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Was ich derzeit mache

Zehn Jahre lang habe ich als Reporter gegen das Elend der Welt angeschrieben, bin dann mit der Letzten Generation in die direkte Konfrontation gegangen. Gefühlt, habe ich immer gegen etwas gekämpft – und das war gut, hat oftmals funktioniert. Doch gleichzeitig reifte in mir etwas heran, eine Freude, vielleicht auch eine Neugierde: Was passiert, wenn ich nicht mehr auf die Katastrophe starre, in ihrem Schatten lebe, stattdessen ins Vertrauen gehe und anfange am Guten zu arbeiten – dafür statt dagegen?

Zu dieser Neugier ist parallel auch eine Einsicht gereift.

So lange haben wir geglaubt, dass es reicht Moral, Wissenschaft und Mehrheit auf unserer Seite zu haben, Kritik an der Regierung zu üben, damit sie Klimapolitik macht. Wir haben geglaubt, dass ein lauter Appell reichen wird. Wir haben uns geirrt. Wer etwas machen will, der braucht dazu Macht – in diesem System.

Das trifft aufs Klima zu, aber genauso auf rassistische Grenzpolitik, den Aufstieg der AfD, die zunehmende Ausbeutung des Prekariats. Immer wieder stellt sich da die Frage: Für wen wird Politik gemacht – und für wen nicht?

Für uns wird sie derzeit nicht gemacht.

Man muss nur schauen, wer nach der Finanzkrise 2008 und während Corona die Gewinne abgeschöpft hat: Es waren Riesenkonzerne und Milliardäre, die noch reicher geworden sind.

Und die Gewinne? „Hilfsprogramme“ finanziert aus Steuergeldern, das waren diese Gewinne. Und dieses Geld kauft denen da oben ja nicht nur ihre schicken klimaschädlichen Privatjets – es kauft ihnen auch Macht, mit der sie wieder dafür sorgen, mehr Gewinne zu bekommen, um wieder mehr Einfluss zu haben, um unsere Demokratie zu ihren Gunsten zu manipulieren.

Ich kann allen Politiker:innen zugestehen, dass sie mal mit guten Motiven angetreten sind. Auch Merz. Auch Lindner. Doch unsere repräsentative Demokratie wurde gehackt, die Macht konzentriert sich an viel zu wenigen Orten. Vieles, was wir als die multiplen Krisen unserer Zeit wahrnehmen, wird an diesen Orten gefördert, weil es Profite bedeutet. Menschen zusammenbringen, um Macht umzuverteilen – das mache ich gerade, weil das aktuelle System es nicht schaffen wird, Lösungen zu finden.

Die repräsentative Demokratie – groß gemacht durch die amerikanische Verfassung 1787 – wurde geschrieben im Geiste der Aristokratie, und für Deutschland war das nach 1945 eine gute Wahl. Ein ganzes Land voller Nazis, so viele kriegstraumatisiert. Leute einsetzen, die die Demokratie einführen würden – super Idee. Doch ich glaube, diese Gesellschaft ist bereit für mehr Selbstbestimmung. Ich glaube sogar: Wenn nicht mehr Selbstbestimmung erlaubt wird, zerhaut es uns unsere Demokratie komplett. Kürzlich haben wir es wieder erlebt, die völlig überzogene Wut der Bauernproteste angesichts kleiner Subventionsstreichungen. Viele Menschen in Deutschland tragen diese Wut in sich. Diesen Frust. Dieses Gefühl, nicht gehört zu werden. Keine Stimme zu haben.

Das wird nicht weggehen. Diese Gefühle sind der Druck auf dem Kessel unserer Gesellschaft, der den Aufstieg der AfD befeuert. Sie nutzt ihn mit dem Ziel, unsere Demokratie zu zerstören. Wir können ihn nutzen, um unsere Demokratie demokratischer zu machen. Wenn wir ein Angebot machen, das nicht menschenfeindlich, sondern menschlich ist.

Projekt Menschlichkeit – als ich den Titel zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: Viel zu kitschig. Geht gar nicht. Mittlerweile liebe ich ihn.

Der Mensch ist gut, ein Beziehungswesen. Wir erblühen in einer freien Gesellschaft, Geben kann Nehmen sein – wenn Menschen selbstbestimmt zusammenleben, verhalten sie sich menschlich.

Einhundert Gruppen trainieren in diesem Jahr, die überall im Land Lokale Versammlungen (LoVes) veranstalten. Orte, an denen jeder sprechen darf, jedem zugehört wird. Räume, die so sicher sind, dass wir uns trauen uns zu zeigen, zu erzählen, was wir denken und fühlen – und das nicht im exklusiven Club der Bourgeoisie, die weiß wie man vegane Käsespätzle macht und gendert – nein, wir gehen raus, klingeln an den Türen der Menschen, am Einfamilienhaus und in der Platte.

Und wenn wir uns gegenseitig zuhören, dann passiert da die Magie, die das menschliche Leben so besonders macht – Vertrauen entsteht und das heißt: Beziehungen, also der Ort, an dem die Summe größer wird als ihre Teile, an dem Du und Ich und Er und Sie zum Wir werden, der Ort, an dem wir uns gehalten und sicher fühlen.

Angst, das ist die Emotion des Faschismus. Er wächst da, wo Menschen vereinzelt sind, sich schwach fühlen, ausgeliefert. Dann hängen sie sich an den Rockzipfel der Höckes, der Trumps und Johnsons – schütze uns, Papa.

Aber das ist unnötig. Wir können selbstbestimmt leben.

Auf die erste LoVe in Freiburg kamen zwei Querdenker, Menschen, die vorher gesagt hatten: Bei sowas machen wir nicht mit, wir glauben nicht mehr an Politik. Nach zwei Stunden in der Lokalen Versammlung wollten sie gleich wissen, wann die nächste LoVe stattfindet.

Und wenn wir uns vertrauen, dann können wir handeln. Denn Demokratie ist nicht nur Parteien, Wahlen, Parlament. Es ist: Menschen treffen sich, treffen gemeinsam Entscheidungen und setzen sie um. Jede LoVe ist solch ein Raum. Wir verständigen uns auf das, was wir wollen, wir fordern es von unserer lokalen Politik ein und greifen auch auf alles zurück, was es an Mitteln in dieser Demokratie gibt: die Petition, den Protest, zivilen Ungehorsam.

In Cornwall, Großbritannien, trafen sich Menschen wochenlang, um über ihre Belange zu sprechen. Als die Politik sie ignorierte, zogen sie ins Foyer des Rathauses und gingen auch nicht, als sie dazu aufgefordert wurden. Es gab eine Verständigung – mittlerweile ist die Stimme dieser Versammlung dauerhaft um Stadtrat vertreten.

Und jedes Mal, wenn sich Menschen versammeln, wird das ein Anlass sein, mit der Presse zu sprechen. Und jedes Mal wird das eine Gelegenheit sein, darüber zu sprechen, für wen Politik gemacht wird, und für wen nicht. Jedes Mal ist da die implizite Forderung nach mehr Selbstbestimmung. Und wenn diese Debatte laut genug wird, dann öffnet das ein Fenster, um über das größere Thema zu sprechen: ein Update unserer Demokratie. Wer sagt denn, dass wir für immer von einem Parlament regiert werden müssen, in dem überproportional viele männliche, ältere Juristen sitzen?

Könnte man sich nicht vorstellen, dem Bundestag und Bundesrat eine dritte Kammer zur Seite zu stellen: ein dauerhafter geloster, repräsentativer Bürger:innenrat?

Wolfgang Oels, David Van Reybrouck, Ute Scheub – so viele tolle Denker:innen entwerfen seit Jahren Ideen, wie unsere Demokratie sich weiterentwickeln kann, damit Macht nicht mehr das ist, was sie jetzt gerade ist: ein Werkzeug der Reichen, um noch reicher zu werden. Stattdessen: die Möglichkeit, allen eine Stimme zu geben, Vermögen umzuverteilen, Konzerne daran hindern, unsere Lebensgrundlagen für ihren Profit zu zerstören.

Das vergangene Jahrhundert lockte – ganz in der Tradition mit dem Christentum – mit der Vorstellung von der Utopie, einem Zustand, in dem dann alles gut sein wird. Doch dieser Zustand kann nicht existieren, ist eine Illusion – es werden immer Probleme auftreten. Was wir aber erschaffen können: Prozesse, in denen wir uns sicher fühlen, um diese Probleme gut anzugehen können, denn die Lösungen sind alle da. In Zeiten des Umbruchs ergibt sich sogar manchmal die Chance, Sachen sogar besser zu machen, als sie waren.

Die Menschen, die jetzt schon beim Projekt mitmachen: Da ist Mirko, der früher im Gefängnis saß, heute mit Jugendlichen in der Gewaltprävention arbeitet. Da ist Peter, der sich mit der Regierung seines Heimatlandes Nigeria anlegte, fliehen musste, mittlerweile Träger des taz Panter Preises ist. Da ist Milena, die mal Unternehmerin des Jahres war, heute als Autorin Bücher schreibt. Dazu Menschen, die in der Fabrik arbeiten, Filmemacher, Doktorandinnen, Arbeitslose und viele mehr. Als Reporter habe ich meist alleine gearbeitet – erst jetzt begreife ich, was es für ein Segen ist, mit anderen Menschen eine gemeinsame Vision zu haben.

Was das Projekt Menschlichkeit gerade braucht: Menschen für die IT, in der Projektleitung, Leute, die ein Händchen fürs Leute anrufen und motivieren haben oder Spaß am Kochen, mit Ahnung von Fundraising, und natürlich: Jeden und jede, die Lust haben bei sich vor Ort eine Lokale Versammlung zu organisieren – denn das ist das Herzstück der Erneuerung.

Du kannst die vorstellen mitzumachen?

Schick mir eine Email oder komm in unseren Telegram-Kanal (Öffnet in neuem Fenster).

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