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In die Risse unserer Gesellschaft

Von ein paar Tagen saß ich bei einem Kumpel zuhause, seine beiden Kinder waren auch da, und wir unterhielten uns über das Klima und die AfD.

Ich fand es an sich schon krass, dass diese Kinder in ihrem Alter, zehn und fünfzehn Jahre, sich das anhören mussten, dass das ihre Gegenwart und Zukunft ist, mit der sie sich auseinandersetzen müssen.

Und dann habe ich auf einmal angefangen zu flüstern und meinte, wenn die AfD an die Macht kommt, dann heißt es ja für mich, und alle anderen Menschen, die sich für Menschlichkeit einsetzen, entweder Fresse halten oder das Land verlassen.

Danach dachte ich, es fühlte sich fast an wie die Szene aus einer Autobiografie, in der jemand erzählt, wie es bei ihm oder ihr zu Hause immer diese Gespräche am Küchentisch gab, und die Erwachsenen oft anfingen zu flüstern, und die Kinder es trotzdem mitgehört haben, und sich auf diese Zukunft einstellen mussten.

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Das mit der AfD fühlt sich an wie eine schleichende Entwicklung, genau wie die Klimakrise. Ohne, dass wir es richtig mitgeschnitten haben, ist sie immer größer und größer geworden. Die Klimakrise wird gleichzeitig immer schlimmer und immer schlimmer und man blickt so in die Zukunft und denkt so – fuck – aber es gibt ja auch diese Ereignisse, bei denen wird ganz plötzlich sehr viel schlechter.

Man denke nur an die 2008 Finanzkrise. Banker hatten unter den Augen ihrer Regierungen Geschäfte gemacht, von denen sie wussten, dass sie scheiße sind, dass sie unsicher sind. Dann kam der große Crash. Millionen von Menschen verloren ihr Einkommen, ihr Erspartes, ihre Jobs, ihre Rente.

Und dann wurde auch noch unsere Steuergelder genommen, um sie diesen Bankern zu geben, die sich vorher schon illegitim bereichert hatten. Dann wurde unsere Steuergelder diesen Menschen gegeben, damit sie mit dem weitermachen können, was sie vorher gemacht haben. Nämlich Profite auf unsere Kosten. Das heißt, die Bevölkerung, die Weltbevölkerung, die 99 Prozent wurden gleich zweimal beraubt.

Ähnlich war es in der Corona-Pandemie. Während zig, zig, zig Millionen zu Hause saßen, ihre Jobs verloren, ihr Erspartes, verdoppelten die zehn reichsten Menschen der Welt ihr Vermögen.

Oder, wenn man sich die Übergewinne fossiler Konzerne durch den Ukraine-Krieg anguckt – pervers hoch, mit nichts zu rechtfertigen. Es war einfach Geld aus dem Nirgendwo, das diesen Konzernen, die schon seit Jahrzehnten unendlich viel Geld machen, geschenkt wurde.

Die Europäische Union hat dann versucht, mit einer hohen Übergewinnsteuer dieses Geld zurückzuholen und das wurde sabotiert, seitens der Konzerne. Es gab eine Übergewinnsteuer, aber die war bei weitem nicht so, wie sie ursprünglich mal geplant war.

Das sind drei Beispiele. Wenn man mal bei Naomi Klein in das Buch "Die Schock-Strategie" reinguckt, dann findet man viele mehr, in denen große Konzerne autokratische Regime, Milliardäre in Krisenmomenten hingingen und die allgemeine Verunsicherung nutzen, um sich weiter zu bereichern, um ihre Macht weiter auszubauen.

Das ist genau das, was passiert.

Jedes Mal, wenn die Banken absahnen, jedes Mal, wenn Milliardäre absahnen, dann haben sie danach mehr Macht. Und sie nutzen diese Macht, um das zu tun, was sie schon immer gemacht haben: Sie stellen sich, dass sie weiter unsere Lebensgrundlagen zerstören können für ihren Profit.

Wir sehen das jetzt, was das bedeutet, die Klimakrise, das Artensterben, die Vergiftung unserer Meere, die Vergiftung unseres Wassers, die Vergiftung unserer Böden, die Vergiftung unserer Luft. Der Golfstrom kippt. Die Antarktis taut.

Das passiert ja alles im vollen Wissen von Regierungen und Konzernen. Konzerne sorgen dafür, dass sie weiter machen können, damit es weiterhin eine Umverteilung von unten nach oben gibt.

Damit will ich nicht sagen, dass alles in den letzten Jahren schlechter geworden ist, oder in den letzten Jahrzehnten, auch nicht in den letzten Jahrhunderten. Dass ich mittlerweile sagen kann, ich identifiziere mich weder als Mann noch als Frau, dass Frauen wählen dürfen, oder dass wir einen Bundesminister haben, der "Cem" mit Vornamen heißt – all das war vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar.

Wir haben riesige Fortschritte in bestimmten Bereichen gemacht bei den persönlichen Freiheiten. Und jetzt dürfen wir das nicht loslassen, wir müssen da weiter kämpfen und wir müssen gleichzeitig das Spektrum wieder weiter aufmachen und dafür kämpfen, dass reichen Menschen ihr Geld weggenommen wird, ihre Macht.

Wir müssen dafür kämpfen, dass in unserer Demokratie Macht anders verteilt wird. Wir müssen diese Macht anders verteilen, nämlich dahin, wo weniger davon ist. Wir müssen das machen, weil die Gerechtigkeit das gebietet, und auch, weil es überlebenswichtig ist in dieser Situation – weil wir sonst nicht schaffen werden, diese Wirtschaft davon abzuhalten, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören.

Und die nächsten Krisen kommen ja. Man muss sich nur mal angucken, was die Klimakrise mit dem Versicherungsmarkt in den USA macht. Es ist ganz klar, dass ganze Küsten, wie die Ostküste der USA, so bedroht sind, dass keine Versicherungen der Welt das mehr absichern kann. Das heißt, ganz bald wird der Versicherungsmarkt dort zusammenbrechen – und das könnte die nächste globale Finanzkrise auslösen.

Man kann sich auch schon wieder den Immobilienmarkt angucken aus den gleichen Gründen oder die vielen Studentenkredite in den USA. Das sind alles schon wieder komplett unstabile Finanzsysteme. Und wer weiß, welche große Naturkatastrophe kommt aufgrund der Klimakrise. Wer weiß, ob nicht die nächste Pandemie kommt.

Das sind wieder alles Momente, wo etwas zerbrechen wird. Und in all diesen Momenten wird es wieder die Frage sein, wer hat die Macht, in dem Augenblick große Veränderungen herbeizuführen.

Werden es wieder Banken sein, werden es wieder Konzerne sein, werden es wieder Milliardäre sein, die unsere Demokratie überrumpeln, weil an zu wenigen Punkten zu viel Macht konzentriert ist? Werden sie wieder die Macht haben, da reinzugehen und sich selbst zu bereichern und die Spielregeln noch weiter zu ihren Gunsten zu verändern? Oder werden wir das nächste Mal diese Macht haben.

Man hat das ja gesehen 2008 in Griechenland, in Spanien. Wir hatten die ganzen Revolutionen im Nahen Osten, wir hatten Occupy Wall Street. Solche Sachen sind möglich, aber all das kommt nicht aus dem Nichts. All das hat mir ganz, ganz, ganz viel Organizing zu tun. Das ist Vorbereitung für diesen Augenblick.

Und auch darum geht es im Projekt Menschlichkeit – das wir uns treffen, vertrauen aufbauen, gemeinsam Entscheidungen treffen und dann entsprechend handeln.

Und darum, dass wir das nächste Mal, wenn eine Krise ausbricht, für mehr Gerechtigkeit sorgen können.

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