bin ich.

Aber es geht gar nicht um mich. Es geht um die Frage, ob Krieg je aufhört. Mir fällt der Artikel ein, der behauptet hat, der russische Überfall auf die Ukraine sei eine Folge des Ersten Weltkriegs, der nie richtig aufgehört habe.

Hört überhaupt irgend etwas je auf? Über wie viele Generationen werden Kriegs- und Gewalterfahrungen, werden Traumata und Erniedrigungen weitergereicht, in den Knochen der Kinder und Kindeskinder gespeichert? (Ja, ich weiß noch, der Podcast, zwei Kulturmänner: Das mit den Traumata dürfe man aber nicht übertreiben, Kinder, stellt euch nicht so an! Nur wenn in regelmäßigen Abständen ein Mann „Kinder, stellt euch nicht so an!“ ruft, weiß ich wirklich, dass ich in Deutschland bin.)

Oder hat es nicht doch schon eine Zeitenwende gegeben? Ich erinnere ich mich an eine Veranstaltung an einer Kunsthochschule mit zwei älteren Lehrpersonen aus dem Fachbereich Contemporary Dance, die sich über „politisch korrekte“ Studierende aufregten – über deren safe spaces und trigger warnings und wie sie nicht mehr leiden wollten. Wie sie nicht verstehen wollten, dass es ohne Qual und Leiden nicht geht. Genie-Gewaltkunst alter Schule hat für Begriffe wie Mikroagressionen kein Verständnis. So etwas hebelt ihr ganzes System aus. Und Menschen, die ein Sensorium für Mikroaggressionen entwickeln konnten, haben kein Verständnis für Genie-Gewaltkunst. Das ist vielleicht ein großes Glück.

III. Frieden

Meine Lebensgefährtin, Elisa Duca, hatte einen Auftrag vom Bezirksamt Berlin-Mitte, Abt. Gewaltprävention, nämlich Kunst auf den Leopoldplatz im Wedding zu stellen. Sie hat dann große zartbunte, meterhohe Strukturen gebaut, die nur stehen, so lange ein Gebläse Luft hineinbläst, und der Prozess dieses Baus war so, dass Künstliche Intelligenz nach Elisas Vorstellungen Vorschläge für die Formen gemacht hat und diese Vorschläge angepasst und im Computer in 3D-Modelle übertragen worden sind, aus denen eine Werkstatt in Polen dann ablesen konnte, wie sie die Häute bedrucken und nähen muss, die später aufgeblasen werden.

Und das Ziel war, dass diese Objekte mit ihrem ganzen komplizierten Entstehungsprozess auf dem Platz stehen und sich leicht im Wind wiegen und schön aussehen, ohne gleich eine Funktion zu verraten. Als eine Art Nebenwelt, damit ihre Weichheit vielleicht etwas mit dem Platz macht. Das ist nämlich ein sehr sehr harter Platz, bestimmt von Armut und Drogen, von heterosexueller Männlichkeit und deren Sucht nach Dominanz, und vor dem Aufbau der Objekte mussten wir jedes Mal viele Glasscherben wegfegen. Der „Leo“ war auch gerade kurz vor der Eröffnung als schlimmster Schreckensort der Hauptstadt durch die Berliner Weltpresse gegangen.

Ich war kampfbereit und dachte, man würde die verletzliche Kunst jetzt gegen die Wut der Armen und Verzweifelten verteidigen müssen, das war aber nicht so. Man musste nur sehr gut auf seine Wertsachen aufpassen, sonst herrschte Frieden. Menschen kamen und wollten reden, mit Elisa und miteinander. Eltern wollten ihre Kinder vor der Kunst fotografieren. Kinder wollten auf der Kunst herumspringen, was man ihnen ausreden musste. Eine Näherin wollte fachsimpeln. Neben den Kunstwerken malten Kinder mit Kreide eigene Nebenwelten aufs Pflaster. Alle waren froh. Einer Freundin wurde die Jeansjacke gestohlen, das aber sehr friedlich.

Ich weiß nicht, ob die schöne Stimmung an der Weichheit der luftigen Objekte lag, oder vielleicht daran, dass auf dem Leopoldplatz viel mehr Frieden ist, als in der Weltpresse dargestellt. Vielleicht eine Mischung daraus.

Fünf Frauen mit Kopftuch von hinten auf einer Bank, vor sich drei große amorphe, aufgeblasene Objekte in Blau, Lila, Grün. Zwischen Frauen und Objekten eine Gruppe von Frauen ohne Kopftuch, die uns ebenfalls den Rücken zuwenden. Baume, strahlend blauer Himmel.

Dann kam eine Frau, die vor einem der Objekte ihren Hund fotografierte. Sie hat ihn mir vorgestellt und mir erzählt, dass er ihr Epilepsie-Assistenzhund sei. Sie hat mir erklärt, dass der Hund vor ihr spürt, wenn sie einen epileptischen Anfall bekommt, und sie warnt, damit sie sich noch rechtzeitig schützen kann, und ich habe ihr etwas über die Kunst erzählt. Diese Begegnung gehört zum Schönsten, was ich dieses Jahr erlebt habe, und das ist seitdem auch mein Anspruch an die Weltkunst: Kunst sei so, dass Menschen ihren Epilepsie-Assistenzhund davor fotografieren wollen. Ein Wesen, das etwas spürt, bevor wir es tun.

IV. Dank

Danke fürs Lesen, danke fürs Bezahlabo abschließen, wenn das Geld reicht. Die Inflation frisst meine Kinder. (Nein, ich habe ja überhaupt keine Kinder. Sie frisst mich gleich selbst.)

Die Fotos von „Magical Manti“ hat Danilo Pasquali gemacht, mehr davon hier (Öffnet in neuem Fenster).

Übrigens bin ich der Meinung, dass das Patriarchat zerstört werden muss. Aber wäre das dann nicht auch schon wieder Krieg? Bin sehr verwirrt.

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