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Liebe Pfefferhasis und Newsletter-Abonnent*innen,

Justizminister Buschmann hat am Montag einen Gesetzesentwurf angekündigt, nachdem Gewalt an Frauen künftig härter bestraft werden soll (Öffnet in neuem Fenster). Auf den ersten Blick ist das eine sehr gute Nachricht. Es ist wichtig, dass künftig bei der Strafzumessung von Gewalttaten eine geschlechtsspezifische Motivation berücksichtigt wird. Es sollte bei der Urteilsfindung einen Unterschied machen, wenn ein Täter eine Frau aufgrund männlichen Besitzdenkens tötet. Das Justizministerium will also § 46 des Strafgesetzbuchs um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe ergänzen. Bislang sind dort „die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende“aufgelistet. In seiner Presserklärung sagt Marco Buschmann (Öffnet in neuem Fenster): „Für mich ist klar: Gewalttaten von Männern gegen Frauen dürfen nicht als ‚private Tragödien‘ oder ‚Eifersuchtsdramen‘ bagatellisiert werden.“ Soweit so wichtig und richtig.

Doch regelmäßige Leser*innen von Newsletter und Wochenrückblick ahnen schon: Gleich kommt ein „aber“. Und ja, ihr habt recht, es folgt direkt:

Anhänger*innen des sogenannten Strafrechts-Feminismus (bzw. Carceral Feminism) bejubeln naturgemäß jede Verschärfung des Strafrechts, fordern härtere Strafen oder die Einführung von Straftatbeständen (z.B. das Verbot von „Catcalling“ oder „Upskirting“). Und ja, ich verstehe den Ansatz. Denn natürlich bin ich auch nicht dafür, dass die sexualisierte Gewalt von cis Männern ungestraft bleibt. ABER (da ist es, extra groß) erfahrungsgemäß führen härtere Strafen nicht zu weniger Übergriffen. Überhaupt wird sexualisierte Gewalt selten überhaupt angezeigt, geschweige denn verurteilt. Das Justizsystem steht nicht außerhalb von Patriarchat, Kapitalismus und white Supremacy, es ist Teil davon. Und es ist eine Tatsache, dass Gerichte bestimmte Menschen ohnehin härter bestrafen als andere. In dem Paragrafen, den Buschmann jetzt um geschlechtsspezifische Beweggründe ergänzen will, sind nämlich auch andere Umstände benannt, die das Gericht zur Abwägung des Strafmaßes heranziehen soll. Unter anderem „die Art der Ausführung der Tat“ sowie „das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie zukünftig ein (weißer, christlicher) Richter das Strafmaß bemisst, wenn ein arbeitsloser Mann mit muslimischem Background seine Ehefrau erstochen hat („Ehrenmord!!!“) und wie er urteilt, wenn ein weißer christlicher – sagen wir – Bürgermeister seine Ehefrau „im Streit“ erschlägt („Beziehungsdrama“).

Wie fühlt sich das folgende Zitat des Justizministers in diesem Zusammenhang für euch an? „Wir senden damit auch ein Signal in die Gesellschaft: Wer aus männlichem Besitzdenken Frauen angreift, handelt unserer Werteordnung in besonders eklatanter Weise zuwider.“ Mir gibt es harte Othering Vibes: „Unsere Werteordnung“ als in Deutschland verbindende Haltung, gegen die Andere (Fremde) verstoßen. Wen meint Buschmann mit „uns“? Wird ein Richter, dem der Angeklagte in vielen Punkten ähnlich ist (weiß, christlich, wohlhabend), einen Verstoß gegen „unsere Werteordnung“ erkennen oder sieht er nicht doch einen tragischen Ausgang eines Ehestreits? Bei einem Angeklagten, der ihm „fremd“ ist, fällt das Urteil schon leichter: „Männliches Besitzdenken“ als vermeintlicher Bestandteil der „muslimischen Kultur“.

Das Recht ist nicht gerecht, das ist all denen gut bekannt, die wenig Privilegien haben, wie einen sicheren Job, ein gutes Einkommen, einen sicheren Aufenthaltsstatus. Ronen Steinke hat darüber kürzlich ein ganzes Buch geschrieben („Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“).

Und überhaupt, was haben die ermordeten Frauen davon, dass ein Täter härter bestraft wird? Was haben die Hinterbliebenen davon? Der Femizid steht in den allermeisten Fällen am Ende einer häufig jahrelangen Tortur. Doch Betroffenen von patriarchaler Gewalt wird Hilfe und Unterstützung viel zu oft verwehrt. In vielen Fällen von Femizid kommt hinterher heraus, dass das Opfer schon versucht hatte, sich zu trennen, den Täter angezeigt hat, Schutz gesucht hat. Hier muss angesetzt werden. So kann gewaltbetroffenen Menschen wirklich geholfen werden.

Fakt ist, ein Feminismus, der Polizei und Justiz als seine natürlichen Verbündeten versteht, wird uns nicht befreien. Denn er festigt die patriarchalen, kolonialen und rassistischen Strukturen, die das rassistische und misogyne System aufrechterhalten. Der Ruf nach Recht und Gesetz wird in der Regel aus privilegierter Position laut. Das Privileg, sich auf die „Gerechtigkeit“ der Justiz verlassen zu können, haben in erster Linie reiche weiße Leute. „The Master’s Tool Will Never Dismantle the Master’s House“, hat Audre Lorde gesagt. Was wir brauchen sind nicht härtere Strafen oder neue Straftatbestände, wir brauchen einen strukturellen Wandel hin zu einem System, in dem nicht die binäre Heteronormativität das Zusammenleben bestimmt. Wir brauchen finanzielle Absicherung von Gewaltschutzeinrichtungen. Wir brauchen sichere Aufenthaltsmöglichkeiten für Frauen, denen eine Abschiebungen droht, wenn sie sich von gewalttätigen Partnern trennen. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und Löhne, die ein Leben als Alleinerziehende möglich machen. Und so weiter. Law and Order ist ganz offensichtlich keine Lösung.

Was sonst noch so los war, könnt ihr wie immer im Wochenrückblick aus feministischer Perspektive nachlesen. Dieses Mal geht es u.a. um den CSD in Berlin und warum ich es dort schrecklich fand, um geschichtsvergessene Heldenverehrung in Deutschland und das Gedenken an die Opfer mehrere rassitischer Attentate.  

Den Newsletter verschicke ich über einen W-Lan-Hotspot aus einer Jugendherberge in Schleswig-Holstein. Ich betreue hier in der Nähe diese Woche eine Foto-Werkstatt mit Mädchen und jungen Frauen aus der Region. Da ich keine Ahnung vom Fotografieren habe, bin ich eher für das Rahmenprogramm verantwortlich (Collagen! Zines!). Zum Glück ist meine unglaublich talentierte, kluge und wunderbare Freundin Celestine mit dabei - sie ist nicht nur Fotografin, sondern auch Journalistin, Autorin und Schreibtrainerin! Schaut euch unbedingt ihre Webseite (Öffnet in neuem Fenster) mal an und bucht sie für Aufträge :) 

Wenn am Ufer keine Blaualgen zu sehen sind, riskiere ich jetzt nochmal eine Runde im See, hier der (Live-)Blick aus meinem Fenster (20:32 Uhr): 

Ab morgen schlafe ich dann in einer anderen Jugendherberge, direkt am Ostseestrand! Ich hoffe, das Leben ist auch gut für euch, Danke fürs Lesen und bis nächste Woche

Ulla 

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