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Die Gesellschaft anführen - 14.09.2023

Die Gesellschaft anführen

Auf einer Veranstaltung über den Sommer stand ich irgendwann barfuß neben einem Multimillionär im Gras. Er fluchte über die Ameisen auf seinen Füßen.

Ich sagte ihm, dass diese Ameisen dafür verantwortlich sind, dass unser Boden lebt und letztlich Essen auf unseren Tellern ist.

Er sagte: „Awesome.“ Zynisch. Eigentlich ein süßer Kerl, großes Herz, das Geld mit irgendeinem Software-Kram verdient. Aber irgendwann danach dachte ich: auf der gleichen Seite werden er und ich niemals stehen.

Seite. Boom. Das klingt nach Fronten, nach Auseinandersetzung, ja, nach Klasse, was kein Zufall ist: ich habe viel Bruno Latour gelesen über die letzten Monate – „Zu Entstehung einer ökologischen Klasse“, absolute Pflichtlektüre. Die These darin lautet, dass es überfällig ist, dass wir uns fragen: Wer sind wir? Und uns dann entsprechend organisieren, um den Prozess der Zivilisation wiederaufzunehmen und unsere Gesellschaften anzuführen. In meinem Umfeld krakelen alle unisono, dass entweder die Welt von der Klimakrise oder dem Faschismus zerstört wird, und, ja, ist nicht falsch. Und ist nicht motivierend.

Die AfD, die ganze globale, Rechtsmeute bietet etwas an: eine Identität, eine Lösung und eine schöne neue Welt - flashig, dahinter kann man sich versammeln.

Im Gegenzug gibt’s: Antifaschismus. Wichtig. Larger than Life. Unendlich hochverdient und notwendig. Aber dagegen sein, auch ermüdend. Kicked nicht. Geht nicht nach vorn.

Wer sind wir?

Wo stehen wir?

Wo wollen wir hin?

Was sind unsere Interessen?

Wofür kämpfen wir?

Und: Wo ziehen wir die Grenze zu den anderen?

Bis jetzt hat sich die Klimabewegung damit abgefunden, an die Politik zu appellieren, in der Hoffnung, dass sie etwas tut. Was wenn sie – aus systemischen Gründen – nichts tun kann? Dann müssen wir es selbst tun. Niemand anderes wird kommen, um das für uns zu erledigen. Wir müssen uns positionieren, organisieren. Nicht im Dagegen, sondern im Dafür.

Ich glaube, die Grenze verläuft hier:

Auf der einen Seite jene, die den Menschen als getrennt von unserem Planeten betrachten, als Menschenwesen zwischen Lebewesen.

Und auf der anderen – unseren – Seite wir, die begriffen haben, dass alles zusammenhängt, zusammenlebt, zusammengehört. Wir wissen: unsere Solidarität gilt nicht nur anderen Menschen, sondern der ganzen Erde. Stirbt sie, sterben wir. Lebt sie, leben wir. Lebt sie gut, leben wir gut.

Ist eine Arbeitshypothese. Eine bessere habe ich noch nicht, und auch keinen Namen dafür. Thích Nhất Hạnh nennt es Interbeing. Ich hätte lieber irgendeinen -ismus, aber der nicht das Wort „öko“ beinhaltet. Hab ich noch nicht, aber vielleicht kommt das noch, die skizzierten Fragen werden mich in den kommenden Monaten beschäftigen.

Um ihnen gerecht zu werden, stelle ich den Rhythmus des Newsletters aus zweiwöchig um, schicke ihn immer am Donnerstagmorgen. Ich freue mich vor allem auch, auf eure Gedanken.

Das ist die Zeit des Kollektivs. Entweder wir gehen gemeinsam unter, oder schaffen uns einen neuen Wohlstand, wohl stehend auf unseren Lebensgrundlagen, versuchend, verwoben, verbunden, verliebt.

Bis bald

Raphael

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