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Geben ist Nehmen - 23.08.2023

Wut gibt mir Hoffnung. Das habe ich beim Schreiben meines Romans gemerkt – dass die beiden verquickt sind. Zum ersten Mal seit Jahren kann ich mir vorstellen, dass alles nicht nur schlechter wird, im Gegenteil. Letztlich ist die Zukunft ja offen, wir können alles erreichen, und meine Gedanken driften immer öfters in diese Richtung, ich will auch mehr dazu arbeiten, zu Hoffnung, zur besseren Zukunft. Denn wenn wir uns nicht gegenseitig von ihr erzählen, sondern immer nur sagen, dass die Lebensgrundlagen sterben, Faschismus siegt, wird es auch so kommen. Nur wenn wir wissen, was wir wollen, wissen, was alles möglich ist, machen wir es auch wirklich.

In WUT erzähle ich das einmal von Anfang bis Ende, wie das aussehen könnte, das Buch endet in einer hoffnungsvollen Zukunftsskizze. Hier (Öffnet in neuem Fenster) kannst du es lesen. Und untenstehend findest du ein Kapitel, das, ja, sowas wie ein utopisches Prinzip formuliert: Geben ist Nehmen.

Ich freu mich, wenn du es liest, und deine Gedanken mit mir teilst.

(Obacht: Das Kapitel ist ein bisschen sexy)

Kapitel 37

Sara ließ ihre Zungenspitze meinen Bauch entlangwandern, küsste die weiche Stelle schräg unter meinem Nabel, presste eine Hand gegen das Innere meines Schenkels, saugte vorsichtig an der Stelle, wo sonst der Bund meines Slips saß, schnurrte kurz, als ihre Wange meine Scham- haare streifte, suchte mit ihrer Zunge in kleinen Kreisen meine Klitoris, strich mit der Hand mein Bein entlang, fand mit einem ihrer Finger meine Vulvalippe und ließ ihn da liegen, während sie mich leckte, ich anfing zu stöhnen, die Arme ausstreckte, greifend. Die Kissen, zu weich, gaben keinen Halt, die Wand war zu weit weg, die Matratze schluckte mich, ich sank tief.

Ich tauchte auf, der Gedanke, mich verwöhnen zu lassen, zu ungewohnt, fing an, Sara zu streicheln, merkte, wie sie meine Hand abstreifte, während ihre Finger fester rieben, hörte ihr leises Keuchen, spürte das gespannte Zittern ihres Körpers zwischen meinen Oberschenkeln, spürte, wie ihre andere Hand mein Fußgelenk packte, bog den Nacken zurück, merkte, wie sich mein Rücken spannte, mein Oberkörper hochschnellte, als würde ich ertrinken, fühlte den fester kreisenden Druck von Saras Zunge, schloss die Augen und schrie so lang und laut und wild, dass es mir peinlich wurde, sank dann zuckend auf die Matratze zurück. Weißes Licht gleißend durch mich hindurchflutend.

Nach einigen Momenten legte Sara sich wie ein Päckchen auf meine Brust, links und rechts die angewinkelten Beine, ihr Kopf an meinem Hals, schlang ich meine Arme um sie, ohne zu wissen, wo mein Körper endete und ihrer anfing, unser Atem glich sich an, wurde eins.

Als meine Gedanken zurückkehrten, leuchtende Sätze der Dankbarkeit, sich schmerzhaft abwechselnd mit dringenden To-dos von der Liste in meinem Handy, gab ich Sara einen leichten Druck mit dem Arm, wollte sie von mir runterschieben, um mich zu revanchieren. Sie hielt sanft dagegen, flüsterte nur: »Geben ist Nehmen«, den Kopf weiter an meinen Hals gekuschelt.

#gin
Wassim, Sara und ich saßen bei der Tätowiererin und ließen uns die drei Buchstaben knapp unterhalb der Armbeuge stechen. Geben ist Nehmen.

Es war wie ein Eheschwur, aber nicht vorgesprochen von irgendeinem Typen in schwarzer Robe oder einer Standesbeamtin mit einer vorgefertigten Rede aus dem Internet, nein, es war unsere eigene Philosophie, die wir der Welt nicht entgegenschleuderten, aber entgegenhielten.

Kein Horten, kein Raffen, kein Rauben. Auch keine gerechte Verteilung, sondern hemmungslose Verschwendung aneinander, nicht, weil wir das zurückbekommen, was wir geben, sondern weil die Welt sich übervoll anfühlt, wenn das Glück der anderen das eigene Glück ist. Nicht du und ich und er und sie, sondern das, was zwischen uns ist als Ozean der Möglichkeiten, aus dem wir endlos schöpfen, wenn wir es nur wollen. Immer und immer und immer und immer und immer wieder. Piraterie wie ein Zungenkuss.

Nach Sara, Wassim und mir ließen auch andere sich die drei Buchstaben tätowieren. Wir fingen an, E-Mails damit zu signieren, irgendjemand begann, #gin erst in Berlin und dann auch in anderen Städten an Wände zu taggen, und bald schon löste es sich von uns, entwickelte ein Eigenleben.

Auf einer Party fragte eine Rapperin aus Südafrika Sara nach dem Tattoo. Daraufhin schrieb sie einen Text über #gin, verwebte die Bedeutung der drei Buchstaben mit den Gedanken des Ubuntu – ich bin, weil du bist –, und irgendwie entstand daraus für uns zum ersten Mal seit Jahren etwas Neues.

Tagebaue, Pipelines, zerstörerische Minen – wogegen wir waren, hatten wir gewusst, und den Feind zu kennen, war gut, schuf Klarheit. Doch das Dagegen fühlte sich oft an wie ein STI-Test oder eine Wurzelbehandlung – wir wussten, warum wir das alles machten, aber geil war es nicht.

#gin schien verkopft, aber jeder verstand es auf Anhieb, denn es kam aus dem Bauch; ein Konzept wie ein Riff, auf dem schimmernde Korallen wuchsen, Ideen für bunte Zukünfte, die in Nischen erprobt, gelebt, gefeiert wurden. Der Alltag war Ellenbogen, doch jeder #gin-Moment war ein Blick in eine andere Welt, fühlte sich an wie eine Generalprobe für das, was möglich war.

Kein Wirtschaftssystem, eine Lebensweise.

Nicht: Es geht mir gut, wenn es mir gut geht.

Sondern: Es geht mir gut, wenn es uns gut geht.

Ich glaube daran, dass eine Welt möglich ist, in der wir wieder mehr ineinander investieren, als in uns selbst, in der Ellenbogen durch ausgestreckte Hände ersetzt werden. Deshalb habe ich diesen Roman geschrieben und ich bin gespannt zu hören, was du darüber denkst. Du bekommst ihn im Buchladen um die Ecke, zum Bestellen empfehle ich immer Geniallokal (Öffnet in neuem Fenster), weil es den lokalen Buchhandel unterstützt.

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