Über das Hochwasser und andere Heimsuchungen.
Womit anfangen? Vielleicht mit der Demonstration (Öffnet in neuem Fenster) in Mestre, an der ich gestern teilgenommen habe. Und ja, ich kann diese Forderung nur unterstreichen: "Brugnaro hau ab, tritt zurück, die Stadt verdient Besseres".
Es war wohl die größte Demonstration, die es in Venedig und auf dem Festland in den letzten Jahrzehnten gegeben hat:
Mindestens 10 000 Menschen kamen nach Mestre, um "Jack" Giacomo Gobbato zu gedenken, dem jungen Mann, der letzte Woche auf dem Corso del Popolo erstochen wurde, als er einer Frau helfen wollte, die Opfer eines Raubüberfalls wurde.
Der Demonstrationszug formierte sich hinter dem Transparent „Für Jack, für uns, für alle: Lasst uns die Stadt zurückerobern“. Es war eine Demonstration, bei der alle sozialen Gruppen vertreten waren (hier Vertreter der Bangladescher: allein in Mestre leben mehr als 8 000 Bangladescher).
Vom Bürgermeister und anderen Vertretern der Stadt war natürlich keine Spur. Und Brugnaro hat mal wieder eine Gelegenheit verpasst, die Klappe zu halten, als er die Demo bereits am Tag zuvor als "Parade der roten Fahnen" verurteilte. Für ihn, der sich ja stets als Verteidiger des Festlands verkauft hat, stellt diese Demonstration eine große Niederlage dar - demonstriert wurde für mehr Sicherheit in einer Stadt, die sich nachts in eine No-go-Area verwandelt: Mestre ist die Stadt der Pusher und Drogentoten.
Und auch Venedig ist nicht mehr die Stadt, in der man unbehelligt bleibt: immer wieder kommt es auch hier zu Übergriffen und Raubüberfällen - ganz zu schweigen von der Miriade von Taschendieben, die hier ihr Unwesen treiben. Allein heute haben wir in unserer Gasse drei Portemonnaies gefunden, die von Taschendieben hier abgelegt wurden, nachdem sie das Geld daraus geklaut haben. Die von Brugnaro behauptete Aura des "Bürgermeisters als Sheriff" verpuffte im Nichts: „Ein einziger Mann, der das Kommando führt - und die Stadt versinkt im Chaos“, war auf einem Transparent zu lesen.
Und weil eine Heimsuchung wie dieser Bürgermeister allein nicht reicht, hatten wir am 18. September auch noch Hochwasser: 1,10 Meter hoch, was bedeutet, dass etwas mehr als 14 Prozent von Venedig unter Wasser stand: Die Stadt befindet sich etwa einen Meter über dem Meeresspiegel, bei einem Hochwasser von 1,10 Metern stehen nur die tiefsten Stellen Venedigs unter Wasser, dazu gehört natürlich der Markusplatz - und auch unser Hausflur. Touristen betrachten das Hochwasser (Öffnet in neuem Fenster) hier natürlich nur als weitere Attraktion des Spaßparks (Öffnet in neuem Fenster), zu dem unsere Stadt verkommen ist.
Zur Erinnerung: Das Hochwasser in Venedig hat nichts mit dem Regen zu tun, sondern mit den Gezeiten und dem Wind. Es ist der Schirokko, der Südostwind, der das Meer in die Lagune drückt.
Warum die famose Schleuse Mose nicht eingesetzt wurde? Ursprünglich galt die Marke von 1,10 Metern Hochwasser als Grenze, bei dem die Fluttore eingesetzt würden. Dann wurde das auf 1,20 Meter hochgesetzt - nicht nur aus dem Grunde, weil jeder Einsatz von Mose Tausende von Euro kostet, sondern auch, weil dann der Hafen geschlossen ist: Container- und Kreuzfahrtschiffe und Erdöltanker können weder ein- noch ausfahren.
Nachdem die Venezianer protestiert haben, heißt es, dass die Fluttore angeblich ab November wieder ab 1,10 Meter eingesetzt werden: Bereits im Mai war es zu einem Hochwasser von 1,10 Meter gekommen - ohne dass es zuvor Sirenenwarnungen gegeben hätte. Und Hochwasserbänke gab es auch nicht. Auf denen man übrigens nicht stehenbleiben sollte: Wie Sie hier sehen (Öffnet in neuem Fenster), werden die Leute von den Stadtpolizisten angepfiffen, wenn sie sich nicht weiter bewegen. Früher haben die Venezianer die Leute einfach von den Bänken geschubst, wenn sie nicht weitergingen. Aber heute gibt es ja kaum noch Venezianer, die den Touristen beibringen können, wie man sich auf Hochwasserbänken zu bewegen hat.
Wäre Italien ein anderes Land, wenn Paolo Borsellinos roter Kalender mit seinen Notizen über die Hintergründe der Ermordung seines Freundes und Kollegen nicht aus den noch rauchenden Trümmern entwendet worden wären? Das ist eine der Fragen, die ich mir bis heute stelle. Mit meinem Buch versuche ich, darauf eine Antwort zu geben - oder zumindest Hinweise auf eine Antwort.
Denn bis heute sind die Auftraggeber für die Morde an Giovanni Falcone und Paolo Borsellino nicht bekannt. Wir können sie nur ahnen, dank unzähliger Prozesse, die uns einen Einblick in die enge Zusammenarbeit zwischen dem italienischen Staat und der Mafia gaben, aber wir dürfen sie nicht nennen. 1994 kam Berlusconi an die Macht - und beherrschte die italienische Politik bis zu seinem Tod im letzten Jahr. Und Giorgia Meloni ist seine würdige Nachfolgerin (Öffnet in neuem Fenster).
Wie heikel die politischen Attentate an Falcone, Borsellino und an dem General Dalla Chiesa (Öffnet in neuem Fenster) bis heute sind, zeigte sich vor wenigen Tagen. Auf die Frage, ob Giulio Andreotti, siebenfacher italienischer Ministerpräsident, Auftraggeber des Mordes an ihrem Vater sei, schwieg Rita Dalla Chiesa zustimmend (Öffnet in neuem Fenster). Sie ist die Tochter des Generals Dalla Chiesa, der 1982 zusammen mit seiner Frau in Palermo ermordet wurde - über den ich auch in meinem Buch schreibe.
Eigentlich wurde damit kein Geheimnis enthüllt, dennoch herrschte große Aufregung, als Dalla Chiesa Tochter bei Nennung des Namens von Andreotti Namens zustimmend schwieg. Bis heute dürfen die Namen der Auftraggeber für jene politischen Morde, die die Weichen stellten für die politische Zukunft Italiens, nicht genannt werden. Auch darum geht es in meinem hindernisreichen Weg zur italienischen Staatsangehörigkeit.
In zwei Wochen geht meine zweite Lesereise weiter! Vielleicht sehen wir uns bei einer meiner Lesungen? Hier sind alle Termine (Öffnet in neuem Fenster).
Aus Venedig grüßt Sie herzlich - Ihre Petra Reski (die hier so grimmig blickt, weil auf dem Canal Grande ein Wahnsinnsverkehr herrscht)
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