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Aus Oregons Re-Kriminalisierung lernen

Stadt-Ansicht von Portland, Oregon, USA.

Die politischen Möglichkeiten zur Gestaltung von Drogenpolitik sind nicht nur eine Frage von Theorien und bisherigen Modellen wie zum Beispiel dem von Portugal (Öffnet in neuem Fenster) von 2001, sondern auch eine Frage dessen, was unter den aktuellen politischen Verhältnissen umsetzbar ist. Was im US-Bundestaat Oregon gerade bittere Realität wurde, ist die Re-Kriminalisierung der Ent-Kriminalisierung von Besitzmengen aller gängigen Straßendrogen. (Der legale Cannabismarkt bleibt.)

2020 waren in Oregon nach dem Vorbild Portugal Besitzmengen für alle gängigen Straßendrogen entkriminalisiert worden (also ohne einen legalen Markt wie zuvor für Cannabis zu schaffen). Dieses Jahr wurde dieser Meilenstein wieder zurückgedreht. Angeblich sei die Entkriminalisierung in Oregon “gescheitert”. Das ist Quatsch. (Weiter unten mehr dazu.)

Auch in Deutschland zeichnet es sich längst ab, dass uns mit der nächsten Bundesregierung eine Re-Kriminalisierung von Cannabis einholen kann. Söder und Merz geben deutliche Versprechen, dass sie die Aufweichung des Cannabisverbots mit aller Macht wieder zurückdrehen werden. Momentan muss man davon ausgehen, dass die CDU/CSU bei der nächsten Wahl wieder Regierungspartei wird. Auch wenn sie für eine Rückkehr zum Cannabisverbot Koalitionspartner brauchen werden, würde ich mich nicht darauf verlassen, dass die Ampel-Parteien in der Sache stabil bleiben (können). Es hängt vom öffentlichen Interesse ab.

Die Entkriminalisierung in Oregon ist politisch gescheitert, aber das ist kein Beweis dafür, dass sie in der Sache und an ihren Zielen gescheitert ist.

Ich gebe euch nachfolgend eine grobe Einordnung für Oregon mit und erkläre, welche wichtigen Lehren ich für die unmittelbare Situation hier in Deutschland sehe:

Der Artikel ist ursprünglich am 12.7.2024 mit Paywall erschienen. Dies ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung.

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Oregons politischer Fallstrick: Der nun weniger verdrängte, sichtbarere Konsum von wohnungslosen Menschen, die im Elend leben, in der Öffentlichkeit.

Zu einem treibenden politischen Problem in Orgon wurde, dass sich durch die Entkriminalisierung marginalisierte und obdachlose Drogengebrauchende nun weniger versteckt, sondern mehr an öffentlichen Plätzen gezeigt haben. Kein ständiger Stress mehr durch die Polizei. Was für ein Fortschritt im Sinne der Menschenwürde könnte man meinen.

Aber wie sehr sich eine wohlwollende Meinung von Nicht-Betroffenen ändern kann, wenn Elend und Armut in der Nachbarschaft präsent werden, ist auch in Deutschland ein offenkundiges Problem. In Deutschland zeigt es sich zum Beispiel beim Thema Drogenkonsumräume oder anderer niedrigschwelliger Drogenhilfe: Zustimmung ja, aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft.

Ein möglicher politischer Fallstick für Deutschland: Die stigmabeladene Interpretation der Behandlungszahlen

Da in Deutschland eh fast überall Konsumverbote für Cannabis gelten, wird uns das auf diese Weise möglicherweise weniger auf die Füße fallen.

Was sich in einigen Diskussionen zuletzt aber aufgetan hat:

  • Positiv erwartbare Entwicklungen wie erhöhtes Aufsuchen von Hilfe, weil durch den offeneren Umgang mit Cannabis das Stigma abnimmt und die Kriminalisierung nicht mehr droht, werden zum Problem gedreht. Blickt man nur auf die Anzahl der Hilfesuchenden und Menschen in Behandlung, kann vorschnell interpretiert werden, dass es mehr Probleme mit Cannabis gebe.

  • Eine steigende Anzahl kann auch daran liegen, dass generell psychische Krisen zunehmen oder Menschen eher bereit sind, Hilfe aufzusuchen.

  • Auch das Behandlungsangebot ändert sich: Die Statistik ändert sich auch, je nachdem, wie viele Stellen im unterbesetzten Hilfesystem geschaffen werden. Mehr (dringend nötige) öffentliche Finanzierung heißt automatisch mehr Behandelte, solange das Angebot weit unter dem Bedarf liegt.

  • Das Zahl der Behandelten könnte allerdings auch sinken, wenn weniger Menschen über die Justiz in Therapie verwiesen/genötigt werden.

Wenn all diese Faktoren berücksichtigt und rausgerechnet werden, bleibt dann noch ein reales, angestiegenes Problem seit der Einführung des CanG am 1.4. oder wird es sinken? Das Addieren oder Subtrahieren von Fallzahlen bietet keine Antworten.

Für eine aussagekräftige Antwort, inwiefern sich das Cannabisgesetz auf die Gesundheit auswirkt, müsste man viel konkretere Frage stellen als nur auf Behandlungszahlen zu verweisen. Man könnte sich zum Beispiel mit den einzelnen Personen auseinandersetzen, die das Hilfesystem aufsuchen (und auch jenen, die es trotz Bedarf nicht aufsuchen) und auch die Qualität des Behandlungsangebots in die Auswertung miteinbeziehen.

Ich denke, es lohnt sich, die Diskussion um die Behandlungszahlen aufmerksam zu begleiten, damit uns die vorschnelle, unbedacht oder absichtlich inszenierte Fehlinterpretation der Zahlen nicht auf die Füße fällt. Nicht zuletzt ja im Sinne der Menschen, die Hilfe aufsuchen und das bestmögliche Beratungs- und Behandlungsangebot brauchen, egal wie viele es sind!

Drogengebrauchende als Sündenbock — für random alles…

Der schwerwiegende Anstieg von gesundheitlichen Problemen für marginalisiert drogengebrauchende Menschen und von Todesfällen in Oregon seit der Entkriminalisierung 2020 ist leider nicht nur einer vorschnellen Interpretation von Zahlen geschuldet. Die Zahlen wurden aber leider erfolgreich instrumentalisiert. Prohibitionisten und Populisten haben praktisch jede schlechte Entwicklung seit 2020 der Entkriminalisierung zugeschrieben.

Die Ent-Kriminalisierung bzw. die Menschen, die marginalisiert bestimmte illegale Drogen nehmen, wurden zum Sündenbock gemacht. Eine Einschätzung von der Aktivistin und Expertin Theshia Naidoo von der NGO Drug Policy Alliance könnt ihr hier im Interview bekommen:

https://drogriporter.hu/en/re-criminalisation-of-drug-use-in-oregon/ (Öffnet in neuem Fenster)

Die Tatsachen und eindringlichen Warnungen von Fachleuten werden leider jene Meinungsführer*innen und Entscheidungsträger*innen, die gewisse Formen von Sanktionen für partout angemessen halten, schwerlich zu einer anderen Position bewegen. (Wie man beispielsweise in diesem Podcast-Interview (Öffnet in neuem Fenster) nachvollziehen kann.) Man will einfach die prohibitive Hand über den Konsum behalten. Der Bedarf der Öffentlichkeit, eine vermeintliche Kontrolle über das Leben von Menschen zu behalten, die bestimmte Drogen konsumieren, ist groß.

Braucht es zur festen Verankerung der Reform den legalen Markt?

Der Fall Oregon hat mich zu einer weiteren Überlegung veranlasst, die für mich bisher nicht zentral war. Ich lobbyiere zwar für eine legale Marktregulierung und vor allem, für eine verantwortungsvolle, gut gemachte (Öffnet in neuem Fenster). (Und siehe hier: Das von mir herausgegebene deutschsprachige Buch zur Markt-Regulierung (Öffnet in neuem Fenster).) Aber die Entkriminalisierung von Besitzmengen in Kombination mit Drug Checking und Eigenanbau/-herstellung habe ich als einen viel unmittelbareren, greifbareren Schritt verstanden. Jetzt frage ich mich, ob die Etablierung des legalen Marktes nicht entscheidend ist, damit alles wieder zurückgedreht werden kann.

Mögen sich der Eigenanbau und die Anbauclubs auch zu diesem Zweck schnell unter den Cannabis-Usern in Deutschland etablieren. Vielleicht reicht Säule 1 aus, um den neuen Umgang mit Cannabis bis zur nächsten Bundestagswahl ausreichend zur normalisieren. Umso besser, wenn Säule 2 mit den Modell-Projekten noch kommt!

Die Praktiken der Strafverfolgungsbehörden lassen sich recht leicht wieder ändern, aber einen legal etablierten Markt wieder zu illegalisieren ist eine andere Nummer.

Oregon hat es vorgemacht, wie schnell ein historischer Erfolg gegen die Prohibition wieder erledigt werden kann. Anders als 2001 in Portugal leben wir heute in einer Zeit, in der Entkriminalisierungen und Legalisierungen angestrebt und umgesetzt werden. Aber diese lang ersehnten, dringend nötigen Kurswechsel beizubehalten, scheint eine Herausforderung für sich zu sein.

Was denkt ihr? Wie begegnet euch die Diskussion um Oregon? Wenn ihr Nachfragen oder Anmerkungen habt, meldet euch bitte!

Mit besten Grüßen
Eure Philine

PS: Die Aufnahme der Jung&Naiv Palastrevolution-Debatte (Öffnet in neuem Fenster) ist da! Auch da ging es um Oregon. Habt ihr sie schon gesehen? Ich freue mich über jedes Feedback!

Über mich & Anstehende Termine

Seit 2015 setze ich mich für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Drogenpolitik ein. 2017 habe ich die My Brain My Choice Initiative als ehrenamtliche Plattform und Thinktank mitbegründet und vertrete unsere Konzepte und Kampagnen gegenüber Medien und Politik. Als Schildower Kreis-Mitglied stehe ich auch nach meinem Studium der Regionalwissenschaften (M.A.) im Austausch mit Expert*innen aus der Wissenschaft.

Die My Brain My Choice Initiative

My Brain My Choice (MBMC) ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die sich der Vertretung der Interessen von Menschen widmet, die Drogen gebrauchen. Wir setzen uns dafür ein, dass deren Perspektiven gehört und respektiert werden. Mit unseren Projekten und Kampagnen arbeiten wir seit 2017 daran, die Stigmatisierung und Diskriminierung von illegalem Drogengebrauch zu verringern und eine aufgeklärte, menschliche Drogenpolitik zu fördern, welche die gescheiterte Drogenprohibition überwindet.

Das Drogenpolitik Briefing

Danke fürs Lesen des Briefings! Die gesellschaftpolitische Aufklärung ist mir ein wichtiges Anliegen, weil wir nur so bessere Entscheidungen über dieses stark stigmatisierte Thema treffen können.

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Foto von Oregon: Meggyn Pomerleau (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

Kategorie Länderbeispiele

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