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Vorsätze

Freund:innen kommen immer wieder zu mir, um zu erzählen, dass sie bald irgendwo hinfliegen. Ich habe dann meist das Gefühl, dass sie kommen, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, und von mir – der Klimaperson – Absolution wollen. Wenn ich sie nicht dafür verurteile zu fliegen, dann wird das schon okay sein.

Entweder sie oder ich sagen dann irgendwann „individueller Konsum ist nicht so wichtig“, und damit ist das Thema erledigt. Vielleicht grätsche ich da auch nicht rein, weil wir in der Letzten Generation schon genug Anfeindungen ausgesetzt sind, ich nicht auch noch Streit im engsten Kreis anfangen will. Und doch sitzt da irgendwas quer, selbst wenn ich von den Emissionen selbst absehe (die auch nicht besser sind, als einen Ölwechsel im Naturschutzgebiet machen).

Mein guter Freund Robin hat gerade einen Flug gebucht, aber er hat nicht nur schief gelächelt, sondern wollte sich tatsächlich darüber austauschen, und das hat in mir noch mal was bewegt, ich hab’s noch mal klarer bekommen.

Greta und die Fridays haben dazu geführt, dass alle übers Klima gesprochen haben, und viele was machen wollten. Dann kam Covid, der Ukraine-Krieg, Inflation, Israel und Gaza, und die Klimakrise ist in den Hintergrund gerutscht. Sie ist normal geworden. Eingepreist. Ist halt so.

Und wahrscheinlich ist es deshalb, dass auf einmal alle wieder anfangen durch die Gegend zu fliegen, als wäre nichts – weil die Debatte um die Folgen abgeklungen ist. Das merkt man auch an den derzeitigen deutschlandweiten Überschwemmungen – ich habe noch keinen Artikel gesehen, der den Zusammenhang herstellt. Klar, ein bisschen schlechtes Gewissen, ein bisschen Flugscham ist noch da. Aber nicht so richtig viel. Doch es gibt nicht sowas wie „individuellen Konsum“.

Jede Person, die fliegt, signalisiert allen anderen Menschen im Umkreis: Hey, kann man machen, was soll’s?

Und die Personen im Umkreis werden auch wieder eher in einen Flieger steigen, weil: Ist ja so bequem, die Bahn so teuer, und, hey, mein Job ist so anstrengend, ich brauche halt mal die Auszeit.

Und gerade das Thema Fliegen ist noch mal so viel wichtiger, als Fleischessen, Autofahren, Heizen, weil es in der Debatte zum Symbol geworden ist. Die Normalisierung des Fliegens, räumt alle anderen Debatten gleich mit ab.

Und das wäre schon beschissen genug, aber es befördert noch etwas, was da knapp unter der Oberfläche auch mitschwingt: Zynismus. Die Einstellung, dass eh alles egal ist, weil eh alles zur Hölle geht.

Ich glaube, viele sagen es nicht, aber fühlen das – jetzt, dass 1,5 Grad gerissen sind, können wir auch drauf scheissen, lasst uns noch mal alles mitnehmen. Jede ist sich selbst die Nächste. Ein letzter Tanz auf dem Deck der Titanic. Ich finde diese Einstellung widerlich. Alles, was ich tue, beeinflusst alle anderen. No man is an Island – und es ist nie zu spät.

Es ist die große Lüge, die die westlichen Gesellschaften seit der Aufklärung leben: dass unser Kopf von unserem Körper, unser Körper von anderen Körper und der Natur getrennt ist.

Dabei ist es in Wahrheit doch so, dass wir unendlich verwoben sind. Die Gedanken, die ich hier gerade aufschreibe, basieren auf den Inspirationen anderer Menschen. Der Sauerstoff, den ich atme, der kommt von Bäumen, die mein CO2 einatmen. Wenn ich sterbe, werde ich wieder zu Erde.

Man muss nicht an Reinkarnation glauben, aber wenn man einen toten Menschen begräbt, dann werden aus ihm Bandfüßer, Schnurfüßer, Zwergfüßer. Aus seinem Körper werden Beintastler, Kurzflügler, Fadenwürmer und Springschwänze. Da wachsen Gänseblümchen, Minzen und Erlen. Wir sind aus dieser Erde und diese Erde ist aus uns. Wir sind Erdenbürger, was uns nicht zuletzt auch die Klimakrise in Totalität beweist: wir sind verbunden, ohne Lebensgrundlage kein Leben.

Mein Vorsatz fürs neue Jahr lautet, diese Einsicht noch mal anders zu leben, mich für sie einsetzen. Nicht nur darüber schreiben, sondern es aktiv befördern.

In einem der Newsletter der vergangenen Wochen habe ich das Projekt Menschlichkeit (Öffnet in neuem Fenster) schon mal erwähnt – es ist der Versuch, unsere Gesellschaft demokratischer zu machen.

Wenn wir anfangen, uns richtig zuzuhören, fassen wir Vertrauen zueinander, und merken, dass unsere Schnittmengen so viel größer sind, als das, was uns trennt. Und wir merken, dass es uns besser geht, wir stärker sind, wenn wir unsere Verbindungen anerkennen, uns verbinden.

Dafür werden wir überall in Deutschland (und Europa!) Lokale Versammlungen (LoVes) organisieren. Wie genau die funktionieren – auf praktischer und philosophischer Ebene – darüber will ich mir die kommenden drei Wochen Gedanken machen und ein paar Sachen aufschreiben. Auch weil ich merke, dass Schreiben über Hoffnung, nicht so richtig funktioniert, ich stattdessen über hoffnungsvolle Dinge schreiben will. Und das ist das Projekt Menschlichkeit gerade für mich. Ende Februar melde ich mich dann zurück – ich freu mich drauf.

Auf ein verbundenes, hoffnungsvolles, menschliches nächstes Jahr

Raphael

 

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