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Am Mittwoch haben wir Venezianer uns auf dem Fischmarkt auf Rialto versammelt, um über die 'Zugangsgebühr' zu diskutieren: 

Also die Steuer, die man ab Januar zahlen muss, um Venedig zu besuchen. Wir Venezianer sind absolut gegen diese "stadtmörderische" Verordnung, wie einer der Redner zu Recht sagte, denn sie würde das Ende Venedigs bedeuten. Wir sind weder ein Zoo, noch ein Museum. Wir sind eine Stadt, und der Zugang zu dieser Stadt muss für alle frei sein.

Ab Januar, so ist es geplant, soll jeder Nicht-Einwohner eine Steuer (von 3 bis 10 Euro) zahlen, um Venedig zu besuchen - sofern er nicht nachweisen kann, dass er davon freigestellt ist, also etwa Bewohner des Veneto zu sein (wie ein Großteil der Tagestouristen). Die Venezianer wiederum müssen jeden "melden", der sie besucht, und sei es auch nur tagsüber, um einen "QR-Code" zu erhalten, der Besuchern erlaubt, nach Venedig oder auf die Inseln zu kommen - was, wenig überraschend, an die faschistische Gesetzgebung erinnert.

Die Stadt Venedig - regiert von einem, wie er hier genannt wird, "Oligarchen, der behauptet, ein Arbeitersohn zu sein"  - will mit dem Eintrittsgeld nichts anderes als verdienen, die Touristenströme also zu Geld machen. Da es keinen Grenzwert gibt, wird die Steuer den exzessiven Tourismus nicht einschränken (30 Millionen Touristen pro Jahr, 120.000 pro Tag) -  sie wird weder das Leben der verbliebenen 49.000 Einwohner verbessern, noch das der Touristen, da ihnen im Gegenzug für diese Steuer nichts geboten wird. Viele Touristen werden wahrscheinlich sogar denken: "Da ich die Steuer bezahlt habe, kann ich hier machen, was ich will".

Ich fand besonders interessant, dass mit dem Eintrittsgeld eine klare Unterscheidung zwischen Venedig und dem Festland gemacht wird, eine Unterscheidung,  die ja krampfhaft geleugnet wurde, als wir für Venedigs Verwaltungsautonomie kämpften: Damals ging es darum, die propagandistische Lüge von der "einzigen" Stadt aus Venedig und dem Festland aufrecht zu erhalten. Wenn es aber keinen Unterschied zwischen Venedig und dem Festland gibt, sollte man dann nicht auch für Mestre, Marghera und Chirignago eine Zugangssteuer verlangen, da sie doch Teil dieser "einzigen" Stadt sind?

Was mir Hoffnung gab, war aber, dass ich an diesem Abend auf dem Fischmarkt zum ersten Mal seit langem wieder den venezianischen Widerstandsgeist gespürt habe und wir uns einig waren, unabhängig von der politischen Glaubensrichtung. Getreu der venezianischen Überzeugung, mit der die Venezianer einst der katholischen Kirche gegenüber Widerstand geleistet haben:"Wir sind zuerst Venezianer und dann erst Christen".

Denn: Wir sind der Reichtum der Stadt, wir sind es, die Venedig am Leben halten. Und nicht dieser Oligarch, der uns regiert.

Meine Buchpräsentation auf der vor Certosa schwimmenden Bibliothek (Öffnet in neuem Fenster) war ein voller Erfolg - bis auf den letzten Platz ausgebucht, moderiert hat der venezianische Journalist Sebastiano Giorgi, und Luca Colferati, "Prior der venezianischen Strumpfhosengesellschaft (Öffnet in neuem Fenster)", las ausgewählte Passagen vor.

Es folgte eine engagierte Diskussion ...

...  und ein wunderbarer Aperitiv (die schöne rothaarige Dame neben mir hier im Bild ist Gabrielle Gamberini (Öffnet in neuem Fenster), meine französische Übersetzerin, die nicht zufällig auch die Übersetzerin von Donna Leon ist: Venedig ist ein Dorf!)

Und am Ende, auf der Rückfahrt, wurden wir auch noch mit einem superdramatischen Sonnenuntergang belohnt: 

Und heute werde ich zum ersten Mal bei einer italienischen  Parlamentswahl meine Stimme abgeben. Als ich vor ein paar Tagen in der Warteschlange für meine Wahlunterlagen stand, hörte ich, wie eine neben mir stehende eine Frau sagte, dass viele Frauen für Meloni stimmen wollten, "weil sie eine Frau ist". Ich wollte es nicht glauben, aber dann las ich, dass die Sängerin Ornella Vanoni (Öffnet in neuem Fenster) (hochverehrt in Italien, aber nicht gerade eine Spitzenanalytikerin) sagte: 'Aber Giorgia ist toll'. Ich habe mich gefragt: Und was bedeutet das? Ist Giorgia Meloni toll, weil sie es geschafft hat, zwei Loser zu besiegen, einen 85jährigen Lustmolch und einen Wüstling, aus dem die Luft gelassen wurde? 

Ich meine: Frausein allein ist ja kein politischer Wert. (Wie man übrigens auch an Ursula Von der Leyen bemerken konnte: Mit ihrer Androhung, Italien wieder auf den rechten Weg zu bringen (Öffnet in neuem Fenster), falls die Italiener nicht vernünftig wählen, hat sie den Rechten hier ordentlich Stimmen verschafft. Super gelaufen, Ursula!) 

Giorgia Meloni ist gegen Frauenquoten und benutzt ihr Frausein nur zum Stimmenfang. In den Marken, wo Melonis "Brüder Italiens" regieren, haben sie de facto ein Abtreibungsverbot durchgesetzt. Und was Melonis angebliches Engagement gegen die Gewalt gegen Frauen betrifft: Ihr geht es dabei nicht um die Verteidigung der Frauen, sondern um ihren Kampf gegen die Einwanderung. Denn die meiste Gewalt gegen Frauen geht von denen aus, die den Hausschlüssel haben. In den "traditionellen Familien". Gewalt gegen Frauen interessiert Meloni nur, wenn sie von Einwanderern ausgeht.

Gestern morgen habe ich in der Sendung Mosaik auf WDR 3 über den Wahlkampf in Italien gesprochen, nachzuhören hier: 

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-gespraech-am-samstag/audio-autorin-petra-reski-ueber-faschismus-und-eu-skepsis-in-italien-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

Es ging natürlich um die bevorstehenden "Schicksalswahlen", um Giorgia Meloni, deutsche Schulmeister, die Mafia, die Kommunisten, Andreotti und überhaupt. Das frühe Aufstehen hatte den Vorteil, durch Venedig zu laufen, wenn die Stadt noch nicht von Reisegruppen überrannt wird. Außerdem freue ich mich jedes Mal, dass der Palazzo Labia, Sitz der RAI in Venedig, immer noch nicht, wie geplant, verkauft ist.

Die Wahllokale schließen um 23 Uhr, und um gegen 23.40 Uhr werde ich auf Deutschlandfunkkultur (Öffnet in neuem Fenster) das Ergebnis kommentieren. Mamma mia! 

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich aus Venedig, Ihre Petra Reski 

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