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Vertrau dir selbst - 13.02.2023

Vertrau dir selbst

Als ich im Sommer anfing mein Buch zu schreiben, suchte ich einen ruhigen Ort am Waldrand. Freund:innen luden mich zu sich auf den Wagenplatz ein, was die perfekte Mischung aus Ruhe und Gemeinschaft schien.

Nach einer der ersten Nächte torkelte ich mit Kopfschmerzen aus dem Wagen, fühlte mich orientierungslos und bekam wenig später eine kleine Panikattacke – die erste in meinem Leben.

Ich meinte, es müsse an irgendeiner Chemikalie in dem Wagen liegen, vielleicht in den Wänden oder dem Holz, aber die anderen sagten: Das kann eigentlich nicht sein, wir können da ja auch problemlos drin schlafen.

Ich versuchte es wieder und wieder, auch in verschiedenen Wägen, immer wieder wachte ich verklatscht auf, vertraute aber meinem Empfinden nicht genug, bis es umschlug. Seitdem verfolgt es mich im Alltag. Erst dachte ich, es sei eine Allergie auf Formaldehyd, doch ich reagierte auch auf Polyester in Klamotten und plötzlich sogar meine eigene Wohnung: Wände und Böden sind mittlerweile mit Ökofarben gestrichen, und ich weiß jetzt, was es ist: Multiple Chemische Sensitivität (MCS). Ich reagiere auf alle möglichen chemischen Stoffe, bekomme Kopfschmerzen, kann mich nicht konzentrieren, bin die ganze Zeit müde.

Dank einer superklugen Ärztin bekam ich es halbwegs in den Griff, dann kam Lützerath, Talkshow-Auftritte in Wien und München, dazu noch ein Vortrag in Aachen und Lektoratstermin in Hamburg und auf ein mal ging gar nichts mehr.

© RONJA RØVARDOTTER (Öffnet in neuem Fenster)

Früher nannten wir das „Urlaub im Kopf“, wenn wir zu viel gesoffen hatten, und am nächsten Morgen völlig daneben aufwachten. Und irgendwie war das ja damals auch mal ganz schön. Aber für mich war das plötzlich Dauerzustand, und das üble: MCS hat eine psychosomatische Komponente. Wenn es mir körperlich nicht gut geht, verursacht das Stress und Angst und das macht die körperlichen Symptome stärker. Im schlimmsten Fall führt das in eine Abwärtsspirale, Patient:innen, die nicht schaffen daraus auszubrechen, leben oftmals am Schluss völlig isoliert in ihren durchsanierten Wohnungen, weil das die letzten Orte sind, an denen sie allergiefrei sein können.

An einem Punkt stand ich auf einer schönen Fußgängerbrücke in Berlin, die Sonne schien endlich mal wieder, und mich packte tiefste Verzweiflung: Was, wenn ich da nicht mehr rauskomme?

Ich war tagelang im Wald an der frischen Luft, viel bei meiner Ärztin und habe noch mehr Plastik- und Chemiescheiss aus meiner Wohnung geschmissen, und jetzt geht es wieder. Ich fühle mich noch wackelig, aber insgesamt auf dem Weg nach oben.

Hier im Newsletter thematisierte ich das nicht, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass es hier hingehört. Aber ich glaube, da sind doch drei Dinge, die ich noch mal mehr verstanden habe.

Zum einen, wie wirkmächtig das ist, wenn einem das Umfeld spiegelt: Es ist alles okay, keinen Grund zur Aufregung. Sara Schurmann schreibt in ihrem Buch „Klartext Klima“ von einem Experiment, dass das auch zeigt:

Auszug aus “Klartext Klima” von Sara Schurmann

Es ist ja genau das, was wir gesellschaftlich in der Klimakrise auch erleben. Weil so viele so tun, als sei alles okay, haben so viele das Gefühl, dass sie nichts tun müssten.

Ich hätte viel früher vom Wagenplatz wegziehen müssen, tat es aber nicht, weil ich mir selbst nicht vertraute, und ich glaube, dass ist die zweite Sache, die ich kapiert habe.

Wir haben alle unterschiedliche Antennen und Wahrnehmungen der Welt. Und wenn mir sogar schon mein Körper anzeigt, dass etwas nicht stimmt, dann sollte ich das ernstnehmen. 350.000 Chemikalien werden in der Industrie produziert, mit tausenden davon haben wir täglich Kontakt, viele beeinträchtigen unsere Gesundheit, so wie es die Klimakrise tut, und manche Menschen haben einfach eine schärfere Wahrnehmung für bedrohliche Veränderungen in der Umwelt. Dem zu vertrauen ist wichtig.

Und dann: In den letzten Wochen habe ich mich viel mehr rausgezogen als sonst, habe Termine abgesagt, auch bei der Letzten Generation, weil ich den Stress in meinem Leben reduzieren musste, damit es nicht noch schlimmer wird. Mir fiel’s schwer, weil es gerade so schön war, und sich so richtig anfühlte, mir der Schritt dann aber unausweichlich erschien – und plötzlich war die Klimakrise nicht mehr drängendstes Problem in meinem Leben, sondern meine Gesundheit. Und so wird es ja vielen Menschen gehen, die Kinder haben, oder kein Geld, oder psychisch strugglen – für sie ist das Klima nur ein Problem unter vielen, sie haben keine oder kaum Kapazitäten für die ganze Transformationsarbeit.

Deshalb ist es so wichtig, sich noch mal klarzumachen: Alle Kritik muss aufs Systemische zielen, nicht aufs Individuum. Wut nicht gegen meine Nachbar:innen sondern auf Politik und Wirtschaftsleute, die die Entscheidungen treffen. Ja, die haben sicherlich auch vieles im Kopf. Aber die haben sich das ja auch ausgesucht.

P.S. Eine längst überfällige Sache: Julien und Manuel vom Treibhauspost-Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) haben kürzlich ganz viele Leute zu mir gelotst, und da wollte ich mich noch revanchieren. Falls ihr ihren Newsletter noch nicht kennt, für mich ist er immer wieder ein nützlicher Deep Dive in Themen, die wichtig sind. Die meisten Ausgaben lösche ich nicht nach dem Lesen aus meinem Postfach, sondern behalte sie, um später wieder darin nachzuschlagen. Wärmste Empfehlung!

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