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Mein erstes Mal - 20.02.2023

Mein erstes Mal

Wir stehen in einer Plattenbausiedlung, feuchter Morgennebel hängt zwischen den Gebäuden, es ist kalt. Ich bekomme eine Warnweste, ein Banner und ein Sitzkissen, beim Check-In sage ich: „Das ist mein erstes Mal, und ich habe Schiss irgendwas zu verkacken.“ Als alle so weit sind, laufen wir los.

Die Ampel ist rot, als sie grün wird, gehen wir rüber, und es fühlt sich an, als überträte ich eine Schwelle.

Wir verteilen uns auf der Fahrbahn, ziehen die Westen an, entrollen die Banner, setzen uns hin. Hinter uns fährt ein Transporter quer auf die Straße, einer von uns klebt sich oben fest, andere öffnen die Seitentür, holen Beton raus und verteilen ihn auf der Fahrbahn. Beton, wie ihn Verkehrsminister Volker Wissing nutzen will, um neue Autobahnen zu bauen. Angeblich seien sie gut fürs Klima. Wir verwenden den Beton heute für etwas Sinnvolles. Straßenblockade.

Ich sitze ganz außen, bin nicht angeklebt. Als ich meinte, ich habe wegen der MCS eine Kleber-Allergie, lachten alle. Ich mache die Rettungsgasse, falls eine Ambulanz durchmuss, kann ich aufstehen und weggehen.

Ich habe mich nicht weit genug außen positioniert, ein Autofahrer sieht die Lücke rast auf mich zu, zieht halb über den Bordstein und an mir vorbei, die Stoßstange, die Reifen rauschen an meinem Kopf vorbei. Ein paar Handbreit vielleicht. Genau kann ich es nicht sagen, es fühlt sich nah an. Ein zweites Auto rast hinterher, als es durch ist, rücke ich rüber, schließe die Lücke. Die Straße ist dicht.

Handwerker verhöhnen uns aus dem Fenster einer Baustelle, zwei Männer steigen aus einem schwarzen Audi, pöbeln uns an, einer spuckt, andere kommen dazu, ein Mob bildet sich, die Polizei trifft mit Blaulicht ein, ein Polizist steigt aus, rennt auf die Pöbler:innen zu und brüllt sie an: „Alle runter von der Fahrbahn, sofort!“

Danke.

Ich blicke zu der Frau, die sich neben mir festgeklebt hat, sie fragt mich, ob alles okay ist, ich nicke.

Ich spüre den Asphalt unter mir, fühle, wie ich ruhiger werde, unverrückbar für den Moment, und es fühlt sich anders an, als viele Proteste vorher. Es ist kein Rumlatschen auf einer vorher mit der Polizei abgesprochenen Route. Es ist auch nicht wie Lützerath, das auch so viel mediales Spektakel und politisches Kalkül war. Es fühlt sich einfacher an, als das – direkter. Ein klares Nein an die Verhältnisse. Ein Mittelfinger für den Wahnsinn, ein Stop! an den zerstörerischen Alltag.

Ein Mann stellt sich neben mich auf den Bürgersteig. Groß, ein grauer Haarkranz, weißer Hemdkragen, der unter der schwarzen Jacke hervorkommt. Er guckt mir in die Augen, ich gucke zurück, mehrere Minuten, und ich denke: „Wir werden hier sitzen bleiben, bis wir unser Ziel erreicht haben, weil wir viele sind, und du und deine Privilegien werden einfach irgendwann verschwinden.“ Er bewegt den Mund als würde er Beleidigungen murmeln, und wir halten beide weiter unsere Blicke, als ein anderer Mann vor mich tritt und sagt: „Kaffee?“

In den Händen hält er mehrere Becher von der Bäckerei gegenüber. Ich nehme einen, die Wärme strömt in meine Finger. Als ich wieder zum Bürgersteig rübergucke, sehe ich, wie der Weißhaarige sich umdreht und geht.

© RONJA RØVARDOTTER (Öffnet in neuem Fenster)

Zwei Handwerker stellen sich neben mich, fragen, was das alles soll, und ob der Kaffeebecher nicht auch Umweltverschmutzung sei, und ob ich nicht auch einen Führerschein habe und mal Auto fahre.

Klar, sage ich, aber darum gehe es nicht. Sondern darum, dass der Planet vor die Hunde geht, und die Regierung endlich was tun muss, weil wir das allein nicht packen werden. Sie sagen, dass die Leute doch arbeiten müssten, und ich antworte, dass ich das alles gut verstehe, mein Vater sei auch Handwerker gewesen, aber das ändere ja nichts, und es geht ein paar Mal hin und her und letztlich stimmen wir irgendwie überein. Der eine von den beiden hat Kinder, natürlich müssten wir den Planten schützen, sagt er, und der zweite schimpft, dass so viele Autofahrer einfach immer ihre Kippenstummeln aus dem Fenster auf den Boden schmeißen würden.

Zwei andere Männer unterhalten sich ein paar Meter weiter, der eine sagt, er baue Autos, aber was da in der Branche passiere – immer mehr PS – sei ja einfach nur noch Ideologie.

Die Polizei kommt, fordert uns dreimal auf, zu gehen, droht beim dritten Mal mit Schmerzgriffen, wenn wir nicht aufstehen, und ich entscheide, dass es das nicht wert ist, ich habe gerade schon genug gesundheitlichen Scheiss an der Backe.

Zwei Beamte führen mich ab, durchsuchen meine Kleidung und belehren mich über die erhobene Anklage: Ordnungswidrigkeit und Anfangsverdacht auf Nötigung.

Es dauert noch über eine Stunde, bis alle jene, die sich festgeklebt hatten von der Straße runter sind, und während wir warten kommt ein Mann mit seinem Lastenrad, ruft „Danke!“ und „Durchhalten!“ und reicht uns dann eine Tüte Brezeln. Sie sind nicht gut, aber schmecken himmlisch, und als die Polizei uns laufen lässt – keiner kommt in die Gefangenensammelstelle – gehen wir in ein Café, wärmen uns auf und reden über die Aktion, gucken uns die Fotos an, langsam lässt die Anspannung nach.

Ich verabschiede mich, laufe den Kanal entlang durch die Sonne zurück nach Neukölln, und merke: Ich bin glücklich.

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